Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
KATHRINE AUF DER DECHANEI.
Kathrine Frei hatte sich im Sprechzimmer der Thür gerade gegenüber breit auf einen Stuhl niedergelassen. Quer über ihren Knien lag der unvermeidliche große Schirm, den sie ebensowohl gegen Sonnenschein wie gegen Regen zu tragen pflegte. Von starkem Gehen erhitzt, fächelte sie sich mit dem Taschentuche Luft zu, und musterte dabei nach ihrer Art mit mistrauischen und spöttischen Blicken das von Sabine äußerst sauber gehaltene Gemach. Da sie wirklich nichts Tadelnswerthes darin entdecken konnte, richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich selbst. Um im Gehen weniger belästigt zu sein, hatte sie ihre Kleider etwas aufgeschürzt. Die derben Schuhe ihrer ziemlich großen Füße waren bestäubt, und auch die Strümpfe zeigten noch über die Knöchel hinauf eine leichte graue Schattirung.
Der große Ordnungs- und Reinlichkeitssinn Kathrinens konnte es nicht ertragen, gefegte Wohnzimmer zu beschmuzen, und obwohl sie kaum anders in der Dechanei erscheinen konnte, nachdem sie einen langen, staubigen Weg zu Fuß zurückgelegt hatte, mochte sie doch um keinen Preis der Welt schuld sein an der Verunreinigung der tadellos reinen groben Tücher, mit denen die weißgescheuerten Dielen des Sprechzimmers bedeckt waren.
Schnell sich erhebend legte Kathrine ihren Schirm auf den Fußboden, nahm dann ihr stark zerknittertes Taschentuch, säuberte mit diesem erst die Strümpfe, dann ebenso gründlich die Schuhe, und war eben damit zu Stande gekommen, als sie Schritte vor der Thür vernahm.
Den Regenschirm wieder aufnehmend und sich darauf stützend, richtete sie ihre großen scharfen Augen finster auf die Thür. So blieb sie unbeweglich stehen, bis der Domdechant mit dem Stiftssyndikus eingetreten war und sie höflich vornehm begrüßt hatte.
Der formgewandte Prälat mußte seiner Schwester beim Anblick der hagern, alten Jungfrau doch recht geben. Kathrine Frei machte in ihrem originell geschmacklosen Anzuge, mit dem entsetzlich blatternnarbigen Gesicht, das jetzt vom Gehen in Staub und Sonnenglut braunroth aussah, den Eindruck eines abschreckenden Zigeunerweibes, wie sie damals noch dann und wann auf Dörfern und in offenen Marktflecken erschienen, und ungestüm, ja gebieterisch sich den verschüchterten Bewohnern aufdrängten.
Kurz und hochfahrend erwiderte sie den Gruß des Domdechanten, ohne dessen Begleiter auch nur zu beachten. Dann hob sie die linke Hand, die fest den Hausschlüssel umklammerte, und sagte diesen dem Prälaten zeigend:
»Ich habe mich vorgesehen, Herr Domdechant, und kann mich ausruhen, bis ich mich wieder kräftig genug fühle für den Heimweg! Das Forsthaus ist fest verschlossen, meine Leute habe ich laufen lassen zum Hahnschlagen, das die jungen Burschen abhalten, und wenn mein Bruder früher nach Hause kommen sollte als ich, so mag er an sich selber erfahren, wie angenehm es ist, wenn man auf andere Leute warten muß. Wissen Sie, was ich will, Herr Domdechant?«
»Wie könnte ich das wissen, liebe Freundin ... «
»Bin ich nicht, Herr Domdechant, auch ist das blos so eine Redensart, mit denen man Kindern, Eiteln und Narren Sand in die Augen streut! Bei mir ziehen solche Faxennicht; denn ich halt’ es mit der ungeschminkten Wahrheit. Damit Sie also gleich erfahren, mit wem Sie es zu thun haben, so sage ich’s frank und frei heraus: Ich bin katholisch geworden!«
»Katholisch?« rief der Stiftssyndikus. »Sie wollen wohl sagen verrückt?«
Der Domdechant nahm schweigend eine Prise. Seine ernsten Züge ließen erkennen, daß ihn die Redeweise der rücksichtslosen Person indignirte.
