Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

»Untröstliche« Witwen.

Man kennt das lustige Märchen von der »trauernden Witwe von Ephesus«, das der, wenn auch etwas frivole, aber eminente Menschenkenner Lafontaine so überaus hübsch erzählt. – Der neugierigen Leserin, welcher die Geschichte vielleicht noch fremd sein sollte, sei in Kürze berichtet, daß eine Witwe über den Tod ihres Mannes so untröstlich wurde, daß sie beschloß, in der Gruft, in der er beigesetzt war – Hungers zu sterben. Wirklich begab sie sich dahin und vollbrachte eine geraume Zeit mit Weinen und Wehklagen um den »Unersetzlichen«. In der Nähe der Gruft war jedoch ein Missethäter an den Galgen geknüpft und ein Soldat stand dabei Wache, damit die Leiche nicht gestohlen würde. Als nun der »rauhe Krieger« das jammervolle Winseln aus der Höhle vernahm, spürte er nach und kam auf die in Thränen aufgelöste Todescandidatin. Er tröstete die schöne Unglückliche. Er rieth ihr von dem aberwitzigen Beginnen ab, er fand schließlich ein willig Gehör, und als mit dem Tröstungswerke eine Stunde verrann und er zu seinem gehängten Verbrecher zurückkehrte, war die Leiche von dessen Genossen richtig gestohlen. Der Tröster der Witwe war nun selbst untröstlich, er war in Verzweiflung, denn sein Kopf stand auf dem Spiele. Da kam die soeben geheilte ex-untröstliche Witwe auf ein einfaches Auskunftsmittel: ihr Mann war todt, was liegt an dem Körper eines Todten? Sie rieth, ihren Mann statt der entwendeten Leiche an den Pfahl zu binden; es geschah, ihr edelmüthiger Tröster war gerettet, so wie sie selbst von dem Wunsche zu sterben bereits gründlich curirt war.

Ich weiß nicht, ob der »Fall« je geschehen, oder nur von einem gewissenlosen Localcorrespondenten zu Ephesus damals erfunden und von Lafontaine später in zierliche Verse gebracht wurde. Ich weiß nur so viel, daß die untröstlichen Witwen der Neuzeit, wenn sie auch gerade nicht unsere Leichen an den erstbesten Pfahl knüpfen, so doch an unserem Grabe nicht Hungers sterben wollen, aber auch gegen die wohlklingenden Worte der allzeit bereiten Tröster meist ihre Ohren nicht ganz verstopfen. Die »trauernde Witwe von Ephesus« bleibt demnach doch ein Warnungsruf für alle sterbenden Ehemänner und zugleich ein, obwohl grelles Signalement der interessanten Species: »untröstliche Witwe«.

Dieses im Beginne seines neuen Standes, laut gedruckten Partezettels unglücklichste und laut Inschrift auf dem Grabsteine des »Unvergeßlichen« trostloseste Geschöpf der Erde, das nur in dem Gedanken an das baldmöglichst Wiederfinden im Jenseits, sein thränenreiches Dasein zu fristen, schwarz auf weiß vor aller Welt erklärt, ist, wenn es seinen geliebten und liebenden Ernährer verloren (ich habe nämlich eine Witwe aus dem besseren Mittelstände im Auge), in der That anfänglich zu bemitleiden. Das arme Wesen! Es wurde ihm »Alles« geraubt, der sogenannte »Himmel auf Erden«, und nun steht es vielleicht wirklich allein und verlassen auf der weiten, weiten Welt, die »so kalt und so helle«, und es verbirgt sein Antlitz, und ist blind und taub selbst für die harmlosesten Zerstreuungen und weint aufrichtige, wohlmotivirte Thränen.

