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Vom »Grueber Franzl«.

Ich habe wiederholt Gelegenheit gehabt, bei meinen Schilderungen des Wiener Lebens eines Mannes und seiner specifischen, beziehungsweise bravourösen Kunst zu gedenken, nämlich des Hernalser Orpheus, genannt » Grueber Franzl«, der seinem Instrumente, genannt » picksüaßes Holz«, decennienlang die berauschendsten »Heurigenweisen« zu entlocken verstand. Dieser Mann, ein Stück »Alt-Wien« wie Wenige, ist am 24. Jänner 1870 im fünfundsechzigsten Lebensjahre, wie die Todesanzeige lautet, »in ein besseres Jenseits abberufen« worden. Wünschte der »Selige« diese Textirung? In diesem Falle muß das Haus Gschwandtner Trauer anlegen, denn dieses öffentliche Desaveu, daß es für den Eigengearteten doch ein besseres Domicil gäbe, als die in der Atmosphäre des Gerebelten gestandene Wiege seines Ruhmes, kann für die Betreffenden nur überraschend wirken.

Es mögen einige Jahrzehnte sein, daß die Gloire eines Quartettes, welches, nebenbei gesagt, als kein Vorläufer des Florentiner Quartettes anzusehen, eine gewisse Classe residenzlicher »Unterthanen« tagtäglich hinaus in die Hernalser Reviere lockte, wo ganz eigenthümliche Rhythmen erklangen, die so recht das Sprachrohr für jene Seelenträume waren, wie sie die energischen Ansiedler der Urgründe in weihevollen Augenblicken zu träumen gewohnt sind. Dieses Quartett constituirte sich aus dem Clarinettisten Franz Gruber, dem populären » Handschuhmacher Karl« mit dem stabilen Sammtkappel, der die weltberühmten »Linzertanz« aus dem ff zu spielen verstand, dem » krummen« Erbes (»Arwas«), der die zweite Violine tractirte, und dem blinden » Harpfenisten«, dem hochbetagten Vater des Gruber. Diese vier musikalischen Originale bildeten das unzertrennliche »Kleeblattl«, die sogenannten Fixsterne in jenen Localitäten, wo »unser Herrgott den Arm herausstreckt«, und sie blieben beisammen, bis Gevatter Tod aufzuräumen begann. Zuerst verschwand der alte blinde Gruber in des Wortes voller Bedeutung, denn er kam auf die räthselhafteste Weise bei der Heimkehr von Hernals nach seinem »Häuserl« auf der Nußdorferstraße, in einer stockfinsteren Nacht, seinen Begleitern abhanden und wurde nicht mehr aufgefunden, ein Umstand, der zu allerlei Vermuthungen Anlaß gab; dann starb der Handschuhmacher Karl, das Ideal aller Schwärmer für die »Gepaschten« und »Gstrampften«, und nun haben sie auch den »Franzl« im eigenen Grabe zu Döbling beerdigt, nachdem er eines örtlichen Leidens wegen schon vor einigen Jahren die »Kunst« verlassen und bei seiner Schwester in der Leopoldstadt, zu welcher er mit einem kleinen Sparpfennig zog, Aufnahme und bis zu seinem Tode die liebevollste Pflege fand.

Der Mann starb lebensmüde. Mußte er doch schon vor einem Decennium die schmerzliche Erfahrung machen, daß seine vermeintliche Specialität nur eine Chimäre und daß selbst Epigonen, wie die » Stelzmüller«, ihm nicht nur die Treuesten seines Stammpublicums, sondern sogar seine wirthshäuslichen Domänen zu erobern mußten, und daß er, als sein Prestige im Erbleichen, froh sein durfte, wenn man ihn etwa einlud, bei der » Bäckin« in Hernals, oder während der Firmwoche im Prater beim » Blumenstöckl« oder » wilden Mann« schüchterne Gastrollen zu geben.

