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Der Fasching der Armen.

Wer gerne tanzt, dem ist bald gepfiffen, und wer seinen »Fasching« haben muß, findet ihn ohne viel kopfzerbrechendes Arrangement und macht auch kurzen Proceß bei Vervollständigung der erforderlichen Toilette. Genügsame Naturen – und die Armuth zwingt wohl zur Genügsamkeit – überraschen dann geradezu durch den bescheidenen Apparat, den sie zu ihren carnevalistischen Vergnügungen benutzen, und sie beschämen mit der Einfachheit der mise-en-scène auch die kunst- und mühevollen Anstrengungen der Millionen-Chefs, indem zwischen den vier schlecht geweißten, mit farbigen Papierketten dürftig aufgeputzten Wänden einer zu einem Tanzsaal rasch improvisirten Tischlerwerkstätte doch mehr freudestrahlende Gesichter erglänzen als in den goldstrotzenden Appartements einer beliebigen Finanzgröße.

Ich habe nämlich noch nie gehört, daß sich arme Leute, wenn sie unter ihres Gleichen gewesen, selbst bei den kümmerlichsten Ballversuchen je gelangweilt hätten – was bei der gegentheiligen Partei mitunter passiren soll; ich habe ferners nie gehört, daß die Ballgäste des holperigsten Tanzbodens über die Juchtenstiefel mancher hausknechtischen Solisten die Nasen rümpften, während die zierlichsten Juchten-Bouquets der ätherischsten Comtessen eine Walzertour zur Höllentour machen können, und schließlich habe ich auch noch nie gehört, daß der Unternehmer eines kleinen »Tanzlätizel« im dumpfsten Wagenschoppen nachträglich davon so viel Verdruß gehabt hatte, wie der generöseste Veranstalter jener rivalisirenden Ballfeste in gewissen rivalisirenden Palais. Denn man ist, wo nur Talglichter den Productionen vorstädtischer Terpsichoren leuchten und man die Erfrischungen in der Raststunde aus einem Ziment credenzt, schon von Haus aus bescheidener und genügsamer und mit Wenigerem zufrieden, als in den exquisiten Regionen, die von Brillanten erhellt werden. –

»Du, beim Greißler is am Irtag a Ball, er hat die Krautkammer auskramt, a Zehnerl is Eintritt, 's kummen lauter Bikennte aus der Nachbarschaft – daß Di daweil z'samrichst, mir gengan a übri!«

Mit dieser schmucklosen und unparfümirten Einladung avisirt ein ausgedienter Deutschmeister und nunmehriger Stiefelputzer die »Seinige«, die am ganzen Grund bekannte Wäscherin und kreuzbrave »Frau Kathel«, von dem bevorstehenden Faschingsgenuß, Und nun wird gewaschen und gebügelt, die Unterröcke werden gestärkt und das »blaugetupfte Kammertuchkladl« worin's vor neununddreißig Jahr' bei der Hochzeit so sauber ausg'schaut hat, daß alle Mannsbilder auf sie »gschiärng'lt hab'n«, wird aus dem Archive hervorgesucht und noch einmal in's Treffen geführt.

Und am »Irtag« ist wirklich der »Ball« in der Krautkammer des Greißlers. Es kommen übrigens thatsächlich nur »Bikennte«. Da ist z. B. der Herr Alois, der Laternanzünder, mit seinen fünf »Madeln«, wovon vier in's »Nähen gehn«, und eine für's Ballet ausgebildet wird. Ferner ist der »Mussi Franz« anwesend, der durch einundzwanzig Jahre Himmeltrager war, aber seines Brustleidens wegen den Dienst verließ und nun dem Greißler beim Krauteintreten hilft. Dann die »Mamsell Schanett«, eine ältliche Person, die in ihrer Jugend eine reiche Partie hätte machen können, indem ihr ein vornehmer Herr einmal von den Klepperstallungen bis in die Reißnerstraße »nachg'stieg'n ist«, und die nun vom »Umsetzen«, »Krankenwarten«, Platzaufheben und der Bereitung eines sehr gesuchten schwarzen Gichtpflasters lebt. Weiters die Frau Susi, die Auskocherin, mit ihrem Sohne Ignaz, der »in's Läuten geht«. Der Werkelmann vom »hinter'n Hof«, der nicht nur sein »Instrument«, sondern auch »elf lebendige« Kinder mitgebracht, die älteste Tochter sogar in der Maske; der Herr Jakob, der Holzhacker; Herr Wenzel, der Flickschneider aus der Dachwohnung, und Herr Peter, der Zettelanpapper, der nicht lange bleiben kann, weil er zeitlich »in's G'schäft« muß, sind ebenfalls, und zwar sammt ihren Ehehälften und dem vollkommen legitimen Nachwuchs erschienen u. s. w.

Das Fest selbst ist einfach, aber gemüthlich. Ist der Saal (die Krautkammer) auch etwas überfüllt, man findet doch Platz, um einen ehrsam gemäßigten Walzer zu je vier oder fünf Paaren durchzumachen. Herr Wenzel, der Flickschneider, ein durch und durch musikalisch gebildeter Mann, sozusagen ein Tausendkünstler, besorgt die Musik, d. h. er spielt abwechselnd Guitarre oder bläst Clarinette. Auch der Werkelmann gibt sein Repertoire zum Besten, auf allgemeines Verlangen aber muß Herr Wenzel Csakan blasen und die Frau Kathel mit dem »Ihrigen«, der zu diesem Zwecke, »obwohl's a damische Hitz hat«, sogar seinen Rock anzieht, einen Menuet tanzen. Den Schluß bildet ein Polsterltanz, bei welcher Gelegenheit der »Mussi Franz« der »Mamsell Schanett« unter lautem Bravogeschrei ein »Bußl« zu geben hat, worüber diese feuerroth wird und, an ihrem Platze angelangt, den neben ihr sitzenden Frauen noch einmal die Geschichte erzählt, wie sie in ihrer Jugend eine reiche Partie hätte machen können, denn jener noble Herr schien doch ernste Absichten gehabt zu haben, sonst wäre er nicht (notabene ohne ein Wort zu reden!) den weiten Weg von den Klepperstallungen bis in die Reißnerstraße ihr nachgegangen.

