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Nicht einmal die schwarzen Blattern können solch Unheil und solche Verwirrung in einer sogenannten »armen Familie« anstiften, als – zwei Freibillete zu irgend einem »geschlossenen« Ball. Es gehört demnach nur ein Zug Neronischer Grausamkeit und Windischgrätz-Haynauischer Brutalität dazu, an Leute, denen es sozusagen an allen Ecken und Enden fehlt, die Zumuthung zu stellen, die theuren Freuden des parquetirten Paradieses, in welchem etwa auch noch einer der »Sträuße« die Schlange spielt, zu kosten, und sie zu Opfern nöthigen, an die sie ohne das Danaergeschenk der verführerischen »Freibillete« all ihr Lebtag nicht gedacht hätten.
Nehmen wir ein Beispiel. Du bist so unvorsichtig, oder vielmehr rücksichtslos, einen Deiner Jugendfreunde und Studiengenossen, dermaligen »armen Teufel«, den Amtsauscultanten X., bei einem zufälligen Zusammentreffen und nach der stabilen, an Dich adressirten Faschingsfrage: »Nun, schon viel getanzt?« und nach dem gleichfalls permanenten Stoßseufzer eines obligatorischen, abgehetzten Ballreporters – nun selbst zu fragen, ob er vielleicht einen Ball besuchen wolle, und händigst ihm unter Einem ein paar Karten ein, mit der Versicherung, daß es »dort« außerordentlich hübsch sein werde. Der Andere nimmt dankend und freudigen Auges die Gabe an und Du entfernst Dich, unbekümmert um das fernere Geschick Deines nun in tausend Nöthen befindlichen Freundes, nicht ohne ihm auch noch die landläufige Phrase nachzurufen: »Grüß mir Dein liebes Weibchen – und unterhaltet Euch Beide recht gut!«
Ehrlich gesagt, wie schlecht ist es von Dir, so brave und ordentliche Leute in's Unglück zu stürzen, und wie wenig unterscheidest Du Dich von dem geschichtlichen falschen Freund Jago, der die notorisch »gute Haut«, den Herrn General Othello, auf Dinge aufmerksam machte, auf die dieser bei seiner aufreibenden strategischen Beschäftigung und stadtbekannten Naivetät wohl nie gekommen wäre, aber – einmal in Kenntniß des Ungeahnten, in namenloses Elend gerieth. Freilich that Jago das Seinige nach einem teuflischen, wohl angelegten Plane, während Du nur unüberlegt gehandelt, allein, daß Du Deinem Freunde ebenfalls, Gift in's Ohr geträufelt und den Aermsten ebenfalls hilflos stehen läßt, das macht Dich und Deine That ebenso verwerflich, wie das Gebaren jenes venezianischen Fähnrichs.
Hilflos? Jawohl, denn zwei Freikarten zu einem »eleganten Ball« sind hier Nichts und Alles. Sie sind in ihrem nominellen Werthe Nichts im Vergleiche zu den endlosen kostspieligen Bedürfnissen einer Familie, die für einen Ball nicht »hergerichtet« ist, und sie sind Alles, um die schmerzlichsten Scenen im Gefolge zu haben und vielleicht sogar den ehelichen Himmel zu trüben. Wenn Du nun als Versucher in solche Kreise trittst und die Lockspeise, die Brosamen zweier Eintrittskarten, auf den leeren Tisch legst, so wäre es eigentlich Deine verdammte Schuldigkeit, die unabweislichste Menschenpflicht, Deine kümmerlichen Gaben zu ergänzen und Deine Schützlinge insofern in Schutz zu nehmen, daß Du ihnen keine unerschwinglichen Lasten auferlegst, vielmehr die »Ball-Onera« selbst trägst, mit anderen Worten: das Fehlende vom Claquehut bis zu den Lackstiefletten, von der Coiffure bis zu den weißatlassenen Ballschuhen sammt allen übrigen Toiletteabgängen und costümlichen Defiziten, nebst dem üblichen Fiaker in und vor das Haus stellst, und schließlich sogar für die kleinen Ballexpensen, wie Souper, Garderobe- und Sperrgeld etc. etc., ein approximatives Pauschaule bewilligst. Alles nur, auf daß Deine Protegés zu keinen unpräliminirten, unbedeckten – unrefundirbaren Auslagen verleitet würden. Thust Du dies nicht, so werden Deine zwei kärglichen Freikarten für die Beschenkten zu zwei Vesicatorien, die ihnen in dem mühselig geordneten Budget vielleicht für ein ganzes Jahr und darüber, die brennendsten Blasen ziehen.