Der Mann starb lebensmüde. Ein neu Geschlecht wuchs heran, das seine einstige Größe nicht zu würdigen verstand, ein neu Geschlecht, das kein Verständnis; für die textliche Wucht der alten Bierzeiligen hatte und das so entnervt war, sich für die lauwarmen G'stanzeln zu begeistern, welche moderne vaterländische Poeten für Fräulein Gallmeyer dichten. Es mußte das Gemüth des »feinfühlenden« Künstlers verbittern und es brach ihm vielleicht sogar das Herz, als er sah, daß der längst gefürchtete Racenkampf hereinbrach und insoferne zum Unheil des urwüchsigen Genres umschlug, als die »Sturmwallfahrer« nicht mehr von dem reinen Blute der »Hausherrnsöhnerl«, die für einen »ganz Tiefen« zu jeder Zeit »ein' Fünfer-Bankanoten« mit flammenden Augen zu opfern bereit sind, sondern auch aus der Kategorie schöngeistiger Ladendiener und lendenlahmer Amtspractikanten sich recrutiren und eine höchst »gemischte« Gesellschaft die classischen Gefilde im Rayon des Ganserlberges verunstaltet.

Und noch Eines. In der Zeit seiner schönsten Triumphe, als selbst Sauter, dessen ich ebenfalls schon wiederholt gedachte, seine empfundensten Strophen im »Palffy-Garten« oder beim »Mondl« wie eine Lerche jubelnd trillerte, da ging's noch hoch her in jenen der ungebundensten Lust gewidmeten Räumen; eine Wagenburg stand in den Vorhöfen, denn was der Brillantengrund an Notabilitäten und Würdenträgern aufzubieten vermochte, das fuhr in den »feschesten Zeugln« dorthin, wo der heitere Maestro mit dem kugelrunden Antlitze die Rostra aufgeschlagen. Die heutige Generation ist so verflacht, daß sie nicht erröthet, um zehn Kreuzer bis zur Linie zu fahren und sodann zu Fuß zum »Stadllehner« etc. weiterzuhumpeln. Als Gruber auch noch diese betrübende Decadence seiner Zeitgenossen sah, ja, als man sogar so tief gesunken, statt des edlen Zwanzigers ein »fuchsernes« Sechserl, ja selbst nur ein plumpes Vierkreuzerstückel ihm in den blechernen Stiefel, mit dem er die Honorare einsammelte, zu werfen, da wandte er sich schmerzlich bewegt von dem kläglichen Schauspiele ab, und legte Stiefel und Klarinette auf Nimmerwiedersehen in die Commode.

Gruber verließ während der letzten drei Jahre sein Asyl nur, um Sonntags in die – Kirche zu gehen. Von der Welt wollte er nichts mehr wissen, da er sich in ihr nur vereinsamt und unverstanden fühlte. Vor ein paar Wochen mußte er noch die Kunde von dem Ableben eines seiner Kampfgenossen erfahren, des weit und breit bekannten »Dudlers« und Zitherspielers Weidinger, vulgo » Schwama«, der unter dem Directorium der » Leyrerbuab'n« bei der » Säul'n« und beim » Kleeblatt'l« wirkte, dort das Bier aus »Viertelschaffeln« trank, aber auch Kunstreisen machte und beispielsweise jahrelang im Solde des Grafen K. stand, der ihn seines virtuosen Jodelns wegen in der Sommersaison für Aussee »gewann«. Der »Schwama« war der Einzige, der Gruber verstand, aber auch dieser verstand ihn nicht ganz, und deshalb legte sich der alte »Franzl« wie Hegel enttäuscht hin und – starb. Gruber starb als Hagestolz, vielleicht weil er das schöne Geschlecht zeitlebens in den unbegehrlichsten Exemplaren sah.

Mit Gruber verschwand wieder ein Stück Alt-Wien. Würdigt man den Verlust? Ach, die greise » Rognerin«, die achtzigjährige Korsikaner-Verkäuferin, seufzte bei der Nachricht seines Todes wohl auf, aber die alte »Judenpepi«, die Zeugin und Theilnehmerin all seiner Triumphe, die zu Tausenden seiner »Tanz« stets so ruhmvoll »gepascht«, hat so wenig Pietät für den erschütternden Fall, daß sie die heroische Stimmung findet, sogar noch in der Trauerwoche, und zwar schon am nächsten Montag »ihren Ball« zu geben! Eine solche sociale Blasphemie von Seite seiner talentvollsten Schülerin muß die Manen des Meisters empören, wer aber versöhnt sie wieder? Vielleicht Herr Gschwandtner durch einen sinnigen Denkstein für seinen lukrativsten Minstrel ...

 


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