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Naturforscher, Fiaker und Gastwirthe haben sich wiederholt mit der Frage beschäftigt, warum es zu Sommerszeiten meist an Sonntagen regne? Die beiden letzteren Gattungen der Witterungsgrübler waren und blieben natürlich rathlos, Erstere hingegen brachten in ihrer peinlichen Verlegenheit und wissenschaftlichen Begriffsverwirrung, um doch ein paar stichhaltige Gründe dafür aufzufinden, die nicht mehr wegzuleugnende Thatsache mit verschiedenen tellurischen und astronomischen, nach ihrer Ansicht wahrscheinlich gerade wöchentlich wiederkehrenden Erscheinungen in Verbindung, schwatzten von der Einwirkung der Mondesphasen, und obwohl Olbers die abstruse Lehrmeinung längst ad absurdum führte, sogar von der Tagesordnung der Planeten und deren Einfluß auf die Luftmassen.
Lächerlich! Weder die angehäufte Luftelektricität noch sonstige Constellationen sind die Ursache des beinahe normalen Sonntagsregens, sondern – und ich vindicire mir die Entdeckung: der Herr des Erbarmens laßt Sonntags regnen, um – nun, um die armen Sommerparteien auf dem Lande vor der gastlichen Invasion der Städter zu schützen. Das ist mein nicht wegzudisputirender orthodoxer Glaube und ich lasse mir dieses Sonntagsregendogma nicht von hundert Humboldt's mit ihren sogenannten atmosphärischen Gegengründen anfechten.
Wen die Götter mit den dazu gehörigen Mitteln begnadet und dessen Berufsgeschäfte es gestatten, entflieht, sobald der erste Lerchengesang an sein Ohr schwirrt, um seine Lungenflügel nicht mit dem Mehlthau des communalen Sommerstaubes belegen zu lassen und die Nachtheile einer irrationellen Canalisirung nicht direct zu empfinden, hinaus in die würziger duftenden Gefilde, wo das liebliche Grün der Zuckererbsen seine Heimat, und das »Jungschweinerne« seine Geburtsstätte hat, und lobpreist (vielleicht sogar in einer Jasminlaube) die weise Organisation des Weltalls, welche es ermöglicht, kuhwarme Milch fast an der Quelle beziehen zu können.
Ach, wie sehnst Du Dich, die freundlich süße Gewohnheit des Daseins in Neuwaldegg oder in der Hinterbrühl so recht empfinden zu können und Dein durch »Rigoletto« und »Traviata« auf die raffinirteste Weise gequältes Ohr an den unschuldsvollen Melodien des Halters wieder heilen zu können! Wie sehnst Du Dich nach frischem Heu- und Stallgeruch, wenn Du mit Eßbouquet und Patchouli durch sieben Monate krank geräuchert worden; ja wie sehnst Du Dich sogar nach den schmucklosen Expectorationen des ungrammatikalischen Nachtwächters, wenn Du während des Winters ein Dutzend wohlstylisirter Candidatenreden mit den heiligsten Versicherungen liberaler Tendenzen verdauen müßtest! Darum auf und hinaus! Hinaus »in's Grüne«, so bald und so schnell als möglich! Du machst Deine unausweichlichen Abschiedsvisiten, schüttelst Diesem oder Jenem die Hände, sagst das übliche: »Aber Sie besuchen mich doch einmal?« und machst Dich aus dem »Staube«.
Nun siehst Du; ich weiß, daß Du mit dem obligaten: »Aber Sie besuchen mich doch einmal?« nichts als eine leere Redefloskel verbraucht hast, und daß es Dir nicht im Schlafe einfallen würde, diesen langweiligen Gesellen, jenen Vielesser oder gar jenen »zahlreichen Familienvater« Dir in Deinem Tusculum einzulagern; aber Du vergißt, daß es über alle Beschreibung – naive Naturen gibt, die in ihrer Harmlosigkeit oder in ihrem Selbstbewußtsein die schön textirte Aufforderungsformel wirklich für baare Münze, ja für eine dringende Bitte erklären, Dich nicht zu »vernachlässigen«, und die dann daheim die loyale Gesinnung aussprechen: »Der X. hat mich (oder uns) eingeladen, ihn nur ›recht oft‹ zu besuchen, ich muß (oder mir müssen) ihm doch an einem der nächsten Sonntage die ›Freude‹ machen!« – Da hast Du die Bescheerung! –
Wie bequem und wohlig sitzest Du hierauf eines Tages unter dem schattigen Lindenbaum, den Tschibuk frisch stopfend und Dich auf die »jungen Backhendel« freuend, mit denen Dein ehelicher Himmel schon in einer halben Stunde geschmückt werden soll. Da bellt plötzlich der Haushund, das Gitter öffnete sich leise und ebenso leise, nur um Dich recht zu überraschen, treten der Herr von Huber und die Frau von Huber herein, gefolgt von der kleinen »Leopoldin'«, dem kleinen Alfred und dem noch kleineren Pepi, dann der Amme, welche den kleinen Franzi am Arme trägt. Der Clavierlehrer der »Leopoldin'« bleibt bescheidenerweise vorläufig draußen vor dem Gitter stehen, um das Freudentableau von der Ferne zu bewundern.