Und so vergehen Tage und Wochen und die obligate Trauerzeit naht fast ihrem Ende. Da kommt ihre »Freundin« – denn so ganz verlassen ist kein Weib der Erde, daß es nicht wenigstens eine officiöse Freundin hätte – und die Freundin versichert, daß der Unglücklichen – das Schwarz so gut stehe. Die Unglückliche lächelt schmerzlich, sie streicht die Locke hinter das Ohr, die ihr zu weltlich dünkt, und mehrt der Freundin ernstlichst, solch frevelhafte Worte zu sprechen. – Dann wirft die Unglückliche im Vorübergehen einen Blick in den Spiegel, einen langen, langen Blick – sie seufzt tief auf, ihr Busen hebt sich und droht das Mieder zu zersprengen, dann sinkt sie an den Hals ihrer Freundin und schluchzt: »Mein guter Ferdinand! Wie liebte ich ihn! Keinen Mann der Welt könnte ich so wieder lieben ...«

Die Trauerzeit ist vorüber, aber die Unglückliche bleibt in »Schwarz«. Schwarz paßt für ihren Kummer und für ihren Teint, Niemand ist im Stande sie zu trösten, nicht einmal ihre eifrige Freundin, obwohl ihr diese wiederholt – Sperrsitze ins Carltheater angeboten und sie fort und fort animirte, sich zu zerstreuen. Sie sei das ihrer Gesundheit schuldig. Aber die Unglückliche vermag nur zu meinen, Ferdinand ist todt – was kann ihr diese Welt noch bieten?

Und nun tritt ein neuer Wendepunkt in ihrem Geschicke ein. Sie vergaß in ihrer Untröstlichkeit bis jetzt an die Sicherung ihrer Existenz zu denken, sie vergaß auf ihre Zukunft, d. h. auf die Beschaffung der Mittel zur Fristung ihres Lebens bedacht zu sein, und glaubte überhaupt nur vom Schmerze leben zu können. Und jetzt schon klopft, wenn auch erst leise, dann aber immer mächtiger und mächtiger der Mangel an ihre Thüre. Eine fürchterliche Perspective eröffnet sich ihr plötzlich: Noth und Elend in den künftigen Tagen. Noch halt die »Alleinstehende, die Niemandem von ihrem Thun und Lassen Rechenschaft zu geben braucht«, an ihren Grundsätzen fest. Man räth ihr dies und das, sogar mit dem trivialen Auskunftsmittel ist man bei der Hand, die überflüssigen Zimmer zu vermiethen: ein junger Doctor und ein ältlicher frommer Herr wären geneigt, die Wohnung mit ihr zu theilen – aber sie perhorrescirt den Gedanken, mit fremden Männern, und seien diese noch so fromm, in Gemeinschaft zu leben. Endlich macht man ihr sogar den sublimen Vorschlag, sich – nochmals zu verehelichen. Ein Blick voll tiefer Verachtung ist die Antwort. »Ich, meinem Ferdinand untreu werden? Niemals, niemals, niemals!« Gewiß höchst edel! –

Aber eines Freundes, eines Beschützers, eines Rathgebers bedarf sie doch in dieser Welt von Lug und Trug, voll Gefahren und Kümmernissen. Das sieht sie ein. Eines solchen (natürlich in jeder Beziehung uneigennützigen, aber treuen) Freundes kann sie deshalb auch nicht länger mehr entrathen. Ihre Lage wird immer peinlicher, die finanzielle Deroute, in welcher sie ihr Ferdinand zurückließ, tritt in ihren entsetzlichsten Folgen nun an sie heran. Bisher gelang es ihr, sich durch den Verkauf einiger leicht entbehrlichen Schmuckgegenstände »durchzubringen«. Rasch veräußert sie nun auch die überflüssigen Möbel und verläßt endlich, wenn auch mit schwerem Herzen und Thränen in den Augen, die große, ihr so lieb gewordene Wohnung und miethet sich ein kleines, bescheidenes Zimmerchen. Sie will ja so wenig. Ein Plätzchen nur, wo sie ungestört an ihren Ferdinand denken und um ihn weinen kann.

