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Gegen den Opportunismus – für die Einheit der Partei

Wir haben frei und offen unsere Meinung über die schweren Fehler gesagt, die die Mehrheit des Zentralausschusses auf allen wichtigen Gebieten auswärtiger und inländischer Politik begangen hat. Wir haben gezeigt, wie durch diese Fehler des Zentralausschusses unsere Partei, die doch das Hauptwerkzeug der Revolution ist, geschwächt wurde. Wir haben gezeigt, wie aber trotzdem unsere Partei ihre Politik von innen heraus verbessern kann. Aber dazu ist erforderlich, daß wir klar und deutlich den Charakter der von der Parteiführung begangenen Fehler beschreiben.

Die Fehler, die gemacht wurden, waren opportunistische Fehler. Opportunismus ist in seiner entwickelten Form nach der klassischen Definition Lenins ein Block der Arbeiterführer mit der Bourgeoisie, der sich gegen die große Masse der Arbeiter richtet. Unter den Verhältnissen, wie sie jetzt in der Sowjetunion vorhanden sind, würde ein Opportunismus in seiner entwickelten Form das Streben der Arbeiterführer sein, mit der sich neu entwickelnden Bourgeoisie (den Kulaks und Nepleuten) und mit dem Weltkapitalismus auf Kosten der breiten Masse der Arbeiter und armen Bauern einen Kompromiß abzuschließen.

Wenn wir das Bestehen solcher Bestrebungen in gewissen Kreisen unserer Partei feststellen – in einigen fangen sie gerade an sich zu zeigen, in anderen sind sie schon voll entwickelt –, so ist es lächerlich, uns daraufhin der Parteiverleumdung zu beschuldigen. Wir wenden uns ja gerade an die Partei gegen diese sie bedrohenden Bestrebungen. Ebenso lächerlich ist es, zu behaupten, wir klagten diese oder jene Sektion des Zentralausschusses oder der Partei der Unehrlichkeit gegen die Revolution, des Verrats an den Interessen des Proletariats an. Ein falscher politischer Kurs kann durch die aufrichtigste Rücksicht auf die Interessen der Arbeiterklasse diktiert sein. Selbst die extremsten Vertreter des rechten Flügels sind überzeugt, daß die von ihnen beabsichtigten Kompromisse mit den bürgerlichen Elementen notwendig für die Interessen der Arbeiter und Bauern sind, daß sie nur eins von jenen Manövern sind, die Lenin für durchaus erlaubt hielt. Selbst jene rechte Gruppe, die ein offenes Bestreben zeigt, die proletarische Revolution im Stich zu lassen, wünscht nicht bewußt den Thermidor, den Sturz der Revolution, herbei. Und dies gilt noch mehr für die Mitte, die eine typische Politik der Illusion und der Selbsttäuschung betreibt.

Stalin und seine engsten Anhänger sind überzeugt, daß sie mit ihrem mächtigen Apparat die Kräfte der Bourgeoisie, denen sie sich offen nicht gewachsen fühlen, wenigstens überlisten können. Stalin und die Stalinisten glaubten zweifellos in aller Aufrichtigkeit, daß sie mit den chinesischen Generalen für eine gewisse Zeit spielen, und sie nachher, wenn sie sie für die Interessen der Revolution benutzt hätten, wie ausgesaugte Apfelsinen wegwerfen könnten. Stalin und die Stalinisten glauben noch jetzt in aller Aufrichtigkeit, daß sie ruhig ihrer Bourgeoisie Konzessionen machen und später ebenso ruhig diese Konzessionen wieder zurücknehmen können.

In ihrem bureaukratischen Eigendünkel erleichtern sich die Stalinisten ihre Manöver, indem sie die Partei von allen wirklichen Entscheidungen fernhalten und so ihren Widerstand vermeiden. Aber dadurch schwächen oder lähmen sie gerade diejenigen Kräfte, die bei einem guten Manöver mit Nutzen entfaltet werden können, und die bei einem schlechten Manöver die Führer vor den schlimmen Folgen ihres Vorgehens schützen könnten. Das Gesamtergebnis aber der Kompromißbestrebungen des rechten Flügels des Zentralausschusses und seines Manöverierens kann nichts anderes sein als eine Schwächung der wirtschaftlichen Lage des Proletariats im Sowjetstaat, eine Schwächung seines Bündnisses mit dem armen Bauern und dem Mittelbauern, eine Bedrohung seiner Stellung im Staatsbetrieb und eine Verlangsamung der Industrieentwicklung. An diese Folgen der Politik des Zentralausschusses, nicht an seine Absichten, dachte die Opposition, als sie auf die Gefahr eines Thermidors – das heißt, eines Abweichens aus den Geleisen der proletarischen Revolution in die kleinbürgerlichen Geleise dachte. Der gewaltige Unterschied in der Geschichte und im Charakter unserer Partei von den Parteien der zweiten Internationalen ist jedermann klar. Die russische kommunistische Partei ist in den Feuern von drei Revolutionen geschmiedet worden. Sie hat die Macht ergriffen und sie gegen eine Welt von Feinden behauptet. Sie hat die dritte Internationale gegründet; ihr Schicksal ist das Schicksal der ersten siegreichen Revolution. Die Revolution bestimmt das Tempo ihres inneren Lebens. Alle intellektuellen Prozesse in der Partei haben, da sie unter dem starken Druck einer Klassenbewegung vor sich gehen, eine Tendenz, schnell sich zu entwickeln und heranzureifen. Gerade deshalb müssen wir in unserer Partei aber auch rechtzeitig und energisch gegen die ersten Bestrebungen eines Abweichens von der leninistischen Linie ankämpfen.

