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STÖRENDER BESUCH.
»Ein fremder Herr will mich sprechen?« sagte Baron von Kaltenstein, den Bedienten sehr mismuthig ansehend. »Und so früh? Ist das eine Zeit, wo man bei anständigen Leuten Besuche zu machen pflegt? ... Bin nicht zu Hause!«
»Der Herr tritt sehr zuversichtlich auf,« bemerkte der Bediente. »Wenn er sich nun nicht abweisen läßt?«
»Dann wirf ihn meinetwegen aus der Thür, nur laß mich in Ruhe! Die Geschichte mit dem unseligen Förster macht mir wahrhaftig Kopfschmerzen genug! Und zum Ueberflusse läuft auch noch die Tochter des Unglücklichen bei Nacht und Nebel davon, und ich muß es mir gefallen lassen, daß man allen Ernstes in meinem Hause nach ihr sucht! Meine Frau hat sich dermaßen darüber alterirt, daß sie aus einer Ohnmacht in die andere fällt!«
»Da kommt der Herr schon an,« sagte der Bediente, nach der Thür zeigend, die soeben geöffnet ward.
Der Baron sah in ein Gesicht, das er kannte, ohne sich gleich erinnern zu können, wo es ihm zuletzt entgegengetreten war.
»Guten Morgen, Alterchen,« sagte der Fremde, der, ohne eine Einladung abzuwarten, rasch ins Zimmer trat. »Wie geht’s? Fließen die Rimessen reichlich? Es gibt Leute, die etwas brauchen können, und die nicht gern weite Wege ohne Nutzen zu machen pflegen. Du wohnst hier verteufelt hübsch, und hast wohl noch ein paar Zimmerchen auf einige Zeit übrig für mich und mein Mädel?«
Ein strenger Blick des Besitzers von Kaltenstein trieb den lächelnd lauschenden Bedienten aus dem Zimmer.
Der Fremde, welcher mit so merkwürdig cordialer Zudringlichkeit den adelsstolzen Baron mit fast beleidigendem Du anredete, war ein Mann von gegen sechzig Jahren, breitschulterig, von schlankem, kräftigem Wuchse, mit stark ergrauten Haaren, die einen bedeutenden Theil des Hauptes kahl ließen. Er trug einen ebenfalls grauen, starken und gutgepflegten Schnurrbart. Das Gesicht war geröthet und zeigte Spuren sinnlichen Lebensgenusses. Die Kleidung des Fremden war von feinem Stoff, aber stark abgetragen. In einem Knopfloche seines dunkelbraunen Rockes sah man ein schmuzig gewordenes Ordensband.
»Ich vermag mich wirklich nicht zu besinnen,« sprach Baron von Kaltenstein, »wie ich zu der ganz unverdienten Ehre komme ...«
»Ach was, Alterchen, laß den Schnickschnack!« fiel der Fremde ihm lachend ins Wort. »Sieh mich an mit deinen leichtfertigen, von vielem Trinken und vielem Genusse blaß gewordenen Schelmenaugen, und dann breite die Arme aus wie sonst, und drücke mich an dein treues Bruder- und Freundesherz! Wie wäre es möglich, daß du deinen langjährigen Kumpan und Reisegefährten, den zuverlässigsten Theilnehmer an allen deinen Thorheiten, Abenteuern, Liebeshändeln und Bacchanalien, deinen Geldern vergessen haben könntest?«
»Geldern? ... Wirklich? ... Du wärst Lieutenant Geldern?« sagte der Baron, als erkenne er den Fremden erst jetzt.
»Ich bin’s auf Ehre!« rief der Fremde, »mag es dir lieb sein oder nicht! Ich bin’s in eigener Person, dein leiblicher Schwager Geldern, ehemals ... «
Baron von Kaltenstein ließ den sehr laut sprechenden Lieutenant seine Rede nicht beendigen. Er hielt ihm die Hand auf den Mund und sagte in unverkennbarer Bestürzung:
»Still! ... Ich bitte dich um Gottes willen! ... Wenn du so schreist, zwingst du mich, dir die Gurgel zuzuschnüren!«
»Hoho, Alterchen!« erwiderte Geldern, sich freimachend und seine Stimme bedeutend mäßigend. »Wirf dich nicht zu sehr in die Brust und empfange einen Freund und nahen Verwandten nicht mit Drohungen! Daran bin ich nicht gewöhnt, Schwager, und ich lasse es mir auch nicht gefallen!«
Baron von Kaltenstein nahm eine vornehme Miene an und sagte:
»Du scheinst unsers vor zehn Jahren getroffenen Abkommens gar nicht mehr eingedenk zu sein. Ich habe dir doch vor nicht sehr langer Zeit geschrieben –«
Lieutenant Geldern lachte, indem er sich nachlässig in einen bequemen Sessel warf.
