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Lenin brach endgültig mit Stalin

Ja, es hat Meinungsverschiedenheiten zwischen Lenin und mir gegeben. Aber Stalins Versuche, daraufhin den allgemeinen Charakter unserer Beziehungen zu verdrehen, zerbrechen einfach an den Belegen aus jener Zeit, als die Dinge nicht durch Unterhaltungen und Abstimmungen, über die wir keine Berichte haben, sondern durch Briefwechsel entschieden wurden – ich meine, aus der Zeit zwischen Lenins erster und zweiter Erkrankung. Um einiges aufzuzählen:

In der Nationalitätenfrage bereitete Lenin für den zwölften Kongreß einen entschiedenen Angriff gegen Stalin vor. Darüber berichtete mir seine Sekretärin in seinem Namen und in seinem Auftrag. Der Ausdruck, den sie am häufigsten wiederholte, war: »Wladimir Iljitsch bereitet eine Bombe gegen Stalin vor.«

In seinem Artikel über das Kommissariat der Arbeiter- und Bauerninspektion, das Rabkrin, sagte Lenin am 4. März 1923:

»Das Volkskommissariat des Rabkrin genießt gegenwärtig auch nicht den Schatten einer Autorität. Jeder weiß, daß ein schlechter organisiertes Institut als unser Kommissariat des Rabkrin einfach nicht existiert, und daß man von diesem Kommissariat überhaupt nichts erwarten kann ... Zu welchem Zweck schafft man denn ein Kommissariat, wenn es die Arbeit in der übernommenen Weise weiterführt, nicht das geringste Vertrauen einflößt und wenn seine Worte keine Autorität haben?...

Ich frage jeden der jetzigen Leiter des Rabkrin oder irgendeinen Menschen, der in Verbindung mit ihm steht, ob sie mir auf ihr Gewissen hin sagen können, welchem praktischen Zweck solch ein Kommissariat wie das Rabkrin dient.«

Stalin stand während der ganzen ersten Jahre der Revolution an der Spitze des Rabkrin. Lenins Ausbruch richtete sich ganz gegen ihn.

In demselben Artikel liest man:

»Bureaukratismus haben wir nicht nur in den Sowjetinstitutionen, sondern auch in der Partei.«

Diese in sich schon völlig klaren Worte gewinnen eine besondere Bedeutung in Verbindung mit meiner oben angeführten letzten Unterredung mit Wladimir Iljitsch, in der von unserm geplanten Bund gegen das Organisationsbureau, als die Urquelle des Bureaukratismus sprach. Diese bescheidene, echt Leninische Bemerkung war durchaus auf Stalin gemünzt.

Über Lenins Testament braucht man nicht erst zu reden. Es ist angefüllt mit Mißtrauen gegen Stalin, gegen seine Gewöhnlichkeit und Unehrlichkeit. Es spricht von einem möglichen Mißbrauch der Gewalt von seiner Seite und von der dadurch herbeigeführten Gefahr einer Spaltung der Partei. Nur ein einziges Mal kritisiert das Testament die Parteiorganisation nämlich in dem Satz: »Entfernt Stalin von dem Posten des Generalsekretärs.«

Und zum Schluß war der letzte Brief, den Lenin in seinem Leben schrieb, oder vielmehr diktierte, ein Brief an Stalin, in dem er alle parteigenössischen Beziehungen zu ihm abbrach. Genosse Kamenew erzählte mir von diesem Brief in derselben Nacht, in der er geschrieben wurde, in der Nacht vom 5. auf den 6. März 1923. Genosse Sinowjew sprach über den Brief auf der vereinten Sitzung des Zentralausschusses und des Kontrollausschusses. Die Existenz des Briefes wurde auch in der stenographischen Kopie des Zeugnisses der M. I. Ulianowa, der Schwester Lenins, bestätigt.

Indem Genosse Sinowjew auf dem Juliplenum des Jahres 1926 die »Warnungen« aufzählte, die Lenin Stalin gab, sagte er:

»Die dritte Warnung aber bestand darin, daß zu Beginn des Jahres 1923 Wladimir Iljitsch in einem persönlichen Brief an Genossen Stalin alle parteigenössischen Beziehungen mit ihm abbrach.«

M. Ulianowa suchte die Angelegenheit so darzustellen, als sei der Abbruch aller genossenschaftlichen Beziehungen, den Lenin Stalin in seinem letzten Brief vor seinem Tode ankündigte, durch persönliche und nicht durch politische Ursachen herbeigeführt. Ist es nötig, daran zu erinnern, daß bei Lenin persönliche Motive immer aus politischen, revolutionären und parteilichen Gründen herrührten? »Gewöhnlichkeit« und »Unehrlichkeit« sind gewiß persönliche Eigenschaften. Aber Lenin warnt die Partei vor ihnen nicht aus »persönlichen« Gründen, sondern im Interesse der Partei. Lenins Brief, in dem er alle parteigenössischen Beziehungen mit Stalin abbrach, hatte genau denselben Charakter. Dieser letzte Brief wurde nach dem Brief über die Nationalitätenfrage und nach dem Testament geschrieben. Eifrige Versuche sind seitdem gemacht worden, das moralische Gewicht des letzten Briefes Lenins herabzusetzen. Die Partei hat ein Recht, diesen Brief kennenzulernen!

So stehen die Tatsachen. So betrügt Stalin die Partei.


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