»Ah – das – ist – schön!« rufst Du, den Tjchibuk bei Seite legend, den allsogleich der kleine »Fredi«, ein »munterer« Knabe, als Spielobject in Beschlag nimmt, aber das Malheur hat, den Echttürkischen fallen zu lassen, worauf er die einzelnen Stücke verlegen aufliest. »Wirst Du's stehen lassen!« ruft Frau Huber, nun wohl etwas zu spät – »garstiges Kind, man kann mit Dir nirgends hingehen!«
»Ah – das – ist – schön!« wiederholst Du nach diesem kleinen Intermezzo die vorgeschriebene Anrede. »Freut – mich – außerordentlich, daß Sie einmal – Wort – gehalten!« Und nun schüttelst Du dem Herrn von Huber und der Frau von Huber zum Willkomm die Hände, streichelst die kleinen Rangen, begrüßest die Amme u. s. w. und lädst die Sippschaft ein, Platz zu nehmen.
»Nein, nein! das geht nicht!« entgegnete die Frau von Huber, »wir wollen nicht im Geringsten incommodiren! Sie werden nun bald speisen und da wäre es unschicksam, Sie zu belästigen. Wir wollten ja nur im Vorbeigehen einen kleinen Besuch abstatten und auch der Frau Gemahlin unsere Aufwartung machen, weil Sie so gütig waren, uns ›so oft schon‹ einzuladen, und dann gehen wir augenblicklich; wir gehen ja auch erst essen, freilich nicht viel, denn, mein Gott! auf dem Lande darf man nicht viel Ansprüche machen, aber, wenn man beim Ochsenwirth nicht schon um Viertel auf Eins eintrifft, bekommt man nichts mehr!«
»Nun«, meinst Du, »auf einen Löffel Suppe, werden Sie uns wohl beehren?^ Mit Viel können wir zwar nicht dienen, weil wir nicht vorbereitet waren – warum haben Sie uns auch nicht geschrieben – –?«
»Ja«, erwidert die sprechgewandte Frau von Huber, »mein Mann wollte Sie überraschen!«
»Sehr schön, sehr schön!« ist Deine verfl... schuldige Antwort. »Aber da draußen steht ja noch ein Herr, gehört er zur Gesellschaft?«
»Ja«, bestätigt die Frau von Huber, »es ist der Clavierlehrer der Leopoldin', der Herr v. Niemetz. Ah, sie könnt' schon recht gut spielen, wenn sie nur möcht', denn der Herr v. Niemetz ist ein tüchtiger Lehrer!«
»Aber so lassen Sie doch den Herrn eintreten«, rufst Du, »er kann doch nicht auf der Straße stehen bleiben!«
»Zu gütig, allzugütig!« replicirt die Frau von Huber, worauf sie ruft: »Herr von Niemetz! Herr von Niemetz!« Und die Kinder laufen dem Gitter zu und schreien: »Herr von Niemetz! Herr von Niemetz! Sie sind auch zum Essen eingeladen!« Und Herr von Niemetz erscheint unter hundert Bücklingen und hundertzehn Entschuldigungen, und Du reichst ihm die Hand zum Gruße und heißt ihn in T... Namen gleichfalls willkommen. Der Haushund kriecht hierauf knurrend wieder in seine Hütte zurück.
Mittlerweile erscheint Deine Gattin, um Dich zu benachrichtigen, daß gedeckt sei. Sie sieht die unerwartete feindliche Besatzung und wird vor Schreck kreidebleich. Ein Blick von Dir genügt, um sie zu beruhigen.
Gegenseitige Vorstellungen, Küsse und Handküsse etc. etc. Du entfernst Dich unbemerkt auf einen Moment, um der Magd den Auftrag zu geben, schnell sechs Portionen Suppe, fünf Rindfleisch, vier Kalbsraten und vier Backhühner vom Ochsenwirth zu holen. Sodann ersuchst Du die ehrenwerthe Gesellschaft, »abzulegen«, warnst den kleinen »Fredi«, der mit dem Kettenhund fortwährend kokettirt, ihm nicht zu nahe zu kommen, und nach einem Viertelstündchen, das mit verschiedenen Complimenten über die freundliche Lage des Häuschens ausgefüllt wird, geht es zu Tische.