»Noth bricht Eisen, heißt es im Sprichwort,« unterbrach er den Baron. »Ich bin in Noth und darum habe ich mit Absicht alles Vergangene in die Fluten der Lethe versenkt, wie wir das früher so oft zusammen thaten, wenn uns mancherlei unbequem geworden war.«
»Reisest du unter dem Namen Geldern?« fragte der
Edelmann.
»Ist er dir etwa im Wege?«
»Du weißt es, daß ich es nicht haben will, und ich erkläre dir hiermit, ehe wir noch ferner Worte miteinander wechseln, daß ich die Führung dieses Namens unter keiner Bedingung dulden werde. Du befindest dich hier auf meinem eigenen Grund und Boden, innerhalb der Grenzen meiner gutsherrlichen Gerichtsbarkeit, und ich sage dir ohne Umschweif, daß ich, wenn du Lust bezeigen solltest Flausen zu machen, mein Recht gebrauche!«
»Das ist lieb und brav von dir, Alterchen,« erwiderte der Lieutenant, »und damit du siehst, daß ich heute noch wie vor langen Jahren, in glücklichern Tagen, Lebensart besitze, scheide ich mich von meinem Namen, den du ungern hörst.
Ich werf’ ihn hin, nun sein Gehalt verloren!« setzte er mit theatralischem Pathos hinzu. Der Baron reichte ihm darauf die Hand und sagte etwas freundlicher, obwohl noch immer mit finsterer Stirn:
»Gut, Sandomir, ich gebe dir jetzt Erlaubniß zu reden, wenn du mir gleichzeitig versprichst, deine Anwesenheit hier möglichst abzukürzen.«
»Da letzteres ganz von deinem Verhalten abhängen wird, so gehe ich bereitwillig auch diese Bedingung ein.
Höre und erhöre mich, und du sollst in jeder Beziehung mit mir zufrieden sein!«
»Was willst du?« fragte der Baron.
»Wenn ich darauf Antwort gebe, möchte ich doch von dir in Erfahrung dringen, wie meine liebe Schwester sich befindet?«
»Sie besitzt, was sie wünscht, und kann sich übernichts beklagen.«
»Und ... und euer hoffnungsvoller Sprößling?«
Im Gesicht des Herrn von Kaltenstein zuckten die Muskeln, als würden sie galvanisirt.
»Der Sohn deiner Schwester wird dereinst, wills Gott, der Träger und Stammhalter meines alten Namens sein,« lautete seine Antwort.
»Ausgezeichnet!« sagte der Lieutenant. »Die Geschichte ist nobel eingekleidet und du weißt, ich war immer für alles Noble passionirt! Darum mache ich dir von Herzen mein Compliment zu dieser Eröffnung. Wie alt ist der Junge gegenwärtig?«
»Einige zwanzig,« sprach der Baron verbissen. »Und nun?«
»Nun zum Geschäft!« erwiderte Lieutenant Sandomir Geldern, nahm ein Cigarrenetui aus der Brusttasche seines Rocks und bot seinem Schwager eine derselben an.
»Danke! Ich pflege um diese Zeit nicht zu rauchen.«
»Ich rauche zu jeder Stande, wenn ich Lust und Appetit habe. Es sind feine Manillas. Also?«
»Danke!« sagte der Baron nochmals.
»Man macht immer die besten Geschäfte, wenn man dabei eine gute Cigarre raucht. Der schöne, dunkelblaue Rauch, der so würzig über uns emporsteigt und unsere Denkerstirnen in olympische Wolken hüllt, gebiert die kühnsten Gedanken und gibt uns Muth, Erhabenes zu wollen und zu erstreben.«
Nach dieser Bemerkung zündete sich Geldern die Cigarre an und fixirte mit seinen schlauen, ins Grünliche spielenden Augen den Baron, als weide er sich recht innerlich an dem Verdrusse, welchen dieser offenbar über den unbequemen Besuch empfand.
»Um denn endlich in aller Ruhe von dem Geschäftlichen zu sprechen,« begann er von neuem, »will ich mich kurz fassen. Du weißt von früher her, daß man zuweilen Unglück hat und daß es nicht immer gelingt, das Glück zu corrigiren. Enfin, man kommt herunter, und weiß zuletzt nicht mehr wo aus noch ein. Diese Fatalität ist mir nun vor kurzem passirt, und weil ich augenblicklich wirklich keinen Ausweg mehr habe, spreche ich bei dir vor. Mit ein paar hundert Thalern ist mir geholfen.«
»Die ich dir geben soll?« fiel der Baron ein.
