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ACHTES KAPITEL.

AM GRABE CORNELIENS.

Weder Kathrine noch Hildegarde hatten von dem Inhalte des Gesprächs eine Ahnung, das den Förster und seinen Verwandten längere Zeit im Zimmer des erstern festhielt. Das Verbleiben des Stiftssyndikus fiel ebenfalls nicht auf. Er war ja der nächste Verwandte der Verstorbenen und dieser von jeher sehr zugethan gewesen. Die wirthschaftliche Schwester des Försters billigte es sogar, daß der alte Herr mit den verschmitzten, lebensfrohen Augen Hildegarden ins Gewissen redete; denn sie hatte zu ihrer großen Genugthuung bemerkt, daß er ernsthaft mit der Trostlosen sprach und sie auf die Pflichten einer gottergebenen Christin aufmerksam machte.

»Der ist besser, als er aussieht,« dachte Kathrine, und war ganz einverstanden mit dem Onkel der Verstorbenen, den sie früher nie für so vernünftig gehalten hatte.

Sehr ungehalten dagegen war sie, als gegen Abend Doctor und Chirurg mit mehreren Beiständen im Försterhause eintrafen und allerhand Dinge requirirten, die über das Vorhaben der Herren keine Zweifel aufkommen ließen.

»Das vergebe ich der Person im Grabe noch nicht!« rief Kathrine entrüstet aus, »und begegne ich ihr dereinst drüben – was ich nicht wünschen will – so setze ich sie dann noch zur Rede, daß ihr die Seligkeit auf ein paar Stunden verdorben wird! – Als wenn hier mit Gift und Operment hantiert würde! – Pfui! es ist zum polnisch werden!«

Die Aufgeregtheit der Erzürnten legte sich jedoch, als niemand im ganzen Hause von den Herren belästigt ward. Der Leichenbefund war befriedigend und erwies, daß Cornelie an einem Blut- und Nervenschlage gestorben sei.

Andreas hatte während des ganzen Tags sein Zimmer nicht verlassen. Da seine Anwesenheit bei der Oeffnung Corneliens nicht begehrt ward, so hielt er sich fern davon. Obwohl als Jäger an Blutvergießen gewöhnt, machte ihn bei Menschen schon die kleinste Wunde unwohl. Es gereichte aber auch ihm zur großen Beruhigung, als ihm der Stiftssyndikus Bericht erstattete. Nun durfte er doch jedermann offen in die Augen sehen, und der Verleumdung war aller Boden entzogen.

Die Herren verließen das Forsthaus ziemlich spät, nur der Stiftssyndikus blieb. Kathrine war dies nicht lieb, denn es verursachte ihr neue Arbeit. Liebner war ein verwöhnter Mann, der sich nichts abgehen ließ, und die Unruhe im Hause hatte ihr wenig Zeit gelassen, sich mit der Küche zu beschäftigen. Auch für anständiges Nachtquartier mußte gesorgt werden. Da Andreas nun an gar nichts zu denken schien, so blieb Kathrine nichts übrig, als zu ihm zu dringen.

»Was wünschest du?« sagte der Förster, als er die Schwester, den Hausschlüssel in der Hand, sein Zimmer betreten sah. »

»Ich möchte nur wissen, Andreas,« versetzte Kathrine, »was du zu thun willens bist. Da ist zuerst der Herr Stiftssyndikus, der sich hier ganz niederlassen zu wollen scheint. Der Herr trinkt gern – ich seh’s ihm an der Nase an – und ein gutes Stück Essen macht ihn wohl auch nicht verdrießlich, so wundersam leicht ihm das Flennen wird. Die Thränen träufeln ihm nur so auf seine Blütenwangen, wenn einer den Namen der Verstorbenen nennt.

