Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

ACHTES KAPITEL.

TOD DES RITTERS VON DER DUB.

Als die Schritte der Fortgehenden in der Ferne verhallten, trat Joseph am Ort aus seinem von der Noth ihm angewiesenen Versteck. Er sah bleich und verstört aus, als habe eine unerklärliche Erscheinung sein ganzes Nervensystem erschüttert. Einigemal noch blickte er den bereits Verschwundenen nach, dann ging er auf demselben Pfade wieder zurück, den er vor anderthalb Stunden gewandelt war.

Joseph am Ort schwankte wie ein Nachtwandler zwischen den verkrüppelten phantastisch gestalteten Weidenbäumen fort, deren faulendes Holz in der Dunkelheit gespenstisch leuchtete. Die stille warme Nachtluft erglänzte häufig von Leuchtkäfern, aber der Inspector achtete nicht auf die flimmernden Insekten, an denen doch sonst sein Auge sich so gern ergötzte.

Das furchtbare Doppelgeheimniß, dessen Mitwisser er willenlos geworden, lastete schwer auf seiner Seele. Sollte er Anzeige von den Vergehen machen, die sich mit voller Ueberlegung der Herr von Kaltenstein und Nicanor im Winkel hatten zu Schulden kommen lassen? Aber er besaß ja keinen Beweis, um seine Aussage erhärten zu können! ... Und dennoch, wenn er schwieg, welch neues Unheil, welche neue grausige That konnte die nächste Folge seines Schweigens sein!

Die Glocke auf der Spiegelfabrik, welche die zehnte Abendstunde schlug, unterbrach seinen quälerischen Gedankengang. Vor ihm lag der weitläufige Schloßbau mit seinen vorspringenden Erkern und den hohen, finstern, jetzt von keinem einzigen Licht erhellten Fenstern. Dieses Schloß hatte auch eine Geschichte, die niemand genau kannte, und wenn die Steine hätten sprechen können, wer weiß, ob sie nicht noch viel Grausigeres ihm zugeraunt haben würden, als was er aus dem Munde Nicanor’s, aus den nur in abgebrochene Sätze sich fassenden Bemerkungen des Barons von Kaltenstein eben vernommen hatte.

Je mehr der Inspector sich dem Schlosse näherte, desto unheimlicher fühlte er sich. Er stand an, es zu betreten, und doch war er dazu genöthigt, da er Briefe auf seinem Zimmer finden konnte, die abends zwischen acht und neun Uhr von dem Landbriefboten gewöhnlich für ihn abgegeben wurden. Im Herzen wünschte Joseph am Ort irgend etwas, das ihn zerstreuen möchte, vorzufinden. Auch sah er schon lange Nachrichten von Hammerburg entgegen, deren Ausbleiben er sich gar nicht zu deuten wußte.

In der Absicht, das Schloß wieder zu verlassen, falls ihn nichts Dringliches darin festhalten würde, schritt er der großen Pforte zu. Er nahm sich vor, Doctor Armhalter zu besuchen und, sollte dieser nicht zu sprechen sein, nach der Fabrik zu gehen. Die Nacht allein, wahrscheinlich schlaflos zubringen zu müssen, war ihm ein entsetzlicher Gedanke.

Wider Erwarten war die Pforte noch nicht geschlossen. Joseph am Ort that dies jetzt mit eigener Hand, weil es Brauch war, den Eingang zum Schlosse nicht länger offen stehen zu lassen. Ehe er noch damit zu Stande kam, vernahm er die schlürfenden Schritte des alten Ritters, der den Kommenden bereits gehört hatte und als wachsamer Castellan seine Pflicht thun wollte. Schon an dem Athmen Joseph’s erkannte der Blinde den Inspector. Er blieb an der Ecke des breiten Corridors stehen, welcher die Einfahrt ins Schloß kreuzte, und nannte Joseph’s Namen.