»Nicht geben, nur vorstrecken,« sagte Geldern.
»Keinen Heller bekommst du mehr,« erwiderte Baron von Kaltenstein. »Je mehr Geld man dir zuwirft, desto mehr willst du haben. Du warst stets ein Faß ohne Boden.«
Der Lieutenant lachte und ließ sich seine aromatische Manillacigarre vortrefflich schmecken.
»Ereifere dich nicht, Alterchen,« sagte er mit größter Gelassenheit, »du wirst nur grauer und häßlicher davon, und damit ist einem Manne von Welt ebenso wenig gedient als eleganten Frauen. Ueberlege dir in aller Ruhe mein Verlangen, bedenke deine Stellung, deinen Reichthum, meinen Einfluß, – bei diesen Worten traf den Baron ein eigenthümlich-stechender Blick Geldern’s – »und dann rücke gemächlich mit dem Gelde heraus! Ich mache mir’s einstweilen hier bequem, lasse mein Mädel kommen, um es der vornehm gewordenen Tante vorzustellen, und lade mich zu Mittag bei dir und deiner liebenswürdigen Frau ein.«
Baron von Kaltenstein hatte, im Zimmer auf- und abgehend, seinen Schwager ausreden lassen. Jetzt trat er dicht vor ihn hin und erwiderte:
»Sandomir, willst du mich anhören?«
»Herzlich gern! Nur laß deine Rede wie Gold und Silber klingen, nicht wie gemeines Blei!«
»Es besteht ein Abkommen unter uns, nicht wahr, daß die Vergangenheit für immer begraben sein soll?«
Sandomir Geldern nickte beistimmend mit dem Kopfe.
»So ist es,« sprach er, »und so soll es auch bleiben!«
»Wenn du dies zugibst und damit einverstanden bist,« fuhr der Baron fort, »kannst du auch auf deinem Verlangen nicht bestehen. Clotilde würde sich zum Tode erschrecken, erblickte sie dich jetzt wieder!«
»Hm – hm,« brummte Geldern, »das will mir nicht recht einleuchten. Weiber sind zäh, und meine Schwester zumal ... ha, ha, ha, ha ... die ist ja an Ueberraschungen und starke Emotionen von Jugend auf gewohnt.«
»Nur nicht an den Anblick ihres Bruders,« fiel der Baron ein.
»Umarmen und küssen wird sie mich freilich nicht,« sagte Geldern, »ebenso wenig aber wird sie vor Entsetzen laut aufkreischen, wenn ich ihr freundlich entgegentrete. Dazu hat sie von dir und der ganzen vornehmen Welt, viel zu viel Lebensart gelernt. Deshalb, mein’ ich, es würde sich für uns beide schicken, du bereitetest deine Frau auf mein Kommen vor; wir verbrachten zusammen in traulichem Geplauder ein paar gemüthliche Tage und Abende, arrangirten eine kleine Partie ... «
»Nicht um eine Million!« rief Baron von Kaltenstein.
»Gewiß nicht, Alterchen,« lachte der Lieutenant. »So hoch geht der Flug meiner Gedanken und meiner Wünsche nicht, schon weil ich sie des niedrigem Einsatzes wegen, den du ja doch machen müßtest, nicht gewinnen könnte, aber ein paar hundert Thälerchen würde ich doch riskiren, nur müßte ich sie vorher besitzen.«
»Damit du mir durch deine Fertigkeit im Corrigiren des Glücks noch einige hundert mehr abschwindeln könntest ... Sehr pfiffig ausgedacht, mein Herr Schwager! Aber wir sind, gottlob! auch gewitzigt! Man hat doch nicht ganz umsonst eine volle Mandel Jahre mit Abenteuerern, Glücksrittern und vornehmen Gaunern – entschuldige das Wort – die Welt durchzogen und sich zuletzt von dieser ... nobeln Sippschaft durch ein gewagtes Manöver für immer – hörst du: für immer – losgekauft!«
»Alles vollkommen wahr,« versetzte Geldern, »doch ist nie davon die Rede gewesen, daß dieser sogenannte Loskauf eine Beseitigung jeglicher nobeln Passion mit involvire. Eine der nobelsten Passionen aber ist das Spiel, und ich seh’ es dir an den Augen an, daß du es heute noch ebenso sehr liebst wie vor zwanzig Jahren.«
»Ich will noch einmal ein Thor sein,« sagte Baron von Kaltenstein, »und dir einige hundert Thaler auszahlen, du mußt dich aber zwei Bedingungen unterwerfen.«
»Für Geld thut der Mensch viel,« erwiderte Geldern, »lassen doch die jüngsten und schönsten Mädchen sich für Geld an die gemeinsten Wüstlinge verkuppeln. Nenne mir deine Bedingungen.«
»Du bleibst nur heute und die nächste Nacht auf Schloß Kaltenstein, dann reisest du mit deiner Tochter wieder ab, und unterzeichnest einen Revers, daß du dich nie wieder bei mir blicken läßt, nie wieder neue Forderungen an mich machst, mit Clotilde nicht ein Wort von der Vergangenheit sprichst und daß du in alle Zukunft deine Schritte nicht noch einmal nach Kaltenstein lenkst!«
»Du verlangst viel, Alterchen,« sagte Geldern nachdenklich, nachdem er die gestellten Bedingungen leise wiederholte, »indeß aus Freundschaft, aus alter Anhänglichkeit an dich, aus Liebe zu Clotilde will ich darauf eingehen. Hole also das Geld und setze den Revers auf!«
»Und kein Wort mehr vom Spiel,« fügte der Baron hinzu. »Seit jener entsetzlichen Nacht – es schaudert mich noch, wenn ich daran denke – habe ich den Grünen Tisch geflohen wie die Sünde!«
Sandomir Geldern lachte cynisch.