Die opportunistischen Tendenzen in der russischen kommunistischen Partei haben tiefgehende Wurzeln: 1. Die internationale Einkreisung durch bürgerliche Staaten und die vorübergehende Kräftigung des Kapitalismus verführen zu dem Glauben an eine dauernde Wiedererstarkung des Kapitalismus. 2. Die neue Wirtschaftspolitik, die bei uns einen gewissen Privatkapitalismus gestattet und als ein Übergang zum Sozialismus unbedingt notwendig war, hat durch die Neuschaffung von Kapitalismus wieder die dem Sozialismus feindlichen Kräfte neubelebt. 3. Die kleinbürgerlichen Elemente müssen in einem Lande, das in einer enormen Mehrheit aus Bauern besteht, nicht nur in die Sowjets, sondern auch in die Partei hineinfluten. 4. Die für die Revolution unbedingt notwendige Tatsache, daß die Partei auf politischem Gebiete ein Monopol hat, schafft noch eine weitere Reihe von Gefahren. Der elfte Parteikongreß unter Lenin wies direkt und offen darauf hin, daß in unserer Partei sich bereits ganze Gruppen von Leuten befänden (aus den Schichten der wohlhabenden Bauern und der Intelligenz), die sich in den Sozialrevolutionären und menschewistischen Parteien befinden würden, wenn diese Parteien nicht verboten wären. 5. Der staatliche Apparat durchtränkt die Partei, obgleich er von ihr geleitet wird, doch wieder mit vielem, was bürgerlich und kleinbürgerlich ist, und schafft so Opportunismus. 6. Durch die für unsere Aufbauarbeit notwendigen Ingenieure, Spezialisten und geistigen Arbeiter, fließt in unseren staatlichen, wirtschaftlichen und parteilichen Apparat ein unaufhörlicher Strom nichtproletarischer Beeinflussung.

Dies sind die Gründe, warum die leninistische Opposition so beharrlich auf das von Tag zu Tag immer klarer werdende Abweichen der Stalingruppe hinweist. Es ist eine verbrecherische Leichtfertigkeit, zu behaupten, daß in der großen Vergangenheit der Partei und in seinen alten bolschewistischen Mitgliedern unter allen Umständen und für immer eine Garantie gegen die Gefahr einer opportunistischen Entartung läge. Solch eine Ansicht hat auch nicht das geringste mit dem Marxismus zu tun.

Es waren nicht solche Gedanken, die Lenin uns gelehrt hat. Auf dem elften Parteikongreß sagte Lenin: »Die Geschichte kennt Entartungen aller Art. Sich auf Überzeugung, Treue und ähnliche schöne Eigenschaften der Individuen zu verlassen – das heißt keine ernsthafte Politik treiben.«

