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BARON UND FÖRSTER.
Als Förster Frei am andern Morgen spät erwachte, fand er auf seinem Tische im Wohnzimmer das von Hildegarde herrührende Heft mit den Papierstreifen, welche die Einsamkeitsgedanken seiner Tochter enthielten. Kathrine diesen Weg, ihrem Bruder die gemachte Entdeckung mitzutheilen, für den besten. Es war dann keine weitläufige Einleitung nöthig und auch eine Diskussion ließ sich umgehen. Der Inhalt der beschriebenen Blätter sprach für sich selbst, und wenn Andreas nicht ganz stumpf geworden war und Hildegardens Zukunft ihm nur einigermaßen noch am Herzen lag, mußte er nach der Lectüre dieser Herzensergüsse einen Entschluß fassen. Daß der Förster aber dann ihre Meinungsäußerung einholen werde, glaubte Kathrine mit Sicherheit annehmen zu dürfen.
Letzteres wäre auch jedenfalls geschehen, hätte Andreas Zeit gefunden, lange genug mit sich selbst zu Rathe zu gehen. Er war noch mit dem Lesen der Expectorationen seiner verschwundenen Tochter beschäftigt, als er die Stimme des Barons von Kaltenstein vernahm. Sie klang rauh und barsch, wie er sie kaum je vernommen hatte, und was ihm noch mehr auffiel, der Baron duldete nicht einmal eine Erwiderung Kathrinens.
»Was melden!« schrie er überlaut. »Frei ist mein Förster, und wenn ich mit ihm zu sprechen habe, braucht’s keiner Faxen! Mache Sie mir Platz, und schweig’ Sie still!«
Beunruhigt legte Andreas die Blätter aus der Hand, um dem offenbar sehr verstimmten Baron entgegenzugehen und durch freundliche Begrüßung womöglich zu erheitern.
»Welchem glücklichen Zufalle habe ich so früh diese unverdiente Ehre zu verdanken?« sagte er, dem Edelmann die Hand vertraulich zum Gruße reichend.
»Verfluchtes Glück!« rief dieser. »Ich muß dem Teufel selber auf die Klauen getreten haben, daß er mir dies Unglück ins Haus schickt!«
»Unglück?« sagte der Förster. »Was ist denn vorgefallen?«
»Steigen Sie in die Stiefeln, Frei, ziehen Sie Ihren Pelzrock an und nehmen Sie statt der Büchse wie ich einen derben Stecken in die Hand! Sie müssen einen Spaziergang mit mir machen!«
»Darf ich Ihnen keinen Imbiß, kein Glas Wein anbieten, gnädiger Herr Baron?«
»Wein? Ich wollte, Noah hätte ’was Besseres gethan, als Weinstöcke zu pflanzen und sich an ihren Früchten zum Gespött der eigenen Kinder zu berauschen! ... Haben Sie nicht genug von gestern Abend?«
Bei diesen Worten verfärbte sich der Baron, und indem er dumpf wiederholte: »Von gestern Abend!« stützte er seine kräftige Gestalt auf die Kante des Gewehrschranks.
Andreas war inzwischen der Aufforderung des Barons schon nachgekommen, nur Hut und Stock fehlten noch zu seiner vollen Ausrüstung. Er griff jetzt nach beiden, die düstern Augen forschend auf den Edelmann richtend.
»Wenn Sie befehlen,« sprach er, »ich bin bereit, wie Sie sehen.«
»Dann nur vorwärts!« rief der Baron. »Halten Sie mir aber Ihren Drachen vom Leibe, darum bitt’ ich, denn ich kann nicht dafür einstehen, daß, fiele er mich zum zweiten mal an, ich mich männlich fassen würde. Die alte verfitzte Person hat eine wahre Wuth, andern Leuten Rath zu ertheilen und nach ihrer eigenen verrückten Meinung die Wahrheit zu sagen. Diese zu hören, bin ich heute noch weniger aufgelegt als an andern Tagen.«
Andreas gab durch Augenwinken seine Beistimmung zu erkennen und lud gleichzeitig den Baron zum Aufbruche ein.
Kathrine hatte ohne Zweifel gehorcht, denn sie glitt beim Auftritt des Edelmanns aus dem Zimmer des Försters in die Küchenthür und hob am Spalt derselben drohend die grimmig geballte Faust gegen diesen. Dem Baron offen gegenüberzutreten hatte sie doch nicht den Muth, dafür wünschte sie ihm alles erdenkliche Böse und zwar mehr deshalb, weil er ihr den Bruder schon wieder entführte, als weil er sich rüde Aeußerungen, die nur ihr gelten konnten, erlaubte.