Kathrine warf dem Stiftssyndikus einen Blick souveränster Verachtung zu und machte einen tiefen Knicks.
»Bitte, Herr Cousin,« sprach sie, ihr Gesicht in noch häßlichere Falten zusammenfitzend, »wenn Sie auf dem Rückwege an der Apotheke vorüberkommen, bestellen Sie sich doch für einen Dreier Conduite! Das Kraut soll jetzt fast noch billiger zu haben sein als Wegrich.«
Liebner hustete und mußte sich das Taschentuch vor den Mund halten, um die maliciöse Schwester des Försters nicht merken zu lassen, daß ihr giftiger Rathschlag seine Lachlust reizte.
»Also, meine Liebe, Sie sind katholisch geworden?« warf der Domdechant ein, den dies Geständniß Kathrinens über alles interessirte.
»Nun ja, mein Herr Domdechant,« fuhr diese fort, »und wenn Sie nicht etwa Wunder thun können, so werd’ ich’s wohl auch noch eine Weile bleiben!«
Warnkauf machte große Augen und seine Mienen wurden noch ernster.
Der Stiftssyndikus begann jetzt vor Lachlust förmlich zu schluchzen, und als der Domdechant diesen deshalb verwundert ansah, sprach er:
»Wild, erbittert, rabiat ist meine interessante Cousine! Das nennen wir zur Unseligkeit prädestinirten Ketzer ja katholisch.« Bitte, lassen Sie der guten Person ja ihren Raptus, sie plaudert dann mehr aus, als sie sich vorgenommen hat!«
Der Prälat, seinen Irrthum jetzt ebenfalls einsehend, faßte sich, bat Kathrine, sie möge Platz nehmen, und fügte die Frage hinzu, was sie denn in eine so verzweifelte Stimmung versetzt habe.
»Ein Mann und ein Weib, Herr Domdechant,« erwiderte Kathrine, »oder wenn Sie wollen, ein Landstreicher und eine Landstreicherin. Der Stiftssyndikus wird mich schon verstehen, denn er ist gewiß und wahrhaftig nur dieser Vagabunden wegen zu Ihnen gekommen!«
Liebner setzte sich ans Fenster und simulirte von Zeit zu Zeit ein schluchzendes Husten. Der Domdechant ließ sich ebenfalls in einen der bequemen Sessel nieder, deren das geräumige Zimmer mehrere enthielt, und sagte:
»Sie müssen sich etwas bestimmter erklären, Mademoiselle, wenn ich Sie verstehen und die Absicht des Besuchs, mit dem Sie mich beehren, erkennen soll.«
Kathrine war offenbar damit beschäftigt, ihre Gedanken zu ordnen, um sie in leidlichem Zusammenhange vorzutragen, denn sie blickte bald nach oben, bald seitwärts, bald sah sie den Domdechanten mit halb lauerndem, halb herausforderndem Auge an. Endlich schien sie mit sich im Reinen zu sein. Sie stieß den Regenschirm auf die Diele und sagte:
»Nicht wahr, Herr Domdechant, meine Nichte Hildegarde ist ein undankbares, unkindliches, verworfenes Geschöpf, und wenn man ihr Bestes will, muß man ihr wünschen, daß schweres Unglück, bittere Schmerzen über sie kommen?«
»Hildegarde Frei hat mich tief betrübt,« erwiderte Warnkauf. »Ich hoffe, daß die Arme eines Tags zur Erkenntniß ihres Unrechts kommt, und daß sie dann in sich geht und sich bessert.«
»Wissen Sie, wo sich die verlaufene Dirne die ganze Zeit her, seit mein unglücklicher Bruder still um sie trauert, herumgetrieben hat?«
»Mein Amt entfremdet mich der Welt,« sagte der Domdechant.
