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ZEHNTES KAPITEL.

ERFOLGLOSES SUCHEN.

Der Zorn des Barons von Kaltenstein war vollkommen gerechtfertigt. Von seinem kurzen Ausfluge zurückkehrend, erkundigte er sich zunächst nach dem, was sich während seiner Abwesenheit ereignet habe. Ehe aber der Leibjäger, an den diese Frage gerichtet war, noch zu antworten Zeit fand, fügte der Baron schon eine zweite hinzu.

»Wo ist mein Sohn?« lautete diese. »Ich muß ihn auf der Stelle sprechen!«

»Der gnädige Herr sind schon gestern Abend nach dem Forsthause gegangen,« erwiderte der Leibjäger. »Es sei möglich, daß ein paar Tage vergingen, ehe sie wiederkämen.«

»Ein paar Tage? ... Wer soll denn hier den Herrn vorstellen?« fiel der Baron aufbrausend ein.

»Die gnädige Frau –«

»Schweig!« herrschte der Edelmann seinen Diener an. »Mein Sohn weiß, daß die Bedauernswerthe das Zimmer nicht verlassen kann! ... Hat mein Sohn keine Aufträge, keinen Brief für mich hinterlassen?«

»Die Briefe sah ich ihn zu sich stecken.«

»Welche Briefe?«

»Es wurden zwei oder drei auf einmal abgegeben. Der junge Herr schien sehr gerührt zu sein ... Da befahl er dem Reitknecht, den Jagdwagen in Stand setzen zu lassen und sobald wie möglich mit demselben ihm nach dem Forsthause zu folgen.«

Dem Baron waren diese Nachrichten äußerst unangenehm. Er drang mit neuen, ungestümen Fragen auf den Leibjäger ein, und da dieser immer nur ein ›Ich weiß nicht, gnädigster Herr‹ antworten mußte, ließ er zuletzt seinem Unmuth die Zügel schießen, und überhäufte den unwissenden Diener mit Vorwürfen, welche diesen nicht trafen, in der Seele des höchst aufgeregten Edelmanns aber wohl begründet waren.

Nachdem er sich in lauten Scheltworten Luft gemacht, noch einmal nach dem Befinden seiner Gattin nur ganz oberflächlich gefragt und einige ihr speciell betreffende Befehle ertheilt hatte, verlangte er, daß man ihm ein anderes Pferd sattele. Darauf ließ er sich nach der Trinkhalle kalte Küche und eine Flasche Wein bringen, hieb den herumschnüffelnden Pudel Adolar’s, der seit kurzem von allen auffällig vernachlässigt ward, so wüthend mit seiner schweren Reitpeitsche, daß das arme Thier vor Schmerz aufheulend entfloh und sich im Pferdestalle verbarg, und stieg nach etwa zweistündigem Verweilen wieder zu Pferde.

»Es ist möglich,« sprach er zum Leibjäger, »daß ich auch erst morgen oder übermorgen zurückkomme. Sollten in dieser Zeit wieder Briefe einlaufen, so mache ich dich für das Verbleiben derselben verantwortlich. Verstehst du mich, Bursche? ... Es soll kein Brief, solange ich von hier abwesend bin, erbrochen werden, mag er an mich, an meinen Sohn oder an die Fremden adressirt sein! ... Du hast sie in Empfang zunehmen und sicher zu verwahren!«

»Der gnädige Herr wollen erlauben ... «

»Nichts erlaube ich,« unterbrach der Baron den Leibjäger, »Ordre parirt, oder du kannst es probiren, wie Bettelbrot mundet.«

Er schnalzte mit der Zunge und verließ auf dem muthigen Grauschimmel, den er bestiegen hatte, abermals den Schloßhof.

Das nächste Ziel des Barons war das Forsthaus. Es verdroß ihn, daß statt der erwarteten Schwester des Försters die Magd ihm entgegenkam; denn er befand sich gerade in der Stimmung, um der ihm widerwärtigen Mademoiselle Frei kein Wort schuldig zu bleiben, ja sie, wenn es sich irgend thun ließe, zornig zu machen, um desto größere Ursache zu haben, sie zuletzt eine Xanthippe oder etwas Aehnliches schelten zu können.

Von der Magd war nichts zu erfahren. Andreas hatte den jungen Herrn begleitet, obwohl Kathrine dies zu verhindern suchte. Darauf war die Schwester des Försters sehr nachdenklich geworden, und nach einer unruhig verlebten Nacht hatte sie den Hausschlüssel über die Küchenthür gehangen, der Magd aufgetragen, bei Sonnenuntergang das Forsthaus zu verschließen und keinem andern später Einlaß zu gewähren als ihrem Bruder. Gleich nach eingenommenem Frühstück, berichtete die sehr gedankenlose Magd, war die entschlossene alte Jungfrau ausgegangen.