Fast zehn Jahre sind es, daß die Gattin unseres Conceptmärtyrers keinen Ball besuchte und in keinem Seidenkleide paradirte. Letzteres geschah überhaupt nur einmal, als sie nämlich dem »kleinen Beamten« mit den großen Hoffnungen die Hand reichte, der die Schwüre seiner ewigen Liebe mit den Versicherungen einer »demnächstigen« Gehaltsaufbesserung oder unzweifelhaften Statusregulirung zu versüßen wußte. Ach, von all diesen melodisch klingenden Gelöbnissen erwiesen sich nur die Betheuerungen einer perpetuirlichen Zuneigung für seine angebetete Emma als echt, das Uebrige verschwand in nebelhafter Ferne oder tauchte als trügerische Fata Morgana in den Coupletstrophen der Localpossen und Volkssänger sporadisch empor. Das Pärchen befand sich deshalb – der Diätenclasse angemessen, nicht im Ueberfluß, es lebte »schlecht und gerecht«, und als gar des Himmels Segen in Folge einer Reihe von fruchtbaren Jahren die Stube bevölkerte, da war selbstverständlich Schmalhans Küchenmeister und es verging den Leuten sowohl die Lust nach einem Balle, als der Gedanke, in einer rauschenden Seidenrobe einherzustolziren. Man blieb hübsch im Kattunkleide.
Nun naht der Versucher mit den zwei Ballkarten. Während die Suppe aufgetragen wird, langt sie der Glückliche aus seiner Tasche und legt sie seinem Weibe auf den Teller. »Da sieh' mal, was ich bekommen! – Das, soll heuer der glänzendste Ball der Saison werden. Emma! wie wär's, wenn wir die Geschichte mitmachten, ich möchte für mein Leben gern wieder einmal mit Dir tanzen!«
Wie das so unverfänglich aussieht, wie sich das so lieblich hört! Wieder einmal mit ihr tanzen! Für sein Leben gern! Und die Möglichkeit ist ja vorhanden, die Ballkarten sind da, man braucht sie nur zu benützen. Aber die Angeredete ist klüger als der Redner; sie nimmt wohl die zwei lithographischen Prachtexemplare in die Hand, sie liest und liest und in ihrer Seele dämmern holde Erinnerungen auf und ihre Wangen überzieht eine leichte Röthe, aber sie schüttelt sanft das Haupt und erwidert mit einem fast wehmüthigen Lächeln: »Freilich kann es schön werden, aber ... aber für uns ist es nicht!« –
Jetzt ist Feuer im Dach. Der Refusirte umgürtet sich mit dem ganzen Stolze seines k. und k. Beamtenbewußtseins, schnellt vom Sessel empor, wirft den Kopf in die Höhe und fragt in leidenschaftlicher Erregung: »Warum ist das für uns nicht?« – »Weil es nicht paßt!« – »Warum paßt es nicht? Hab' ich mich vielleicht zu schämen? Nehme ich nicht, wenn auch nur eine bescheidene, so doch eine geachtete Stellung ein? Bist Du nicht immer noch ein hübsches Weib? (Sie erröthet und schüttelt abermals das Köpfchen.) Was heißt das also: Es paßt nicht für uns? Aber so bist Du! Wenn ich Dir eine Freude bereiten will, so weisest Du sie kalt zurück. So ein schönes Fest! Tausende würden sich glücklich schätzen – uns kostet es nicht einmal einen Heller ...«
»Karl, sei kein Kind und überlege, was Du sprichst! Weißt Du, was zu einem Balle gehört? um nur halbwegs –« – »Was zu einem Balle gehört? Nun? Was gehört denn dazu? Hast Du nicht Dein blauseid'nes Kleid? Hast Du nicht ...« – »Was habe ich sonst noch? Nichts! –«
Nun merke es Dir, freundlicher Leser und nachsichtige Leserin: Ein seidenes Brautkleid oder ein schwarzer Frack in dem Depositorium eines kleinen Haushaltes wird stets zum Unheil, wie das goldene Vließ in Jason's Haus; das vermeintliche Prachtstück wird zum Verhängniß, denn es wird immer und immer wie Banquo's Geist citirt, man weist erforderlichen Falles immer, wie auf einen noch unbehobenen Schatz, nach dieser Hilfsquelle, aber – ziehst Du das Kleinod an das Tages-, respective Abendlicht, so fühlst Du Dich innerlich zerschmettert ob Deiner äußerlichen Niederlage.
