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(Zum 11. Juli 1871.)
Von Peterwardein
Kann nit Jeder her sein.
Und es muaß a darnöb'n
Und herent no Leut' göb'n.
Dieses tiefsinnige Xenion hörte ich einst von der härtesten »Wäscher-Tonerl«, die je von den unsterblichen »Linzer Geigern« bei der »Schäferin« am Himmelpfortgrund sich »anstrudeln« ließ, im vom Plutzerbier gedämpften Alt einem charmirenden »Stuckknecht« (fremder Zunge) entgegenschmettern, worauf ihr »Gegenstand«, der »Wießhoser Ferdl«, ein ausgedienter Deutschmeister, das Glas in die Höhe riß und in schöner Begeisterung ausrief: »Und dö andern Leut' san mir, wann eng nit graust! Mir, von ›Hoch und Niader‹, von Nummer vier, dö a no auf der Welt san, so lang's a Bier gibt und a Musi und d' Wiana-Madl'n nit aussterb'n – und da habt's zwa Koferln, i will mein' Tanz – aushalt'n auf der Gelb'n, und wann's Graz gilt!« – Und sein »G'span«, sein »alter Schlaf«, der »Meidlinger Poldl«, dem diese rührende Apostrophe wie Kuhreigen dem Schweizer Hirtenknaben klang, erhob ebenfalls sein Glas und recitirte den historischen Psalm der »Edelknaben von Thury«, der da lautet: »Denkst no d'ran, bei ›Valetschi‹? Kan' Tawak – kan' Knopf Geld – nit an Tropf'n G'mischt's – kane Kamaschen und den D...k!!« – »Poldl, laß außa, dö Tiafen!« – scholl's nun im Chore, aber »Poldl« hatte noch den Schlußcanon zu sprechen, und der heißt in alter, ortsüblicher Textirung: »Awer ewi ka Traurigkeit g'spür'n lass'n, weil dös 'n Durscht verdirbt – a Bier her!« Darauf Gläsergeklirr, tolle Aufschreie, grelle Gurgeltöne, Jodlerpräludien mit doppelten Ueberschlägen, Fingerschnalzer und nun die »Vierzeiligen« in endloser Reihe. – Welch lustig Völklein mit der verwegenen Lebensdevise: »Alleweil fidel, fidel!« ...
Karl Beck schrieb damals eben seinen »Fahrenden Poeten«, die Worte
O
Wien, o
Wien, Du märchenvoller Klang!
Dem Sinnenden, der Dir in's Herz gesehen –
summten mir unablässig in den Ohren, und wenn ich auch wußte und fühlte, daß dem edlen Sänger bei seinem Gruße ganz andere Gestalten vor Augen schwebten und er im höheren und besseren Sinne die Wesenheit und den Charakter der viel verlästerten Phäakenstadt erfaßte, so schien es mir doch kein Sacrileg, wenn ich diese freundlich-wohlwollende Kritik des »Wienerthums« eigenmächtig auch auf die urwüchsigsten Schichten ausdehnte und auch die – unorthographischesten und im wildesten Dialecte aufgewachsenen »Kinder des Volkes« zuweilen als einen nicht unliebenswürdigen Stoff für den » Sinnenden« mir dachte und – noch heute denke.
Der Dir in's Herz gesehen! – Wer nahm sich die Mühe? Wer thut's, wer that's bisher? Nun, ein paar Poeten erbarmten sich ja doch Deiner, und wenn sie einsam am Abhange des Kahlenberges saßen und den altersgrauen Dom, den Zeugen sagenreichster Zeiten, wie einen warnend erhobenen Finger aus dem Häusermeere in die Wolken starren gesehen – oder wenn sie im Menschengewoge träumerisch dahin schlenderten und die Menge bei Spiel und Tanz und vollen Gläsern trafen, da bargen sie dann wohl ihre geheimsten Gefühle und Gedanken in – klingende Reime und auch in schöne Prosa, und wenn sie in ihrer Schreibtafel wieder einmal Nachschau hielten, so wurde ein hübsches öffentliches Buch aus den vereinsamten Empfindungen, und dieses Buch wurde in den Literaturzeitungen auch nebenbei besprochen, nur geschah dem Autor meist das Malheur, daß Richter über ihn saßen, denen die geschilderte Scholle eine terra incognita oder die wohl gar dem (übrigens geschätzten) Herrn Verfasser gerade seine allerschönsten Hymnen, als vom »Localpatriotismus« dictirt, zum Vorwurfe machten und seinen »loyalen Austriacismus« belächelten ...
