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ZWISCHEN MUTTER UND SOHN.
Auf Kaltenstein hatte inzwischen die Abwesenheit des Barons gegen dessen Vermuthen zu einer Zusammenkunft Adolar’s mit Clotilde geführt. Diese Frau, seit längerer Zeit schon bald ein Spielball ihres Hochmuths und ein halbes Leben lang mit Vorliebe gepflegter Gelüste, bald ein willenloses Opfer ungerufen sich einstellender Quälgeister, die sie mit Vorwürfen aller Art peinigten, war seit dem letzten Besuche Sandomir’s nicht mehr recht zur Ruhe gekommen. Es leuchtete ihr ein, daß der rücksichtslose Bruder, dem ihre erzwungene Verheirathung mit dem Baron jede reichlich fließende Erwerbsquelle verstopft hatte, niemals ganz schweigen werde, wenn man ihm auch hundert Versprechungen abtrotze. Als der einzige Mensch, der ihr gefährlich werden könne, haßte Clotilde den Bruder und wünschte je eher, je lieber seinen Untergang. In diesen Haß mischte sich aber ein schmerzliches Reuegefühl, wenn sie der Vergangenheit gedachte. Es würde – so meinte Clotilde – ihr ganzes Leben eine andere, bessere Wendung genommen haben, hätte der Himmel ihr einen andern Bruder gegeben. Statt daß Sandomir Geldern über das Wohl der Schwester wachen, sie vor jedem Unfall, vor jedem Fehltritt bewahren sollte, hatte er der Unerfahrenen mit lächelndem Munde die Wege zum Verderben als diejenigen angepriesen, welche zu weltlichem Glück, zu Genuß und Glanz führen müßten. Durch die Verbindung mit dem reichen Baron war sie allerdings in andere Verhältnisse gekommen; allein sie konnte den ihr zugefallenen Mann weder lieben noch achten. Nur das Eine begriff sie, daß sein Name ihre ganze Vergangenheit auslöschen könne, wenn es ihr gelingen sollte, jede Brücke hinter sich abzubrechen.
Jahrelang war der klugen Frau, die das Leben vielfach gewitzigt hatte, dies wirklich geglückt. Nun aber stellten sich bei dem unsteten, heimatlosen Sandomir die ersten Nachwehen zu schnell verbrauchter Lebenskräfte ein. Das Alter mit seinen Sorgen meldete sich immer unbequemer. Nichts blieb ihm treu als seine gute Laune, sein frivoler Humor, seine lockere Lebensansicht und die Lust, um jeden Preis die ihm etwa noch vergönnten Jahre möglichst froh und ohne sich persönlich abzumühen, zu genießen. Halb war es wirklich der Druck des Mangels, der ihn trieb, seiner vornehm gewordenen Schwester sich wieder zu erinnern, halb aber kitzelte ihn auch der Gedanke, die in ruhige Sicherheit Eingewiegte durch sein Erscheinen aus allen Himmeln herabzustürzen und sie geistig zu beherrschen. Die Gefährtin seiner Leichtfertigkeiten sollte nicht leer ausgehen, wenn ihn die Strafe ereilte. Es war Wunsch und Zweck Sandomir’s, persönlich die Rolle der Nemesis zu übernehmen, wenn Clotilde ihn nicht mit schwesterlicher Freundlichkeit behandeln und aufnehmen sollte.
Noch ehe er die Reise nach Schloß Kaltenstein mit seiner Tochter im vergangenen Herbst antrat, ahnte Sandomir Geldern bereits, was ihm bevorstehen werde. Da er seine trübe Vorahnung noch durch den ihm bereiteten Empfang, der mit einer förmlichen Verbannung endigte, übertroffen fand, glaubte er sich zu jedem Schritte, der sein Interesse fördern helfe, berechtigt. Er machte fortan ein förmliches Studium aus dem Bestreben, die unnatürliche Schwester und ihren vornehm brutalen Gatten moralisch zu vernichten. In diesem Streben glaubte Sandomir Geldern das einzige Mittel zu besitzen, das ihn zum Ziele führen könne.