»Ihnen ist nicht wohl, Herr am Ort,« sprach er, als dieser dem Ritter die Hand gereicht hatte. »Sie zittern, der Puls schlägt rasch und hart, und das Innere Ihrer Hand ist feucht und kalt. Sie haben sich erschrocken!«

Die glanzlosen großen Augen des Ritters von der Dub ruhten theilnehmend auf den bekümmerten Zügen des Inspectors, der in Ausflüchten wenig geübt, um eine Antwort, welche den Greis beruhigen konnte, in arge Verlegenheit gerieth. Er schwieg, gerade dies Schweigen aber bestärkte den Ritter in seiner Annahme. Die Hand seines Mitbewohners fester umfassend, zog er ihn mit sich fort, indem er sagte:

»Vor mir brauchen Sie nichts, was Sie drückt oder ängstigt, geheim zu halten. Ich bin ein Schmerzgeweihter! Haben Sie vergessen, was ich Ihnen anvertraute?« fuhr er lebhafter fort, und in seinen erloschenen Augen blitzte es auf, wie blasser Irrlichtschein. »Es weiß keiner um dies mein tiefes Herzensweh, als nur Sie! Ihre Stimme sagt mir, daß Sie mich verstehen! Sie ist den längst verklungenen seelenvollen Lauten meiner unvergeßlichen Berenice ähnlich.«

Dieser Name fuhr wie ein Blitzstrahl durch Joseph’s Seele. Jetzt oder nie war der Augenblick gekommen, welcher den alten Ritter zu nochmaligem Sprechen bewegen konnte. Noch klang der Name Geldern im Ohr des beunruhigten Inspectors. Einem Mann, der diesen unglücklichen Namen führte, hatte der Mordanschlag gegolten, welcher ein anderes verbrecherisches Mitglied der menschlichen Gesellschaft fast vor seinen Augen aus den Reihen der Lebenden fortraffte. Wenn die Eröffnungen in Schloß Hammerburg, wenn die Entdeckungen, die man dort im Ahnensaale gemacht hatte, nicht bloße Vorspiegelungen waren, so mußte Joseph am Ort annehmen, auch dieser dem Tode geweihte Geldern gehöre den Nachkommen des Geschlechts der Ludomirsky an, dessen Name allein noch in dem Abbé Kasimir fortlebte. Joseph am Ort sah ein, daß im glücklichen Falle eine vertrauensvolle Eröffnung des Ritters von der Dub ihm wie andern mehr nutzen könne, als wenn er offen oder geheim die finstern Plane des Barons und Nicanor’s im Winkel zu hintertreiben suche. Ohnehin war ein solches Unternehmen ebenso schwierig als gefahrvoll. Es raubte Zeit, mußte ihn in eine Menge Unannehmlichkeiten verwickeln, ja selbst ein Criminalproceß winkte drohend im Hintergrunde. Diese peinvolle Lage schnell überdenkend und, sich des Versprechens lebhaft wieder erinnernd, mit dem er sich den Bewohnern von Hammerburg empfohlen hatte, beschloß er, die weiche Stimmung des Ritters von der Dub zu benutzen und ihn noch einmal zu Mittheilungen aus den Tagen zu veranlassen, die dem hinfälligen blinden Greise noch jetzt als das irdische Paradies vorschwebten, aus dem ein feindlicher Dämon ihn verjagte.

»Ist das kein Irrthum, Herr Ritter?« sagte Joseph am Ort, dem Greise den schweren Leuchter abnehmend, auf dem eine sehr schief gebrannte Wachskerze unruhig flackerte. »Täuscht Sie nicht vielleicht nur die Sehnsucht nach der Verschollenen, die in Ihrem Ohre schlummert?«

»Ich täusche mich nie,« versetzte der Ritter.