Das Wetter hatte sich gegen Morgen geändert. Die Luft war still geworden, ein nebeliger Himmel verhüllte die Bergkämme im Süden, und am untern Rande der Waldungen lag ein schwerer dunkelfarbiger Dunst, das sichere Zeichen nahen Thauwetters.
Auch war der Wind nach Westen umgelaufen, und der in großen Massen aufgehäufte Schnee begann bereits zu nässen.
Baron von Kaltenstein schlug den geradesten Weg nach dem Stiftswalde ein. Um gebahnte Pfade bekümmerte er sich dabei wenig. Seine bis an die Schenkel reichenden trefflichen Jagdstiefeln aus echtem Juften trugen ihn leicht durch dick und dünn.
Solange beide Männer in der freien Ebene nebeneinander fortschritten, wobei der Baron mit Absicht den Anblick seines Schlosses zu vermeiden schien, sprach keiner ein Wort. Erst als sie den Wald erreichten, schien Baron von Kaltenstein sich leichter zu fühlen. Er blieb stehen und reichte seinem Begleiter die Hand.
»Darf ich Sie für meinen Freund halten, Frei?« sagte er in mildem, fast weichem Tone.
»Es bedarf meinerseits auf diese Frage keiner Antwort,« versetzte Andreas. »Wäre ich es nicht so hätte ich Sie längst schon in einen schlimmen Proceß verwickeln können ... Der Stiftssyndikus, mein Vetter, singt mich immer von neuem dazu auf, und ich weiß in der That nicht, ob ich recht daran thue, daß ich über die Dankbarkeit und Freundschaft mein eigenes Fleisch und Blut vernachlässige.«
Der Baron holte tief Athem und zog den Förster mit sich in den Wald hinein.
»Können Sie schweigen, Frei, schweigen wie das Grab?« fragte er gepreßt.
»Man hat mich immer wortkarg gescholten,« antwortete Andreas.
»Schwören Sie mir’s bei Ihrer Seelen Seligkeit, beim Andenken Ihrer verstorbenen Frau!«
»Was hat die arme Seele dabei zu thun?« erwiderte Frei, einen Augenblick seine Schritte hemmend.
»Wenn Sie ihr Andenken heilig halten, wenn Sie glauben, daß sie, die ein gutes Herz besaß, immer nur Ihr Bestes wollte und daß sie drüben im Jenseits nicht unter die verirrten Seelen gehört, schwören Sie, daß Sie von dem, was ich Ihnen jetzt eröffnen will, keinem dritten auch nur eine Silbe verrathen wollen!«
Andreas besann sich eine Weile, dann hob er rasch die Rechte empor und sagte mit düsterer Feierlichkeit:
»Ich schwöre, über alles, was ich von Ihnen erfahren werde, zu schweigen wie das Grab!«
Wieder schritten der Baron und der Förster geraume Zeit nebeneinander fort. Der Wald ward dichter, der Weg fast ungangbar. Es war nicht wahrscheinlich, daß irgendjemand in dem massenhaft zusammengetriebenen Schnee, der infolge der mildern Luft sich ballte, den einsam Wandelnden begegnen werde. So vor jedem Lauscher gesichert, begann der Baron seine Mittheilungen.
»Gestern Abend – Sie konnten noch keine drei Feldlängen Wegs von Kaltenstein entfernt sein – bin ich durch einen Besuch sehr unerwartet überrascht worden. Sie wissen, daß Adolar in der letzten Zeit ungewöhnlich viel Geld brauchte ... Ich habe ihm darüber Vorwürfe gemacht ... Jetzt kenne ich die Veranlassung seiner entsetzlichen Verschwendung.«
»Jugendverirrungen, ich kann es mir denken,« warf Andreas ein. »Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm ... «
»Meinen Sie, Frei?« unterbrach ihn der Baron mit bösem Augenfunkeln.
»Es wäre noch immer eine Fatalität, die sich ertragen und nöthigenfalls abmachen ließe.«
»Sie irren – es ist anders, und viel, viel schlimmer!«
»Also kein weiblicher Besuch hat Sie incommodirt?«
»Adolar ist in Begleitung ... auf ... Kaltenstein angelangt,« sprach der Baron stotternd, indem der Angstschweiß ihm aus allen Poren drang. »Ich war erzürnt ... es fielen bittere, harte Worte ... und endlich ... hörten Sie nichts, Frei?«
Der Baron blieb stehen und lehnte sich, Athem schöpfend, an eine Fichte. Krächzend flog eine Krähe mit trägem Flügelschlage aus dem Wipfel des schlanken Riesenbaums auf.
