Moritz v. Schwind
Künstlers Erdewallen
Moritz v. Schwind

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Rom, 25. Juli 1835 (an Bauernfeld)

Lieber Freund! Da ich in einigen Tagen mittelst Abreise nach Neapel meinen mehr als zweimonatlichen Aufenthalt in Rom beschließe, so will ich noch von meinem hohen Befinden Nachricht geben. Die Reise von Venedig bis her war von schlechtem Wetter sehr begünstigt, indem es nur auf der Straße schlecht, in den großen Städten schön war. So habe ich in Padua, Ferrara, Bologna und vor allem in Florenz, wo ich zwar nur fünf Tage blieb (aber wieder hinkomme), die schönste Zeit gehabt. Ich war den ganzen Tag auf den Beinen, steckte in allen Galerien, Kirchen und Kapellen, war alle Tage früh in S. Migniato und alle Tage abends am Arno und auf den Brücken rudernd durch wasser-glacisartige Menge von unglaublich schönen Frauen. Sonntag auf der Promenade, die sich gewaschen hat, und zur Abwechslung zu Haus auf dem Kanapee rauchend, Briefe schreibend, mitunter einen Marsala-Dusel ausschlafend, eine Gattung, die sehr zu empfehlen ist. Das ist eine Stadt, um angenehm zu leben. Alles reich charakterisiert, im Aufnehmen, das Gefrorne höchst gut und viel und die Wirtshäuser sauber. An der römischen Grenze geht das Elend an. Am Trasimenischen See, der übrigens ungeheuer schmutzige Wellen machte, kehrten wir in einem Loch ein, wo kein Stein auf dem andern festsitzt. Im Hause trotz Hunger und Durst nichts zu genießen, und die Türe von einem Haufen von Bettlern, alt und jung, belagert, die einen, wollte man ausgehen, verfolgten, sah man zum Fenster hinaus, anheulten. Es war völlig zum Umkehren. Dagegen ist Perugia–Raphael. Ebenso ist Arezzo reizend, wo ich abends einen Spaziergang auf einer Art Bastei machte, hinter einer prachtvollen Kirche mit der schönsten Aussicht. Bis spät in die Nacht spazierte ich leider allein vor dem Tore aus der Straße, wo die ganze Stadt, lustig und laut schwatzend, im Mondschein spazieren ging.

Das ist aber noch im Florentinischen. Wer rein verzweifeln will, der begebe sich von Terni zum Wasserfall. Der erste Jammer ist langsam fahrender Postillon und ein Kerl, der schweißtriefend neben dem Wagen läuft, um ja gewiß den Cicerone zu machen. Poveri custodi, Bettelmänner, Weiber und Kinder von allem Kaliber, Beschwörungsformeln, Unverschämtheiten und Flüche machen einen fast rasend. Man kann sich nur höchstens sammeln, so genau als möglich überall hinzuschauen; von einem Eindruck ist bei solcher Aufreizung zum Prügeln nicht zu denken. Aber das ist eine Sache, die sich gewaschen hat, und ebenso merkwürdig als der Fall ist die Gegend. Rauh, wild, üppig an Unkraut, als hätte nie ein Mensch da gewohnt, dazwischen so eine Art Langischer Anlagen, Strohhütten, Aussichten, Inschriften und so Zeug. Noch schöner ist Narni, von solchen Städten hat man bei uns keinen Begriff. Es mag sich zu unsern Städten verhalten wie ein altes Schloß zu einem Landhaus, verrücktes, schwarzes, phantastisches Zeug. Der Eintritt in die Campagna ist enterisch genug. Die Wälder auf Schußweite rechts und links ausgehauen, Gendarmes in Laubhütten einquartiert. andere streifend. Die Wagen einer hinter dem andern. Wir waren drei. Zwischen den Posten kein Haus, kein Feld, kein Zaun. Vor Nepi gleich an dem Tor beschäftigte sich ein harmloser Haufe Landbewohner damit, ein gefallenes Pferd abzudecken und zu zerlegen. Die Haut war herunter, die Eingeweide hingen heraus, und in der Bemühung, die Hinterfüße abzutrennen, zogen sie die Geschichte auf der Wiese herum. Sind das Schweinskerle!

