Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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Dritter Teil

In den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika

Eine wohlverdiente Ferienzeit von mehreren Monaten, in denen ich mich seit Jahren zum erstenmal wieder dem Gefühl unbeschränkter Freiheit hingab, folgte auf den schwülen Kamsin, in dem ich Ägypten verlassen hatte. Venedig, Wien, München, Paris, eine Leib und Seele erquickende Fußwanderung durch die Urkantone der Schweiz und das Berner Oberland, vor allem aber während der ernsten Kriegswochen des Jahres 1866 der Aufenthalt in der schwäbischen Heimat, wo man mir als einem halbverwilderten Ägypter fast verzieh, daß ich die Preußen für unsre besten Freunde hielt, das alles, so schön es war, führte mich schließlich zurück, wohin ich gehörte – zur Arbeit. Ist sie es ja doch, die im Strom unsrer Zeit dem Manne Halt und Richtung gibt. Deshalb übergehe ich das Spiel jener Tage und fahre fort, wo sie aufs neue ernstlich in mein Leben eingreift.

93.

London, den 30. September 1866.

Da wäre ich also wieder!

Es ist elf Uhr vormittags. Die Stadt, die während sechs Tagen der Woche in dumpfem, ununterbrochenem Brausen ertönt, liegt stille. Der gelbbraune Nebel, der mich nicht bis zum Ende der kurzen Straße sehen läßt, hüllt die halbschlummernde Welt ein, und die Sonne macht keinen Versuch, ihn zu durchbrechen; denn es ist Sonntag. Eine eigentümliche melancholische Ruhe liegt über allem ringsum, wohltuend, wie die Stille eines Kreuzgangs nach dem schreienden, rennenden, raufenden Leben eines Viehmarktes. Die englischen Sonntage sind aus einem Guß mit dem englischen Leben, eine seiner Notwendigkeiten, so daß sie jedem lieb sein müssen, der in diesem Lande heimisch geworden ist. Freilich aber nur in England. Versetze sie in den sonnigen Süden, in unser gemütliches Deutschland, so werden sie ein Unding, ein Unrecht am Charakter von Natur und Volk.

Wie vorauszusehen – die Spielereien und das Bummlerleben, das ich von Paris mitbrachte, ist in London rasch dem Ernst der Arbeit gewichen. Eine halbstündige Besprechung mit Robert Fowler, der jetzt an der Spitze des Hauses steht, brachte dies zuwege. »Haben Sie Lust, nach Amerika zu gehen?« begann er. Und dann ging's Schlag auf Schlag. Die Vereinigten Staaten sollen der Dampfkultur erschlossen werden, Nord und Süd. Es läßt sich zwar nicht voraussagen, inwieweit dies möglich ist. Der erdrückende Zoll, der Geldmangel im Süden und manches andre sind bedenkliche Punkte. Aber die Sache ist eines ernsten Versuches wert. Wie lang ich drüben bleibe, weiß der Himmel. Geht's schlecht, so bin ich in einem Jahre wieder zurück; geht's gut, in zwei Jahren. Übrigens mache ich mir keine übermäßigen Hoffnungen. Ein Vorteil ist mir sicher – daß ich die andre Hälfte der Erdkugel zu Gesicht bekomme und nach dem ältesten nun das neueste Land der Welt kennen lernen soll.

»Wiewohl im Laufe dieser Welt dem Herzen nichts so sauer fällt als Scheiden!«


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