»Der Wind pfiff und heulte über das Feld, und von Ihrem alten Rüdesheimer hatte ich Ohrenbrausen bekommen,« versetzte der Förster.
»Meine Frau, die Freundin Ihrer verstorbenen Cornelie,« fuhr der Baron fort, »Sie wissen, daß sie mich nicht liebt ... Es war die größte Thorheit meines an Thorheiten so reichen Lebens, daß ein Augenblick unseliger Aufregung mich ihr für immer verband!«
»Heirathen ist gut, nicht heirathen ist besser, heißt’s irgendwo in der Heiligen Schrift,« sprach Andreas, »aber wir sind ja immer klüger als alle Propheten und Apostel.«
Der Baron richtete sich wieder stramm auf und erfaßte den Arm seines Begleiters.
»Frei,« sagte er, diesen mit sich fortziehend, »mein Weib ist der Fluch meines Lebens! ... Nicht ein Engel des Himmels, ein Sendling der Hölle hat sie mir in die Arme gelegt! ... Ihr Bruder ... o, es ist eine Geschichte, um den Verstand darüber zu verlieren! ... «
»Ich wußte nicht, daß der Frau Baronin noch Angehörige leben,« warf der Förster ein.
»Dieser Bruder ... dieser verworfene Spieler, auf dessen Rath ich Clotilde gewann, wie man eine Hand voll Gold gewinnt ... «
»Sie phantasiren, Herr Baron!«
»Dieser heimtückische, gewissenlose Sandomir, ein Taugenichts, ein Verschwender, ein Mensch ohne Herz, ohne Glauben, ohne Gott, aber verschmitzt und berechnend wie Satan, hat Adolar das Geheimniß seiner Geburt verrathen! ... «
Jede Fiber des Barons zitterte, während das Weiße seiner Augen sich vor Wuth röthete. Andreas drückte ihm theilnehmend die Hand.
»Fassung, Herr Baron,« sagte er besänftigend. »Wir thun immer das Verkehrte, wenn wir in der Aufregung, im Zorn einen Entschluß fassen oder gar zur Ausführung bringen.«
»Sie überfielen mich wie Räuber,« fuhr der Edelmann fort, »sie setzten mir die Pistole auf die Brust! ... Ich mußte mich vertheidigen ... «
»Gerechter Gott, Herr Baron!« rief der Förster erbleichend.
»Ja, Frei, es ist ein entsetzliches Unglück,« sprach der Herr von Kaltenstein matter und immer nur in abgebrochenen Sätzen. »Aber, ich kann es beschwören, sie zwangen mir die Waffe ab! ... Und wir hatten stark pokulirt, Frei! ... Der Kopf war mir nicht ganz klar, es schwamm mir vor den Augen! ... Rothe Lichter zuckten und tanzten in der Halle, als Adolar die Mündung des Pistols auf mich richtete ... und der Hahn knackte ... «
»Der Sohn legte an auf den Vater? ... Bester Baron, sagen Sie Nein! Es hat Ihnen nur geträumt ... Sie haben sich geirrt ... Es fiel kein Schuß!«
Baron von Kaltenstein lehnte sich schwer auf den Arm des erschreckten Försters.
»Meine Hand zitterte ... vor meinen Augen flirrten alle Gegenstände durcheinander ... und als mein Finger sich krümmte und zwei Schüsse die Halle erdröhnen machten, brach der schreckliche Mensch zusammen!«
»Ihr Sohn? O unglückseliger Mann!«
»Der Bruder ... Meiner Frau!« lallte kaum hörbar der Baron.
Andreas athmete wieder auf.
»Gottlob!« rief er aus. »Ist er todt?«
Der Baron schüttelte den Kopf.
»Die Pistolen waren mit ... Freikugeln geladen,« versetzte er. »Ich habe ihm die Schulter durchbohrt ... der gräßliche Mensch ist nicht zu vertilgen!«
Beide Männer hatten jetzt den freien Platz erreicht, wo am Kreuzwege das eingesunkene Steinkreuz, unterm Schnee begraben, einen unförmlichen Hügel bildete. An der andern Seite des Waldes schimmerte durch die undicht stehenden Fichtenstämme das Crucifix.
Im Geiste des Försters tauchte die Erinnerung an die Schreckensnacht auf, die ihn gerade an diesem Orte zum Zeugen eines Mordes gemacht hatte, der noch immer in den Schleier des Geheimnisses gehüllt war.