Eine schöne Gottesgabe – möcht’ sie wohl auch haben! – Für diesen nobeln Herrn Verwandten also, den wir uns doch nicht erzürnen dürfen, wäre der Rehziemer wohl ein recht gefundenes Fressen, und wenn er die letzte Flasche Markobrunner, die ich letzthin noch im Keller entdeckte, dazu aussticht, so schenkt ihm der Herr wohl eine geruhsame Nacht. – Zum zweiten muß ich mir Ordre erbitten, wie du es beim Begräbniß zu halten gedenkst? Willst du deine Selige mit oder ohne Klang bestatten lassen?«

»Was hast du damit zu schaffen, Schwester!« sagte Andreas. »Es ist das Sache des Pfarrers und Todtengräbers.«

»Die Trauerleute wollen aber etwas haben für die Gefälligkeit, daß sie der Todten die letzte Ehre erweisen,« entgegnete Kathrine, »und darum ist es mir wichtig zu erfahren, ob Cornelie eine simple oder eine große Leichenpredigt mit Collecte und Segen bekommen soll.«

»Dir zu Gefallen, lieb’ Käthchen, will ich meine Frau mit einer Parentation beerdigen lassen.«

»Im Ernst?«

»Wirklich, Käthchen!«

»Dann wird dich’s ein ordentliches Stück Geld kosten; denn eine Parentation verlangt für die Tafel im Trauerhause vier volle Gerichte.«

»Du verstehst das, Schwester, ich weiß es, mithin hast du auch Vollmacht, den Sitten gemäß für das leibliche Wohl der an der Bestattung Theilnehmenden zu sorgen. Nun aber bitte ich, störe mich heute nicht eher wieder, bis dein Rehziemer für den Cousin gar ist!«

Kathrine ging befriedigt von dannen. Es war ihr sehr lieb, daß der Bruder so zugänglich und fügsam sich zeigte. Sie glaubte, auf dieses willige Eingehen ihm nahe gelegter Vorschläge die Hoffnung bauen zu dürfen, daß ihr die Macht im Hause auch jetzt ungeschmälert verbleiben werde.

Den Förster beschäftigten augenblicklich wichtigere Dinge. Es lag ihm alles daran, den vielvermögenden Cousin wieder ganz für sich einzunehmen, damit von seinem Umgange mit dem verrufenen Wilderer und Bleidiebe kein Mensch etwas erfahre. Er mußte deshalb alles aufbieten, um die gute Meinung, welche der Stiftssyndikus bereits von ihm gefaßt hatte, auch zu erhalten. Und sodann war der Vetter jedenfalls der rechte Mann, der seinen Einfluß geltend machen konnte, wenn die Baronin von Kaltenstein bei der fernern Erziehung Hildegardens zu sehr als Mutter und Beschützerin auftreten sollte. Brechen durfte er mit dieser Frau, die er als klug und ehrgeizig kannte, schon deshalb nicht, weil er sich dadurch auch den Baron entfremden konnte. Freilich handelte dieser für gewöhnlich ganz nach eigenem Gutdünken, und gestattete seiner Gemahlin keine Einrede, allein gerade bei dieser Gelegenheit wäre es doch sehr möglich gewesen, er hätte, weil sie ganz außerhalb seines Gesichtskreises lag, Clotilde mit der kurzen Resolution abgewiesen: Thue was dir beliebt! Geschah aber dies, so war ein Zusammengehen mit der Baronin seinerseits völlig undenkbar.

