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DRITTES KAPITEL.

ZWEI GESCHWISTER.

Die eben geschilderten Auftritte trugen sich in jenem waldreichen Berglande zu, welches die Grenze zwischen Böhmen und Sachsen bildet, und zwar im Spätsommer des Jahres 1830. Frei bewohnte seit zwanzig Jahren die alte, weitläufig gebaute Försterei, in der es genug Raum und doch wenig Platz zum Wohnen gab. Das Forsthaus gehörte zu den bedeutenden Besitzungen des Barons von Kaltenstein, der in der Gegend mehrere Güter besaß und das dem Forsthause zunächstgelegene gewöhnlich zu seinem Aufenthalte wählte. In frühern Jahren hatte er meistentheils im Auslande gelebt und viel Geld verschwendet. Erst, als er sah, daß er dabei nicht bestehen könne, kehrte er auf seinen Stammsitz zurück und ward Landwirth, das heißt er lebte als Landedelmann, ohne sich viel um die Bewirthschaftung seiner Besitzungen zu bekümmern. Seine Verwalter, denen er vertraute, besorgten das in seinem Namen, und wenn die Einnahmen nur ziemlich reichlich ausfielen, war der nicht sehr heikelige Herr gar wohl mit seinen Leuten zufrieden.«

Mehr als die eigentliche Landwirthschaft behagte dem Baron die Jagd. Dem Weidmannsvergnügen hatte derselbe immer mit Leidenschaft obgelegen, weshalb er denn auch unter Jägern und Jagdliebhabern sehr bekannt war und viele Freunde zählte. Andern Bürgerlichen gegenüber stolz auf seinen alten Adel, lebte er mit Jägern immer auf dem vertrautesten Fuße. Von einem Jäger, der sein Fach tüchtig verstand, ließ er sich mehr wie von jedem andern gefallen. Sie durften mit ihm scherzen, ihn foppen, mit ihm zechen. Einzelne lud er häufig zu Tische, wo es dann nicht selten überlustig zuging.

Zu den liebsten Vertrauten dieses lebenslustigen Edelmanns gehörte Andreas Frei. Dieser war der Sohn eines Pfarrers auf den Gütern des Barons und fast von gleichem Alter mit demselben. Beide hatten zusammen die Schule besucht, und Andreas würde wahrscheinlich studirt haben, um später einmal des Vaters Stelle zu erhalten, wäre dieser nicht zu früh gestorben. Das Leben in Feld und Wald behagte dem jungen Andreas sehr wohl, und da der junge Herr, der seinen Vater ebenfalls schon verloren hatte, ihm das Versprechen gab, er solle, sobald er mündig geworden sei, eine seiner drei Förstereien erhalten, so widmete sich Frei mit Eifer dem Forstfache.

Der Baron hielt Wort. Nachdem Andreas einige Jahre als Waldläufer in der Nachbarschaft gedient hatte, bezog er das Forsthaus unfern der Grenze, verheirathete sich bald darauf mit einem sehr hübschen Mädchen, das er auf der Domdechanei des Fleckens Mariendorf kennen gelernt hatte, wo Cornelie mit ihrem Oheim, dem Stiftssyndikus Liebner, häufig verkehrte, und ward von dieser im dritten Jahre seiner Ehe mit einer Tochter beschenkt, welche in der Taufe den Namen Hildegarde erhielt.

Die Ehe des Försters war nach den gäng und geben Begriffen eine glückliche und wäre es wohl auch stets geblieben, wären nicht bald nach der Geburt Hildegardens Verhältnisse eingetreten, welche störend auf beide Gatten einwirken mußten. Das Kind nahm die junge Mutter, die mit großer Zärtlichkeit an dem süßen Wesen hing, alsbald so sehr in Anspruch, daß Frei die Nothwendigkeit einsah, eine zuverlässige Person ins Haus zu nehmen, um dieser die Beaufsichtigung der Wirthschaft anzuvertrauen. Cornelie war ganz damit einverstanden, denn sie liebte es nicht, in Küche und Keller zu weilen. Ihre Erziehung beim Stiftssyndikus, der zugleich Vaterstelle bei ihr vertreten und sie stets ihrer schönen Anlagen wegen sehr begünstigt hatte, war einseitig gewesen. Cornelie lernte mancherlei nützliche Dinge, die indeß mehr zur Verschönerung des Lebens dienen, als daß sie nöthig wären zum Fortkommen unter Mühen und Arbeiten. Sie spielte recht anmuthig Fortepiano, zeichnete allerliebst, und versuchte sich sogar mit Glück im Malen. Vorzüglich tuschte sie gern in Sepia. Außerdem zog sie eine feine Handarbeit jeder praktischen Beschäftigung im Hauswesen vor, obwohl eine Wirthschaft den Krebsgang gehen muß, wo die Hausfrau sich derartigen, von den Verhältnissen nun einmal gebotenen Arbeiten gänzlich entzieht.