Die Arbeiter, die die ungeheure Majorität der sozialistischen Parteien des Westens in der Zeit vor dem imperialistischen Krieg bildeten, waren unbedingte Gegner des Opportunismus. Aber sie widersetzten sich nicht von Anfang an den opportunistischen Fehlern ihrer Führer, da diese Fehler zunächst nicht groß waren. Sie unterschätzten die Bedeutung dieser Fehler. Sie verstanden nicht, daß nach der langen friedlichen Entwicklungsperiode, die eine so mächtige Bureaukratie und Aristokratie unter den Arbeitern entwickelte, die erste ernstliche, historische Störung nicht nur die Opportunisten, sondern auch die Vertreter der Mitte zwingen würde, gerade im kritischen Augenblick waffenlos vor der Bourgeoisie zu kapitulieren. Wenn man den revolutionären Marxisten, die den linken Flügel der zweiten Internationale vor dem Kriege bildeten, einen Vorwurf machen kann, dann ist es nicht, daß sie die Gefahr des Opportunismus übertrieben, indem sie sie eine nationalliberale Arbeiterpolitik nannten, sondern daß sie sich zu sehr auf die Arbeitermitglieder der damaligen sozialistischen Parteien verließen. Sie verließen sich auf die revolutionären Instinkte des Proletariats und auf die Verschärfung der Klassenunterschiede. Sie unterschätzten die wirkliche Gefahr und mobilisierten gegen sie mit ungenügender Energie die revolutionären unteren Klassen. Wir wollen diesen Fehler nicht wiederholen, wir wollen zur rechten Zeit den Kurs der Parteiführer verbessern. Und das soll auch unsere Antwort auf die Anklage sein, wir beabsichtigten, die Partei zu spalten und eine neue zu bilden. Die Diktatur des Proletariats verlangt gebieterisch eine einzige und einheitliche proletarische Partei als Führerin der arbeitenden Massen und der Armen. Eine solche, von keinem fraktionellen Hader geschwächte Einheit braucht das Proletariat unbedingt zur Erfüllung seiner historischen Mission. Diese kann nur auf der Grundlage der Lehren von Marx und Lenin verwirklicht werden, wenn diese Lehren durch keine persönlichen Auslegungen verwässert und durch keinen Revisionismus verdorben werden.

Indem die Opposition für ein entschlossenes Tempo unserer Industrieentwicklung als der Vorbedingung unseres Aufbaus kämpft, indem sie kämpft gegen das Anwachsen der wohlhabenden Bauern und seine Herrschaftsbestrebungen auf dem Lande, indem sie für eine rechtzeitige Verbesserung der Lebensbedingungen unserer Arbeiter, für Demokratie in der Partei, in den Gewerkschaften, in den Sowjets kämpft – kämpft sie keineswegs für Ideen, die die Arbeiter der Partei entfremden, sondern im Gegenteil für ein neues Erstarken der wirklichen Einheit der allgemeinen kommunistischen Partei. Ohne Verbesserung der opportunistischen Fehler gibt es nur eine Scheineinheit, die die Partei vor dem Angriff der wachsenden Bourgeoisie schwächt und sie im Falle eines Krieges zwingt, ihre Reihen auf dem Marsch und unter dem Feuer des Feindes umzuformen. Wenn der proletarische Kern unserer Partei unsere wirklichen Ansichten und Vorschläge erkennt, dann wird er – dessen sind wir sicher – sie annehmen und für sie, nicht als parteiliche Losungen, sondern als das rechte Banner der Parteieinigkeit kämpfen.

Unsere Partei hat die Fehler ihrer Führerschaft bis jetzt noch nicht richtig erkannt und sie deshalb auch nicht verbessert. Das außerordentlich schnelle Anwachsen unserer Industrie während der Restaurationsperiode war eine der Grundursachen jener opportunistischen Selbsttäuschung, die die Mehrheit des Zentralausschusses systematisch in der Partei und unter den Arbeitern gefördert hat. Die schnellen Anfänge einer Besserung der Lage der Arbeiter gegenüber den Verhältnissen während des Bürgerkrieges erweckten in weiten Kreisen der Arbeiterschaft die Hoffnung auf eine schnelle und schmerzlose Überwindung der Mißstände, die der Privatkapitalismus mit sich brachte. Dies hinderte aber auch die Partei, zur rechten Zeit die Gefahr einer opportunistischen Abweichung zu erkennen.

Das Anwachsen der leninistischen Opposition in der Partei hat die schlimmsten Elemente der Bureaukratie zu Anwendungen von Mitteln getrieben, die bisher in der Tätigkeit des Bolschewismus unerhört waren. Da sie nicht länger durch Verordnungen die Besprechung politischer Fragen in den Parteiverbänden verhindern konnten, haben sie jetzt – gerade vor dem fünfzehnten Kongreß – besondere Banden organisiert, die durch Schreien Pfeifen, Lichtauslöschen und dergleichen jede Diskussion unmöglich machen.

Dieser Versuch, in unserer Partei direkte physische Gewaltmethoden einzuführen, wird den Unwillen aller anständigen proletarischen Elemente erregen und sich unvermeidlich gegen ihre eigenen Urheber wenden. Keine noch so schlauen Gewaltmaßregeln des Parteiapparates werden aber die Masse der Partei von der Opposition trennen. Hinter der Opposition stehen die leninistischen Traditionen unserer Partei, steht die Erfahrung der ganzen internationalen Arbeiterbewegung, steht der augenblickliche Zustand der internationalen Politik und unserer wirtschaftlichen Aufbauarbeit, wie sie das Proletariat sieht. Die in der Restaurationsperiode unvermeidlich immer schärfer werdenden Klassenunterschiede werden unsere Ansichten über einen Ausweg aus der augenblicklichen Krisis bestätigen. Sie werden die Vorkämpfer des Proletariats in dem Kampf für den Leninismus vereinigen.