Wir haben gesehen, wie Zufall und Schlauheit den Abenteuerer diesem Ziele schnell näher brachten. Er hatte nur eine Kleinigkeit in dem Entwurf seines Calculs übersehen: die Jugend Adolar’s und das noch unabgestumpfte Ehrgefühl des Jünglings.
Jetzt war Sandomir Geldern beiden zum Opfer gefallen, während der Boden unter seinen Füßen wich und ihn zugleich mit seiner Tochter und seinem allzu vorschnell handelnden Neffen zu verschlingen drohte.
Das Zusammenbrechen des gesinnungslosen Oheims hatte aber auch Adolar ernüchtert und das Gewicht der That, die er verüben wollte, und die entweder die Vorsicht Sandomir’s, oder des Vaters Entsetzen, oder endlich ein bloßer Zufall nicht zu Stande kommen ließ, fiel centnerschwer auf sein Herz. Es fehlte wenig, so hätte der Jüngling den zweiten noch geladenen Lauf seines Pistols gegen sich selbst gerichtet, um sich den Kopf zu zerschmettern. Diese zweite vorschnelle Handlung verhinderte Zerline, die ihm mit bewunderswürdiger Kraft das Pistol entriß. Der Anblick des zur Bildsäule erstarrten Vaters, sodann die einer Wahnsinnigen ähnliche Gestalt seiner eigenen Mutter entwaffneten ihn vollends und lähmten für längere Zeit seine Thatkraft.
Nur dem Vater mochte Adolar nicht begegnen. Theils fürchtete er den Zorn desselben, theils war er nicht so ganz Herr seiner Gefühle, daß er für sein Handeln vollkommen einstehen konnte. So verließ er im Lärm der ersten Bestürzung die wüste Trinkhalle, ohne sich um das Weitere zu bekümmern.
Bekannt mit allen Lokalitäten von Kaltenstein, zog er sich für den Rest der Nacht in die Kammer eines Seitengebäudes des Schlosses zurück, wo er früher häufig geweilt und sich mit Drechseln beschäftigt hatte. Hier suchte ihn niemand. Auch war es nicht wahrscheinlich, daß der Baron ein Bedürfniß fühlen werde, den erhitzten Sohn schon jetzt sprechen zu wollen. Die Entfernung der blutigen Spuren, welche die rasche That in der Halle hinterlassen hatte, ferner die Pflege des Verwundeten, die Besänftigung der Baronin und endlich das Beschwichtigen der Diener, welche die beiden Schüsse herbeiriefen, war nöthiger.
Es beruhigte Adolar, daß während der Nacht alles still geblieben war im Schlosse. Außer mehrmaligem Hin- und Hergehen mit Lichtern in den Corridoren konnte auch der Aufmerksamste keinen auffallenden Laut vernehmen. Ob Sandomir an der erhaltenen Wunde sterben oder ob er wieder genesen werde, wußte Adolar nicht.
So verging ihm die Nacht ohne Schlaf. Dafür gewährte sie ihm hinreichende Zeit, sowohl über seine eigene Lage wie über das, was ihm zunächst zu thun obliegen möge, reiflichst nachzudenken.
Als es tagte, vernahm er die polternde Stimme seines Vaters, die dem vertrauten Leibjäger Verhaltungsbefehle ertheilte und ihm noch besonders einschärfte, dem Verwundeten Ruhe zu gönnen.
»Mein Sohn darf das Schloß nicht verlassen,« fügte er hinzu. »Finde ich ihn nicht mehr vor, wenn ich zurückkomme, so verlaßt Euch darauf, daß ich Euch nicht allzu sanft die Wege zeigen werde!«
Ein Blick, den Baron von Kaltenstein dabei auf das Nebengebäude warf, in welchem Adolar sich verborgen hatte, sagte diesem zugleich, daß der Vater sein Versteck bereits kenne. Es war in der That nichts leichter als dies; die Fußtapfen im Schnee hatten den Sohn verrathen.
Gleich darauf entfernte sich der Baron aus dem Schloßhofe, und nun glaubte Adolar, auch für ihn sei die Zeit zum Handeln gekommen. Er war fest entschlossen, seine Mutter allein zu sprechen und nöthigenfalls den Eingang zu ihr zu erzwingen.
