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War denn überhaupt die Frage der Gewerkschaften die einzige im Leben der Partei und der Sowjetrepublik während der Jahre meines Zusammenarbeitens mit Lenin? In dem gleichen Jahre 1921, dem Jahre des zehnten Kongresses unserer Partei, hatten wir den dritten Kongreß der Komintern (der kommunistischen Internationale), der in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung eine ganz bedeutende Rolle gespielt hat.
Auf diesem dritten Kongreß entwickelte sich ein tiefgehender Streit über die wichtigsten Fragen der kommunistischen Politik. Dieser Streit kam vor unser politisches Bureau. Ich erzählte vor noch nicht langer Zeit einiges davon in kurzen Worten aus einer Sitzung des politischen Bureaus:
»Zu jener Zeit bestand die Gefahr, daß die Politik der Komintern sich in der Linie der Märzereignisse in Deutschland entwickeln würde – das heißt, daß man künstlich eine revolutionäre Situation schaffen würde, eine ›Elektrisierung‹ des Proletariats, wie ein deutscher Genosse es genannt hat. Die Stimmung war auf dem Kongreß entschieden dafür, aber Wladimir Iljitsch (Lenin) kam zu der Ansicht, daß bei einem solchen Kurs die Internationale sicherlich zertrümmert würde. Vor dem Kongreß schrieb ich dem Genossen Radek meinen Eindruck von den Märzereignissen in einem Briefe, von dem Wladimir Iljitsch nichts wußte. In Anbetracht der kitzligen Lage und weil ich die Ansicht Wladimir Iljitschs nicht kannte, wohl aber wußte, daß Sinowjew, Bucharin und Radek im allgemeinen für die deutsche Linke waren, drückte ich mich natürlich nicht offen aus und schrieb in der Form eines Briefes an Radek, indem ich ihn bat, mir seine Meinung mitzuteilen. Radek und ich kamen zu keiner Übereinstimmung. Wladimir Iljitsch, der davon hörte, ließ mich kommen und schilderte mir die Lage in der Komintern als eine solche, die die schwersten Gefahren herbeiführen könnte. In der Einschätzung der Lage und ihrer Probleme waren wir völlig einer Meinung.
Nach dieser Besprechung ließ Wladimir Iljitsch den Genossen Kamenew kommen, um sich einer Mehrheit im politischen Bureau zu versichern. Da damals das politische Bureau aus fünf Genossen bestand, so waren wir mit Kamenew zu drei und hatten infolgedessen die Majorität. Aber in unserer Delegation auf der Komintern waren auf der einen Seite die Genossen Sinowjew, Bucharin und Radek, auf der anderen Seite Wladimir Iljitsch, ich und Kamenew, und wir hatten auch, nebenbei gesagt, besondere Sitzungen dieser Gruppen. Wladimir sagte damals: ›Wir bilden eben eine neue Fraktion‹. In den Debatten über den Text der vorgeschlagenen Resolutionen vertrat ich die Fraktion Wladimir Iljitschs, und Radek vertrat die Fraktion des Genossen Sinowjew.
Sinowjew bemerkte, daß sich die ganze Sachlage verschoben hätte.
Ja, sie hatte sich verschoben, und Genosse Sinowjew beschuldigte, nebenbei bemerkt, damals aufs schärfste den Genossen Radek, weil er bei unseren Verhandlungen seine Fraktion ›betrogen‹, das heißt uns zu große Konzessionen gemacht hätte.
Der Kampf war in allen Parteien der Komintern sehr heftig, und Wladimir Iljitsch beriet sich mit mir, was wir tun sollten, wenn der Kongreß gegen uns stimmen würde. Sollten wir uns einem Kongreß unterwerfen, dessen Entscheidung vielleicht verderblich sein könnte, oder sollten wir uns nicht unterwerfen? Das Echo unserer Besprechung kann man in dem stenographischen Bericht meiner Rede finden. Ich sagte damals – im Einvernehmen mit Iljitsch: ›Wenn ihr, der Kongreß, eine Entscheidung gegen uns annehmt, dann werdet ihr uns hoffentlich genügend Spielraum geben, um auch in Zukunft unsere Ansicht verteidigen zu können.‹ Der Sinn dieser Warnung war völlig klar. Ich muß aber hinzufügen, daß die Beziehungen, die damals in unserer Delegation bestanden, dank der Führung Lenins durchaus kameradschaftlich blieben.«
Im Einvernehmen mit Lenin verteidigte ich unsere gemeinsame Haltung im Exekutivausschuß unserer Partei, dessen Sitzung dem dritten Kongreß voranging. Ich erhob einen heftigen Angriff gegen die sog. Linksgruppe. Wladimir Iljitsch, der in die Sitzung des Exekutivausschusses geeilt war, sagte dort folgendes:
»Ich kam hierher, um gegen die Rede des Genossen Bela Kun zu protestieren. Er hat sich gegen den Genossen Trotzki gewandt, statt ihn zu verteidigen, wie er es hätte tun müssen, wenn er ein echter Marxist wäre...
Genosse La Porte hatte völlig unrecht, und Genosse Trotzki, der gegen ihn auftrat, völlig recht... Genosse Trotzki hatte tausendmal recht, als er diese Versicherung aussprach. Und es ist hier noch ein Luxemburger Genosse aufgetreten, der der französischen Partei vorwarf, sie hätte nicht die Besetzung Luxemburgs sabotiert. Da haben wir es. Er glaubt auch, daß es sich um eine geographische Frage handelt, gerade wie Bela Kun es tut. Nein, es ist eine politische Frage, und Genosse Trotzki hatte durchaus recht, dagegen zu protestieren...
Dies ist der Grund, warum ich es für meine Schuldigkeit hielt, aufs stärkste alles zu unterstützen, was Genosse Trotzki sagte...«
Durch die ganze Rede Lenins über den dritten Kongreß geht diese scharfe Betonung der absoluten Einigkeit mit Trotzki.
Ich füge noch ein weiteres Beispiel unserer Solidarität hinzu. Im Jahre 1922 wurde auf Veranlassung des Genossen Ter-Vaganian ein Magazin begründet: »Unter dem Banner des Marxismus«. In der ersten Nummer veröffentlichte ich einen Aufsatz über den Unterschied in den Erziehungsbedingungen der beiden Generationen der Partei, der alten und der neuen, und über die Notwendigkeit einer besonderen theoretischen Schulung der neuen Generation, damit diese die theoretische und politische Erbschaft der Partei bewahre. In der folgenden Nummer des neuen Magazins schrieb dann Lenin:
»Über die allgemeine Aufgabe des Magazins ›Unter dem Banner des Marxismus‹ hat Genosse Trotzki in der ersten und zweiten Nummer alles Wesentliche gesagt, und er hat es sehr gut gesagt. Ich möchte nun gewisse Fragen berühren, indem ich genauer auf den Inhalt und das Arbeitsprogramm eingehe, wie es die Herausgeber der Zeitschrift in ihrer einleitenden Ankündigung zu der ersten und zweiten Nummer entwickelt haben.«
Konnte unsere Übereinstimmung in diesen Grundfragen nur eine zufällige gewesen sein? Der einzige Zufall war die Tatsache, daß unsere Übereinstimmung einmal so klar in der Presse zum Ausdruck kam. In der überragenden Mehrzahl der Fälle prägte sich unsere Solidarität nur in Taten aus.