Das Essen ist »delicat«! wie die Frau von Huber wiederholt bestätigt und beifügt: »Beim Ochsenwirth hätten wir bei Weitem nicht so gut gespeist!«
»Lieber Gott! Man nimmt auf dem Lande ohnehin mit › Wenigem‹ vorlieb – aber diese Wirthe sind selbst auf das Wenige nicht eingerichtet!«
»So ist es!« erwiderst Du. Nach beendigter Mahlzeit führst Du die Gesellschaft im Garten spazieren, die »Lepoldin'« und der »Fredi« pflücken sich je ein »wunderhübsches« Bouquet von Deinen schönsten Rosen und Nelken, und als Dich tödtliche Langeweile über die geistreichen Aperçus der Frau von Huber, die »schon ewig lang auch ein so schönes Landhaus haben und für ihr Leben gern auf dem Land wohnen möcht«, erfaßt, schlägst Du in Deiner Seelenangst eine Kegelpartie vor, welcher Antrag mit Freuden acceptirt wird, denn – höre es und verzweifle – »man hat ja Zeit bis halb neun Uhr Abends, weil man die Plätze für den › allerletzten‹ Stellwagen genommen hat!«
Die Kegelpartie ist sehr animirt. Tu hast zwar heute keine ruhige Hand, dafür schieben aber Herr von Huber und Herr von Niemetz ausgezeichnet, und als auch diese »Unterhaltung« zu Ende, hast Du an Ersteren einen Gulden achtzig Kreuzer und an Letzteren drei Gulden vierzig Kreuzer zu bezahlen.
Nachdem Du nun auch Deiner Bier- und Käse-, dann Kaffee- und Kuchen-Verpflichtung nachgekommen, rüsten sich die Gäste zur Abreise. Zahllose Danksagungen! Aber es ist etwas kühl geworden. Man ersucht Deine Gattin um einen, wenn auch alten Shawl und ein Paar Halstücher für die Kinder. Auch das noch wird gewährt. Endlich sind sie fort und Du athmest auf. Deine arme Frau hat jedoch leider die Migräne, Du selbst etwas Kopfschmerz, Euer Sonntagsprogramm wurde Euch gründlich ruinirt und Ihr legt Euch übellaunisch zu Bette. Gute Nacht! - Nach zwei – drei Wochen bringt man Euch (um die Kaffeestunde) die drei Halstücher zurück – den Shawl vergaß man (wie ärgerlich!) und wird ihn dafür an einem der nächsten Sonntage im Vorbeigehen (denn man kommt ja oft in diese Gegend!) »mit Dank« zurückstellen. Später hat man dann wieder einmal ein schmutziges Sacktuch, das die »Lepoldin'« vergessen, abzuholen und so fort bis Ende September ... – –
Der nicht mit Familie belastete Sonntagsschmarotzer, der » gastirende Garçon« ist in gewisser Beziehung noch gefährlicher, denn er ist meist vollkommen unabhängig, hat über beispiellos viel freie Zeit zu verfügen und ist sogar in der Lage, bei Dir zu »übernachten«, um Tags darauf mit Dir zu frühstücken. Er ist natürlich ebenfalls von dem Wahne befangen, von Dir nicht nur gern gesehen, sondern Dir beinahe unentbehrlich zu sein, von Dir »wenigstens Sonntags« erwartet zu werden, und fragte man ihn Samstag, was er für den nächsten Tag vorhabe, so antwortet er, sich die Cravatte ordnend: »Morgen ist's nichts mit mir; morgen bin ich vergeben – ich bin geladen – man erwartet mich in Ober-St. Veit!« – Weißt Du etwas davon? Gewiß nicht.
Aber Du bist versöhnlichen Gemüthes und heißest den sich freiwillig bei Dir Einquartierenden sogar herzlich willkommen. Ist er doch über alle Maßen artig und bringt er Dir doch stets eine kleine Neuigkeit, die letzten Course oder ein Flugblatt, eine Brochure, die nur in wenig Exemplaren abgezogen, soeben erschienen und in verwaltungsräthlichen oder anderen Kreisen ungeheures Aufsehen gemacht haben soll, mit. Auch Deine Gattin sieht ihn schließlich – Gewohnheit ist ja unsere Lehrmeisterin, nicht ungern, denn er ist mit Freuden bereit, etwaige Aufträge an die Putzmacherin auf's Prompteste zu! erfüllen, auf den Bazar zu abonniren etc. Und wenn ihm ferners selbst Deine Kinder jubelnd entgegenspringen, so hat dies seinen Grund darin, weil sie wissen, daß er aus seinem Paletot eine Bonbonsdüte oder ein Schächtelchen Backwerk hervorzieht und sie darum sich balgen läßt.
