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EINE MELDUNG UND EIN FUND.
Es war 10 Uhr Vormittags. In behaglichster Stimmung nahm der Stiftssyndikus Liebner Platz an dem gedeckten Frühstückstische, der heute Delicatessen aufzuweisen hatte, wie der alternde Feinschmecker sie besonders liebte. Mit wohlgefälligen Blicken musterte er die aufgetragenen Speisen, während er sich sorglich die weiße feine Damastserviette vorband. Gerade vor ihm auf geblümtem Porzellanteller aus der königlichen Fabrik zu Meißen lagen drei Schnitte warmen gerösteten Weißbrotes, daneben stand eine kleine Assiette mit perlgrauem, saftigem Caviar aus Astrachan und ein Teller mit frischester Butter. Rechts in vier silbernen Bechern lachten dem Genußmenschen ebenso viele halbweiche Eier verlockend an, und zur Linken in verdeckter Glockenschüssel duftete auf neusilbernem Wärmeteller ein gedünstetes Rebhuhn. Eine bereits entsiegelte Flasche Liebfrauenmilch und ein blaßgelbes Römerglas vollendeten die Ausrüstung des geschmackvoll arrangirten Frühstückstisches.
Jetzt schellte der Stiftssyndikus. Ein alter Diener trat ein und präsentirte seinem Herrn eine in drei Theile zerlegte kleine runde Zwiebel. Liebner nahm ein Stückchen dieses Knollengewächses, rieb es stark auf einer der gerösteten warmen Brotschnitte, legte dann dicke Butter und mit einem Elfenbeinspatel noch dickern Caviar auf und verzehrte dies so zubereitete Brötchen mit schmunzelndem Behagen. Der Stiftssyndikus behauptete, daß, wer einen wirklichen Hochgenuß vom Caviar haben wolle, ihn nur in angegebener Weise verspeisen müsse. Liebner betrieb das Essen wie eine Kunst. Er sprach es oft aus, daß er nur äußerst wenig Menschen kenne, die wirklich zu essen verstünden, und behauptete mit an Leidenschaftlichkeit streifender Wärme, nicht blos durch die göttliche Gabe des Verstandes unterscheide der Mensch sich vom Thiere, sondern auch die Befähigung, das ihm verliehene körperliche Gehäuse, welches dem Geiste zur Wohnung diene, mittels Speise und Trank würdig zu pflegen, trage wesentlich mit bei zu der Bevorzugung des Menschen vor allen andern lebenden Geschöpfen. Deshalb verlangte er, der Mensch von Bildung müsse essen, um zu genießen, nicht um dem Körper in grob materieller Weise blos eine bestimmte Quantität Nahrung zuzuführen. Eben deshalb hielt aber auch der Stiftssyndikus sehr viel auf eine gut und reichbesetzte Tafel, und es kam ihm nicht darauf an, zu diesem Behufe Summen auszugeben, die zu seinen Einnahmen in keinem rechten Verhältnisse standen.
Da Liebner meistentheils, wenn er nicht gerade eingeladen war, allein aß, und er speisend wirklich doppelt genoß, ließ er sich in dieser angenehmen Thätigkeit nicht gern stören. Jede Unterbrechung hinderte seiner Ansicht nach die Verdauung, mußte mithin auch der Gesundheit schädlich sein, und war daher womöglich zu vermeiden. Denn der erfahrene Mann, ein Freund und Verehrer der Alten, hielt auch an dem Grundsatze fest, daß nur in einem vollkommen gesunden Körper ein völlig gesunder Geist wohnen und schaffen könne.
Dieser alte, feingeschulte Epikuräer wollte eben das köstlich duftende gedünstete Rebhuhn mit Meisterhand zerlegen, als sich ein zwar schüchternes, aber doch vernehmbares Klopfen an der Thür hören ließ.
Liebner blickte auf und sein stets in Blüte stehendes Gesicht bedeckte sich mit lebhaftem Roth, während die genußseligen Augen sich so argwöhnisch auf die Thür hefteten, als wollten sie fragen: ist es denn wirklich möglich, daß es ein Sterblicher wagen kann, jetzt zu stören? Indeß wiederholte sich das Klopfen stärker und der Stiftssyndikus ließ ein gurgelndes: Herein! erschallen.