Der Dir in's Herz gesehen! – Thaten's Jene, welche mit dem billigsten Vergnügungszuge auf einer flüchtigen Rundfahrt auch die wunderliche Kaiserstadt flüchtig berühren und bereits in der nächsten Woche soundsoviele Druckbogen mit ihren »Eindrücken und Erlebnissen« vollmachen, und »Land und Leute an der Donau« gründlich schildern zu wollen, die – Anmaßung haben? Einmal bei einem Knoppernhändler zu Tische geladen worden und später bei der Mannsfeld gewesen zu sein, genügt, wie ich bereits im Vorworte angedeutet, den Herren vollkommen, um ein ausführliches »Werk« unter dem umfassenden Titel: » Wien und die Wiener« zu schreiben, das selbstverständlich die normalen Abschnitte: »Charakter der Wiener«, »Wien bei Nacht«, »Familienleben« etc. etc. und die üblichen »Holter-« (?) und »Backhendlspäße« enthalten muß. Befreundete Kritiker nennen dann das Opus pikant und rühmen den scharfen Blick und die Beobachtungsgabe des vielgereisten Mannes. Man könnte weinen – wenn man nicht lachen müßte. ...
Ach, vielleicht ist es doch wahr, daß nur zwei Männer »Wien und die Wiener« zur Gänze verstanden? Ich meine weiland Strauß und Lanner, die (wenn der Tropus gestattet) den lustigen Rhythmus des Wiener Lebens, die fröhliche Melodie des Wienerthums in den frischesten Urklängen erhorchten und in den herzgewinnendsten Weisen wiedergaben; die all den freundlichen Zauber der ungebundensten Lust, der sorglosesten Herzensgüte, der heitersten Lebensfreudigkeit, wie sie nur dem unvermischten Wiener so recht eigen, und die in tausend Witzfunken emporprasselt und in den lachenden Augen und Mienen der ungeschulten Humoristen der Donaulände abgespiegelt, zum wirbelnden Ausdruck brachten; die die Naivetät, aber auch Raschheit und Lebhaftigkeit der Empfindung, die schneidige Verve und das bündig Resolute des urwüchsigsten Sanguinikers in den täuschendsten Tonfarben zu malen wußten, und mit ihren heute noch unvergessenen Walzern: »Das Leben ein Tanz« – »Lustig lebendig« – »Heiter auch in ernster Zeit!« u. s. w. das beste Conterfei des Wienerthums schufen.
Wie spotteten sie aber auch draußen »im Reich« über das Bäuerle-Raimund'sche: »'s gibt nur a Kaiserstadt, 's gibt nur a Wien!« und welche Strafpredigten mußten wir über unsere (ohnehin nicht bestrittenen) paar lässigen Sünden: »Genußsucht und Sinnenlust« lesen! Als »Capua der Geister« figurirten wir in den Reifebeschreibungen und das war noch eine glimpfliche Classification, besonders witzige Touristen sprachen gar von Neuchina. Nun trübselig sah's wohl einst allwärts aus, daß aber in diesem Capua, wenn schon kein Geibel, so doch ein Grillparzer, Lenau, Grün gediehen, daß dieses Capua an jenem 13. März die große Freiheitssymphonie intonirte und triumphirend dirigirte; daß dieses Capua zum Sparta wurde und, um das übrige Europa von der hereinbrechenden Barbarei des Absolutismus zu retten, die blutigen Octoberschlachten schlug; daß es für die heiligen Lehren der Geistesbefreiung muthvoll auf den Barrikaden kämpfte, und ungebeugt in den Kerker und in den Tod ging; daß dieses Capua zum Bethlehem wurde, von wo aus (nach zehnjähriger Nacht allüberall blind wüthender Reaction) zum ersten Male wieder vor Schiller's Standbild der leuchtende Stern freudigster Erhebung sein mildes Licht weithin ergoß – all das schiert die nergelnden, hämischen, in sich selbst verliebten unfehlbaren Völkerkritiker wenig oder gar nichts und sie bleiben bei ihren vorgedruckten traditionellen Phrasen, die die geistige und moralische Haltlosigkeit »Wiens und der Wiener« gar so gewissenhaft präcisiren sollen.