Auf das kleinmüthige »Nichts«, mit dem die arme Frau ihre peinlichen Geständnisse schloß, folgt eine drückende Pause. Die Suppe ist kalt geworden und bleibt unberührt. Auch die folgenden »Gänge« werden nicht beachtet, nur die Kleinen werden in Eile abgefüttert, die streitenden Parteien jedoch zeigen eine gänzliche Appetitlosigkeit. Wie thöricht, sich die Mahlzeit, zweier Freibillete wegen, zu verderben und Zwietracht in's Haus zu bringen. Aber die Debatte ist noch nicht beendet. Der mit Blindheit geschlagene Gemahl, in den plötzlich der Ballteufel gefahren, und der nun mit großen Schritten das Zimmerchen durchmaß, oder mit schweren Seufzern in den Schlafsessel sich warf, meldet sich abermals zum Wort und wiederholt wie der unermüdliche Cato seinen Antrag.
In dieser verzweifelten Lage greift die Gepeinigte zu einem verzweifelten Mittel und richtet, wenn auch im herzlichsten Tone, die vorwurfsvolle Frage an den Peiniger: »Ja, bist denn Du in All und Jedem für einen so glänzenden Ball – vorbereitet?« Das ist Oel in's Feuer! »Was vorbereitet?« schallt es von der anderen Seite. »Hab' ich nicht meinen schwarzen Frack, der noch ... genug, ich will's und nun kein Wort mehr!« – »Noch Eines, was ist's mit den Kindern?« – »Die wird die Großmutter hüten!« – Damit sind die Amendements erschöpft, die Debatte ist geschlossen und es bleibt jedem Einzelnen überlassen, die nöthigen Vorbereitungen zu treffen. Ach, die Vorbereitungen! Das ist's ja eben, was die Lücken erst recht sichtbar werden läßt und die Betreffenden mit ungeahnten, selbst geschaffenen Sorgen erfüllt.
Nun gibt's in dem kleinen Haushalt alle Hände voll Arbeit. Das bewußte blaue Seidenkleid, das als Unicum der Gattung fast melancholisch in der Commode hing, wird hervorgesucht. Trübseliger Anblick! Form und Schnitt und Aufputz sind für heute ein schreiender Anachronismus, zudem ist die Farbe so abgestanden, so verblaßt, so glanzlos. Auch der Frack, der dem Grabe des anderen Schrankes entsteigt, erscheint in seinem Baue wie eine Reliquie aus längst entschwundenen Zeiten, ja untergegangenen Jahrhunderten, aber er erhärtet auch zugleich durch die fremdartigen Conturen der Schöße die Lehre von dem Unbestand alles Bestehenden, d. h. der Wandelbarkeit und des raschen Umschlages irdischer Moden. Diese beiden ehrwürdigen Hochzeitstrophäen sind nun die Grundpfeiler, auf denen der fabelhafte Aufbau der tadellosesten Balltoilette fortgeführt werden soll. Aber das weitere Material fehlt und man wäre mit seiner Weisheit beinahe zu Ende, wenn nicht zum Glücke plötzlich zwei rettende Gedanken die angsterfüllten Köpfe erleuchteten, welche Jedes für sich und im Stillen auszuführen gedächte, und zwar: Ein Rundgang zu Freundinnen und – ein kleines Anlehen.
Gedacht, gethan. Freundinnen sind in gewissen Angelegenheiten noch immer die beste Ressource. Sie plaudern wohl gerne das heimliche Anliegen aus, und tratscheln auch gerne und bringen Einen in die weitesten Mäuler, aber dieses bescheidenen Vergnügens wegen helfen sie auch gern, wo es zu helfen gibt, und hier war Hilfe in der that dringend nöthig. Und so machte sich denn die erzwungene Ballcandidatin mit klopfendem Herzen auf den Weg und machte hier eine Visite und dort, und allüberall war man der seltenen Erscheinung wegen überrascht, und es gab Küsse ob des endlichen Wiedersehens und Fragen tausenderlei Art. Aber der schlechten Schauspielerin merkte man es auch zugleich an, daß sie ein Anliegen im Hinterhalt habe. Und als sie so verlegen um sich blickte und fast zitterte, da drang man in sie, in die Jugendgespielin, zu gestehen, mit was man ihr dienen könne.