In dieser ihrer, noch immer (es sind bereits ein paar Monate) andauernden »Untröstlichkeit« vergaß sie auf das Dringendste: durch Arbeit einen anständigen Unterhalt sich zu gründen. Ihr ewiger Schmerz ließ sie an die Arbeit und das Arbeiten gar nicht denken. Sie hatte übrigens bis jetzt auch keine Zeit zu arbeiten. Sie ging bald zu dieser oder jener theilnahmsvollen »Freundin«, um ihr Herz auszuschütten, und wenn sie da ihr Schälchen Kaffee trank (den sie mit ihren Thränen vermischte) und von ihrem Manne sprach, so vergingen die Stunden, man wußte gar nicht wie. Und an regnerischen Tagen, wo sie nicht ausging und daheimblieb, um über ihre trostlose Lage zu seufzen, da kam eine oder die andere Freundin zu ihr und man trank da den (mit Thränen vermischten) Kaffee und sprach von dem »Seligen«. Wer konnte es der Unglücklichen verargen, wenn sie bei derlei Discussionen über die vortrefflichen Eigenschaften des Unersetzlichen an keine Arbeit dachte – zudem arbeitete ja auch keine ihrer Freundinnen.

Bei diesem Freundinnenverkehr ist es natürlich, daß sich der Kreis solcher weiblichen Bekanntschaften immer mehr und mehr erweitert. Man lernt Frauen kennen, die nicht allein für das Jenseits schwärmen, sondern – selbstverständlich in den anständigsten Formen – recht weltlich gesinnt zu sein pflegen und auch weltlichem Umgange mit dem anderen Geschlechte nicht abgeneigt sind. Auch die unglückliche Witwe verliert allmählich ihre Schüchternheit und fühlt sich sogar sehr erleichtert, als sie eines Tages einem gerade »zufällig« anwesenden pensionirten Major, einem Freunde des Hauses, von ihrer traurigen Lage erzählen kann. Und nun beginnt der zweite Act der Tragikomödie: der »Witwen-Major« tritt auf und greift in die Handlung ein.

Der »Witwen-Major«, höre ich meine verehrten Leser fragen, »was ist das für eine Charge?« Darauf erwidere ich, der Witwen-Major ist, wie der » Table d'Hôte-Major«, eine im Organisirungsstatute unseres socialen Haushaltes eigens systemisirte Charge. Wie der » Table d'Hôte-Major« die stillkauende Gesellschaft mit Wachstubenabenteuern, schwierigen Wintermärschen, Recrutenanekdoten und den fabelhaften Duellen seiner Lieutenantsepoche zu amüsiren hat, und sein scheinbar schnurriges, in der That aber nur strategisches Erzählertalent wohlweise dazu benützt, die fleischigsten Poulardtheile für seinen Teller zu erobern – ebenso hat der »Witwen-Major« die freundliche Mission übernommen, alleinstehende und hilflose (junge, hübsche) Frauen mit Rath und That zu unterstützen, ihre kleinen Bedürfnisse zu bestreiten, sie zur unumgänglich nöthigen Zerstreuung nach Vöslau oder in's Krapfenwaldl zu führen, und was sonst noch zu den ritterlichsten Pflichten eines Mannes »von Welt« gehört, dem es seine Mittel und viele freie Zeit erlauben, einem schwachen Weibe seinen starken Arm zu leihen.

Der »Witwen-Major« hat, zum Segen der hilflosen Frauen, nämlich meist auch die Mittel, seinem Wohlthätigkeitsgelüste fröhnen zu können. Das Relutum zahlloser erübrigten Fourageportionen, die ihm ein generöses Gebührenreglement bewilligte, kann der edle Menschenfreund nun zum Ankaufe von Seidenmantilles und Schnürstiefletten für verlassene Witwen verwenden, und damit neuerdings den loyalen Satz erhärten, daß der »Staat« eigentlich doch für Alles und Alle sorge. Was die für solche Ritterdienste erforderliche freie Zeit betrifft, so ist bekannt, daß die gütige Vorsehung und selbst der strengste Dienst einen Major damit stets auf's Reichlichste dotirten, um wie viel mehr besitzt davon erst der pensionirte Major, der Tag und Nacht seinem Samaritanerwerk obliegen kann. Der Witwen-Major hat deshalb, wenn er die Leidensgeschichte einer Verlassenen angehört, die humane Antwort in Bereitschaft: »Schöne Frau!« (oder je nach dem Rangsverhältnisse auch: »Gnädige Frau«) »Ihr Schicksal rührt mich. Wenn Sie etwas benöthigen, wenden Sie sich an mich, es wird mir ein Vergnügen sein, Ihnen dienen zu können!« – Ach, und die arme Frau benöthigt so viel und so vielerlei!