Das Abgeben des Hausschlüssels beunruhigte in diesem Bericht den Baron am allermeisten. Der Herr von Kaltenstein war hinlänglich vertraut mit den Eigenheiten der Schwester seines Försters, um zu wissen, daß nur die schwerwiegendsten Gründe Kathrine zu einem so gewagten Entschlusse bewegt haben konnten. Vergebens sann er nach, um wenigstens das annähernd Wahrscheinliche dieses auffallenden Verfahrens zu entdecken. Ein triftiger Anhaltepunkt ließ sich jedoch nicht ermitteln.

Verstimmt trabte der Baron weiter über Feld. Er hoffte einem der Umwohner zu begegnen, die ja vielleicht besser unterrichtet waren als die beschränkte Magd. Aber auch das glückte nicht.

Voll Aerger und Verdruß gab er dem Apfelschimmel die Sporen, bog von dem Feldwege, den er bis jetzt verfolgt hatte, nach der Landstraße ein, und ritt in gemessenem Trabe der Stadt zu, deren Thürme sich ihm schon zeigten.

Mit einem Rechtsgelehrten mußte er sich nächstens wieder in Verbindung setzen, da es mancherlei zu ordnen gab, und namentlich auch das Befinden seiner Frau, die geistig schwer zu leiden schien, ein Abkommen erheischte. Zu raschem Handeln hatte er sich selbst thörichterweise die Hände gebunden. Er mußte sich erst mit Adolar einigen, ehe er sein heimliches, schon längere Zeit genährtes Vorhaben ausführen konnte. Gerade Adolar aber schien den Intentionen des Barons nach dieser Richtung hin gar nicht beizustimmen.

Die gleichmäßige Bewegung des trabenden Pferdes wirkte beruhigend auf Baron von Kaltenstein. Er konnte leidenschaftslos seine Lage ins Auge fassen und einen Plan entwerfen, der sich durchführen ließ. Gelang es ihm, den lästigen Schwager aus dem Schlosse zu schaffen und für immer unschädlich zu machen, so durfte er noch immer hoffen, seine letzten Lebensjahre in ländlicher Zurückgezogenheit ohne fernere heftige Aufregungen zubringen zu können. Große Ansprüche an das Leben machte er ohnehin nicht mehr. In seinen Jünglings- und ersten Mannesjahren hatte er sich ja in alle Tiefen des Genusses versenkt, und kaum gab es für den ehemaligen Spieler und Verschwender noch einen Wunsch, den er heimlich im Herzen trug. Ruhe! Ruhe! hieß das Verlangen, dem er nachhing, und diese Ruhe sich mit jedem Opfer zu erringen, das ihm nicht die Mittel zu bequemem und unabhängigem Leben raubte, war er nach den Erfahrungen der letzten Wochen und Monate fest entschlossen.

Es schien aber, als wolle das Glück, das ihm doch früher selbst unter mislichen Verhältnissen und in arg bedrängten Lebenslagen stets freundlich gelächelt hatte, ihm jetzt auf einmal gänzlich den Rücken kehren. Das Haus des Stiftssyndikus war verschlossen. Von dem alten Diener, dem verschwiegenen, gleich seinem Herrn gewitzigten Factotum des gelehrten Juristen konnte er nicht einmal erfahren, wohin dringende Geschäfte, wie der einsilbige Mensch sagte, denselben geführt hatten.

Der Baron zweifelte gar nicht, daß der Stiftssyndikus seinen Diener instruirt habe, ja er war fest überzeugt, diese Instructionen bezogen sich auf den ganz besondern und nahe liegenden Fall einer durch ihn persönlich erfolgenden Nachfrage. Auch über die Zeit der Rückkunft Liebner’s war ebenso wenig zu erfahren.

Der geärgerte Edelmann hielt es für nutzlos, auch noch über des zweideutigen Juristen etwaige Begleitung Erkundigungen einzuziehen. Im Auge des Dieners las er die voraus dictirte Antwort. So mußte er sich denn wider Willen zur Rückkehr entschließen.

Eine Viertelstunde vor der Stadt theilte sich die Straße in zwei Arme. Der rechts laufende Weg führte nach Schloß Kaltenstein und den mit diesem zusammenhängenden Ortschaften. Links bog ein viel besser erhaltener, mit schönen Obstbäumen zu beiden Seiten gepflanzter Fahrweg nach dem Stift ab. Ein Wegweiser, den der Wind schief gedrückt hatte, zeigte dies dem unkundigen Wanderer auch mit vom Wetter bereits halb verwischten Schriftzügen an.