Auf solch liebreiche Fragen war eine Beichte natürlich. Und so unterbreitete denn die arme Frau seufzend die textlich stereotypirte allerunterthänigste Bitte: ob es nicht möglich sei, ihr – da sie mit ihrem Manne irgendwo geladen, und da die Anschaffung für ein Vergnügen von einigen Stunden für sie doch zu kostspielig wäre, mit dieser oder jener Kleinigkeit aus dem reichen Repertoire der Toilettegegenstände der glücklicheren Freundin auszuhelfen. Mit Freuden! lautete überall die Antwort und man kramte seinen Besitz aus. Und so wurden denn hier eine seidene Mantille und dort eine Schleife und einige Bänder, hier ein Blondhäubchen und dort ein Paar Atlasschuhe, hier ein Batisttuch und dort Ohrgehänge u. s. w. u. s. w. als freundschaftliches Darlehen unter Küssen und Händedrücken in Empfang genommen, und die Beladene entfernte sich, verwirrte Danksagungen stammelnd. Die Freundinnen jedoch beeilten sich allsogleich, gegenseitige Visiten abzustatten, es gab ein Gelaufe und Zischeln, wie schlecht es der Emma seit ihrer Verehelichung gehen müsse, weil sie nicht einmal solche Kleinigkeiten sich anschaffen könne, und wie unerklärlich es sei, daß » derlei Leute« doch noch einen Ball besuchen mögen. Freund X. hingegen schloß mittlerweile zur Bestreitung der currenten Auslagen und Ergänzungen seiner Toilette das Anlehen ab: dreißig Gulden auf sechs Monate, zu zwölf per mese, mit dem Giro zweier Collegen und dem Gehaltbogen als Pfand.
So kommt denn der von einer Seite heißersehnte, von der anderen gefürchtete Ballabend heran. Ein frugales Abendbrot sollte nicht nur die Grundlage, es sollte vielmehr die vollständige Wegzehrung und die complete Verköstigung der zwei Balllaien sein. Und es war es auch. Die Kleinen sitzen staunend bei Tische, ob der fremden Herrlichkeiten, die seitwärts ausgebreitet liegen und von der erfahrenen Großmutter kopfschüttelnd geprüft werden. Endlich naht die entscheidende Stunde. Man kleidet sich schweigend an. Nur der Herr Gemahl intonirte zeitweilig einige Flüche über dieses oder jenes mesquine Knopfloch oder eine fatale Falte im Hemde, das nicht von Battist ist. Man ist fertig. Emma sieht nach der Versicherung ihres freudestrahlenden Karl »zum Küssen schön« aus, und er applicirt ihr auch zur lauten Bekräftigung seiner Lehrmeinung ein paar innige Küsse. Auch die Kinder sind der Bewunderung voll und betasten mit rührendem Stolze das herrliche Seidenkleid. Der Wagen fährt vor. Es ist der Neunhundertneunundneunziger, mit dem Karl schon seit fünf Tagen unablässig unterhandelt, der aber schließlich doch eingewilligt, für sechs Gulden die Nacht zu opfern »obwohl der Habern so theuer und a Viechkalten is«. Nun kommt es zu den endlosen Umarmungen, der Einschärfung der Vorsichtsmaßregeln wegen des Lichtes, der nöthigen Instruction über die etwaigen nächtlichen Bedürfnisse der Kleinen, und sonstige leicht mögliche Vorfallenheiten, und man entfernt sich, wobei sich Emma die Augen trocknet. Beim Thore angelangt, erinnert sich Karl, die verhängnißvollen Karten im Kasten liegen gelassen zu haben, eilt über die finstere Stiege zurück, stößt sich den frisch gebügelten Hut an dem Mauerwerk ab, flucht nochmals über sein Mißgeschick, worauf endlich die mühevolle Expedition von Statten geht. Ohne ein Wort zu sprechen, langt man am Orte der Bestimmung an.