Mögen sie's thun! Vielleicht ist der Tag doch nicht mehr ferne, wo das scheinbar in Apathie und Lethargie versunkene, in Sinnenlust »versumpfte« Wien sich wieder aufrüttelt, mit der alten Sprungkraft in die geistige Arena stürmt und, gleich der erwachten Löwin, die Tatzen dräuend gegen Jene erhebt, die einen frevlen Raub an den kostbarsten Gütern des Lebens wagen wollten. Noch verzweifle ich nicht, noch ist mein Trost der Kern des Volkes, der, wenn er von der faulen Hülle socialer Gebresten befreit, sich Euch als gesund erweisen wird. Löst die Schlacken, und gediegen Gold liegt vor Euch und vielleicht findet Ihr's just in den untersten, tiefsten Schichten. Beseitigt den Schlamm, den die Corruption der modernen Speculation über die Oberfläche gezogen, und der klarste Quell sprudelt Euch entgegen! Mitten im Schmutz und Unrath unserer (und wohl aller großen Städte) gesellschaftlichen Zustände gedeiht auch noch der Same biderber Ehrlichkeit und zwischen dem lumpigsten oder elegantesten Gesindel schreiten Gestalten treuherzigsten, unverdorbensten Sinnes einher, Männer der Arbeit, denen Mühsal und Jammer und tausendfache Sorge die alte väterliche Erbschaft: den Frohsinn noch immer nicht aufgezehrt, die aber auch den Glauben an ihre innere Kraft noch nicht eingebüßt haben. Wer dieses Volk mit der Lebhaftigkeit seines Fühlens doch zu klären, zu läutern, zu veredeln, zu erheben verstände! Gebt ihm einen Gedanken, der es aufrichtet, ein zündend Losungswort – an Verständniß und an ehernem Willen der Ausführung fehlt es dem echten Wiener nicht. –
Wie ich auf diese Gedanken kam? Durch eine Nachricht localster Natur, die aber halb Wien auf die Beine bringen und nach einem einzigen Punkte hinströmen machen dürfte. Dieses Ereigniß ist der für heute avisirte Durchmarsch des Infanterieregimentes » Hoch- und Deutschmeister Nr. 4«, das seinen Werbbezirk in Wien hat, sich also aus » Wiener Kindern« – aus » Wiener Vollblut« recrutirt. Fast ein Vierteljahrhundert ist es, daß Wien sein »Leibregiment« nicht in seinen Mauern gesehen. Gewisse Rücksichten disciplinärer Natur, dem Laien ewig unverständlich, sollen die Expatriirung der Wiener nothwendig gemacht haben. Die vielen Amour» und Kameradschaften im eigenen Neste seien, so heißt es in dem mysteriösen Codex der »Staatsraison« und den Sinnsprüchen des Dienstreglements – den Kasernpflichten des Mannes »abträglich« und so vermied man es denn auch mit ängstlicher Sorgfalt, das Regiment auch nur in den Dunstkreis seiner Heimat gelangen zu lassen. Meist wurde es (mit gewünschtem Erfolge) zur Unterdrückung von Aufständen verwendet und fand in dieser Beziehung schon 1847 in Galizien lohnende Beschäftigung. In den Jahren 1848 und 1849 kämpfte es in Italien und Ungarn gegen die »Rebellen«, 1859 abermals gegen die »Wällischen«, kam dann in Garnison nach Ungarn, 1866 zur Nordarmee nach Böhmen, später nach Dalmatien, endlich nach Graz und war in den letzten Wochen im Brucker Lager. Heute also trifft es in den Frühstunden auf einen flüchtigen Besuch Wiens bei der Marxerlinie ein, um – nach einer lang entbehrten »Nacht in der Vaterstadt« – schon morgen in das langweilige Tulln abzugehen.
» Die Deutschmeister in Wien!« Wie eine Rakete fuhr die Nachricht schon anticipando in die Wiener Bevölkerung. Namentlich gewisse Gründe, die allzeit das Gros der »Vaterlandsvertheidiger« zum residenzlichen Contingente zu liefern beflissen sind, deren Stolz es ist, noch immer die meisten »Taiglichen« aufzutreiben, waren von der Kunde förmlich elektrisirt. Und wohl mit Fug und Recht. Gibt es doch in jenen Bezirken fast kein Haus, deren Insassen, fast keine Familie, deren Mitglieder sich für diesen Dislocationswechsel aus dem einen oder dem anderen Grunde nicht zu interessiren hätten. Der Vater, die Mutter sehen den lang entbehrten Sohn wieder, Fleisch von ihrem Fleische, Blut von ihrem Blute; die Geschwister den Bruder, dieser den »Schulspezi« und Jener den Spielkameraden, von dem er beim »Palästern« die ersten »Löcher im Kopf« erhielt; dann die Legion schmucker Dirnen, fescher »Wianer God'ln«, die ihrem Pepi, Schorschl, Karl, Franzi, Nazi die ewige Treue geschworen und ihm treu bleiben wollen, »wann a der Prinz Schnudi kumma thät«! Alle sehen sie wohl klopfenden Herzens der Stunde entgegen, welche die heiß Ersehnten in ihre Arme führen soll.