»Nun, wenn Sie dessen so gewiß sind, dann möchte ich Ihnen wohl eine Bitte ans Herz legen.«

»Sie dürfen es getrost thun, Herr am Ort. Steht die Erfüllung derselben in meinen Kräften, so ist sie schon erfüllt.«

»Wen man im Sprechen ähneln soll, den wünscht man auch mit Augen zu sehen. Sie besitzen ein Porträt Ihrer schönen Verlobten ... «

»Still! Kein Wort mehr!« fiel Ritter von der Dub ein. »Sie kennen die Geschichte meines Unglücks, Sie sollen auch eine Ahnung von dem Glücke genießen, das ich jubelnd schlürfte, als Berenice ihre Liebe zu mir mit dem ersten seligen Kusse besiegelte! ... Kommen Sie, aber treten Sie etwas leiser auf. Die bösen Geister, die allen harmlosen Seelen auflauern und ihnen überall Fallstricke legen, sind auch auf die Seligkeit, die sich in dem lustigen Bett der Erinnerung schaukelt, neidisch ... Man muß sie täuschen und einschläfern.«

»Wohin wollen Sie mich führen?« fragte Joseph am Ort, als der Ritter einen Weg einschlug, den er schon kannte und den er nicht gern wandelte.

»In das Zimmer, wo ihr Geist weilt und wo ich noch immer ihren Athem fühle.«

»Man wird uns auf den steinernen Treppen hören!«

»Gerade dann stört uns niemand. Es sind die Geister, die hier umgehen. Für sie wird man uns halten. Kommen Sie!«

Joseph am Ort schritt erwartungsvoll neben dem Greise fort, der ganz jugendlich, die eingefallenen gnomenähnlichen Züge von Freude beglänzt, die schmale, steile Wendeltreppe zu dem bekannten Erkerzimmer erstieg.

Mit einer gewissen Feierlichkeit, wie im vorigen Jahre, öffnete Ritter von der Dub die schweren Eichenthüren, und nicht ohne leises Schaudergefühl trat Joseph am Ort in das seit jenem Tage wahrscheinlich nicht mehr gelüftete Gemach. Die Luft war schwül, dunstig und unbehaglich. Ein ganzer Schwarm von Motten flog auf und umgaukelte die Flamme des Lichts. Staub wirbelte, vom Luftzuge, den das Oeffnen der Thür verursachte, in Bewegung gesetzt, gleich weißlichem Rauche zur hohen, mit reichem Stuck verzierten Decke empor.

Kein Stuhl war verrückt, kein Fäschen in eine andere Lage gebracht. Auf dem Tische stand noch die Flasche mit dem ausgetrockneten Weinreste, neben dem Lehnstuhle der wunderbar zarte, kleine Schuh, den Joseph am Ort schon einmal bewundert hatte.

Ritter von der Dub verschloß vorsichtig die Thür. Dann winkte er seinem Begleiter, betastete die Lehnen der Stühle, fühlte nach Tisch und halb in die Wand eingefügter Polsterbank, und stellte sich endlich auf die Fußspitzen, um mit der Hand das Glas des darüberhängenden Spiegels zu berühren.

»Da, unter diesem Spiegel hab’ ich den Engel im Bilde verborgen,« sprach er heiter lächelnd. »Helfen Sie mir den Rahmen des Spiegels heben, dann sollen Sie die Herrliche sehen.«

Willig folgte Joseph am Ort dieser Aufforderung, und wirklich deckte der Spiegel ein nur reichlich handgroßes Miniaturgemälde, das der alte Ritter mit fieberhafter Unruhe von der Wand hob. Ehe er es seinem Begleiter reichte, drückte er es inbrünstig an seine welken Lippen, und Thränen entfielen in großen, hellen Tropfen den blinden Augen des Aufgeregten.