Zu seiner eigenen Verwunderung wehrte ihm aber niemand. Adolar begegnete weder einem Diener noch einer Zofe, und unaufgehalten gelangte er bis in das Vorzimmer des Boudoir, wo Clotilde sich gewöhnlich träger Ruhe hingab oder durch eine leichte Handarbeit und mit Lectüre sich die Zeit zu vertreiben pflegte.
Bis hierher war sein treuer Pudel ihm gefolgt. Kaum aber hatte Ophelia das Vorzimmer betreten, so legte er sich auf den Boden und stieß einige wehklagende Töne aus. Die Thür zum Boudoir ward darauf leise geöffnet und ein blasses, ängstliches Mädchengesicht spähte nach der Ursache derselben.
Diesen günstigen Moment benutzte Adolar, indem er rasch das Mädchen umfaßte, es durch eine geschickte Wendung in das Vorzimmer drängte, dann ebenso behend ins Boudoir trat und die Thür hinter sich verschloß.
Auf bequemer Chaiselongue hingestreckt, lag Clotilde. Ein kostbarer, echt persischer Shawl umhüllte ihre Gestalt von der Brust abwärts bis zu den Füßen. Sie schien zu schlummern, wenigstens regte sie sich nicht. Das Gesicht hatte sie der Wand zugekehrt. Ihre linke, sehr weiße und volle Hand lag lose auf dem buntfarbigen Shawl. Vor der Chaiselongue auf dem Teppich standen feingearbeitete, mit Schwan besetzte Morgenschuhe. Am Kopfende befand sich ein runder Tisch, der auf drei kunstvoll geschweiften Füßen ruhte. Auf diesem brannte noch eine Nachtlampe in matt krystallener Umhüllung und daneben stand eine geschliffene Caraffe von karmoisinrothem Glase nebst einem Becher von gleichem Material. Einige leere, faltige Papiere, die jedenfalls Pulver enthalten hatten, waren vom Tische auf die Erde gefallen.
Durch die nur halb aufgezogenen Rouleaux schimmerte kalt und traurig der graue Wintermorgen.
Adolar warf rasche Blicke nach allen Seiten hin, um sich zu vergewissern, daß er allein sei. Dann näherte er sich der Bewohnerin des scheinbar nur Frieden, Wohlstand und höchsten Comfort bergenden Gemachs auf den Zehen, und legte nach kurzem Verweilen seine eiskalten Finger auf die warme Hand der Mutter.
Mit einem kurzen, dumpfen Schrei fuhr Clotilde zusammen und erhob ihr Haupt. Ihre Lippen bebten, die Augen stierten glanzlos ins Leere, und laut röchelnd hob sich die Brust der Geängsteten.
»Ich bin es, Mutter,« sagte Adolar entschlossen, einen Stuhl an das Lager der Baronin schiebend, »ich habe Wichtiges mit Ihnen zu sprechen.«
Clotilde richtete sich auf, kehrte Adolar ihr verstörtes Gesicht vollends zu, faltete dann die Hände und lallte wie eine Irrsinnige: »Vatermörder!«
Darauf deckte sie beide Hände über die Augen, als graue ihr vor dem Anblick des schrecklichen Sohnes.
Adolar ließ sich von diesem Ruf des Entsetzens nicht stören.
»Wenn ich an meinem Vater zum Mörder geworden wäre,« sprach er kalt, »an wen anders als auf die Frau, die ich Mutter nennen soll, fiele der Fluch dieser That zurück? Ich habe Ursache, dem Himmel dankbar zu sein, daß es anders kam, als mein irrender Geist es wünschte ... Hätte meine Kugel des Vaters Brust durchbohrt, eine zweite zerschmetterte entweder mir den Schädel oder befreite ein Herz, das sich selbst verließ, von aller Erdenlast, die es bedrücken muß. – Mutter, in dem Augenblick, wo Sie einen Sohn erhielten, der Sie auf Händen zu tragen den festen Willen hatte, haben Sie durch Ihre eigene Schuld diesen Sohn auch wieder verloren ... Warum verstießen Sie mich schon als Kind von Ihrer Brust? Wenn Sie mich tödteten, wenn die Hand, die mich pflegen, mich liebkosen sollte, mir den Hals zugeschnürt hätte, wären Sie weniger grausam gewesen als damals, da Sie und der Herr Baron mir die Ehre erwiesen, mich großmüthig zu adoptiren!«
Adolar lachte entsetzlich und Clotilde drückte ihre zitternden Hände noch fester auf die thränenlosen Augen.
