Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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47.

Kairo, den 22. Mai 1863.

Mein Aufenthalt in Theranis war kürzer als ich erwartet hatte. Der dortige dritte Dampfpflug im Lande arbeitet seitdem lustig drauflos. Doch hatte ich Not genug in mancher Beziehung; das bloße Auftreiben der gewöhnlichsten Lebensbedürfnisse war nicht die geringste Schwierigkeit. Das Gut liegt drei Meilen vom Nil auf dem rechten Ufer des Damiettearms. Die Maschine war aber, ehe ich ankam, unüberlegterweise am Nilufer selbst zusammengestellt worden. Zwischen dem Gut und diesem Punkte zieht sich ein breiter und tiefer Nilkanal hin, über den ich deshalb eine Notbrücke zu bauen hatte, keine kleine Aufgabe in dieser grünen, fruchtbaren, aber völlig holzlosen Wildnis! Indessen war's ein interessanter Augenblick, als die schweren, dampfgetriebenen Räder der Maschine das gefährliche Balkengerüst berührten. Die hundert Fellachin, die zuvor mit gewohntem Geschrei das fremdländische Untier begleitet hatten, verstummten plötzlich. Jedes Krachen des Gebälks, jeder Atemzug der Maschine war hörbar. Dies sind Augenblicke im Dasein eines Ingenieurs, die dem Stürmen einer Batterie nichts nachgeben. Drei Leben hingen an ein paar Holzfasern. Ich hielt das Steuerrad in der Hand und sah, wie die Vorderräder langsam über die beiden vollständig freiliegenden Balken hinschlichen, aus denen der Hauptteil der »Brücke« bestand. Eine falsche Bewegung meines Rades hätte Menschen und Maschine in die trüben Wasser zu unsern Füßen gestürzt. Mitten über dem Kanal ließ ich halten, um – ich gestehe es – meine Nerven ein wenig zu beruhigen. Dann ging's wieder vorwärts, langsam, ruckweise, und als die Vorderräder das andre Ufer berührten, ließ plötzlich und leichtsinnig genug mein Maschinenwärter den Dampf voll in die Zylinder strömen, so daß unter laut ausbrechendem Jubelgeschrei der Araber die Maschine mit gefährlichem Schwanken und unziemlicher Eile auf festen Boden rannte. Ich sprang herunter und dankte Gott im stillen, während mich der Nasir von Theranis umhalste und sein »kattar cherak!« (»danke«) wohl zwanzigmal wiederholte.

Vor einigen Tagen erfuhr ich zum erstenmal, was ein regelrechter Kamsin ist. Keine Kleinigkeit. Ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich auf freiem Felde oder die Leute in Kairo mehr zu bedauern waren. Während des Hauptsturms war ich im Begriff, nach meinem gewohnten Badeplatz zu reiten. Die heißen Stöße des Windes, die, selbst wenn sie keinen Staub mit sich führen, jeden nach Luft zu schnappen zwingen, brachten schließlich meinen Esel zum unbeweglichen Stillstehen. In den kühlsten Zimmern war die Temperatur 32 Grad Reaumur, die Sonne verschwindet fast gänzlich, der Himmel wird weißlichgrau und ein trüber, gelbglühender Fleck deutet an, wo der schreckliche König des Tages steht. Sogar die Nacht war nicht viel besser. Am Morgen kam jedoch ein frischer, lustiger Nordwind, und die Natur hob den Kopf wieder. Nur die Akazienalleen sahen aus wie bei uns im November, und die dürren Blätter wirbelten im Staub.


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