Kathrine wendete ihre schneidend scharfen Blicke dem Stiftssyndikus zu.
»Zu welchem Zwecke wäre denn mein gelehrter Herr Cousin mit seinem französischen Appetit bei Ihnen, wenn er nicht von der verlaufenen Dirne mit Ihnen sprechen wollte?«
»Fahren Sie nur fort, Mademoiselle,« fiel nach diesen Worten der Stiftssyndikus ein. »Das Reden kommt an mich immer noch früh genug, wenn Sie sich erst gründlich ausgesprochen haben. Auch bin ich nicht eilig wie Sie, verehrte Cousine. Die Gastzimmer der Domdechanei stehen für erprobte Freunde immer bereit.«
»Ich will auch reden,« erwiderte Kathrine barsch, »und so reden, wie es mir ums Herz ist. Das Kind meines Bruders ward von Kindesbeinen an von mir nicht verhätschelt, denn ich will immer nur das Vernünftige. Darum wollte ich, Hildegarde sollte erzogen werden, wie’s Brauch war in meiner seligen Aeltern baufälligem Pfarrhause, und wie ich und mein Bruder Andreas erzogen worden sind. Früh, wenn die Hähne krähen, heraus aus den Federn, mögen die Nachtigallen singen oder der Schnee pfeifen. Rasch ins Zeug, mit einer tüchtigen Mehlsuppe den Magen erwärmt und dann an die Arbeit, daß sich die Muskeln dehnen, und die Gelenke strecken. Das gibt Menschen, die ’was aushalten, nicht piepsen, wenn ihnen ein scharfer Wind um Nase und Ohren weht, und sich das Gehirn nicht erweichen durch Einpfropfen zweckloser Dinge, von denen höchstens gelehrte Bücherwürmer und Schartekenschreiber andern vernünftigen Leuten zum Verdruß Gebrauch machen können. Aber meine Worte waren in den Wind gesprochen! Der Bruder hatte wenig Zeit und war vernarrt in die Grübchen der rosigen Wangen seiner weichhändigen, zartfingerigen Frau. Das Püppchen mußte in Spitzenhemdchen gesteckt und wie ein Prinzeßchen gepäpelt werden. Marzipan war für die zierliche Puppe, die ihrer Mama prächtig nachschlug, noch nicht gut genug! ... Na, und wir hatten es ja! Was nicht auf dem Forsthause wuchs, das gedieh auf Kaltenstein! Die vornehme Frau Baronin« – hier stand Kathrine auf und machte einen ihrer unnachahmbaren Knickse – »fuhr ihrer angebeteten Freundin alle erdenklichen Leckereien zweispännig in den Hof, und es wäre ja Sünde, himmelschreiender Undank gewesen, hätte meine feine Schwägerin so viele hochadeliche Liebesbeweise nicht voll Rührung annehmen wollen! Was zuletzt aus diesem Narrenkram, aus dieser Höllenerziehung geworden ist, das, denk’ ich, ist bekannt genug. Meine verweichlichte Schwägerin mußte ins Gras beißen, weil sie Zug und reinliche Zimmer nicht vertragen konnte; mein Bruder ward träumerisch, mismuthig und wenn ich ihn nicht manchmal aufrüttelte und ihm ins Gewissen redete, so wäre er – Gott steh’ mir bei – längst schon Laternenträger bei den nächtlichen Feldmessern, die immer auf krummen Wegen wandeln! Meine Nichte endlich hat sich total verworfen, ist landläufig geworden, zettelt Liebesgeschichten an und näht jetzt seit einigen Wochen, wie es heißt, an einem groben Kittel, der gemeinhin