»Ich lebte sorglos und leichtsinnig in den Tag hinein,« fuhr der Jüngling fort, »und wenn ich mich um Gott und Religion weniger kümmerte als um das Geschirr, das ich als vierzehnjähriger Knabe dem schwarzen Ziegenbock auflegte, den mir der Baron zum Geburtstag schenkte, weil er ebenso wild sein sollte wie ich selber, lag die Schuld nicht an mir. Sollten Sie in diesem Augenblick wohl die ganze Wahrheit, die furchtbar niederschmetternde Wucht der Worte empfinden, die mir aus den Confirmationsstunden noch im Gedächtniß hängen geblieben sind, wie Kletten auf einem abgeschabten Kleidungsstücke: Gott, der Herr, wird die Sünden der Väter heimsuchen an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied? Ich will milder sein wie Sie, Mutter, und die Liebe ausreißen aus meinem Herzen, damit der Fluch, das einzige Erbe, das meine Mutter mir unverkürzt hinterlassen wollte, sich doch nur zum Theil erfüllen kann!«
Matt und schlaff, wie die einer Sterbenden, sanken jetzt Clotildens Hände herab auf ihre fieberhaft klopfende Brust. Ihr Auge suchte den so lange verleugneten Sohn, der mit dem Hohn der Hölle auf den Lippen, statt Balsam nur brennenden Schwefel in die Seele der unnatürlichen Mutter träufelte.
»O, daß ich sterben könnte!« stammelte die Baronin. »Oder daß ich wüßte, was ich thun muß, um meine Vergangenheit zu sühnen und diese Qualen aufhören zu machen!«
»Und das wissen Sie nicht?« rief Adolar aufstehend und mit zorniger Geberde der Mutter nähertretend, daß diese aufschreiend ein Ende des Shawl über ihr Gesicht zog, als vermöge sie damit gegen den Sohn sich zu schützen. »Auf die Knie müssen Sie stürzen unter Gottes freiem Himmel, in tiefer Nacht, wenn kein sterbliches Auge Sie erblickt, und im Gebet die Hände müssen Sie sich wund ringen, bis die Eisrinde von Ihrem Herzen schmilzt, die jedes rein menschliche Gefühl in Ihnen erstickt hat! ... Und wenn Sie sich zermartert fühlen vom Schmerz, der Ihrer Seele entquillt, dann nahen Sie sich als Büßende dem Altar und geloben fortan nur eine Duldende zu sein, bis Ihr Auge erblindet vor dem Glanze der Sonne, von deren Schein getroffen zu werden Sie nicht mehr verdienen! ... «
»Du bist entsetzlich, Adolar!« stotterte Clotilde.
»Könnte ich noch zehnmal entsetzlicher sein,« fuhr dieser fort, »es würde, glaub’ ich, uns allen zum Heile gereichen!«
Wieder mit einer hastigen Bewegung, welche der Baronin abermals einen Angstschrei entlockte, schleuderte ihr Adolar die lähmende Frage ins Gesicht:
»Wo blieb Hildegarde, die verschwundene Tochter des Försters Frei?«
Clotilde starrte den Sohn sprachlos an, mehr erstaunt als erschrocken über dessen Wissen.
»Wundert Sie diese Frage, daß sie Ihnen die Zunge lähmt?« fuhr er fort, »aber vermeinen Sie, ich habe kein Recht, eine solche Frage an Sie zu richten? Gleichviel, ich verlange von Ihnen zu erfahren, wo Hildegarde geblieben ist!«
Um den Mund Clotildens spielte ein frivoles Lächeln.
»Gelüstet’s dich, der Ritter dieses bürgerlichen Mädchens zu werden?« sagte sie, die Lippe aufwerfend und den Kopf mit einer Bewegung von dem Sohne abwendend, die keiner Erklärung bedurfte.
In Adolar flammte der Zorn von neuem auf.
