Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Über meine Arbeit im Eisenbahndienst sagte Lenin am 22. Dezember 1920 auf dem achten Kongreß der Sowjets:
»Aus den Leitsätzen der Genossen Emschanow und Trotzki ist ja schon ersichtlich, daß wir es auf diesem Gebiete (dem Wiederaufbau unseres Transportwesens) mit einem wirklichen, auf viele Jahre berechneten Plan zu tun haben. Die Verfügung Nr. 1042 rechnet auf fünf Jahre. In fünf Jahren können wir unseren Eisenbahnbetrieb wiederherstellen, die Zahl der schadhaften Lokomotiven vermindern, wir können sogar, und zwar nach meiner Ansicht selbst im ungünstigsten Falle, auch diese Frist noch verkürzen.
Wenn große, auf viele Jahre rechnende Pläne gemacht werden, dann gibt es immer Skeptiker, die sagen: ›Wie kann man nur über so viele Jahre reden? Wir wollen froh sein, wenn wir das tun können, was wir jetzt gerade zu tun haben!‹ Genossen, wir müssen lernen, das eine mit dem andern zu verbinden. Man kann nicht arbeiten ohne einen Plan, der mit einer langen Zeit und auf einen ernstlichen Erfolg rechnet. Wie notwendig dies ist, beweist die zweifellose Verbesserung unseres Transportwesens. Ich möchte auf die Stelle im neunten Artikel hinweisen, die von einem Termin von vier und einem halben Jahre spricht. Dieser Termin ist jetzt bereits auf dreieinhalb Jahre verkürzt worden, weil wir das normale Arbeitstempo überschritten haben. So sollten wir es in allen rückständigen Zweigen unserer Industrie machen.«
Ich bemerke hier, daß ein Jahr nach dem Erlaß der Verfügung Nr. 1042 es in einer Verfügung des Genossen Tscherschinski vom 27. Mai 1921 »Über die wichtigsten Grundsätze der weiteren Arbeit« heißt:
»Da die Senkung der durch die Verfügungen Nr. 1042 und 1157 bestimmten Arbeitsnorm, dem ersten glänzenden Experiment im systematischen Industrieaufbau, nur eine vorübergehende Folge der Feuerungsmittelkrisis ist ... so müssen Maßregeln ergriffen werden, die Lager aufzufüllen und das Material instandzusetzen ...«
Zu dem Versuch, im Jahre 1923 die Putilowwerke zu schließen, bemerke ich folgendes:
In dem Artikel des Genossen Rykow, der im Oktober 1927 – also vier Jahre nach jenem Vorfall – geschrieben wurde, erscheint wieder die Legende, ich hätte darauf gedrängt, die Putilowwerke zu schließen. In diesem Falle handelt übrigens Genosse Rykow, wie in so vielen andern, sehr unvorsichtig, indem er bei seinem Vorgehen nur Material gegen sich selbst sammelt.
In Wirklichkeit wurde nämlich der Vorschlag auf Schließung der Putilowwerke durch den Genossen Rykow selbst in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Volkswirtschaftssowjets zu Beginn des Jahres 1923 im politischen Bureau eingebracht. Rykow legte dar, daß die Putilowwerke im Verlaufe der nächsten zehn Jahre nicht gebraucht würden und daß ihre künstliche Erhaltung einen schädlichen Einfluß auf die andern Betriebe hätte. Das politische Bureau – und auch ich mit allen übrigen –, wir nahmen die vom Genossen Rykow angeführten Zahlen für bare Münze. Ich stimmte auf Vorschlag des Genossen Rykow für die Schließung der Putilowwerke und dasselbe tat Stalin. Genosse Sinowjew befand sich auf Urlaub. Er protestierte gegen den Beschluß. Die Frage wurde daher von neuem vom politischen Bureau aufgenommen und der Beschluß wurde umgestoßen. Die Initiative in dieser Angelegenheit lag also ganz in den Händen Rykows, des Vorsitzenden des Volkswirtschaftssowjets. Wie hoch muß also das Gefühl der Straflosigkeit bei Rykow gestiegen sein, wenn er schon jetzt, nach vier kurzen Jahren, mich seiner eigenen Sünde zu beschuldigen wagt. Aber man braucht sich darüber keine Gedanken zu machen. Alles dieses wird von Rykow wieder ganz anders dargestellt werden, wenn er sich entsprechend verändert hat. Lange wird das nicht dauern.
Man betrügt die Partei mit Erzählungen, wie »Lenin Trotzki als Volkskommissar für Nahrungsmittellieferung in die Ukraine schicken wollte«. Dabei werden die Tatsachen bis zur Unkenntlichkeit verwirrt und verfälscht. Ich habe viele solche Reisen auf Anweisung des Zentralausschusses gemacht. In völligem Einvernehmen mit Lenin ging ich nach der Ukraine, um die Organisation der Kohlenindustrie im Donbezirke zu verbessern. In völligem Einvernehmen mit Lenin arbeitete ich als Präsident des Sowjets der industriellen Armee im Ural. Es ist vollkommen wahr, daß Lenin verlangte, ich sollte für zwei Wochen – nur für zwei Wochen – nach der Ukraine gehen, um die Nahrungsmittellieferung besser zu organisieren. Ich setzte mich in telephonische Verbindung mit dem Genossen Rakowski, der mir versicherte, daß schon ohne mich alle notwendigen Maßnahmen getroffen seien, um die Arbeiterzentren mit Nahrungsmitteln zu versehen. Wladimir Iljitsch bestand zunächst auf meinem Gehen, ließ dann aber die Idee fallen. Das war die ganze Geschichte. Es handelte sich einfach um ein praktisches Problem, das Lenin gerade in jenem Augenblick für besonders wichtig hielt.