»Ich habe die Einzige wiedergefunden, ich habe den beseligten Hauch ihres Mundes gefühlt!« rief er wie verzückt aus. »Sie ist noch immer mein, und sie wird es ewig, ewig, auf Erden und im Himmel bleiben! Berauschen Sie sich in den Zügen dieses Engels, nur lassen Sie sich nicht unglücklich machen von der Zaubergewalt ihrer Augen!«

Der Ritter drückte das Miniaturgemälde Joseph am Ort in die Hand und ließ seine hagere Gestalt in den nächsten Sessel fallen, bei dessen Berührung abermals eine dichte Staubwolke aufwirbelte. Die Blicke Joseph’s ruhten lange auf dem Porträt, dessen weiche Züge ihn eigenthümlich fesselten. Es war ein Gesicht, das jeder schön finden mußte, obwohl es gewiß viel schönere gab. Das Auge des Porträts namentlich war von einer unbeschreiblichen seelischen Tiefe, die es sprechend machte, ja es geradezu lebendig erscheinen ließ. Von schwärzlichem Blau, lag Sehnsucht, Schalkheit, schuldlose Innigkeit und schwärmerische Melancholie in demselben, und wenn der Flackerschein der Kerze es berührte, glaubte Joseph am Ort ganz dasselbe Blinzeln zu gewahren, das er an dem Abbé Kasimir einigemal bei Bewegung seiner breiten Lider bemerkt hatte. Im übrigen entdeckte er keine Aehnlichkeit weder mit dem Abbé noch mit dem Bilde des polnischen Ulanenrittmeisters, der als Sigismund Geldern auf Hammerburg verstorben war.

Ritter von der Dub war viel zu sehr in das Glücks der Vergangenheit vertieft, als daß er Joseph am Ort in der prüfenden Betrachtung des Bildes gestört hätte. Erst das Geräusch, welches der Inspector beim Weglegen des Porträts machte, rief ihn wieder in die Wirklichkeit zurück.

»Berenice muß unsterblich sein!« rief er aus, als fühle er das Bedürfniß, einen Gedanken, der sich bei ihm schon lange zur Ueberzeugung verfestigt hatte, auch einem andern mitzutheilen. »Oder glauben Sie, daß soviel Anmuth, Lieblichkeit, Milde und Seelengüte je aufhören kann zu leben?«

Joseph am Ort suchte nach einer schicklichen Antwort, um den ungewöhnlich aufgeregten alten Mann einigermaßen zu beruhigen. Da er ihn aber in seinem Wahne nicht geradezu bestärken wollte, so half er sich mit einer Frage, von der er erwarten durfte, daß sie den schwärmerischen Ritter interessiren werde.

»Hatte Berenice von Ludomirsky keine Geschwister?« sprach er. »Aus der Geschichte weiß ich, daß dieses alte Wojwodengeschecht um die Zeit der ersten Theilung Polens noch in drei jugendlichen Zweigen blühte, die freilich später der Sturm der Ereignisse, welche nicht Polen allein, sondern ganz Europa erschütterten, geknickt, vielleicht auch ganz und für immer vernichtet haben kann.«

Ritter von der Dub blickte den Fragenden mit seinen erloschenen Augen an wie einer, der sich von einem andern, nur um diesem zu Gefallen zu leben, ein Märchen erzählen läßt. Auf die Frage selbst gab er keine Antwort.

»Kennen Sie das Wappen der Familie Ludomirsky?« fuhr Joseph fort. »Vor nicht langer Zeit ist es mir gezeigt und dabei viel Interessantes über die seltsamen Schicksale derselben mitgetheilt worden.«

Diese Bemerkung brachte wieder Leben in den seinen beglückenden Träumereien nachhängenden Greis. Er tastete nach dem Porträt Berenice’s, kehrte es um, öffnete die Rückseite desselben und reichte es abermals dem Inspector.

»Da ist, was Sie suchen,« sagte er mit glücklichem Lächeln. »Wo aber wurde Ihnen dieses schöne, sinnreiche und historisch bedeutsame Wappenbild gezeigt?«

Hätte Ritter von der Dub noch das Licht seiner Augen besessen, so würde er sich erschrocken haben über den Eindruck, welchen der Anblick des Wappens auf Joseph am Ort machte. Es zeigte genau die Embleme, die seinem eigenen Siegelringe eingegraben waren und die er in dem heraldischen Werke erblickt hatte, das der Hand der entsetzten Hildegarde auf Schloß Hammerburg entfiel.