Die zunehmende Kriegsgefahr zwingt die Arbeiter bereits, tiefer über die Grundprobleme der Revolution nachzudenken. Ihre Gedanken werden sie unvermeidlich dahinbringen, wirksam an die Verbesserung der opportunistischen Fehler heranzugehen.

Die eigentlichen Arbeiter in unserer Partei sind in den letzten Jahren in weitem Maße aus der Parteileitung hinausgedrängt worden. Man hat sie dem vergiftenden Einfluß eines langen Verleumdungsfeldzuges unterworfen, dessen Ziel es war, zu beweisen, daß links rechts ist, und rechts links ist. Die Arbeiter in der Partei werden aber zu sich selber kommen; sie werden erkennen, was wirklich vorgeht, und das Schicksal der Partei in die eigene Hand nehmen. Den Vorkämpfern der Arbeit bei diesem Vorgang zu helfen, ist die Aufgabe der Opposition, ist die Aufgabe dieses Programms.

Die wichtigste und tiefgehendste Frage, die Frage, die alle Mitglieder unserer Partei beunruhigt, ist die Frage der Einheit der Partei. Und in Wahrheit hängt auch gerade von dieser Frage das Schicksal der proletarischen Revolution ab. Unzählige Klassenfeinde des Proletariats beobachten gespannt unsere innerparteilichen Auseinandersetzungen und warten entzückt und ungeduldig auf eine Spaltung in unserer Partei. Eine solche Parteispaltung, die Bildung von zwei Parteien, würde eine ungeheure Gefahr für die Revolution bedeuten.

Wir, die Opposition, verdammen uneingeschränkt jeden Versuch, eine zweite Partei zu gründen. Es ist die Stalin-Gruppe, die in dem Bestreben, die leninistische Opposition aus der allgemeinen kommunistischen Partei hinauszudrängen, dem Zweiparteien-Programm spricht. Wir wollen aber nicht eine neue Partei schaffen, sondern den Kurs der allgemeinen kommunistischen Partei richtigstellen. Die proletarische Revolution in der Sowjetunion kann letzten Endes nur durch eine geeinte bolschewistische Partei den Sieg erringen. Wir kämpfen in der kommunistischen Partei für unsere Ansichten und verdammen entschieden das Zweiparteiensystem als eine abenteuerliche Politik. Die Losung »Zwei Parteien« drückt auf der einen Seite den Wunsch gewisser Elemente im Parteiapparat nach einer Spaltung aus und auf der anderen Seite eine verzweifelte Stimmung und eine Unfähigkeit, zu verstehen, daß es die Aufgabe der Leninisten sein muß, in der Partei trotz aller Schwierigkeiten die Ideen Lenins zum Siege zu bringen. Niemand, der ernstlich auf dem Boden Lenins steht, kann an ein Zweiparteiensystem oder an eine Spaltung denken. Nur wer Lenins Kurs mit einem anderen vertauschen will, kann mit solchen Gedanken spielen.

Wir werden mit aller Kraft gegen die Bildung zweier Parteien kämpfen, denn die Diktatur des Proletariats braucht als ihren innersten Kern eine einheitliche proletarische Partei. Sie verlangt eine einzelne Partei. Sie verlangt eine proletarische Partei – eine Partei, deren Politik durch die Interessen des Proletariats bestimmt und durch einen proletarischen Kern durchgeführt wird. Eine Verbesserung unserer Parteirichtung und ihrer sozialen Zusammensetzung – das ist nicht der Weg zu einem Zweiparteiensystem, sondern eine Stärkung und eine bessere Gewähr für die Einigkeit der revolutionären Partei des Proletariats.

Am zehnten Jahrestag der Oktoberrevolution geben wir unserer tiefen Überzeugung Ausdruck, daß die Arbeiterklasse nicht deswegen ihre zahlreichen Opfer verloren und den Kapitalismus niedergeworfen hat, um sich jetzt als unfähig zu erweisen, die Fehler ihrer Führerschaft zu verbessern, die proletarische Revolution mit starker Hand weiterzuführen und die Sowjetunion, das Zentrum der Weltrevolution, zu verteidigen.

Gegen den Opportunismus! Gegen eine Spaltung! Für die Einheit der leninistischen Partei!


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