Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Erster Band. Lehrjahre
Max Eyth

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46.

Auf einer Sandbank im Damiettearm des Nils, zehn Meilen unterhalb Benhas, den 24. April 1863.

Wir sitzen fest! Das drittemal auf dieser Fahrt nach Theranis. An ein Loskommen ist nicht zu denken, solange sich der Wind nicht dreht, der scharf aus Norden bläst, sagen die Bootsleute, und versuchen es nicht einmal, die Dahabie flott zu bekommen. Seit vierundzwanzig Stunden sehe ich einem milden Hungertod entgegen, so oft ich aufhöre, an meiner Feder zu kauen. Das hat allerdings schon größere Männer gerettet als mich. Ich ergreife sie deshalb zum zehntenmal, um Euch ausführlicher zu erzählen, wie und wo ich in anderm Sinne gestrandet bin. Das »wie« wird mir selbst nur stückweise klarer. Halim-Paschas Bankiers in Alexandrien und Kairo sind eine alte englische Firma, Briggs & Co., deren Hauptleiter zurzeit ein Herr Roß ist. Diesem teilte der Pascha seinen Wunsch mit, mich hierzubehalten, nachdem er mich seit Wochen in verschiedenen Lagen und mancherlei Aufgaben gegenüber geprüft habe. Briggs & Co., die selbst ein großes Interesse an dem geschäftlichen Erfolg der Unternehmungen Halims haben, telegraphierten an Fowler, mit dem Bemerken, daß infolge des Amerikanischen Krieges und der wachsenden Baumwollnot Ägypten vor einer großen Zukunft stehe und daß es für Fowler von hohem Wert sei, einen tüchtigen Ingenieur hier zu haben, der für die Einführung der Dampfkultur wirke. Dies leuchtete Fowler ein, der sofort einen Stellvertreter für mich nach Indien absandte. Ich hatte nur noch zu den Vertragsbedingungen ja zu sagen, die etwa zweimal so günstig sind, als was mir die Indier boten, und mit meinem hiesigen Vorgänger, Herrn Hollier, welcher natürlich ein sehr schwarzes Gesicht macht, das Arbeitsfeld zu teilen. Ich übernehme alles, was die Landwirtschaft berührt, er, was übrigbleibt. Er ist ein nicht allzu gutmütiger, beschränkter Mensch und trinkt. Das Gefährliche war und ist heute noch seine sehr kluge Frau, die in Halims Harem ein und aus geht und alles getan haben soll, mir den Weg nach Indien zu erleichtern.

Die ganze Schiffsmannschaft schläft auf dem Deck der Dahabie und rührt sich nicht. Ich schäle meine letzte Apfelsine und fahre fort. –

Mein künftiger Wohnsitz Schubra, Choubrat, Shoobra; wie Ihr wollt, liegt vier englische Meilen nördlich von Kairo hart am Ufer des Nils, fast genau an dem Punkte, wo das Delta beginnt. Es ist ein kleines Dorf mit einem griechischen Kneiplein, mit dem Palast und Harem des Paschas, mit schönen, im ganzen Orient berühmten Gärten und mit einem großen Landgute. Außer Schubra besitzt der Prinz ähnliche Güter in allen Teilen des Landes, von El Mutana, sechzig Meilen unterhalb des ersten Katarakts, bis Theranis, fünfzehn Meilen oberhalb der Damiettemündung des Nils, die zusammen über hunderttausend Hektar ausmachen sollen.

Nun gehören zum Betrieb der Güter eines ägyptischen Paschas zwei Dinge, nämlich Maschinen, um das Land zu bebauen, das zu dünn bevölkert ist, und abermals Maschinen, um das Wasser herbeizuschaffen, welches allein das Land davor bewahrt, eine Wüste zu werden. Diese Tatsache führte seit Jahren zu einer regen Ausfuhr englischer Maschinen und Leute nach Ägypten, welch letztere – häufig nichts weiter als frühere Maschinenwärter – sich zum Teil in glänzende Stellungen hineinarbeiteten und sich darin erhielten, wenn sie geschickt genug waren oder wo sich das Urteilsvermögen der großen Gutsbesitzer des Landes in bescheidenen Grenzen hielt.

Prinz Halim ist der unternehmungslustigste und wohl auch der intelligenteste dieser fürstlichen Industriellen und Landwirte. Seit etlichen Jahren strömten kostspielige Maschinen, Pumpen, Zuckermühlen, Gasfabriken, Baumwollengins, Dampfpflüge und dergleichen den Gütern dieses Prinzen zu. Aber niemand war da, dieselben in Gang zu setzen. Mißglückte Anlagen wurden die Regel; die Verwirrung nahm überhand. Es gelang mir, einiges bereits verloren Geglaubte zu retten. Der Prinz soll ein anerkanntes Geschick besitzen, den Weizen vom Stroh unterscheiden zu können, und sprach den Wunsch aus, man möge mich auf irgendwelche Weise in Ägypten halten. Dies geschah nicht ohne ein fast komisches Zwischenspiel, worüber ein andermal. Mein Vorgänger, der außer dem Betrieb zweifelhafter, aber lohnender Nebenerwerbe wenig versteht, bleibt, aus Rücksicht auf seine zehnjährige Dienstzeit, Wasserpumpendirektor. Ich gönne ihm dies von Herzen, so lange mir seine geschickte Frau mit ihren Haremsbeziehungen nicht den Hals bricht. Aber auch das sollte mich nicht allzusehr grämen. Um eine Lebenserfahrung reicher werde ich seinerzeit Ägypten jedenfalls verlassen.

Ich müßte schon längst in Theranis sein, wo ein Dampfpflug auf mich wartet, allein die Abreise verzögerte sich wegen der Ankunft des Sultans in Kairo, der, wie Prinz Halim erwartete, namentlich auch seine Dampfpflüge einer Besichtigung würdigen sollte. Drei Tage lang standen wir unter vollem Dampf geduldig im Feld, bereit, beim ersten Zeichen der Annäherung Seiner Majestät draufloszupflügen. Ein echt türkisches oder russisches Manöver! Hier und da zeigte sich wirklich auch ein Wesir in grüner Seide, ein Zigarrenträger in Gold oder sonst ein »konstantinopolitanischer Schnupftabaksdosenverwalter«. Der Sultan aber kam zum großen Ärger des Prinzen, dessen Steckenpferd seine Landwirtschaft ist, nicht, sondern begnügte sich, in den Gärten des Harems Kaffee zu schlürfen.

Aber es regt sich über meinem Kopf. Der Reis weckt seine acht Matrosen. Der Wind hat sich gedreht. Sie ziehen und schieben und rufen laut nach Allah. Ich muß doch nachsehen. Es scheint, wir sind wieder in Bewegung.


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