»Ich will, daß dieses bürgerliche Mädchen, an dessen Erziehung Sie mit so aufopfernder Beharrlichkeit arbeiteten, nicht auf dem Spieltisch der Welt an irgendeinen Schurken verloren geht,« versetzte er mit blitzendem Auge. »Hildegarde war meine Gespielin, als ich noch keine Ahnung hatte von den Freveln vergangener Tage. Als ich sie wiedersah am Grabe ihrer Mutter, regte sich ein warmes und tiefes Mitgefühl für sie in meinem Herzen. Es war nicht Liebe, ich weiß es jetzt, es war das bloße Wohlgefallen an der jugendlich schönen Gestalt der ehemaligen Gespielin. Sie verstanden es damals, mich alsbald wieder von Hildegarde zu entfernen, weil Sie andere Plane mit ihr vorhalten. Seitdem sind schwere Thaten geschehen und aus der finstern Nacht längst vergangener Jahre schreiten gespenstische Schatten gegen dieses Schloß heran, um die aus den schwellenden Pfählen des Reichthums, unter dem Schirmdach der privilegirten Vornehmheit Eingeschlummerten mit heiserm Racheruf aufzurütteln. Bin ich auch ein Kind der Sünde, ein Jünger derselben will ich nicht werden. Darum verlange ich den Aufenthaltsort der Tochter Frei’s zu erfahren. Ich will das Kind dem Vater zuführen, damit es von mehr denn einer Hand geschützt, Ihnen, Frau Baronin, und Ihren verwirrenden Einflüssen entrückt wird.«
Diese Frage nach Hildegarde belebte aufs neue die Lebensgeister der erschöpften Clotilde. Sie vergaß augenblicklich alles andere, selbst die Anwesenheit des gefürchteten Bruders erschien ihr weniger wichtig; denn sie klammerte sich noch immer mit merkwürdigem Eigensinn fest an den Gedanken, die Tochter Corneliens, die sie in ihrer Art wirklich liebte, für sich allein zu erziehen und sie ihrem Vater erst dann wieder zuzuführen, wenn es ihr gelungen sein würde, derselben einen Freund und Beschützer aus vornehmem Stande und von hervorragender Weltbildung fürs Leben gegeben zu haben. Dieser Grund allein schon genügte, um Adolar trotzig und abweisend zu antworten.
»Ich werde mich freuen,« versetzte sie mit jener kühlen Vornehmheit, die ihr stets zu Gebote stand, »wenn ich höre, daß du Fortschritte in deinen Studien machst. Zerstreuungen und Erheiterungen, wie sie junge Männer von Stand in mäßigen Stunden lieben und wohl auch kaum entbehren können, werde ich niemals mit zu großer Strenge rügen, jedenfalls aber halte ich es für den Einfall eines Thoren, wenn ein junger Mensch in deinen Jahren sich zum Erzieher und Bildner eines Mädchens aufwerfen will, das mütterliche Vorsorge dem eigenen Vater entrückte, weil dieser in seiner Beschränktheit weder die Bedürfnisse noch die Begabung desselben richtig zu würdigen wußte.«
»Sie weigern sich also, mir den jetzigen Aufenthaltsort Hildegardens zu nennen?«
»Meinst du, ich werde einem naseweisen jungen Menschen, dessen Absichten ich nicht zu durchschauen vermag, sagen, was ich dem Baron und dem Förster, die doch eher ein Recht hätten, Aufschlüsse von mir zu fordern, aus guten Gründen verschweige? Du scheinst, dünkt mich, einen auffallenden Hang zu besitzen, dich Personen anzuschließen, welche dir nicht ebenbürtig sind.«
»Wenn dies ein Fehler ist, so habe ich ihn wahrscheinlich der Erbsünde zu verdanken,« sprach Adolar bitter.