»Er könnte ja doch im Stift auch zu thun haben,« rief Baron von Kaltenstein sich selbst zu, und leitete seinen Grauschimmel auf die ganz mit röthlichem Kiessande bestreute Stiftsstraße. Es war ein starker Umweg, den der Edelmann einschlug, und machte er ihn erfolglos, so mußte seine üble Laune dadurch noch stark vermehrt werden. Das Stift lag gegen drei Stunden weit von der Stadt entfernt so abgeschlossen von allem Weltverkehr, daß sich für ein beschauliches, gottgefälliges Leben kaum ein geeigneterer Ort denken ließ. Saftige Wiesen, ein geräumiger, von sehr hohen Mauern umhegter, mit den Stiftsund Klostergebäuden in Verbindung stehender Garten umgaben dies Asyl dem Weltleben entfremdeter Seelen. Trotz der angenehmen Gegend aber und der frischen, grünen Wälder, in die sogar einige Spaziergänge gehauen waren, konnten sich doch weltlich gesinnte Leute nicht lange in der Nähe des alten Klosters wohlbefinden.

Kurz vor Sonnenuntergang erblickte Baron von Kaltenstein den schlanken Thurm der Kirche mit dem vergoldeten Kreuz über den Baumwipfeln. Zehn Minuten später hielt er sein Pferd an der Klosterschenke an. Weiter konnte und durfte er sich nicht wagen, denn die Regel des Ordens, welchem die Nonnen angehörten, war streng und der Klosterhof immer, mit alleiniger Ausnahme des Sonntags, geschlossen.

Aufmerksam trat der Wirth selbst grüßend aus dem stattlichen, sehr reinlich aussehenden Hause. Dieser Mann gehörte nicht zu den Geistlichgesinnten und Enthaltsamen. Er war stark bis zur Feistheit, und seinen kleinen, blinzelnden Augen schon sah man es an, daß es nur eines geringen Anstoßes bedurfte, um ihn zum Sprechen zu bewegen.

»Verabreicht mir eine Herzstärkung, aber schnell!« rief der Baron dem feisten Mann zu. »Ich habe wenig Zeit, und will nur mein Thier einige Zeit verschnaufen lassen. Was gibt’s Neues im Stift? Sind keine Novizen angemeldet?«

Der Wirth warf einen seltsamen Blick auf die stillen Klostergebäude, deren Ziegeldächer die Abendsonne vergoldete. Vom Walde her vernahm man das melodische Rauschen eines Wehres und das dumpfe Geklapper einer Mühle.

»Kann ich mit einem echten Rosoglio dienen?« fragte er den Edelmann, seine schirmlose Mütze von grünem Sammt nochmals abnehmend und zur Seite der drei Granitstufen tretend, die in das Haus geleiteten.

Der Baron nahm diese Einladung für ein Zeichen, daß der wenig beschäftigte Wirth, den einträglicher Landbesitz gut ernährte, zum Sprechen sehr aufgelegt sei, und trat gebieterisch in das Gastzimmer.

»Vor kaum einer Stunde,« fuhr der Wirth fort, seinem Gaste den empfohlenen Liqueur credenzend, »hat, wie ich glaube, ein gar vornehmer Besuch das Kloster verlassen. Zwei Herren und zwei Damen, darunter eine sehr jugendliche, die aber einen dichten Schleier trug, kamen heute früh, als kaum die Morgensonne das Kreuz der Kirche vergoldete, in Begleitung des Herrn Stiftssyndikus hier an und wurden sogleich vom Klostervogt eingelassen. Das geschieht nur bei vorangegangener Meldung. Als die Herrschaften wieder fortfuhren, fehlte die junge Dame. In ihr kann sich eine Novize verborgen haben.«

Baron von Kaltenstein schlürfte das Gläschen Rosoglio aus und schritt, ohne den Wirth einer Antwort zu würdigen, brummend im sandbestreuten Zimmer auf und ab, zuweilen mit seiner Reitpeitsche nach den in großer Menge vorhandenen Fliegen schlagend, die ihn summend umschwärmten. Dabei berührte er den von der getäfelten Decke an starker Schnur herabhängenden Messingring, dessen man sich zum Spielen bedient, indem man mit nicht ganz leicht zu berechnender Kraftaufwendung nach einem in der Wand befestigten Haken wirft, an dem der Ring, soll der Wurf für gelungen gelten, hängen bleiben muß, ein Versuch, der nur Geübten ziemlich häufig glückt.