Das Buffet ist selbstverständlich gleichfalls nicht lucullisch. Der Greißler ließ eine Rein Gollasch kochen, das allgemein Beifall fand, und besorgte auch den nöthigen Trunk. Die Frau Susi, die Auskocherin, lieferte die Krapfen (solide, compacte Waare), die sich eines reißenden Absatzes erfreuten und ihr den Ruhm, die »erste Krapfenbäckerin« weit und breit zu sein, verschaffen. Die Frau Susi wird deshalb auch um das »Recept« förmlich bestürmt; sie macht übrigens kein Geheimniß daraus, und während die Jugend walzt, erklärt sie den wißbegierigen Müttern ihr System. »Mein Gott!« sagt sie, in ihrem Siegesbewußtem etwas schmunzelnd, »es is ka Kunst und ka Hexerei! I nimm halt auf hundert Krapfen a groß's Maßl Mundmehl, vier Eier, ein Vierting Schmalz – 's Schmalz von unsern Herrn Greißler (dieser nickt bejahend), nit mehr und nit weniger, dann das übrige Zugehör, ein Löffel voll Salz, ein Vierting Powidl – vom Herrn Greißler (ganz richtig! ergänzt dieser), um zwei Kreuzer Germ, ein Seitl Mili, nur a ablasene, die Frau Sali soll's sagen – («Ja, nur a ablasene«, bestätigt die Aufgeforderte), no, und Zucker, was man eben braucht.« – »Delicat!« ruft der ganze Cercle, und Jeder und Jede langt noch nach einem solchen Wunderkrapfen. Nur der Herr Jakob, der Holzhacker, refusirt sie mit der Entschuldigung: »I trau mi nit, mir san's z'fett, mein Magen is seit a sechs Woch'n nit ganz in der Ordnung, i bleib bei dem, was i g'wohnt bin, der Herr Nachbar macht mir nachher a paar Wurst in Essig und Oel an, denn man kann net wissen ...«

»Recht haben's, Herr Jakob! commentirt die Versammlung, »bleib'ns bei Ihrer Ordnung, über Ordnung geht nix!« – »Seg'ns«, sagt die Hausmeistern:, »der Meinige lebet a noch, wann er nit gestorb'n war, das heißt, wenn er bei seiner Ordnung blieb'n wär. Sein Lackerl Bier auf d'Nacht hätt' ihm nit g'schadt, aber da hat er mit dem Malefiz-Wein anfangen müssen, der hat'n z'sammbiss'n. Gott tröst'n!«

Unter solch anregendem Geplauder der Alten naht das Ende der »Ballnacht« und beginnt der Morgen zu grauen. Nun heißt's in aller Eile den Kaffee auftragen, da Jeden seine Pflichten zur Arbeit rufen. Die Greißlerin bringt ein »Häfen« Schwarzen und einen Topf Milch, die Schalen werden herumgereicht und mit Dank acceptirt, mit Ausnahme von Seite des Herrn Jakob, der »'n Kaffee nit ästamirt« und der vom Nachbar »a Glas'l Sie wissen schon« verlangt. Darauf gegenseitiges Becomplimentiren, Händeschütteln u. s. w. und man geht auseinander unter der ungeheuchelten Versicherung, sich sehr gut unterhalten zu haben, denn »es war sehr hübsch und nicht der mindeste Verdruß«!

Soll ich über die Leute nun spötteln? Soll ich ihr harmloses Bestreben, dem Faschingscultus nach ihren bescheidenen Kräften ein kleines Opfer bringen zu wollen, höhnen? Soll ich Witze darüber reißen, daß die anwesende eine Maske, die »Fräul'n Rosi«, die »Werkelmann'sche« nicht zu »intriguiren« verstand, oder daß es hier nicht von Patchouli duftete, sondern nur vom Schweinschmalz oder höchstens »Bagamotenöl«? Es fällt mir nicht ein. Die Leute haben sich ja standesgemäß unterhalten, sie haben weder sich selbst, noch andere mit pathetischer Großthuerei zu dupiren und nicht die » Schnackerlbälle« der sattsam bekannten speculativen Familien » Maxenpfutsch, Betteltutti etc.« zu copiren oder gar zu überbieten versucht. Sie blieben in ihren Schranken. Sie mögen Euch komisch dünken, diese ungraziösen Tänzer und Tänzerinnen, und Ihr mögt über sie lachen, aber verlachen dürft Ihr sie nicht! »Strecken wir uns nach der Decken«, heißt ihre Lebensregel. Das Ballgollasch wurde gezahlt, Niemand ist einen Kreuzer schuldig geblieben, es kommt nun weder die » Kapäunlerin« noch irgend ein Hausknecht »federn«, auch die Musik machte nicht viel Auslagen und that ganz gut ihre Dienste, denn: wer gerne tanzt, dem ist bald gepfiffen – und damit Punktum! –

 


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