»Es scheint,« sagte er, der trüben Vergangenheit gedenkend, »als könne der Kugelsegen nur Unheil stiften. Warum haben Sie die verwünschten Dinger, die mir so schwere Trübsal bereiteten, nicht längst in den ersten besten Sumpf geworfen?«
Der Baron gab auf diese Frage keine Antwort. Er stand, auf seinen Stock gestützt, neben dem Förster und heftete seine finstern Blicke unverwandt auf das Crucifix. Nach längerer Pause murmelte er vor sich hin:
»Es wäre wohl alles nicht geschehen, ohne die Freikugeln!«
Dann richtete er sich wie erschrocken wieder auf, erfaßte den Arm des Försters aufs neue und schlug den Weg nach der Grenze ein.
»Frei,« fuhr er gefaßter fort, und in den harten Zügen seines Gesichts lag der Ausdruck einer ungewöhnlichen Energie. »Sie müssen mir beistehen, die Geschichte der vergangenen Nacht vertuschen zu helfen. Es weiß außer meinem Leibjäger und dem Bedienten niemand um das Vorgefallene. Beide sind mir ergeben, denn ich habe mich mehr als einmal für sie verwandt. Sie werden schweigen, ich weiß es, aber die Störer meines Hausfriedens müssen entfernt werden.«
»Ich wüßte nicht, was ich dabei thun könnte, Herr Baron,« meinte Andreas.
»Zuvörderst nehmen Sie sich des verwilderten Jungen, des Adolar an,« sagte dieser. »Ihn reut sein rasches Handeln, über das er sich gewiß jetzt schon Vorwürfe macht. Aber ich mag den hochfahrenden Burschen nicht um mich haben, weil ich für mich selbst nicht einstehen kann, wenn es ihm in den Sinn kommen sollte, mich noch einmal zur Rede setzen zu wollen. Zu Ihnen hat Adolar von jeher Vertrauen gehabt; er ging stets gern bei Ihnen ein und aus. Holen Sie ihn ab, suchen Sie ihn zu zerstreuen! Er darf um keinen Preis der Welt mit seiner Mutter zusammenkommen!«
Andreas schritt nachdenklich neben dem Edelmann fort.
»Und was soll mit dem Bruder der Frau Baronin geschehen?« fragte er. »Ist er von geschickter Hand verbunden? Schwebt sein Leben nicht vielleicht doch in Gefahr, wenn man ihn nicht mit Sorgfalt pflegt, ihn aufmerksam behandelt?«
»Er ist verbunden,« erwiderte Baron von Kaltenstein, »wenn nicht von geschickten, so doch von weichen Händen. Diese Hände werden den Unverbesserlichen auch pflegen, vielleicht besser, als es ihm gut ist.«
»Die Frau Baronin wird durch solche Theilnahme an dem Schicksal des verwahrlosten Bruders früher begangenes Unrecht sühnen.«
»Ich bedauere, daß ich die gute Meinung, die Sie von Clotilde haben, zerstören muß,« versetzte der Baron. »Meine Frau darf den Elenden nicht sehen, sonst dringt mir das Gericht schon nächster Tage ins Schloß. Und damit dies verhindert werde, sollen Sie mich unterstützen. Die Pflegerin des Verwundeten ist seine Tochter, ein hübsches Ding, aber eine wilde Hummel, deren liederliche runde Augen Adolar wohl den Kopf verdreht und das Blut in Wallung gebracht haben mögen. Die ganze Sippschaft muß fort, und zwar heute lieber als morgen.«
»Wenn ich auch einen sichern Zufluchtsort wüßte, was nicht der Fall ist,« sagte Andreas, »könnte ich mit gutem Gewissen zur Transportation eines Schwerverwundeten rathen, der nicht einmal kunstgerecht verbunden zu sein scheint?«
»Man wird Sie der etwaigen Folgen wegen nicht incommodiren, Frei,« gab auf diesen Einwand der Baron zur Antwort. »Uebrigens brauchen Sie durchaus nicht ängstlich zu sein. Der Bruder meiner Frau hat große Aehnlichkeit mit den Katzen. Er ist nicht umzubringen, und schösse man drei Kugeln auf einmal auf ihn ab.
Wenn er wirklich an der Wunde stirbt, die ich ihm gezwungen und wahrhaftig ganz wider Willen beigebracht habe, so baue ich dem heiligen Hubertus oben am Crucifix eine Kapelle!«
Der Baron hatte seine ganze Kaltblütigkeit wiedererlangt. Er schien mit sich und seinem Wollen einig geworden zu sein.