»Seht nach meinem Schimmel und gebt ihm noch ein Stück Brot!« rief er dem Wirthe zu, der seine gerundete Körperlast halb neben halb hinter dem Baron diensteifrig fortschleppte, ergriff den Ring und begann das landesübliche Spiel.

»Sehr wohl!« versetzte dieser, sich nach der Thür rollend, und einigermaßen erstaunt über die Gleichgültigkeit des Herrn, dessen Frage ihn doch erst zu der gemachten Mittheilung veranlaßt hatte.

Der Baron schleuderte inzwischen wiederholt den Ring gegen den Wandhaken, wobei er stets einen zischenden Laut ausstieß, da er aber viel zu unruhig war und an ein Abwägen der aufzuwendenden Kraft gar nicht dachte, so kehrte das schwingende Metall immer wieder zu ihm zurück. Darüber verging ihm die Geduld, er zog heftig an Ring und Schnur und riß beide ganz ab, als gerade der Wirth wieder eintrat.

»Da! Macht Euch damit bezahlt für den Bettel!« sprach der Baron verdrießlich, ein neues Guldenstück auf den fliegenbesetzten Tisch werfend. »Die Aebtissin drüben könnte in ihrem Alter auch ’was Besseres thun, als junges Blut, das vielleicht nicht einmal weiß, wie der Welt Sünde schmeckt, die es doch mittragen und durch Kasteiungen abbüßen helfen soll, in ihren heiligen Zwinger zu verlocken. Wenn der Stiftssyndikus das zugibt oder wohl gar es mit veranlaßt hat, so wäre er werth, daß man ihn so lange bearbeitete, bis er zur Erkenntniß der Wahrheit käme!«

Der Baron fuchtelte dabei mit seiner Reitpeitsche so unvorsichtig die kreuz und quer, daß der Wirth ein paar komische Schritte rückwärts machte, um nicht etwa getroffen zu werden. Zugleich nahm er wieder seine Sammtkappe ab, zog die Achseln in die Höhe – und wollte damit andeuten, daß er völlig unschuldig und durchaus nicht der Mann sei, welcher in so wichtigen Angelegenheiten irgend etwas thun könne.

Die Handschuhe wieder anziehend, bestieg der Edelmann sein muthiges Roß und setzte es, ohne sich noch einmal umzusehen, sogleich in starken Galop.

»Daß ich Narr auch zuerst in die Stadt reiten mußte und mir das Stift nicht gleich einfiel, sprach er, sich selbst ausscheltend. »Keine Frage, es ist Hildegarde, die sie im Kloster eingesperrt haben! Der Stiftssyndikus hat sich spicken lassen, weil die ganze Gesellschaft den Pfaffen anhängt und der schlaue, weinende Satan es mit dem Domdechanten, seinem gut essenden Freunde, nicht verderben mag! ... Aber daß Frei, der Ungläubige, der in des Teufels Küche das Kugelgießen für vier- und zweibeiniges Wild gelernt hat, all diesen Anordnungen ruhig zusieht, das will mir nicht in den Kopf! ... Was bleibt übrig, als daß ich zuletzt doch noch meine Zuflucht auch für mich zu obrigkeitlicher Hülfe gegen die Eingriffe des eigenen Sohnes werde nehmen müssen? Wäre nur erst der

– Störenfried beseitigt! ... Bis dies besorgt ist, muß und will ich mich fassen, ganz leicht jedoch soll dem Stiftssyndikus und Adolar das Spiel, das sie mit Hülfe fremder Helfershelfer gegen mich angezettelt haben, nicht werden! ... Intrigue gegen Intrigue, List gegen List, und müßte ich mit Kathrine, auf deren Gesicht schon in früher Jugend der Teufel Erbsen gedroschen hat, an ein und derselben Leinwand nähen!«

Nur selten ließ Baron von Kaltenstein seinen Schimmel langsam traben. Es lag ihm viel daran, recht bald wieder in Kaltenstein anzukommen, wo er jedenfalls seinen Sohn zu treffen hoffte. Mit diesem mußte er nothwendig sprechen, ehe er irgend etwas anderes unternehmen durfte.

Leider aber sollte an diesem unheilvollen Tage dem Baron alles fehl schlagen. Ganz Kaltenstein lag in tiefster Ruhe, als er es erreichte, allein weder Adolar war zurückgekehrt noch hatten sich Fremde melden lassen.

Schimpfend zog sich der erbitterte Edelmann auf seine Zimmer zurück, wo er die Nacht ziemlich unruhig verbrachte.


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