den Namen Büßerhemd führt ... Das ist’s, Herr Domdechant, was ich Ihnen mittheilen wollte! Eigentlich hätte es Andreas thun sollen, der arme Mann aber ist zu niedergeschlagen, zu bestürzt, auch zu beschämt, um sich bewegen zu lassen, eine so demüthigende Nachricht in Person zu überbringen. Ginge es meinem Bruder nach, so hätten Sie kein Sterbenswörtchen von dieser Geschichte erfahren. Ich aber will, daß sie landkundig wird, denn ich bin für die Wahrheit, nicht für die Lüge! ... Es soll’s jedermann hören, daß die vornehme Frau Baronin von Kaltenstein«– Kathrine schaltete wiederum einen Knicks ein – »schuld ist an dem Unglück, das meines Bruders Haus betroffen hat, und da ich nicht wissen noch ahnen konnte, daß der gelehrte Herr Cousin so auffallend mit mir übereinstimmte, hab’ ich mir ein Herz gefaßt, meine Seele und das Forsthaus Gott empfohlen, und bin hierher gewandert, um Sie, Herr Domdechant, dem wir doch einigen Dank schuldig sind, anzuzeigen, daß meine Nichte sich noch am Leben befindet, aber freilich – Gott sei’s geklagt, in einem Zustande, den ich meinem ärgsten Feinde nicht wünschen möchte!«
Der Prälat warf dem Stiftssyndikus einen fragenden Blick zu, da er zweifelhaft war, ob er die Rede der seltsamen Person für volle Wahrheit oder nur für einen Versuch halten sollte, der es auf seine wohlwollende Gesinnung absah. Die weinerliche Miene Liebner’s sagte ihm jedoch, daß er den Worten Kathrinens Glauben schenken dürfe.
»Ich weiß in der That nicht, Mademoiselle Frei,« versetzte Warnkauf, »in welcher Weise ich mich für diese Mittheilung, die für mich mancherlei Beruhigendes enthält, erkenntlich erweisen soll. Einstweilen danke ich Ihnen für Ihr Zutrauen und gebe Ihnen die Versicherung, daß ich heute noch ebenso innigen Antheil nehme an dem Geschick Ihrer Nichte wie damals, als Ihr Herr Bruder mir sein schwer zu behandelndes Kind zuführte. Ist das bedauernswerthe Geschöpf im Forsthause wieder eingetroffen?«
Kathrinens zerrissenes Gesicht ward sehr finster. Sie schüttelte heftig den Kopf, biß die Lippen fester zusammen und machte eine Bewegung mit der Hand, welche den Hausschlüssel hielt, die sich Warnkauf leicht erklären konnte. Dann sagte sie hart und kalt:
»Ins Forsthaus kommt die verlaufene Dirne nicht eher, bis sie mir Abbitte gethan hat, es sei denn, die Gerichtsleute trügen mich früher als Leiche aus demselben! Just das ist der Punkt, der mich zwang, in dieser Hitze mich auf die Socken zu machen, mein hochwürdiger Herr Domdechant ... Meinem Bruder Andreas, obwohl er das Mädel unter die Fuchtel nehmen sollte, wässert schon der Mund nach Hildegardens frischen Lippen, denn er ist ein Mann von der weichen Sorte, die für ein hartes Leben wenig taugt. Zum Glück aber bin ich noch da, die für ihn sorgen kann und will, und darum soll er zu seinem eigenen Besten seinen Willen nicht durchsetzen.«
Stiftssyndikus Liebner trocknete sich die thränenden Augen ab und näherte sich Kathrine.