Durch diesen großmüthigen Freund und Beschützer ist sie nun neuerdings der Gefahr entbunden, durch Arbeit und sorgenvolle Thätigkeit sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Ihre einzige Sorge ist jetzt nunmehr die Vervollständigung ihrer Toilette und – den »Freund« so lange als möglich zu fesseln. Der aber verläßt sie nach längstens dreiviertel Jahren, um seine Trösterpflichten bei anderen Untröstlichen fortzusetzen. –

Und nun beginnt der dritte Act des Dramas. Die abermals Verlassene, die das so angenehm wie natürlich fand, daß sich ein starker Mann ihrer, des schwachen Weibes, erbarmte, die selbst dem Bilde ihres »unvergeßlichen« Mannes in die Augen zu sehen lernte, obwohl sie dem Freunde wärmer, als sich's für einen Freund gebührt, die Hand drückte, hat es bereits verlernt, im Kampfe des Lebens ohne »Beschützer« zu bleiben, und die Stimme ihres besseren Ich so rasch erstickt, daß sie nicht länger ansteht, die Beschützer nun selbst zu suchen. Sie findet sie. Es gelingt ihr, manchen der Freunde ein volles Vierteljahr zu interessiren, und ehe wieder ein Jahr um ist, hat ihr Gedächtniß mehr Freunde aufzuzählen, als sie ihrem Manne Eide geschworen, ihm treu zu bleiben.

Aber, wie sie selbst gesteht, ist sie ihrem Manne im Herzen ja nicht untreu geworden; sie liebt ihn noch immer wie einst und hat nie einen andern Mann geliebt. Ihren Freunden und Beschützern ist sie nur dankbar für die vielen Beweise ihrer Güte – weiter nichts. Sie ist nur namenlos unglücklich. Die Noth hat sie gezwungen, dem jeweiligen Schutze irgend eines Freundes sich anzuvertrauen, hätte sie irdische Glücksgüter, hätte sie Vermögen, sie würde die Männer sammt und sonders hassen und sie verachten, aber so ist sie nur ein hilfloses, alleinstehendes Weib, das, zu schwach zur Arbeit, fremder Beihilfe bedarf ...

So belügt sich die Bedauernswerthe selbst. Und wenn sie an gewissen Tagen des Jahres an dem Grabe ihres unvergeßlichen Mannes kniet und die Inschrift liest, die den Schmerz der »untröstlichen Witwe« verkündet, da überzieht keine Schamröthe ihre Wangen und es fällt ihr auch nicht ein, sich ihres Leichtsinnes und ihrer begangenen Fehltritte wegen anzuklagen – sie klagt nur ihr Geschick an, das eine Kette von Täuschungen und unverschuldeten Unglücksfällen sei.

Manche dieser sogenannten Schicksalsopfer erhalten sich auf der Oberfläche und wissen wenigstens den äußeren Anstand zu bewahren. Einigen gelingt es sogar, sich durch die »Poesie des Witwenstandes« zu idealisiren und sich eine romantisch gefeite, Achtung gebietende sociale Position zu erringen. Viele sinken jedoch bis an den Abgrund sittlicher Corruption, sie begannen als Zimmervermietherinnen für Studenten und endeten als Zimmervermietherinnen für – das andere Geschlecht. –

Was ich mit dieser ernsthaften Schilderung bezwecken wollte? Theils ein kleines Musterbild bringen von der sprichwörtlichen Arbeitsscheu gewisser »unglücklichen« Witwen, anderseits aber auch zeigen, daß es mit der angeblichen »Untröstlichkeit« nicht gar so arg sei, und daß bald getröstet ist, was sich trösten lassen will. Oder begehe ich etwa einen einen statistischen Lapsus, wenn ich behaupte, daß unter hundert »untröstlichen Witwen« 66 2/3 Percent als sattsam getröstet herumwandeln? Ich will den Dr. Glatter fragen.

 


 << zurück weiter >>