Frei sah ein, daß es nicht so fortgehen könne; weil er aber Cornelie liebte und es ihm selbst angenehm war, wenn sie mehr Zeit auf ihre geistige Ausbildung verwenden könne, so mochte er nicht streng darauf dringen, sie solle das Angenehme dem Nützlichen nachsehen. Darauf bezügliche Worte ließ er allerdings bisweilen fallen, Cornelie aber beachtete sie nicht, wahrscheinlich, weil sie Andreas in dieser Beziehung nicht verstehen wollte.

Um nun sein Hab und Gut nicht fremden Händen anzuvertrauen, glaubte der junge Förster klug zu handeln, wenn er eine Verwandte zu sich ins Haus nehme. Es lebte ihm eine einzige unverheirathete Schwester, die einige Jahre älter war als er selbst. Diese Schwester, Namens Kathrine, war – das wußte Andreas von früher Jugend her

– eine ausgezeichnete Wirthschafterin. Sie hatte schon als ganz junges Mädchen kein Stäubchen im Hause geduldet, sich bald nach der Confirmation des Hauswesens ganz angenommen und dadurch der Mutter große Dienste geleistet. Diese ließ das überaus fleißige Kind auch gewähren, und übergab der starken, kräftigen Tochter schon vor des Vaters Tode die Wirthschaft beinahe ausschließlich.

Kathrine fühlte sich nach ihrer Art glücklich in diesem Walten, gewöhnte sich aber bald daran, alles nach ihrem Kopfe zu machen. Von Natur mit einer starken Dosis Eigensinn begabt, wurde sie durch die frühzeitige Emancipation von aller mütterlichen Aufsicht eingebildet und rechthaberisch, und nahm von keinem Menschen mehr Lehre an. Nur das, was sie that, war in ihren Augen gut und recht, alles Andere taugte wenig oder nichts. Kathrine bekrittelte jedes andern Arbeit, war nie zufrieden, und konnte, wenn sie auf Widerspruch stieß, den Eigensinn so weit treiben, eine bereits gethane Arbeit noch einmal vorzunehmen, nur um zu beweisen, daß sie selbst die Sache ganz anders angreife.

Ein Mädchen, das mit solcher Entschiedenheit ihre eigenen Vorzüge ins Licht zu stellen bemüht ist, kann nicht liebenswürdig sein. Kathrine gefiel denn auch niemand und dies nahm sie gewaltig übel, namentlich den Männern. Es fand sich wohl während ihrer ersten Jugendblüte einer oder der andere ein, und zeigte Neigung, das resolute Mädchen etwas genauer kennen zu lernen; ein wirklicher Verehrer der Eigensinnigen wollte aber nicht kommen. Kathrinens herrisches Auftreten, ihr hartes Commandiren, ihre lieblosen, völlig rücksichtslosen Urtheile über alle Menschen, die mit ihr in Berührung kamen, mußten abstoßen. Ohnehin war sie unschön durch die Pockennarben, die ihr ganzes Gesicht wie ein Netz überstrickten. Diese Entstellung hätte indeß doch wohl manchen nicht abgehalten, um Herz und Hand des sonst so braven Mädchens anzuhalten; denn ihr Gesicht hatte durch diese Pockennarben an Ausdruck eher gewonnen als verloren. Nur die Besorgniß, es möge mit einem Mädchen, das so grenzenlos eigensinnig und rechthaberisch sei und niemandes Gegenrede vertrage, sich schwer umgehen lassen, verscheuchte bald alle Freier von ihrer Thür.

Anfangs kränkte dies Kathrine, und wenn sie sich unbeobachtet wußte, vergoß sie wohl Thränen dieser Vernachlässigung wegen. Allein sie kam nicht zu der Einsicht, daß es großentheils an ihr selbst liegen möge, wenn die Männer gleichgültig an ihr vorübergingen. Sie konnte an und in sich keinen Fehler entdecken; denn sie meinte, jedes wahrhaft taugliche Mädchen müsse sich ein Beispiel an ihr nehmen, und so verhärtete sich Kathrine immer mehr in ihrem Eigensinn wie in ihren Ansichten, und trat unter immerwährendem Grollen und höhnischem Belächeln des Gebarens Jüngerer wie Aelterer in jenes bedenkliche Stadium des Lebens, wo Mädchen den Männern gleichgültig werden. Sie ward eine alte Jungfer.

