Johann Gabriel Seidl
Gedichte
Johann Gabriel Seidl

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Nord oder Süd

        Wo ist's besser wohnen,
Wo der Nordwind geht,
Oder in den Zonen,
Die der Süd durchweht?

Hier im moosumgrauten,
Kalten Felsgestein?
Oder dort im trauten
Nachtigallenhain?

Hier, wo unser Grüßen
Rauh wie Schelten dröhnt,
Oder wo's im süßen,
Weichen Lispeln tönt?

Wo ist mehr Behagen,
Mehr Genuß, mehr Licht? –
Mädchen, kannst du's sagen?
Sieh, – ich kann es nicht! –

Wüßt' ich nur ein Fleckchen
Noch so schmal und klein,
Wo im tiefsten Eckchen
Läg' ein Kämmerlein;

Und darinnen eben
Wäre Platz für dich,
Und recht knapp daneben
Auch ein Platz für mich;

Wo wir könnten plaudern,
Was uns eben frommt,
Bis nach süßem Zaudern
Still der Abend kommt:

Wo wir könnten malen
Bilder, die nicht sind,
Wie sie nur aus Strahlen
Sich die Hoffnung spinnt;

Wo wir könnten lächeln
Ruhig, unbelauscht
Von des Westes Fächeln
Lüstern nur umrauscht;

Wo wir könnten weinen
So für uns allein,
Und im heilig reinen
Schmerze selig sein;

Wo wir alles dürften,
Was die Liebe liebt,
Wo wir harmlos schlürften,
Was ihr Becher gibt.

Ach, dann fragt' ich nimmer,
Wie ich jetzt gefragt,
Ausgefragt für immer
Hätt' ich, ausgeklagt!

Mich mit dir erheben
Würd' ich alsobald;
Dich am Arme, schweben
Durch Geklüft und Wald:

Suchen jenes Fleckchen
Noch so schmal und klein,
Suchen jenes Eckchen
Mit dem Kämmerlein.

Läg' es nun dem Süden,
Oder Norden zu:
Bärg' es doch den Frieden,
Bärg' es doch die Ruh'.

 


 


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