»Mademoiselle vergißt, daß in dieser wichtigen Angelegenheit außer dem wackern Förster auch noch eine andere Person um ihre Meinung zu befragen ist,« sagte er. »Wenn nun diese Person mit Mademoiselle nicht harmonirte, wie dann?«
Kathrine warf den Kopf in den Nacken und entgegnete hochfahrend:
»Ich weiche niemand!«
»Das ist auch noch gar nicht verlangt worden, Mademoiselle,« sprach Liebner, der plötzlich aus einem zum Weinen aufgelegten Manne sich in einen geschäftseifrigen Juristen verwandelte. »Ich erlaubte mir auf gütliche Vereinigung hinzudeuten. An dieser wird man festzuhalten genöthigt sein, weil verschiedene Interessen zu berücksichtigen sind.«
»Ich kenne nur die Interessen meines Bruders,« sagte Kathrine, indem sie ihren Sitz wieder einnahm und den Regenschirm zwischen die Knie klemmte. »Diesem diene ich, und würden mir Kaiser und Papst deshalb aufsätzig.«
»Wir dürfen uns beide glücklich preisen, Mademoiselle,« erwiderte lächelnd der Stiftssyndikus, »daß wir die Aufmerksamkeit so hoher Würdenträger nicht zu besorgen haben. Mir indeß als Cousin des Försters und als sein Rechtsfreund liegt es ob, etwas umsichtiger zu verfahren, und da möchte es sich ergeben, daß die Interessen namentlich dreier Personen gleichmäßig Anspruch haben gewahrt zu werden. Diese Personen sind der Förster Frei, dessen Tochter Hildegarde und der junge Baron von Kaltenstein.«
Um Kathrinens schmale Lippen spielten Spott und Hohn.
»Der junge Baron!« sprach sie lachend. »Was kümmert mich der adeliche Musje?«
»Förster Frei steht in seinen Diensten, Mademoiselle, seit Adolar von Kaltenstein die Herrschaft angetreten hat. Diesen Punkt werden Sie nicht abstreiten wollen. Ferner hegt er einiges Wohlwollen für die Tochter meines Cousins, die er nicht gern ein zweitesmal von der eigensinnigen Frau Baronin auf Abwegen ins Ausland geleiten lassen möchte, und endlich hat er die höchst löbliche Absicht, früheres Unrecht, so gut es sich thun läßt, wieder gut zu machen.«
Kathrine erfaßte den Regenschirm mit ihrer knöchernen Hand und stand auf.
»Gut,« sprach sie, »der junge Herr Baron mag thun und lassen was er will, ich werde und kann ihm das nicht verwehren, in meinem Revier lass’ ich ihn aber nicht jagen! ... Das Blut der Kaltenstein, nun ich denke man weiß, was man davon zu halten hat! ... Kurz und gut, Herr Stiftssyndikus, meine verlaufene Nichte soll mit meinem Willen nicht in die Hände dieser Familie fallen! ... Ihre Ankunft ist uns angesagt; ich werde sie empfangen, und sehe ich, daß die Kaltensteiner den Ofen überheizen wollen, so gehe ich, Herr Stiftssyndikus, zur Abwechselung durch mit meiner Nichte, und wo sie mich und das Mädel nicht vor die Thür setzen, das weiß ich!«
Das Auge der aufgeregten alten Jungfrau ruhte auf dem Antlitze Warnkauf’s, der die Absicht Kathrinens und die Veranlassung ihres Kommens jetzt vollkommen durchschaute. Er verbeugte sich unmerklich, indem er zugleich einen Seitenblick auf den Stiftssyndikus warf.
Dieser zuckte die Achseln und sagte:
»Warten wir Hildegardens Ankunft ruhig ab, Mademoiselle! Wenn Ihr Bruder Ihnen alles mitgetheilt hat, was ihm zu eröffnen mir oblag, seit der junge Herr von Kaltenstein mich ersucht hat ihn durch meine juristischen Kenntnisse zu unterstützen, so wissen Sie auch, daß Hildegarde nicht allein in ihre Heimat zurückkehrt.«
»Freilich,« erwiderte Kathrine, in ihrer derben Weise lachend. »Von der Vornehmheit will sie nicht lassen oder die Vornehmheit läßt nicht von ihr. Nun’s keine Baronin sein kann, muß ihr eine Gräfin die Schleppe tragen. Ich denke nur, diese neue vornehme Bekanntschaft ist nicht von edlerer Rasse als die weiland Mademoiselle Clotilde Geldern! ... Sie darf sich darauf verlassen, daß ich die Worte der Frau Gräfin gegenüber nicht auf die Goldwage legen werde.«
Dies Geduld des Stiftssyndikus ging zu Ende. Er sah sich an seiner Würde, an seiner Ehre durch die hartnäckige Kathrine, die Hildegarde um jeden Preis, wenn auch auf Umwegen, an sich reißen wollte, um endlich Gewalt über sie zu gewinnen, tief verletzt.