»An dem Finger eines polnischen Abbé, der leider niemals sein Vaterland mit Augen gesehen hat, erblickte ich es,« versetzte der Inspector, seine Bewegung nach Kräften bemeisternd. »Von demselben Manne hörte ich auch die traurige Geschichte der Ludomirsky erzählen, denen er selbst angehört.«

»Der Ludomirsky?« wiederholte von der Dub. »Ein Ludomirsky lebt als Abbé im Auslande und hat Polen nie gesehen? Wie kann das angehen!«

»Das Unglück seines Vaterlandes jagte den Vater des Abbé in die Verbannung,« fuhr Joseph am Ort fort, da er sah, daß der blinde Greis ihm mit gespannter Aufmerksamkeit zuhörte. Verdüsterten wirklich bisweilen irrige Vorstellungen das klare Bewußtsein des Ritters, so waren diese jetzt dem glänzenden Lichte gewichen, das die Erinnerung an sein Liebesglück in ihm entzündet hatte. Er durfte es demnach wagen, dem hinfälligen alten Manne das, was auch ihn so ganz beschäftigte, in aller Kürze vorzutragen. »Es geschah dies noch vor dessen Vermählung, zu der sich der politische Flüchtling erst später im Auslande entschloß. Der Vater des Abbé hatte zwei Schwestern, von denen die ältere, schönste und liebenswürdigste ihm auf räthselhafte Weise verloren ging.«

»Verloren!« rief der Ritter mit bebender Lippe. »Verloren, wie mir die geliebte Braut!«

»Sie verschwand zugleich mit einem Manne, den die drei Geschwister Oheim nannten, obwohl er der Familie Ludomirsky nur sehr entfernt verwandt war, und nie hat man wieder von der schönen Berenice und dem Oheim Stanislaus gehört.«

Zitternd erhob sich der Greis. Sein eingefallenes, faltiges Gesicht ward von einer fliegenden Röthe überhaucht, die ihm die trügerische Frische der Jugend auf kurze Momente verlieh.

»Berenice von Ludomirsky und Stanislaus Wertschinsky?« rief er aus. »Mein Gott, mein Gott, schlage mit Blindheit meinen Geist, wie du mit Blindheit der Augen mich schon gesegnet hast! ... Ist sie erschlagen worden von Räubern oder lebt sie noch im Verborgenen?«

Der Greis erfaßte die Hände Joseph’s, drückte sie an seine Brust, an seine welken, jetzt heißen Lippen, hing sich dann um den Nacken des starken Manns und zog diesen, in den morschen staubigen Lehnsessel zurücksinkend, bald lachend bald schluchzend zu sich nieder.

Joseph am Ort bereute fast, daß er dem erschöpften Ritter ein Geheimniß, auf dessen Lösung er selbst noch wartete, zum Theil verrathen hatte. Er fürchtete, die Aufregung könne, ihn tödten, weshalb er alles aufbieten mußte, um ihn wieder zu beruhigen.

»Das engelgleiche Wesen, von dessen Liebe Sie in Ihrer Jugend beglückt wurden,« sagte er einlenkend, »hat wahrscheinlich nichts gemein mit der Berenice, von der unsere Geschichte erzählt. Wahrscheinlich hat diese sich später mit einem Manne bürgerlichen Standes vermählt. Man vermuthet, dieser letzte noch am Leben befindliche Sprosse der Ludomirsky möge Geldern geheißen haben.«

Im Angesicht des Ritters ging abermals eine Veränderung vor, die den Inspector ängstigte. Die ohnehin schon schlaffen und überaus alten Züge des Blinden wurden noch älter und gnomenhafter. Er schloß die Augen, ließ das Haupt mit den langen weißen Haaren auf die Brust sinken und athmete in regelmäßigen Pausen tief aber ruhig, wie ein traumlos Schlafender. Dieser Zustand dauerte einige Minuten. Dann griff Ritter von der Dub nach dem Arm des Lehnstuhls, stützte sich darauf und erhob sich mit mehr Kraft, als Joseph am Ort erwartet hatte.

