Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

76.

Schubra, den 29. Juni 1865.

Ich habe meine Harfe an die Weiden des Nils gehängt, um zu weinen. Draußen im Schatten der Orangen hat es 38 Grad Reaumur, und des Seufzens ist kein Ende. Die ganze Welt wird gelb und dürr wie die Wüste, und wäre ich irgend etwas wie ein Prediger in derselben, so würde ich zu meinem heutigen Texte die Worte wählen: »'s ist alles eitel!«

Denn das heimlich Gefürchtete, bange Geahnte wird wahr. Nach Europa, in die Heimat komme ich in diesem Jahr nicht. Die finstern Mächte, welche die verwirrte Menschheit regieren, haben sich mit den dunkeln Gewalten einer noch unergründeten Natur verschworen, den schönen Plan zu zerstören, und es ist ihnen gelungen!

Leider wißt Ihr schon aus den Zeitungen, daß die Cholera bei uns ausgebrochen ist. Während Kairo bis jetzt noch nahezu frei blieb, hat sie in Alexandrien förmliche Verheerungen angerichtet, die ihre Ursache vor allem in einem lächerlichen Schrecken haben, welcher die Bevölkerung ergriffen hat. Das wirkt seit Menschengedenken auf die Verdauungsorgane. Der Vizekönig selbst war einer der ersten, der Land und Leute im Stich ließ, um auf offener See in achtungsvoller Entfernung den Verlauf der Dinge abzuwarten.

Unter diesen Umständen wäre Halim-Pascha der rechtmäßige Regent gewesen. Aber mit der Begründung, daß Halim ja nach England wolle, in Wirklichkeit jedoch, um ihn nach Kräften zu ärgern, machte der Vizekönig einen der kleinen, nicht zur Familie gehörigen Paschas, den Kultminister Scheriff, zum Regenten.

Jetzt aber wollte, wie mir scheint, um den Vizekönig zu ärgern, Halim erst recht bleiben. Mittlerweile hatten aber auch seine Frauen Kunde von der Cholera erhalten und fielen ihm dutzendweise zu Füßen. Das Wehgeschrei der Schönen soll herzzerreißend gewesen sein, und damit erhielt die Sache abermals eine andre Wendung. Vor drei Tagen ist auch er nach Syrien abgereist, um in Beirut ein kleines Palais für »ces dames-là«, wie er sich mir gegenüber entrüstet ausdrückte, einzurichten, und in einer Woche packt das ganze Gesindel von Eunuchen, Mamelucken, Sklaven und Sklavinnen auf, um ihrem Herrn nachzuziehen. Dort aber, in einem fremden Land und unter fremden Leuten, kann Halim »ces dames-là« nicht allein lassen; die gute Jahreszeit und auch eine gute Summe Geld, die für Europa bestimmt war, geht verloren, und der schöne Plan, der ein Jahr lang unsre Freude und unsre Hoffnung war, verschwindet wie eine Luftspiegelung in der glühenden Ferne.


 << zurück weiter >>