Zu der Ueberzeugung gekommen, daß sie unverheirathet bleiben werde, tröstete sich Kathrine, ihren Charakter aber änderte sie nicht.

»Gott bewahre mich vor allen Männern,« pflegte sie in ihrer rücksichtslosen Weise zu sagen, »sie sind ja alle eklich! Der eine schnupft, der andere raucht, der trinkt und jener ist beim Essen nicht zu sättigen, und zuletzt wollen sie alle recht haben und verlangen von einem vernünftigen Frauenzimmer, es solle sich nach ihren Gewohnheiten, Liebhabereien und Rücken richten! Ich dank’ schön dafür! Für mich ist das nichts. Da lob’ ich mir’s Leben ohne solchen Klotz am Bein. Da bin ich mein eigener Herr und weiß, was ich thun und lassen kann!«

Nach diesen Grundsätzen handelte auch Kathrine. Sie richtete ihr Haus und ihre Wirthschaft ganz nach ihrem eigenen Gutdünken ein und befand sich dabei sehr wohl. Im stillen lachten viele darüber; weil es aber doch niemand etwas anging, wie Mademoiselle Frei in ihrem eigenen Hause schalte und walte, so begnügte man sich eben mit Glossen. Da verheirathete sich Andreas mit Cornelie Liebner!

Diese Heirath machte auf die eigensinnige Kathrine einen unbeschreiblichen Eindruck. Es schien ihr gar nie in den Sinn gekommen zu sein, daß ihr Bruder sich jemals verheirathen könne, und nun zeigte er ihr plötzlich seine Verlobung an! Kathrine war ganz verstört. Sie fühlte, daß mit diesem Schritte des Bruders die ganze Welt für sie eine andere werde, und sie hatte schwere Kämpfe zu bestehen, um sich in diese neue Welt zu finden.

Andreas war nämlich schon lange Zeit der einzige Mann, der als Mann Gnade vor Kathrinens Augen fand. Sie hing ihm mit schwesterlicher Zärtlichkeit an, machte aber auch kein Hehl daraus, daß, wäre Andreas nicht eben ihr Bruder, sie ihn am liebsten heirathen würde. Daß Kathrine so dachte und fühlte, war die natürliche Folge ihrer ganzen Weltanschauung. Andreas schnupfte und rauchte nicht; er pflegte mit andern seines Alters nicht zu schwelgen; er hielt sehr viel auf Reinlichkeit und sauberes Wesen, schonte seine Kleider, duldete es, daß die Schwester ihn gelegentlich auf einen Flecken daran aufmerksam machte, und ließ nie ein tadelndes Wort über ihre Hauseinrichtung und Haushaltung fallen. Und dieser einzige Bruder, dieser einzige Mann, vor dem sie Respect hatte, wollte heirathen! Er mußte ja nothwendig in sein Unglück hineinrennen! – Das leuchtete Kathrine so klar ein, daß es ihr Tag und Nacht die Ruhe raubte. Dennoch mußte sie das Entsetzliche geschehen lassen; denn der arme Andreas war bis über die Ohren in das rosige Gesichtchen, die schönen blauen Augen, die herrlichen Haare und die wunderbaren Talente seiner Cornelie verliebt!

Jedem andern Mann würde Kathrine ihre Meinung unumwunden gesagt haben, dem eigenen Bruder gegenüber aber, den sie so innig liebte, dessen Wohl ihr so sehr am Herzen lag, hüllte sie sich in unverbrüchliches Schweigen. Sie konnte es nicht über sich gewinnen, ihm wehe zu thun. Und damit Andreas nie ahne, wie sie über seinen thörichten Schritt denke, nahm sie sich vor, ihrer Schwägerin freundlich zu begegnen.

Cornelie war eine so anmuthige Erscheinung, daß Kathrinen ihr Vorhaben sehr erleichtert wurde. Das fröhliche, junge, lebenslustige Mädchen mußte jedermann für sich einnehmen, und sie begriff vollkommen, daß ihr Bruder davon bezaubert worden war. So vergab sie ihm denn auch den leichtsinnigen Schritt und wünschte nur, es möge, da nichts mehr zu ändern sei, alles zum Besten ausschlagen.

An diese Schwester, die seit dem kürzlich erfolgten Tode der Mutter sich in ihrer gänzlichen Zurückgezogenheit ohnehin langweilen mochte, wandte sich jetzt der Fürsten Statt aller Antwort traf Kathrine schon ein paar Tage später in dem alterthümlichen Forsthause ein, gratulirte dem Bruder zu seinem Entschlusse und trat noch selbigen Tags ihr neues Amt an.


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