»Das Bild!« sagte der Greis leise. »Um Gottes willen, verhalten Sie sich ruhig! ... Sie soll nicht hören, was man ihr nachredet! ... Horch, da bewegt sich schon der Schuh, der ihren classischen Fuß schmückte! ... Geldern! ... Sandomir Geldern! ... Satanas wird sein wahrer Name gewesen sein!« –

Der furchtbar Aufgeregte schloß abermals die Augen. Das Miniaturbild, das Joseph am Ort ihm gereicht hatte, knöpfte der Ritter unter sein Wams. Dann bat er den Inspector, er möge ihm seinen Arm leihen, denn er fühle, daß seine Füße ihn nicht tragen wollten. Auch das Schlüsselbund reichte er ihm, damit er die Thür wieder vorsichtig zuschließen könne.

Der Greis war wieder ganz ruhig geworden, als Joseph am Ort mit ihm das Erkerzimmer verließ. Im Corridor zu ebener Erde dankte er dem Inspector für seine Begleitung.

»Morgen erzählen Sie mir das Weitere,« sagte er freundlich. »Ich werde dann auch wissen, ob meinem Herzensengel die Entfernung von mir schwer geworden ist, und wie oft sie an mich zurückgedacht hat. Im Traume wird sie, wie schon so oft, die ganze Nacht mit mir zubringen.«

Ritter von der Dub wünschte dem Inspector gute Nacht. Dieser sah dem alten Herrn, dessen Gedanken doch bisweilen zu schwärmen begannen, mit wehmüthiger Theilnahme nach, bis seine Schritte auf dem Corridor verhallten. Dann zog er sich in sein eigenes Zimmer zurück.

Es war Joseph lieb, daß er keine Briefe vorfand. Schlaflos verbrachte er die Nacht, hundert Plane bauend, und wieder verwerfend. Ihn ängstigte die Gegenwart nicht weniger als die Zukunft, und versenkte er sich erst in das undurchdringliche Dunkel der Vergangenheit, so verwandelte sich ihm die ganze Welt in ein von Fratzen bevölkertes Tollhaus, dem mit Gewalt, ja selbst durch ein Verbrechen zu entfliehen noch für ein Verdienst gelten konnte.

Am andern Morgen ward Ritter von der Dub niemand sichtbar. Joseph am Ort, der sich von der schlaflosen Nacht und den so überaus heftigen Gemüthsbewegungen stark angegriffen fühlte, fand in der Fabrik zu viel Arbeit vor, um sich persönlich nach dem Befinden des Greises erkundigen zu können. Diese unaufschiebbaren Geschäfte hielten ihn auch ab, Erkundigungen nach dem Baron und dessen Verbleiben einzuziehen, was er nicht gerade bedauerte, wie wohl er es bei mehr freier Zeit wahrscheinlich nicht würde unterlassen haben.

Erst gegen Mittag verfügte sich der Inspector wieder ins Schloß. Hier begegnete er nur bestürzten Gesichtern. Auf die Frage, was denn geschehen sei, führte man ihn nach dem Zimmer des Ritters von der Dub. Der Anblick, welcher sich hier dem Inspector darbot, rührte diesen bis zu Thränen.

Der alte Mann kniete, das Gesicht dem Erker zugekehrt, den man vom Zimmer aus sehen konnte, auf dem Boden. Mit dem Antlitz zur Erde gesunken, schien es, als habe man über das Haupt des Greises einen starken Büschel schneeweißen Haares als Decke gebreitet. Unter dem Gesicht lag das Miniaturbild Berenice’s. Er mußte viele Thränen vergossen haben, denn das schöne Porträt erschien wie in Wasser gebadet. So im Kusse der Geliebten, ein ganzes Leben lang vergebens Gesuchten hatte den Ritter von der Dub der Todesengel berührt.


 << zurück weiter >>