»Wie die Sünde, wenn sie nicht schön ist,« sagte er. »Ich begreife gar nicht, was dich dabei so alteriren kann? Ich habe immer über jenes Spiel gelacht, und – alles in allem, Alterchen – so gar lumpig und sündhaft war der Einfall doch nicht! ... Auch gewannst du ja, und das ist doch wohl die Absicht eines jeden, der sein Glück im Spiele versucht.«
»Ich mahne dich an unser langjähriges Abkommen, über Vergangenes zu schweigen,« unterbrach Baron von Kaltenstein seinen Schwager. »Um alles Aufsehen möglichst zu vertreiben und keinerlei Gerüchte aufkommen zu lassen, will ich Clotilde von deiner unerwarteten Ankunft benachrichtigen. Hüte inzwischen deine Tochter; ich werde Sorge tragen, daß sie freundliche Aufnahme findet.«
»Und wenn ich wiederkomme, liegt das Geld, nicht wahr!«
»Geld und Revers, ersteres zum Einsacken, letzterer zum Unterzeichnen werden bereit liegen. Wo hast du dein Kind gelassen?«
Geldern zog die Schultern in die Höhe und blinzte mit den Augen.
»Genau weiß ich es selber nicht,« sagte er in jenem leichtfertigen Tone, den er bei seinen Gesprächen meistentheils beibehielt. »Aengstlich bin ich nicht, und da Zerline ohne Mutter aufgewachsen ist, und von Kindheit an sich selbst helfen mußte, bedarf sie keiner Aufsicht. Mir kommt das sehr zu statten, da ich ganz ungenirt und stets Herr meiner Zeit bin. Irgendwo in der Nähe des Schlosses wird sie mir wohl in die Augen fallen.«
Er stand auf und griff nach seinem stark abgetragenen, feinen Castorhut.
»Also zu Mittag, nicht wahr?«
»Du bist mit deinem Kinde für heute und die nächste Nacht zu mir eingeladen. Gehe und komme während dieser Zeit wie du magst.«
Geldern entfernte sich, der Baron aber geberde sich wie ein Wüthender, als er sich wieder allein sah.
»Daß der entsetzliche Mensch auch nicht sterben will!« rief er einmal über das andere aus. »Ich hab’s geahnt, daß er doch noch einmal den Frieden meines Hauses stören wird, denn umsonst schreibt er keine Briefe. Und ich traf doch meine Vorkehrungen ... Fatale Geschichte! ... Hätte ich diesen Ausgang vorausahnen können, ich würde mich wohl gehütet haben, dem verruchten Menschen ein paar Haarsägen zuzustecken! ... Aber ich hoffte, er könne mir dienen und ... die Sache hatte in aller Stille ein Ende gehabt. Nun läßt sich der Narr erschießen, und mein alter, braver Frei, dieser zum Unglück wahrhaft prädestinirte Mensch kommt in den Verdacht, den schlechten Menschen absichtlich erschossen zu haben ... Die verfluchten Freikugeln.
Der Baron von Kaltenstein erschloß seine Geldkiste, entnahm derselben einen gewichtigen Beutel, den er mit bedauernden Blicken betrachtete und hart auf den Tisch stellte.
»Wieder eine Abkaufssumme, die doch nicht verschlagen wird, wenn man nicht durch kräftigere Mittel nachhelfen kann,« sprach er düster. Darauf zählte er die in dem Beutel enthaltene Summe nach, bei welcher Beschäftigung ihm noch einigemal die Worte entschlüpften.
»Die verfluchten Freikugeln!«