Die Deutschmeister in Wien! – das ist eine Parole, deren Werth nur Derjenige kennt, dem die Götter das richtige Verständniß für den streng localen Sinn des Gattungswortes »Deutschmeister« gnädigst verliehen. »Deutschmeister« ist seit fast zweihundert Jahren (seit 1696) die Signatur einer ganz speciellen und nur auf classischem Territorium gedeihenden Race, deren Tribus in Liechtenthal, Michelbeuern, Erdberg, Hungelbrunn, auf dem Althan- und Himmelpfortgrund ihre Lehmzelte aufgeschlagen, und die Söhne beim »Anmäuerln«, Schneeballenwerfen und auf der »Schleifen« mit den Geheimnissen der richtigsten Heilgymnastik vertraut werden lassen. »Deutschmeister« ist der summarische Begriff des ureigentlichsten Wienerthums, das im Vogelhuber Christl, dem Grueber Franzl und dem schneidigen Amphion des Praters: Fürst seine gediegensten Interpreten fand. »Deutschmeister« ist der Haupttitel, der Alles in Allem sagt und den Subtitel »lauter Geist« entbehrlich macht. Im »Deutschmeister« sehen deshalb gewisse Leute, deren faible der böhmische »Kaprol« oder gar ein Seressaner Bassa ist, nur die Verkörperung des gefürchteten »Wiener Früchtels« – aber diese Sage von Anno Haarbeutel hat heute gar keine Berechtigung mehr, denn erstens werden die »Wiener Früchtel« par excellence in Folge ihrer glücklichen körperlichen Indisposition nicht enrollirt und lungern unbehelligt in den vorstädtischen Surrogatcafés und Branntweinboutiken herum, und weiters ist der »Deutschmeister« zwar ein unverbesserlicher Raisonneur, aber durch kluge Behandlung »um den Finger zu wickeln« und erfüllt (freilich unter Accompagnement haarsträubend drastischer »Sprücheln«) schließlich unverdrossen die fatigantesten Dienstespflichten.
Aber den Spaß müßt Ihr ihm gestatten, den Jux, den Schabernack, die Hetze: seiner kaustischen Kritik der ernstesten Bataillonsbefehle dürft Ihr das Ventilrohr der dialectischen Uebungen nicht verschließen, weil sonst – eine unheilvolle Explosion zu fürchten. Drückt Ihr aber ein Auge zu, wenn er seine Mundwinkel zu einer »harben« Bemerkung spitzt, dann geht er wohl, lachend und einen kecken Jodler loslassend, selbst an seinen Dienst. Die Regimentsfama weiß tausend lustigster Anekdoten dieser »Commiß-Komiker« zu erzählen, und hätte ich nicht die Besorgniß »geschmeidelt« zu werden, ich theilte selbst ein Schock der verblüffendsten mit. So war denn dem »Deutschmeister-Schnabel« auch nur Einer gewachsen, der nun wohl auch schon längst »selige« Hauptmann Schnorbusch, der wahrlich die nöthigen Haare auf den Zähnen hatte. Aber die ungerathenen »Kinder seiner Compagnie« jubelten laut auf, wenn er die bärbeißigsten Resolutionen von sich gab, namentlich bei den stets abweislichen Bescheiden während der Rapportsstunde, die er sämmtlich, in seelischer Vorahnung der Gedankenharmonie mit den mystischen Worten » Mich auch!« finalisirte. Nun, der Herr schenke dem vor Aerger meist »zwetschkenblauen«, viel geplagten Manne die ewige Ruhe – die Epigonen seiner Quälgeister eilen heute unter Sang und Klang, und ohne Zweifel von den jauchzenden Grüßen einer unzählbaren Menschenmenge bewillkommt, freudetrunken in die Arme der Ihrigen.