All diese kleinen Liebenswürdigkeiten Deines stabilen Sonntagsgastes sind jedoch nichts Anderes als kluge Manöver, taktische Coups, maskirte Attentate auf Deinen Mittagstisch, der das Endziel seiner Mühen ist. Als praktischer Rechner subtrahirt er die Auslagen von den Einnahmen und – der Reingewinn ist ein superbes Diner. Denn, in was bestehen seine Auslagen? Vielleicht in der Bestreitung der Fahrkarte und im Ankauf von drei Loth »Zuckerln« für Deine Kinder, das sind die reellen Ausgaben; was er sonst noch verwendet, hat nur imaginären Werth, wie etwa: das verbindliche Lächeln, ein paar Anekdoten und die Leistungsfähigkeit im »Handküssen« vis-à-vis den Damen des Hauses. Der professionelle Sonntagsschmarotzer hat es nämlich zu einer unbewußten Virtuosität im »Handküssen« gebracht und wie er Deine Kleinen zur Augenweide der Mutter auf den Knien zu schaukeln versteht, so ergreift er zur Augenweide der Großmama bei jeder nur halbwegs passenden Gelegenheit die Hand Deiner Gattin und drückt in ritterlicher Galanterie die begeistertsten Küsse darauf. Dein Stubenmädchen und die Mägde regalirt er mit »Schönheiten«, die er ihnen als »Freund des Hauses« ungefährdet in's Ohr lispeln darf, und Dich selbst endlich belohnt er für die liberale Atzung mit dem Zugeständnisse, daß – Deine Cigarren vortrefflich seien.
Das Geschäft des »Dinerschnorrers« blüht zwar während des ganzen Jahres, aber an Sommersonntagen doch am üppigsten. Er hat demnach noch vor Beginn der Schmarotzersaison die nöthigen strategischen Vorkehrungen mit Sorgfalt zu treffen und seinen Feldzugsplan so einzurichten, daß die zu überlistenden Opfer unbewußt und willenlos in seine Falle gehen.
Es handelt sich nämlich vor allen Dingen um deren zweckmäßige Dislocation; es müssen ihnen Sommerfrischen anempfohlen werden, die nicht zu nahe seinem Hauptquartier, der Residenz liegen, da die Concurrenz der übrigen Parasiten zu gefährlich wäre. Er verlegt deshalb die »abzunagenden Familien« an zwar von ihm, aber nicht von den anderen Freibeutern ordinärer Sorte, allzuleicht zu erreichende Punkte, z. B. nach Vöslau. Ist es ihm möglich, gleich zwei oder drei Familien an ein und demselben Orte unterzubringen, desto besser, da die Vertheilung seiner Gestionen: Mittagsmahl, Jause und Abendbrot eine leichtere und er für drei »Visiten« nur eine Fahrgelegenheit benöthigt. Hat er die Sache im Großen und Ganzen geordnet, ist sie in ein System gebracht, dann beginnt die Attaque. Er kauft sein unentbehrliches Requisit: das Skarnitzel »Zuckerln« zum Geschenke für die Kleinen – (mit einem Vierting »Weinscharl'n« kommt er bei ökonomischer Gebarung einen ganzen Sommer aus), studirt die Fahrpläne der respectiven Bahn – und – warft Du je so unvorsichtig, die Eingangs erwähnte Phrase, die eigentlich keine Bedeutung haben sollte, nämlich das unglückselige: »Aber Sie besuchen mich doch einmal?« hingeworfen zu haben, so bist Du als Opfer in seinem Notizbuch« vorgemerkt. Nichts rettet Dich am nächsten Sonntage, als ein ausgiebiger Regen! –
Und so sehe ich denn im Geiste, wie Du Samstag Abends, o Bedauernswerther! mit bebendem Herzen das sternenhelle Firmament betrachtest, höre, wie Du ahnungsvoll Deiner Gattin zurufst: »wenn es morgen schön bleibt, bekommen wir wieder einen Besuch!« und ich höre Euch Beide, ehe Ihr von Morpheus' Armen umschlungen, Euer Samstagnachtgebet beten, das da lautet: »Gütiger Himmel! laß es morgen regnen ... regnen ...«