Langsam drehte sich die Thür in den Angeln, und der zaudernd über die Schwelle tretende alte Diener sagte in einem komisch entschuldigenden Tone:
»Hochedler Herr Syndikus, ’s ist wirklich einer da, der keine Zeit hat.«
Liebner arbeitete mit beiden Kinnladen.
»Mensch ... Unmensch!« rief er lebhaft fortkauend. »Hab’ ich denn Zeit? ... In einer Stunde!«
Er schenkte sich das Weinglas von neuem voll, hielt es gegen das Licht und schlürfte es dann mit prüfender Zunge zur Hälfte aus.
»In einer Stunde!« wiederholte er gelassen. »Dann tritt die Verdauung ein und ich habe die meiste Andacht, dem überflüssigen Geschwätz dummer Menschen geduldig zuzuhören.«
»Es ist der Klosterbauer in eigener Person,« sagte der Diener. »Er kommt aus dem Forste zurück und hat dort einen Todten gesehen.«
Der Stiftssyndikus fuhr sich mit Serviette über den Mund und schob den Teller zurück.
»Einen Todten?« wiederholte er. »Nun, wenn der Kerl todt ist, kommt’s ihm nicht darauf an, ein paar Stunden länger da liegen zu bleiben, wo er aufgehört hat zu leben. Ist’s ein fremder Strolch?«
»Der Klosterbauer meint, Sie kennten ihn ganz gut, und würden sich wundern. Der Mensch ist erschossen worden.«
Liebner schlürfte den Wein vollends aus, nahm die Serviette ab und legte sie auf den Tisch.
»Das ist ’was anderes,« sprach er, eine Amtsmiene annehmend. »Ein erschossener Mensch setzt immer einen andern voraus, der geschossen hat. Wir können also in dubio einen Mord annehmen, Mordthaten geben, wenn sie zur gerichtlichen Untersuchung kommen, interessante Rechtsfälle. Geh’! Der Klosterbauer soll eintreten!«
Der Diener entfernte sich, der Stiftssyndikus schenkte sich das Glas noch einmal voll, schlug die Beine übereinander und begann einen Zahnstocher geübt zu handhaben.
Der Klosterbauer trat ein und machte seine Meldung. Liebner hörte ruhig zu, bis er geendet hatte.
»Erschossen also?« sprach er. »Wirklich erschossen?«
»Mit einer Kugel, hochedler Herr Syndikus.«
»Todt? Mausetodt?«
»Er war steif und kalt, als ich seiner ansichtig ward.«»Kanntet Ihr den Menschen?«»So gut, daß ich mich freute, ihn nicht mehr lebendig vor mir zu sehen.«
»Büttner! Büttner!« sprach mit warnend erhobenem Finger der Stiftssyndikus. »Wenn das ein dritter hörte! Ins Teufels Küche könntet Ihr kommen! ... Man weiß ja, daß Ihr ein fixer Schütze seid und zweimal als König einzogt in Euern Hof.«
»Nichts für ungut, hochedler Herr Syndikus,« erwiderte der Klosterbauer, »das Wort ist mir nur so in Gedanken entfahren. Aber Sie selber werden mir beistimmen, wenn Sie den Todten sehen! ... Es ist der Kreuz-Matthes.«
»Verfluchter Kerl!« sagte der Stiftssyndikus mit lächelnder Miene. »Da hat die wilde Bestie sich ja den wohlverdienten Lohn selber geholt! ... Wäre er in seinem vergitterten Loche sitzen geblieben, lebte er noch, und wenn er mir ein gutes Wort gab, drehte und quirlte ich seine Schmiere so lange hin und her, daß ich ihn mit zwei Jahren Landesgefängniß durchbrachte, obwohl er den Galgen für seine Mausereien, die sich von Sakrilegien wenig unterscheiden, verdient hatte. Als Jurist und als sein Vertheidiger war ich dem Schelme das schuldig. Da er aber vorzog auszubrechen, und vermuthlich schon wieder krumme, verbrecherische Wege einschlug, ist ihm ganz recht geschehen. Schade, daß die Bestie jetzt doch noch halb und halb ein ehrliches Begräbniß bekommt! Wo liegt die Leiche?«
»Eine knappe halbe Stunde von der Grenze,« versetzte Büttner. »Es sieht bös’ aus im Walde. Sie müssen sich wacker gewürgt haben.«
»Wer denn, Büttner? Es kann doch kein Raubmord vorliegen? Der Kreuz-Matthes stahl ja eben, weil er arm war wie eine Kirchenmaus.«
»Kann’s nicht sagen, hochedler Herr Syndikus,« erwiderte der Klosterbauer, »obwohl ich meine eigenen Gedanken habe. Wenn Sie ’nauskommen, werden Sie schon wissen, was zu thun ist. Ich denk’ aber, unsere Gedanken werden sich dann begegnen.«
»Ihr habt Verdacht auf jemand?« forschte der Stiftssyndikus.
