Otto Ernst
Semper der Mann
Otto Ernst

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XXXI. Kapitel.

Der Kämpfer als Friedensapostel.

Als Asmus Sr. Magnifizenz gegenübersaß, fühlte er, daß er kein leichtes Spiel haben werde. Denn erstens war Veldkamp ein alter Hamburger, also sehr konservativ und zugeknöpft, zweitens war er ein alter Jurist, also für die nicht rechtsgelehrte Menschheit ein hartgesottener Bissen, und drittens schien er nach seinen Zügen magenleidend zu sein. Durch ein vorangegangenes Schreiben Asmussens kannte er den Zweck dieses Besuches. Mit einem grämlichen Lächeln begann er:

»Sie erstreben also den ewigen Frieden, meine Herren. Versprechen Sie sich denn einen Erfolg von Ihren Bemühungen?«

»Keineswegs einen baldigen,« versetzte Asmus als Sprecher der Deputation. »Aber man soll ja für Ideale streben, die sich erst nach Jahrhunderten oder Jahrtausenden und vielleicht niemals ganz erfüllen können.«

»Ja, wie wollen Sie's denn überhaupt erreichen? Durch Abrüstung? Sagen Sie mal England, daß es seine Flotte abschaffen soll.«

»Ich halte den Gedanken der Abrüstung für ganz wertlos. Nach welchen Grundsätzen sollte man die militärische Stärke eines Landes fest setzen? Sie setzt sich ja aus hundert Faktoren zusammen, nicht zuletzt aus unwägbaren Dingen. Außerdem braucht z. B. Deutschland eine größere Verteidigungsmacht als gewisse andere Länder. Ich bin Anhänger der Friedensidee; aber wenn England uns bekriegt, bin ich dafür, daß wir ihm das Leder gerben. Die Abrüstung ist also ein unlösbares Rechenexempel. England würde uns freilich mit einem huldvollen Lächeln belohnen, wenn wir abrüsteten, und würde seine Flotte behalten, um uns frei bestehlen zu können.«

»Na, da sehen Sie's! Right or wrong – my country! – das hat England groß gemacht.«

»Reich jedenfalls, wenn auch nicht groß. Der Grundsatz ›Right or wrong – my country‹ ist nach meinem Empfinden Gaunerpatriotismus. Gewiß, wenn mein Land den Krieg freventlich verschuldet hat und nun in Gefahr ist, werde ich für seine Rettung kämpfen; aber ich werde wahrscheinlich schlecht kämpfen; denn in meinem Herzen kann sich Unrecht niemals in Recht verwandeln. Und so lange es mir mein Gewissen irgend erlaubt, werde ich meinem Lande, wenn es im Unrecht ist, sein Unrecht vorhalten.«

»Sie sprechen von Recht, Herr Semper. Macht geht immer vor Recht.«

»Jedenfalls oft, Herr Bürgermeister; aber das Recht folgt hinterdrein. Wenn Macht immer vor Recht gegangen wäre, wie wäre dann überhaupt Recht in die Welt gekommen? Ew. Magnifizenz werden Kants Schrift ›Zum ewigen Frieden‹ besser kennen als ich. Er weist darauf hin, wie das Recht immerhin schon so viel Gewalt habe, daß selbst die Verbrecher, die Kriege anzetteln, genötigt sind, ihrer Sache den Mantel des Rechts umzuhängen. Und, Herr Bürgermeister, verzeihen Sie dies argumentum ad hominem – herrscht in dem Staate, der sich Ihrer Regierung erfreut, nur die Macht oder das Recht?«

»Sie hätten keinen üblen Anwalt abgegeben,« meinte Veldkamp schon etwas freundlicher. »Aber bedenken Sie denn nicht, daß eine Regierung nur Recht walten lassen kann, wenn sie die Macht dazu hat?«

»Also kann auch das Recht im Besitze der Macht sein!« rief Asmus lebhaft, »und eben das ist unser Bestreben: das Recht immer mehr in den Besitz der Macht zu bringen. Ich bitte Sie, Herr Bürgermeister, in uns keine Schwarmgeister zu erblicken; ich wenigstens suche überall den denkbar wirklichsten Boden. Aus der Güte des Menschenherzens wird der ewige Friede niemals erblühen. Eher noch kommt er vielleicht aus der Vervollkommnung der Mordwaffen. Wenn man in Berlin durch einen Druck auf den Knopf Paris in Staub zerblasen kann, wenn man durch Flugmaschinen – ich bin überzeugt, daß wir einmal fliegen werden – (hier lächelte Se. Magnifizenz väterlich) aus sicherer Höhe Mord und Brand herabsenden kann, dann wird es mit dem Krieg oder mit der Menschheit zu Ende sein. Vorläufig aber wollen wir Friedensfreunde es mit dem Recht versuchen. Das Recht ist in der Welt, wie die Wahrheit in der Welt ist: ohne Zutun und Verdienst der Menschen. Wie die Wahrheit immer wieder durchscheint, wenn man sie auch mit tausend Lügennetzen umsponnen hat, so steigt das Recht auch aus den tiefsten Gräbern, die ein Krieg ihm graben mag. Darin erblicke ich die ›göttliche Weltordnung‹, und das macht mir diese Welt bewohnenswert.«

»Und durch welche Mittel wollen Sie das Recht in den Besitz größerer Macht bringen?« fragte der Bürgermeister interessiert.

