Otto Ernst
Semper der Mann
Otto Ernst

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L. Kapitel.

Ein Denkmal für Hein Suhr und eins für Hilde Semper.

Wie er überhaupt zu diesen Angriffen stand, das sagte er in seiner Dankrede auf einem Bankett, das ihm seine Kollegen bei seinem Abschied von der Schule gaben. Es war kein Abschied von der Schule; denn mit der Schule war Asmus bis an sein Lebensende durch das Herz verbunden; es war nur ein Abschied vom Amt, das er niederlegen mußte, wenn er der Arbeitslast nicht erliegen wollte. Da versammelten sich in der feierlichen Halle des Ratsweinkellers alle die lieben Freundesgesichter, die ihm seit den ersten Anfängen seines Wirkens, seit den frühesten Tagen seines Ringens und Suchens zugenickt und zugelächelt hatten: »Halt aus; wir bleiben dir treu.« Da erschien auch von der Kunst, was ihm freundlich gesinnt war, und der Direktor des »Deutschen Theaters« Baron von Korbach hielt die Festrede auf Sempern, der sich als frühreifer Jubelgreis in seinem blumenbekränzten Sessel wunderlich und unbeholfen genug vorkam. Da nun der Direktor auch von jenen Anfeindungen gesprochen hatte, sagte Asmus, nachdem er an sein Glas geklopft hatte:

»Als Herakles in den Olymp aufgenommen war, ging er zuerst zu seiner Feindin Hera, um ihr zu danken; denn sie habe ihn zu dem gemacht, was er sei. Ich stehe nun so tief unter Herakles wie dieser Keller unter dem Olymp; ich kann ihm nicht eine seiner Arbeiten nachmachen, kann nicht einmal auf geistigem Gebiet den Stall des Augias reinigen und bin auch beim besten Willen nicht in der Lage, eine gewisse Abart der Kritik mit der Hera zu verwechseln. Aber das kann ich dem Herakles nachmachen: in meinen Feinden ein Geschenk des Himmels sehen, das mich stärken und bessern soll. Wen Gott lieb hat, dem gibt er viele Feinde. Vielleicht komme ich auch einmal dazu, für dieses Geschenk zu danken; heute sagt mir ein unbeirrbares natürliches Gefühl, daß ein anderer Dank vorgeht. Danken ist mir von je eine Wollust gewesen, und die Erde soll mich verschlingen, wenn ich jemals mit Wissen undankbar befunden werde. Einer aber ist hier im Saale, an den ich mich mit dem Faden meiner Rede anseilen werde, und wenn seine unübertreffliche Bescheidenheit sich auch in Qualen der Schamhaftigkeit winden sollte; es hilft ihm nichts: er muß hier vors Brett und heißt Hein Suhr. Das ist der Mann, der eines Tages zu mir kam und sagte: ›Ich will gern deine Turnstunden für dich geben; mir macht es nichts aus, ob ich ein paar Stunden mehr gebe; du hast Besseres zu tun.‹ Sehen Sie, meine Damen und Herren, in demselben Augenblicke, da er mir das sagte, gelobte ich mir: Wenn du einmal an eine Stelle gelangst, von der dein Wort vernommen wird, dann willst du laut für diesen Mann zeugen und willst rufen: Huldigt meinem Hein Suhr! Aber ich sehe in seinen Zügen sein Entsetzen über meine Brutalität; ich will von ihm lassen und kann es um so eher, als er ja nur der typische Vertreter eines Standes ist, des Standes, in dessen Herzen unverlöschlich der Grundsatz seines erhabensten Genossen brennt, der Grundsatz Heinrich Pestalozzis: ›Alles für andere, für sich nichts.‹ Ich will keinem Stande zu nahe treten; aber achtzehn Jahre ernster Beobachtung haben mir bewiesen, daß nirgends ein heiligerer Opfersinn, nirgends eine selbstlosere Hingabe an den Mitmenschen, nirgends ein froherer Verzicht auf eigenen Gewinn, wenn es sich um die große Gemeinschaft der Menschen handelt, zu finden ist, als bei den Lehrern der Volksschule. Dieser Stand verrichtet Herkulesarbeiten ohne Dank und ohne Lohn, ja, er wird gar mit Geringschätzung angesehen von solchen, die sich über ihm wähnen. Man hat die Uneigennützigkeit dieses Standes gründlich mißbraucht; aber das hat ihn nie beirrt. Die Lehren, daß es keine Wahrheit gebe, keine Tugend, keine Redlichkeit, keine Selbstlosigkeit, daß jeder Mensch nur seinen Vorteil suche und das mit Recht – sie haben in diesen Stand nicht eindringen können; sie haben kaum seine Oberfläche gestreift. Und ich kann euch versichern, daß ich den großen Überlieferungen dieses vornehmen Standes treu bleiben will, so weit die Kraft meines schwachen Herzens reicht. Wir Künstler, Lehrer, Geistlichen und dergleichen, wollen uns den Vorrang bewahren, daß der Nichts-als-Geldmacher in seinem stillsten Innern doch vor uns den Hut ziehen muß. Ihr habt, wie ich sehe, in die Blumen, die diesen Sessel schmücken, auch Lorbeer geflochten. Ich weiß nicht, ob ich je in die Lage kommen werde, einen Lorbeer zu verdienen; sollt es aber geschehen und sollte es auch nur ein schmächtiges Zweiglein sein: das kann ich euch versprechen: es soll kein unsauberes Blatt daran zu finden sein. Denn ich will des Standes würdig bleiben, dem ich bis heute angehört habe und dem anzugehören ich niemals aufhören kann. Diesem Stande weihe ich mein Glas.«

Auf diesem Bankett erhob sich auch Claus Heide, der Wortkarge, und feierte in flammenden Worten Hilde Semper, des Asmus Semper Gemahl. Claus Heide war ein Dithmarscher. Dithmarscher machen keine Komplimente, auch den Frauen nicht, und einer fremden Frau schon gar nicht. Aber nach achtzehn Jahren der Freundschaft und des Schweigens steht so ein dithmarscher Bauernsohn auf und zeigt, daß er sich auf Menschenherzen versteht, und gar auf Frauenherzen, wie ein Plinius auf Edelsteine.


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