»Verdacht? O nein. Ich meine blos ’s wäre wohl gut, wenn man den Todten nicht gar zu lange draußen liegen ließe. Das Wetter ist schlecht, und wenn’s noch ein paar Stunden so fortregnet, wird von den Spuren, die man heute Morgen sah, nicht mehr viel übrig sein.«
Der Stiftssyndikus mußte dem Klosterbauer recht geben, und obwohl es ihm durchaus nicht genehm war, bei so schlechtem Wetter ein paar Stunden weit zu fahren, um die Leiche eines anerkannten Diebes aufzuheben, der sich erst vor wenigen Tagen wieder gewaltsam der Haft entzogen hatte, wo er einer längern Freiheitsstrafe entgegenharrte, gebot ihm doch die Amtspflicht, sich möglichst bald nach dem Schauplatze der That zu begeben. Er befahl deshalb dem Klosterbauer zu bleiben, ließ durch den Amtsboten den Actuar des Stifts so wie den Stiftsarzt zu sich entbieten, und brach, von diesen begleitet, mittags 12 Uhr nach dem Forste auf.
Die Leiche des frühern Wilderers, unter dem Namen Kreuz-Matthes vom Volke ebenso sehr gefürchtet als vor Gericht bekannt, lag in der Nähe eines Kreuzwegs. Ueber seine Todesart konnten keine Zweifel aufsteigen. Eine Kugel hatte ihn niedergestreckt. Die Wunde befand sich an der linken Seite, und nach genauer Besichtigung derselben erklärte der Stiftsarzt, sie habe Herz und Lungen durchbohrt. Der Schuß mußte mehr von hinten abgefeuert worden sein, sodaß anzunehmen war, man habe es wirklich mit einem Meuchelmorde zu thun. Rund um den Ort der That waren eine Menge Fußtapfen zu bemerken, die von vielen Personen herrührten. Weil aber an dem Kreuzwege die vielbetretenen Pfade aus zweier Herren Ländern zusammenliefen, so konnte sich nicht mit Bestimmtheit ermitteln lassen, welche von diesen vielen Spuren ältern und welche neuern Datums waren. Neben Abdrücken großer Männerfüße sah man auch Frauenfußtapfen und zwar konnte man von letztern besonders die von zwei Frauen deutlich erkennen. Dem Stiftssyndikus fiel es am meisten auf, daß gerade diese Spuren von feiner gearbeitetem Schuhwerk herzurühren schienen.
Etwa zwanzig Schritte von der Leiche entfernt hing in den Aesten zwischen zwei jungen Tannen eine Heherfeder. Es war hier offenbar irgendjemand in der Eile durchgebrochen, denn einige Zweige waren geknickt, und der Bruch derselben konnte erst vor kurzem erfolgt sein. Auch im Unterholz entdeckte man dieselben Spuren gewaltsamen Durchbruchs. Ferner fand man hier einen Kugelbeutel, wie ihn Jäger zu führen pflegen. Der Stiftssyndikus wußte sogleich, wessen Eigenthum dieser Kugelbeutel sei, und diese Entdeckung machte ihn erbeben. Sein Blick begegnete dem Auge des Klosterbauers, der nickend die trockenen Worte hinwarf.
»Ich wußt’ es, hochedler Herr Syndikus, daß unsere Gedanken sich begegnen würden. Es wäre schrecklich, wenn sich’s so verhielte!«
Liebner schwieg, reichte Kugelbeutel und Heherfeder dem Actuarius, ertheilte Befehl den Leichnam aufzuheben und ins Stift zu transportiren, und bestieg dann mit Actuarius und Arzt seinen Wagen wieder. Dem Kutscher befahl er, zuerst in die nur eine gute Stunde entfernte Försterei zu fahren, um daselbst etwas auszuruhen.