Clotilde biß sich auf die Lippen, sah aber den kecken und entschlossenen Sohn mit harten, nicht weniger Entschlossenheit verrathenden Augen an. »Wo hast du wohl die Bekanntschaft dieser lächelnden, mit Geschick schmeichelnden Gauklerin gemacht,« sagte sie mit unbeschreiblich wegwerfendem Tone, »die stolz darauf zu sein scheint, den Namen ihrer Mutter vergessen zu haben?«
»Beim Spiel, gnädige Frau Mama,« erwiderte nicht weniger wegwerfend Adolar, »beim Maskenspiel!. Hätte ich ahnen können, daß unter der bestechenden Maske eine Natter sich verberge, in Gestalt eines Weibes, ich würde ihr nicht nachgeschlichen sein, um nicht in die Fußtapfen derer zu treten, die zu achten uns schon die Natur lehrt. Aber die Rache schläft nie, und sie ist’s, in deren Dienste ich stehe.«
Ein leises Klopfen, das sich bald deutlicher wiederholte, ward vernehmbar.
»Du kennst jetzt meinen Willen,« sprach Clotilde, die in dem klopfenden Finger ihre von Adolar so willkürlich entfernte Zofe vermuthete und diese ihr sehr willkommene Gelegenheit, den unbequemen Inquirenten fortzuschicken, sich nicht entgehen lassen wollte. »Ich wünsche allein zu sein, um mich zu sammeln und über das Los derer nachzudenken, die dein lächerlich tugendhafter Ungestüm in so großes Leid gebracht hat.«
Wieder zuckte ein spöttisches Lächeln um den noch immer anmuthigen Mund der Baronin. Sie zog den Shawl fester um sich und lehnte den bleichen Kopf mit den verworrenen, seidenweichen Haarflechten, die halb aufgelöst waren, zurück in die Chaiselongue.
Das Klopfen ließ sich zum dritten mal hören.
»Geh’!« sprach Clotilde, die müden Augen schließend, »geh’, und mache meinem Mädchen Platz! Die Abenteurerin wird ohnehin längst schon nach dir schmachten!«
Adolar stand mit gekreuzten Armen neben dem Lager seiner herzlosen Mutter.
»Und das ist alles, was Sie mir zu offenbaren haben?« versetzte er mit einem Anflug von Traurigkeit. »Sie waren Zeuge des Unfalls, der Ihrem eigenen Bruder durch Ihre und des Barons Schuld zugestoßen ist; Sie entsetzten sich beim Anblick des strömenden Bluts, daß sich eine kurze Zeit Ihre Sinne verwirrten, und dennoch regt sich in Ihrem Herzen kein Gefühl schwesterlichen Mitleids für den Unglücklichen!«
Clotilde schlug die Augen wieder groß auf und kehrte sie dem Sohne zu.
»Bin ich etwa glücklich?« erwiderte sie. »Glücklich durch ihn, der jetzt seinem Verhängniß erliegt? Wenn er die Augen und den Mund schlösse für immer, o, du heiliger Gott, wie wollte ich dir dankbar sein und voll Inbrunst zu dir beten!«
Adolar überrieselte es kalt beim Anblick seiner Mutter. Das war keine Verstellung, das war der Ausdruck eines tiefen, innern Schmerzes, der sich vielleicht zum ersten male in Worte kleidete. Auf ihren bleichen Zügen lag die Angst einer Seele, die sich vergeblich abmüht, den Stricken sich zu entringen, in welchen finstere, dämonische Mächte sie gefangen halten.
»Wenn ich noch einmal zurückkehre, gnädige Frau Mama,« sagte er, seinen Gefühlen Gewalt anthuend, »werde ich in Begleitung erscheinen, und wahrlich, dann verlasse ich Sie nicht, bis Sie mir gewillfahrt haben!«
Er kehrte sich um und schritt der verschlossenen Thür zu, an die schon wieder der mahnende Finger klopfte. Clotilde murmelte dem zudringlichen Sohne einige unverständliche Worte nach.
Adolar achtete nicht darauf. Er drehte den Schlüssel um und öffnete mit einiger Hast die Thür. Ueberrascht aber prallte er zurück, als er in der Klopfenden seine Cousine Zerline erkannte. Diese schien nicht weniger verwundert zu sein, den Cousin bei der Baronin zu finden, ihre Blicke aber sagten Adolar auf der Stelle, daß sie sich über die Entdeckung freue, und die Vermuthung, es könne ihm in der Person dieses naturwüchsigen, schlauen und rücksichtslosen Mädchens zur guten Stunde ein Bundesgenosse erstanden sein, ward dem jungen Mann beinahe zur Gewißheit.