Rom macht einen ganz stillen Eindruck, durchaus bequem, und so, als wäre man schon dagewesen. Die Ermüdung von der Herreise, die große Menge von Kunstsachen, die in einem raschen Lauf durchzunehmen rein unmöglich ist. Es ist auch alles so zur Aufnahme von Künstlern bereitet, man trifft so viele Freunde, lernt so viele kennen, deren jeder als bestimmt annimmt, man bleibe hier – alles das versetzt einen in einen wohnlichen Zustand, daß man die ganze Welt vergißt, und ich finde es jetzt ganz begreiflich, daß einer hier für zeitlebens hängen bleibt. Die Ungeniertheit ist grandios. Man kann, glaub ich, in der Unterhose ausgehen, es kümmert sich kein Mensch darum. Auf dem Korso, einer Art Kohlmarkt, liegen mitten unter der eleganten Welt die Bauern auf dem Pflaster und schlafen. Esel und Ziegen spazieren überall herum, so wie auch in den entlegensten Stadtteilen prachtvolle Paläste stehen. Erquicklich sind die unzähligen Brunnen, wo die Limonari ihre lustigen Anstalten aufgeschlagen haben. Da sitzt man in der Nacht, raucht und trinkt. Die Umgegend in der Weite wie Mödling ist über alle Maßen schön. Leider war ich nicht so viel draußen, als mir jetzt lieb wäre. Morgen will ich noch einmal nach Tivoli fahren.

Von den alten Kunstsachen etwas zu sagen, ist vergeblich. Nur so viel ist gewiß, daß man von Michelangelo und Raphael keinen Begriff hat. Die Nachbildungen sind alle viel zu plump. An die Arbeiten des Cornelius denke ich von hier aus mit noch mehr Respekt als je, schon das, was hier ist, kann man neben allem sehen. Thorwaldsen packt ein. Overbeck läßt sein großes Bild nicht sehen, Koch hat mir eine Zeichnung von Macbeth geschenkt, die Deutschen machen nichts und die Italiener können nichts. Das ist alles. Ich selbst habe »die Arbeiter im Weingarten des Herrn« in Wasserfarben gemacht, wofür ich Lob und elogi einernte erstaunlich. Außerdem eine Zusammenstellung zur Dekoration eines Zimmers, in dem Schubertische Lieder gesungen werden.Leider blieb Schwind die Gelegenheit zur Ausführung dieses Planes versagt. Noch im Jahre 1862 betrieb er die Sache: »Sag einmal, doch das ist nur ein Problem, wäre der Mann nicht zu bewegen, seinen Saal dem Andenken Schuberts zu widmen. Da kannst Du dir denken, wie ich dabei wäre.« So schrieb er an Bauernfeld, beim Bericht über das Anerbieten, den »Speisesaal in einem Herrn Tadesco gehörigen Hause« auszumalen, – und 1851 klagte er: »Wenn Liszt bei Graf ein Klavier probiert, das muß gemalt und als Reliquie verehrt werden, unser guter Schubert hat uns tausendmal am Klavier entzückt, was war ein Kreis von tüchtigen Leuten um ihn – man müßte es guldenweise betteln.« Die Wand des Mayrhofer ist ziemlich in der Ordnung und kann nächstes Frühjahr zur Ausstellung wandern, nebst der des Goethe; könnte nicht [Graf] Wilczek so was machen lassen? Um ein paar tausend Gulden ist alles geschehen. »Urania« und »Einsamkeit« als Arabesken sind in Farben fertig, ich will aber in Pompeji noch nachschauen. Antigone und Oedip, die zürnende Diana und Memnon! sind komponiert, aber ich habe keine Freude, so verwünschte Konturen zu machen, ich muß etwas in Öl malen, sonst werde ich närrisch. Denk, wie lang ich das entbehre, und was ich jetzt alles gesehen habe, das mich aufmuntert. Faremo [Wir werden machen] Ritter Kurts Brautfahrt, da ist doch ein Haufen Farben nebeneinander. Hast du den wunderlichen Heiligen schon zu Spaun expediert? Hoffentlich, denn ich habe an Spaun sagen lassen, er solle ihn nach Linz schicken.

Gestern haben sie mir Blutegel gesetzt, infolge eines Rippenstoßes. Alles Schöne aller Orten.

Dein treuer Schwind.


 << zurück weiter >>