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Berg, den 22. Januar 1860.
Meine letzte Woche in Steinen machte das Briefschreiben zur Unmöglichkeit. Wie Menschen hatten auch die Kessel das neue Jahr mit guten Vorsätzen begonnen, die sie, anders als Menschen, bis heute gehalten haben. Alles lief wie am Schnürchen, so daß ich mich, vielleicht mehr als billig, der Geselligkeit widmen konnte. Ich hielt dies halb und halb für meine Pflicht, da die gute Laune um mich her in manchen widerwärtigen Punkten auch geschäftlich von Nutzen war. Dabei wurde ich, ohne mir schmeicheln zu wollen, fast der Hahn im Korb von Steinen. Kaum ein Tag verging, ohne daß ich schon morgens Billette antraf, die entweder eine Einladung oder die Auflösung meiner gestrigen Scharade – diese Spielerei wurde zur förmlichen Manie – oder etwas Ähnliches enthielten. Es war eine phäakische Woche!
Sie schloß mit einem festlichen Abschiedsforellenessen bei dem einst gefürchteten Hauptmann. Höchst überrascht wurde ich hier durch die poetische Erwiderung auf ein Gedicht, das ich meinen Freunden in Berg geschickt und das also begonnen hatte:
Fort von Steinen, fort von Steinen
Führe gnädig Du die Deinen,
Gott, der Eisen wachsen ließ,
Wo ein Oberst und ein Hauptmann
Mich in grauser Wut, so glaubt man,
Lieber gleich in Stücke riß'.
Fort von Steinen, fort von Steinen,
Wo dem Zeichner unter Weinen
Fast das müde Herze bricht,
Wo als bied'rer Maurermeister
Er und hundert böse Geister
Mit der Stang' im Nebel ficht! u. s. w.
Dieses Karmen war schließlich in die Hände des Zeichenmeisters gefallen, wie wir unsern Bureauchef zu nennen pflegten, der es seinem Freunde, dem Hauptmann in Steinen, zusandte! Zu meinem nicht geringen Entsetzen begann nun bei obbemeldetem Forellenessen plötzlich dieser Herr:
»Fort von Steinen, fort von Steinen!«
In der Folge aber nahmen seine Verse eine Wendung, die mich förmlich rührte.
Der Abschied fand morgens drei Uhr statt, an den Postwagen kamen noch der junge Geigy, der Hauptmann, der Doktor und verschiedene andre Scharadenlöser, um mir das Geleite zu geben. Wem mein Gehen wirklich weh tat, das war mein guter Bohm, von dem ich im Strudel der letzten Woche am wenigsten gehabt hatte. Zum ewigen Andenken besorg' ich ihm auf seinen besonderen Wunsch eine Äolsharfe, bei deren Klagen er meine Gedichte lesen will.
Vierzehn Tage sind seitdem verflossen. Sie waren ein Wirbeln von der Szylla in die Charybdis, in geschäftlichen Dingen. Doch habe ich Zeit gehabt, mich wieder anzugewöhnen, was nicht abging ohne ein paar Augenblicke – fast muß ich sagen: des Heimwehs nach dem lieben, fröhlichen Steinen, dem ich wohl den besten Teil meines Dankes für immer schuldig bleiben werde.
Im Frühjahr 1860 kamen die ersten Berichte über die Lenoirsche Gasmaschine aus Paris und veranlaßten nicht wenige Maschinenfabrikanten, sich auf dieses Gebiet zu wagen. Die Zuversicht und der überschwengliche Enthusiasmus der Franzosen setzte auch unser schweres deutsches Blut in Bewegung. Wir wissen sie heute besser zu beurteilen. Auch mein Herr und Meister Kuhn glaubte die neue Via triumphalis ohne Verzug einschlagen zu müssen und erwählte mich dazu, sie für ihn zu pflastern. Er wußte, daß es mir an dem nötigen Feuereifer hierfür nicht gebrach.
Man baute im Fabrikhof eine fensterlose Bretterbude, zu der, nahezu bei Todesstrafe, niemand außer mir und zwei Monteuren Zutritt hatte. Dort wurde die neue Maschine zusammengestellt und in der Dämmerung einer Sommernacht, nachdem die Fabrik von allem, was Odem hat, verlassen worden war, zum erstenmal versucht. Es war eine unvergeßliche Stunde. Gasmaschinen jener Zeit mußten ein- oder zweimal von Hand gedreht werden, ehe sie in Gang kommen konnten. Dies verlangte schon die Theorie. Dagegen waren wir in völligem Dunkel darüber, ob bei der nun zu erwartenden Explosion der eingesaugten Gase ein Druck von einer oder von fünfzig Atmosphären entstehe, ob die Maschine sich wie eine tollgewordene Kanone oder wie ein toter Eisenklumpen benehmen würde. Dazu die knisternde elektrische Zündung, von der wir alle nichts verstanden. Es war dämonisch. –
Die Türe der Geheimbude wurde weit geöffnet, um sich im entscheidenden Augenblick wenn möglich retten zu können. Kuhn stand im Freien, in der, wie er hoffte, sicheren Entfernung von fünfzehn Schritten. Fünfzehn Schritte hinter ihm stand seine treue, aber neugierige Frau, die ihren Gatten in dieser ernsten Stunde nicht verlassen wollte. Ich und einer der zwei Monteure waren bereit, uns zu opfern und drehten das Schwungrad. Bei der zweiten Umdrehung sollte der Theorie nach die erste Explosion erfolgen, die Maschine zu laufen beginnen oder alles zertrümmern. Nichts dergleichen geschah. Wir drehten in banger Erwartung fünf-, sechsmal. Unser Mut wuchs. Wir drehten mit aller Kraft und schneller. Bei der zehnten Umdrehung erfolgte ein furchtbarer Knall, den ein mephitischer Geruch begleitete. Das Schwungrad entriß sich unsern Händen; die Maschine machte zwei zuckende Umdrehungen und blieb dann stehen, als ob nichts geschehen wäre. Wir aber gingen nachdenklich und etwas erleichtert nach Hause, denn alles weitere Drehen hatte keine andern Folgen, als daß der ganze Fabrikhof nach Gas roch.
Am folgenden Morgen aber bekam ich die Weisung, unverzüglich nach Paris abzureisen und die dortigen Maschinen, wenn irgend möglich, in Augenschein zu nehmen. So jung ich war in den Schlichen dieser Welt: ich verstand meinen Herrn.