Hier konnte nur der Stiftssyndikus vermittelnd auftreten. Der schwelgerisch lebende Herr war zwar auch kein empfehlenswerther Erzieher für ein Mädchen, das die Kinderschuhe noch nicht einmal ganz vertreten hatte, indeß hoffte Andreas, es werde ihm durch ruhiges Darlegen der Zustände seines Hauses während der letzten Monate gelingen, ihm die Ueberzeugung beizubringen, daß Hildegarde in andere Bahnen geleitet werden müsse, wenn sie dereinst glücklich werden solle. Das Beispiel seiner eigenen verstorbenen Frau lieferte einen schlagenden Beweis, daß Bürgerliche ohne Vermögen, auch wenn sich die äußern Lebensverhältnisse ganz glücklich anlassen, ihrer eigentlichen Sphäre doch entzogen werden, sobald man die sogenannte feinere, sociale Bildung ihnen als Hauptaufgabe ihrer Existenz empfiehlt. Hildegarde war noch jung, sie konnte unter geschickter Leitung noch umkehren, und der Förster glaubte, der Stiftssyndikus werde schon aus Liebe zur Tochter seines frühern Mündels ihn bereitwillig unterstützen. Die Fehler in der Erziehung Corneliens, die, wenn auch nur sehr indirect, ihren Tod mit beschleunigt haben mochten, ließen sich, wenn man ernstlich den Willen dazu hatte, bei der Erziehung ihrer Tochter jedenfalls vermeiden, ohne dieselbe deshalb der feinern Sitte und der Bildung, welche die fortgeschrittene Zeit verlangte, zu entfremden.

Mit einem so wichtigen Antrage den Stiftssyndikus anzugehen, war augenblicklich freilich keine Zeit. Man mußte erst etwas zur Ruhe kommen, ehe sich darüber Beschlüsse fassen ließen. Auch mochte Andreas seine Tochter nicht verletzen, indem er gleichsam über ihr Herz verfügte, ehe er es noch kannte. Es war ja möglich, daß der so unerwartete Hintritt der Mutter ihrem ganzen Wesen, ihrem Denken und Fühlen eine völlig andere Richtung gab. Einem solchen Eingehen und Selbsterkennen wollte der Förster nicht vorgreifen, und so ließ er denn vorerst die Frage, wie in Zukunft Hildegarde zu leiten, wessen specieller Aufsicht sie zu übergeben sei, offen.

Der Vorschlag des Stiftssyndikus hatte übrigens die erwünschte Folge. Es verlautete kein Wort über den auffallend schnellen Tod der, wie es schien, so lebenskräftigen Förstersfrau. Ihr Hinscheiden ward allgemein beklagt, der Förster von vielen offenherzig bedauert. Die Verständigen sahen ein, daß die Lage des Witwers eine sehr schwierige werden müsse, wenn Kathrine das Regiment im Forsthause behalte, und die junge Hildegarde, ohne den liebenden Schutz einer zärtlichen Mutter, den Vexationen dieses abstoßenden Mannweibes ausgesetzt bleibe. Dem Förster besonders wohlwollende Frauen dachten daher sogleich an eine neue passende Lebensgefährtin für denselben, und musterten in Gedanken schon diejenigen Mädchen, welche sich ihrer Meinung nach wohl zu Frauen für den noch immer stattlichen Mann eignen dürften.

Zum Begräbnisse Corneliens fanden sich, außer den wirklichen Leidtragenden, aus Nähe und Ferne sehr viel Theilnehmende ein. Der Baron von Kaltenstein nebst Frau und Adoptivsohn fehlte natürlich auch nicht. Clotilde, als Freundin der Verstorbenen, hatte tiefe Trauer angelegt und führte, woran niemand sie verhindern konnte, die erschütterte Hildegarde. Sie errang dadurch den Vorzug, unmittelbar hinter dem Sarge und zwar vor Kathrine herschreiten zu dürfen.

Hildegarde war für ihre Jahre auffallend durch ihren tadellosen Wuchs. Die Baronin hatte das Mädchen immer sehr hübsch gefunden, am Begräbnißtage der Mutter aber, in dem einfachen, äußerst kleidsamen Trauergewande imponirte ihr die Schönheit Hildegardens. Sie mußte förmlich an sich hatten, um dem Kinde diese Bemerkung nicht gerade ins Gesicht zu sagen, und es erquickte die weltlich gesinnte Dame, daß sie ihre Augen an dieser frischen Waldrose laben konnte.

Adolar von Kaltenstein, ein noch sehr junger Mann, der Hildegarde seit drei Jahren nicht mehr gesehen hatte, da er die Forstakademie während dieser Zeit besuchte, mochte wohl die Gedanken und Empfindungen seiner Mutter theilen; denn er verwendete während des vor dem Trauerhause stattfindenden Gesangs, wo die nächsten Verwandten, der Sitte gemäß, um den noch offenen Sarg gereiht standen, kein Auge von dem in ihrem Schmerz versunkenen Mädchen.