Zu der Frage meiner Reise nach dem Donbezirke zitiere ich die Worte, die Lenin darüber am 22. Dezember 1920 auf dem achten Kongreß der Sowjets sprach: »Die Kohlenlieferung aus der Donniederung, die monatlich 25 Millionen Pude betrug, hat jetzt 50 Millionen Pude erreicht, dank der Arbeit der mit absoluter Vollmacht versehenen Kommission, die unter dem Vorsitz des Genossen Trotzki nach der Donniederung gesandt wurde und zu dem Beschlusse kam, daß erfahrene und verantwortliche Arbeiter dorthin gesandt werden sollten. Jetzt ist Genosse Piatakow dorthin gesandt worden, um das Werk durchzuführen.«
Hierzu bemerke ich: Genosse Piatakow, der immer auf meiner Seite gestanden hat, wurde durch heimliche Intrigen Stalins aus dem Donrevier hinausgedrängt. Lenin hielt das für einen ernsthaften Schlag gegen die Kohlenindustrie, protestierte dagegen im politischen Bureau und griff öffentlich Stalin wegen seiner zersetzenden Tätigkeit an.
Am 23. Dezember 1921 sagte Lenin in seinem Berichte auf dem neunten Sowjetkongreß: »Daß wir einen ungeheuern Erfolg gehabt hatten, zeigte sich besonders auch im Donbecken, wo Genossen wie Piatakow mit außerordentlicher Hingabe und außerordentlichem Erfolg in der Schwerindustrie gearbeitet haben.«
Und am 27. März 1923 sagte er auf dem elften Kongreß der russischen kommunistischen Partei: »In der Zentralleitung der Kohlenindustrie befanden sich Leute, nicht nur von unzweifelhafter Ergebenheit, sondern auch von guter Erziehung und großen Fähigkeiten, und, ich glaube mich nicht zu irren, von wirklichem Talent, was auch dem Zentralausschuß bekannt war. Nun besaßen wir im Zentralausschuß doch einige Erfahrung, und wir beschlossen einmütig, die leitende Gruppe nicht abzurufen ... Ich machte Umfragen unter den ukrainischen Genossen. Den Genossen Ordjonikidse befragte ich besonders, und der Zentralausschuß gab ihm den Auftrag, hinzugehen und herauszufinden, was eigentlich hinter der Sache steckte. Ganz offenbar war dort eine Intrige im Gange, und es herrschte eine Verwirrung, die unsere Parteihistoriker nicht in zehn Jahren klarlegen würden, wenn sie sich überhaupt je an diese Sache heranmachten. Aber das praktische Ergebnis war das, daß entgegen den einmütigen Befehlen des Zentralausschusses die leitende Gruppe durch eine andere ersetzt wurde.«
Es ist allen Mitgliedern des alten politischen Bureaus – Stalin am besten von allen – bekannt, daß die scharfen Worte Lenins über Intrigen gegen ergebene, kenntnisreiche und talentierte Führer im Donbecken sich auf die Intrige Stalins gegen Piatakow richteten.
Während des elften Sowjetkongresses schrieb Lenin im Dezember 1921 einige Leitsätze über die Hauptprobleme des Industrieaufbaus. Wie ich mich erinnere, antwortete ich darauf, daß diese Leitsätze ausgezeichnet seien und daß nur ein Punkt dabei fehle, der über Spezialisten und Ingenieure. (In wenigen Worten führte ich das Wichtigste über diesen Punkt aus.) Am selben Tage erhielt ich folgenden Brief von Wladimir Iljitsch:
»Streng geheim.
Genosse Trotzki!
Ich befinde mich mit Kalinin in einer Versammlung von Nichtparteimitgliedern. Kalinin rät mir, eine kurze Rede über die von mir vorgeschlagene Resolution zu halten, zu der Sie durchaus korrekt einen Zusatz über Ingenieure vorschlugen.
Möchten Sie nicht am Mittwoch auf dem Plenum des Kongresses eine ganz kurze Rede über diese Resolution halten?
Ihr militärischer Bericht muß doch fertig sein, und Sie haben Dienstag damit nichts mehr zu tun.
Mir ist es unmöglich, auf dem Kongreß eine zweite Rede zu halten. Schreiben Sie mir zwei Worte oder telegraphieren Sie. Wenn Sie zustimmen, wird es das Allerbeste sein, und Sie können mir die Versicherung zugleich mit dem Votum des politischen Bureaus schicken.
Lenin.«
Unsere Übereinstimmung über die Grundprobleme des sozialistischen Aufbaus war so vollständig, daß Wladimir Iljitsch es für möglich erachtete, daß ich an seiner Stelle über diese Fragen eine Rede hielt. Ich erinnere mich, daß ich ihn telephonisch überredete, wenn es irgendwie sein Gesundheitszustand erlaubte, selbst über diese wichtige Sache zu sprechen. Und schließlich geschah dies auch.