»Ich sagte schon, daß es sich eigentlich selbst durchsetzt durch seine immanente Gewalt. Aber es ist für uns selbst heilsam, wenn wir ihm zu Hilfe kommen. Ich denke mir das so. Heutzutage werden Kriege nur noch selten von Fürsten, öfter schon von ihren Ratgebern, im allgemeinen von Interessentengruppen angestiftet, die vom Kriege Vorteil erhoffen dürfen. Schlagen muß den Krieg noch immer das Volk. Kein Volk will aber von Haus aus einen Krieg. Es muß dazu aufgereizt werden. Was es aufreizt, kann die Stimme des Rechts sein; meistens ist es die Stimme des Unrechts. Für eine schlechte Sache aber kann sich ein Volk nur erbärmlich schlagen; es muß also belogen werden. Immer findet sich eine von den Interessenten gekaufte Presse, die das Volk schamlos belügt. Es ist also unsere Aufgabe, den Völkern immer deutlicher zu machen, daß sie Krieg und Frieden in der eigenen Toga tragen, sie immer mißtrauischer zu machen gegen Zeitungs- und Diplomatenlügen, es immer unwahrscheinlicher zu machen, daß ein Volk für eine schlechte Sache ins Feld ziehe, und für die, die es dazu verleiten, das Spiel immer gefährlicher zu gestalten.«

»Da brauchen Sie eine lange Geduld, Herr Semper.«

»Eine unendliche, Herr Bürgermeister! Das wissen wir.«

»Ein Volk wie die Franzosen können Sie mit einer Handvoll Phrasen in jeden Krieg hetzen.«

»Dann werden sie's auch büßen müssen wie 1870,« versetzte Asmus.

»Aber übersehen Sie denn ganz, Herr Semper,« rief Veldkamp abspringend, »daß der Krieg auch etwas Großes und Herrliches sein kann, daß er die besten Eigenschaften eines Volkes zur Entfaltung bringt? Denken Sie nur an 1813!«

»Die Befreiungskriege waren Kriege der heiligsten und gerechtesten Notwehr und sind und bleiben eine ewig verehrungswürdige Volkserhebung in jedem Sinne. Welcher Deutsche könnte anders denken! Und doch, Magnifizenz: können wir darum die Wiederkehr eines solchen Krieges wünschen? Dann müssen wir doch auch die Wiederkehr seiner Voraussetzungen, aller Verbrechen und Leiden wünschen, die ihm vorausgingen. Wer einen Befreiungskrieg will, muß auch einen Napoleon wollen. Und ist dann die Summe dieser Größen wirklich ein Segen?«

»Herr Semper, Sie sind ja Schriftsteller, wie ich gehört habe. Denken Sie an das, was unser Schiller vom Kriege gesagt hat: Alles erhebt er zum Ungemeinen, selber dem Feigen erzeugt er den Mut.«

Asmus war schier gerührt; Verse im Munde eines alten Hamburger Juristen, das ist so, wie wenn durch die Spalte eines langen, kahlen Bretterzauns eine Blume schaut.

»Schiller«, sagte Asmus, »hat im ›Wallenstein‹ und ›Tell‹ auch anderes gesagt. Gewiß kann der Krieg heroische Eigenschaften erwecken und die Kraft eines Volkes offenbaren, ja, er kann eine der herrlichsten Tugenden erwecken, den Opfermut. Aber unterdrückt er nicht auch edelste Kräfte, und erweckt er nicht mindestens in gleichem Maße die scheußlichsten und niedrigsten Triebe und Begierden der Menschen? Rafft er nicht die Besten eines Volkes hinweg? Ich darf Sie vielleicht an das von Kant zitierte Wort des Griechen erinnern: ›Der Krieg ist darin schlimm, daß er mehr böse Leute macht, als er deren wegnimmt‹. Ich denke nicht einmal sentimental vom Kriege. Von einer Kugel verwundet oder getötet zu werden, ist gewiß nicht die schlimmste Pein dieser Welt; die Welt des Friedens hat stillere, aber tiefere Qualen als die Welt des Krieges. Und fürs Vaterland zu sterben ist süß und ehrenvoll. Nein: der tiefste Schrecken des Krieges ist, daß er die Kanone – nicht nur zum Scharfrichter; das darf sie sein – sondern zum Richter macht und damit das Fundament nicht nur der Reiche, sondern der ganzen menschlichen Gesellschaft: die Gerechtigkeit, in Trümmer schießt. Wenn der liebe Gott immer auf der Seite der stärksten Bataillone ist, dann ist er ein Teufel.«


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