Hildegarde achtete nicht auf die heißen Blicke des adelichen jungen Herrn, der immer spionirenden und gegen jedermann mistrauischen Kathrine aber fielen sie desto mehr auf. Sie nickte ihrer Gewohnheit nach mit dem Kopfe, als wolle sie sagen: so ist es! Ich habe und behalte immer recht! Dann aber traf ein boshaft stechender Blick ihre schöne, nichts ahnende Nichte, und ein häßliches Lächeln blieb in dem verfitzten Netze ihres blatternnarbigen Gesichts hängen.

Die Beerdigung Corneliens war feierlich und würdevoll. Nach gesprochener Parentation, in welcher der Prediger die Verdienste der Verstorbenen gebührend hervorhob, begaben sich die Leidtragenden unter dem Geläute aller Glocken nochmals zum Grabe. Andreas, bewegt von der eindringenden Rede des Pastors, empfand erst jetzt ganz den Verlust, den er durch den Tod seiner Frau erlitten hatte, und bewältigt von seinem Schmerze, erfaßte er die Hand der Tochter, zog sie mit sich zum noch frischen Grabhügel und kniete hier mit ihr nieder. Ein halblautes Gebet zitterte auf den Lippen des Försters, während Hildegarde nur durch Thränen sprach.

Der Stiftssyndikus, der sich mit seinem feinen Taschentuche auch häufig die Augen trocknete, ermahnte nach einer Weile den Förster, sich zu ermannen, reichte der schlanken Hildegarde die Hand, um ihr aufzuhelfen, und führte sie der etwas seitwärts stehenden Baronin zu, die eben einige leise Worte mit Adolar wechselte.

Hier erst begegneten sich die Blicke der beiden jungen Leute. Hildegarde bemühte sich, die höfliche Anrede des Jünglings, den sie nur als wilden Knaben auf Kaltenstein gekannt und mit dem sie sich in mädchenhaftem Uebermuth häufig geneckt hatte, in schüchterner Zurückhaltung zu erwidern, konnte aber doch nicht umhin, durch die langen Wimpern der scheu gesenkten Augen einen neugierigen Blick nach dem Erben von Kaltenstein zu werfen.

»Ich hoffe, das Vergnügen zu haben, Fräulein Frei,« sagte Adolar, Hildegarde einen Schritt nähertretend, »Sie recht bald bei uns zu sehen. Es hat sich vieles geändert, seit ich Ihnen den letzten Schneeball zuwarf – erinnern Sie sich noch? Es war auf der zum Irrgarten hinabführenden Rampe. Der kalte Ball traf sie gerade auf den Nacken und Sie fuhren unter lautem Aufschrei zusammen! Jetzt, Fräulein Frei, bitte ich Sie dieses Vergebens wegen um Verzeihung! Ich würde es für Sünde halten, einen so reinen Nacken, vor dessen Weiße selbst der Schnee erbleichen muß, in so unwürdiger Weise zu berühren.«

»Adolar!« rief die Stimme des Barons. Der junge Mensch folgte dem Rufe des Vaters, und Hildegarde athmete tief auf. Sie wußte nicht, wie ihr geschehen war. Die Worte des Jünglings, dessen Augen – sie fühlte es, ohne zu sehen – brennend auf ihr ruhten, hatten sie verwirrt und beglückt. Ihr Blut stockte, unter den Falten des schwarzen Kuppkleides hob sich bewegt ihr Busen. Es war ihr lieb, daß Adolar sich entfernte, denn was sollte sie auf das Vernommene antworten! Und doch regte sich wieder der Wunsch in ihrem Herzen, er möge noch einmal und längere Zeit mit ihr sprechen. Sie hatte über den Worten des jungen Edelmanns die Mutter vergessen.


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