»Man wird Sorge tragen, Mademoiselle,« sagte er in sehr entschiedenem Tone, »daß die Frau Gräfin von Serbillon, unter dessen Schutze die Tochter meines Cousins bisher lebte, und deren wohlthuendem Einflusse es gelungen ist, das Mädchen zum Nachdenken über sich selbst zu bringen, sich nicht erschrickt über – über die unerhörte Accuratesse in einem einfachen Forsthause! Gräfin von Serbillon wird mit ihrer jungen Begleiterin im Stift absteigen. Das ist ein neutraler Boden, Mademoiselle, den wir beide respectiren müssen. Weilt die Heimgekehrte erst im Stift, so können wir als einander gegenüber stehende feindliche Mächte in aller Gemächlichkeit zu tractiren beginnen. Mir macht das immer viel Vergnügen, denn man lernt dabei und braucht sich gar nicht zu ereifern.«
Kathrine kehrte dem Stiftssyndikus erbittert den Rücken und ergriff hastig die Hand des Domdechanten.
»Ich bin schon wieder katholisch,« sprach sie, »meinen Willen aber werde ich doch durchsetzen!« Dann kehrte sie ihr blatternnarbiges, erhitztes Gesicht abermals dem Stiftssyndikus zu, stieß die Spitze ihres Regenschirms hart auf den Boden und fuhr fort:
»Hier, aus diesem Hause, das sie dem wilden, verzogenen und verlogenen Kinde selbst zum Aufenthalte empfohlen, ist sie ausgebrochen in thörichter Raserei, und hier soll sie wieder einkehren, damit sie dem hochwürdigen Herrn Domdechanten für die ihm zugefügte schwere Beleidigung Abbitte thut, fußfällig, in Thränen schwimmend und die Hände ringend! Und ich, die ich es wahrhaftig gut mit ihr meine, ich will dabei stehen! ... So soll und muß es geschehen oder ich schreie lauter um Gerechtigkeit, als das jüdische Gesindel ihr › Kreuzige!‹ rief beim Erblicken des geschlagenen, dornengekrönten Heilandes!«
Der Stiftssyndikus verrieb unter seiner stark gerötheten Nase eine Prise, die er aus der Dose des Domdechanten entnommen hatte.
»Eine respectable Consequenz, ich muß gestehen!« sagte er. » Fiat voluntas tua! Mademoiselle darf sich aber nicht beklagen, wenn der Athem ihrer Lunge von weniger Ausdauer ist als das Recht, das nach dem Urtheil widerhaariger Laien mit dehnbarem, jeder Form sich fügendem Wachse verglichen wird. Also Mademoiselle Frei, zwischen uns besteht Krieg, bis wir gegenseitig in aller Form Rechtens sanftmüthig lächelnd die Friedenstractaten unterzeichnen.«
Kathrine nickte wie ein Hahn, der mit geschwollenem Kamme eine widerspenstige Henne zur Raison gebracht hat. Sie stieß noch einigemal ihren Regenschirm auf den Boden und wiederholte:
»Hier, mein Herr Stiftssyndikus, hier soll sie Buße thun, die mich und den hochwürdigen Herrn Domdechanten so schwer beleidigt hat!«
Darauf verbeugte sie sich lächelnd gegen beide Herren, rückte ihren in den Nacken geglittenen Hut etwas mehr nach vorn und entfernte sich, ohne der Aufforderung Warnkauf’s zu achten, der sie zu bleiben bat und ihr seinen Wagen zur Disposition stellte.
Kathrine hörte nicht. Sie verließ ungebrochenen Muths das Dechanat und schritt hochaufgeschürzt, wie ein hausirendes Zigeunerweib, im Abendsonnenlicht der Pforte zu, außerhalb welcher sie den Blicken der Zurückbleibenden alsbald verschwand.