Hundert Wagen halten längs einer weiten Strecke bis zu dem festlich erleuchteten Thore, Frostdurchbebt, gelingt es dem Pärchen vorzufahren, man steigt aus und schreitet einigermaßen zaghaft über die mit kostbaren Blumen reich geschmückten Stufen empor. Man legt die winterliche Umhüllung ab und tritt in den Vorsaal, wo das Ballcomité in vollständigster »Ausschußwichs« die Ankömmlinge empfängt und sie mit kritischem Auge mustert. Bestehen sie vor diesem unerbittlichen Areopag? Karl, momentan consternirt, hat die feierliche Stimmung wieder gefunden, er tritt festen Schrittes, sein »wundersauberes« aber zitterndes Weibchen am Arm vor, man verneigt sich und sie sind im Saale. Ach, warum so plötzlich! – –
Den Beiden flimmert es vor den Augen. Der ungewohnte Glanz der zahllosen Flammen blendet sie, das Parquet ist spiegelglatt und die Blicke der Anwesenden bohren sich wie Dolche in ihr Inneres. Nicht um ein Königreich hätten sie es gewagt, durch die Mitte des Saales zu schreiten, sie biegen unwillkürlich seitab und schleichen mit vorsichtiger Bedächtigkeit an den Pfeilern vorüber, nach einer traulichen Nische, froh, hier ein Plätzchen zu finden, wo sie möglichst unbemerkt und unauffällig die »Freuden einer Ballnacht« genießen können. In diesem Asyle sitzen sie lautlos eine geraume Weile.
Der Cotillon beginnt, Karl erhebt sich und ergreift die Hand seiner Gattin. Sie zaudert, aber er ermuthigt sie und sie postiren sich in den aufgestellten Reihen. Das Pärchen benimmt sich etwas ungelenk und dankt innerlich dem lieben Himmel, als die schwinge Production ohne gar zu grelle Unglücksfälle zu Ende ist. Nun promenirt man im Saale, unser Paar natürlich hübsch bescheiden an den Seitenwänden. Welche Pracht, welcher Glanz, welche schimmernden und flimmernden Toiletten! Unbeachtet wandeln die Zwei an den schön geputzten weiblichen und männlichen Notabilitäten vorüber und haben auch Gelegenheit, den üblichen »Kranz reizender Damen« zu bewundern. Keine Seele bekümmert sich aber um die Beiden, Niemand spricht mit ihnen, nur ein Aufwärter beginnt mit Karl ein ziemlich familiäres Geplauder, bis ihm dieser den Rücken kehrt. Nun fällt ihr Blick in den Spiegel, Sie ordnen sich Dies und Jenes und haben Muße, auch sich zu bewundern. Wie kommt es, daß sie plötzlich keinen Gefallen an sich finden? Ihre Toilette ist zwar nicht, wie der triviale Wiener Ausdruck lautet, »schofel«, aber so unleidlich ... antiquirt, so »unzusammengehörig«, so sehr das Gegentheil von dem, was man »brillant« nennt, ja eine innere Stimme sagt ihnen sogar, daß die Geschichte etwas »zusammengestoppelt« aussähe.
Da fühlen sie sich mit einem Male gedemüthigt, sie fühlen sich vereinsamt und fühlen, daß sie nicht hieher gehören. Es dünkt ihnen, als ob die Genesis jedes einzelnen Stückes, das sie am Leibe tragen, allseits verlautbart wäre, und selbst das Kainszeichen der zwei » Freibillete« wie ein Brandmal auf ihre Stirne gedrückt sei. Mit einem verständnißinnigen Blicke und ohne vorherige Verabredung theilen sie sich nun ihren einzigen Wunsch mit und der lautet: »Gehen wir!« Und sie gehen ...
Es war eine langweilige Heimfahrt. Schweigend und in sich gekehrt saßen die Beiden im Fond des Wagens und hüllten sich fröstelnd in ihre alten Mäntel. Zu Hause angelangt, seufzten sie auf, als ob ihnen ein Centnergewicht von der Brust genommen wäre, und sie waren überglücklich, Alles in bester Ordnung zu finden. Die Kleinen schliefen nämlich den gesundesten Schlaf und die brave Großmutter sah bei dem flackernden Oellämpchen und las im – Telemach. »War es schön?« frug die Matrone. »Sehr schön!« war die Antwort, worauf sie sich schweigend entkleideten und zu Bette begaben.
Ob sie schlafen konnten? Ich glaube nicht. Vielleicht fühlten sie erst jetzt das kleine Fiasco, das sie erlebt und sich selbst geschaffen, jedenfalls aber, daß die zwei Freibillete der Mühe und Opfer und Selbstdemüthigung nicht werth waren, und daß sie bei einigem Nachdenken ein paar Wochen lang an einem »Gemüthskatzenjammer« zu laboriren hätten. – Nun, »edelmüthiger« Leser, sei denn Du so barmherzig, » derlei Leuten« keine » Freibillete« zu geben, besonders solchen nicht, die nicht so klug sind, sie weiter zu verschenken oder – lächelnd ad acta zu legen.