»Könnten der gnädige Herr mir vielleicht durch Andeutungen zu Hülfe kommen?« sagte nach kurzem Schweigen der Förster. »Ich gestehe offen meine völlige Rathlosigkeit.«
»Ihr Herr Cousin, der Stiftssyndikus, ist in vorliegendem Falle unser Mann,« versetzte der Baron. »Daß er Sie schätzt, hat er bewiesen, denn ohne seine Bemühungen, wer weiß, welches Ende der Ausgang der Untersuchung in Bezug auf den Tod des Kreuz-Matthes genommen hätte. Außer seinen juristischen Kenntnissen aber gilt er auch allgemein für einen tractablen Charakter. Man muß diesen gescheidten alten Schneesieber geschickt bearbeiten, man muß ihn zu Thränen rühren und in der Rührung sich seiner Hülfe versichern.«
Der Förster bewegte beistimmend das Haupt.
»Möglich, daß dies ein Ausweg wäre, der sich einschlagen ließe,« gab er zur Antwort. »Ist es aber Ihr Ernst, Herr Baron, daß ich ihn betreten soll, so müssen Sie mir versprechen, erkenntlich zu sein.«
»Sie dürfen fordern, was Sie wollen,« sprach der Baron, »ich gewähre alles, nur Kaltenstein nebst Zubehör gebe ich Ihnen nicht!«
»Besiegeln Sie Ihr Versprechen durch Handschlag?«
»Drei- und mehrmals, wenn Sie wollen! Nur heraus mit der Sprache!«
»Zeigen Sie mir an, wo meine Tochter weilt,« sagte Andreas Frei, seine Augen verlangend auf den Edelmann richtend. »In dem Augenblicke, wo die gnädige Frau Baronin mir den Versteck meines Kindes nennt, werde ich mit Genehmigung des Stiftssyndikus Schloß Kaltenstein von den unwillkommenen Gästen befreien helfen.«
Das Gesicht des Barons erheiterte sich auffallend.
»Beim Himmel, Frei!« rief er aus, dem Förster kräftig auf die Schulter schlagend, »der Gedanke ist so gescheidt, daß ich Sie darum beneiden könnte! Fast möcht’ ich jetzt dem ungestümen Akademiker, der wie ein gefesselter Tiger zähneknirschend in Kaltenstein umhertrottet, die Hand zur Versöhnung bieten, obwohl es richtiger wäre, ihn eine Zeit lang auf Reisen zu schicken! Clotilde wird sich um diesen Preis zu einer Beichte verstehen. Hier nochmals meine Hand. Ich halte mein Versprechen und noch heute will ich die sehr Niedergeschlagene durch zarte Andeutungen vorzubereiten suchen. Verlieren nur Sie ebenfalls keine Zeit! Dem Stiftssyndikus gegenüber erlaube ich Ihnen offen zu sein, soweit es der Anstand gestattet. Der kluge Herr hat zu bestimmen, an welchem Tage er bei mir speisen will.«
Förster Frei war mit dieser Wendung, die er kaum erwartet hatte, sehr zufrieden. Er zog, während sie auf Waldwegen wieder rückwärts gingen, noch einige Erkundigungen über die Verhältnisse des Verwundeten und dessen Tochter Zerline ein, und Baron von Kaltenstein ließ den vertrauten Förster Blicke in sein vergangenes Leben thun, die mehr als alles bisher Erfahrene geeignet waren diesen nachdenklich zu stimmen. Blieb Andreas auch noch gar vieles verhüllt, so leuchtete ihm doch immer mehr ein, daß der Freundschaftsbund Clotildens von Kaltenstein mit Cornelie das Werk eines kalt berechnenden Verstandes, nicht der gebieterische Drang eines reinen und edeln Herzens gewesen war. So tief ihn auch die heimliche Entfernung seiner Tochter geschmerzt hatte, er hielt diese jetzt doch für eine Schicksalsfügung, die er preisen müsse. Denn auf welche gefährliche Pfade hätte die arglose, lebenslustige, sinnlich so leicht erregbare und auf ihr Wissen stolze Hildegarde verleitet werden müssen, wäre es Clotilde gelungen, sie ganz an sich zu fesseln!
Es war beinahe Mittag, als die beiden Männer ziemlich ermüdet am Thor von Kaltenstein sich verabschiedeten, um, jeder in seiner Weise, die Erreichung verschiedener, gleich wichtiger Ziele still und klug vorzubereiten.