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16

An die rotgestrichene Wand gelehnt, atmete Kai angstvoll. Das summende Geräusch der tieferliegenden Gänge wurde stiller.

»Dort hinten, zwischen jenen befleckten und plumpen Säulen entscheidet sich nun mein Schicksal. Dort zerren sie aus einem mir entwundenen Geschehnis Folgerungen, die mich verpflichten zu leiden. – Nein! Nein! Sie dürfen es nicht! Sie müssen begreifen, daß diese aufgefangenen, ihnen nicht gemeinten Worte wie ein nie dagewesenes Ding versinken müssen. Sie werden sagen: es ist nichts geschehen, wir erinnern uns an nichts.«

Nun, in den Säulenwinkel geschmiegt, sah er das Öffnen einer Tür, das Lachen auf den Gesichtern der beiden Lehrer verzog seinen Leib zu einem krampfigen Zittern. Die Fingerspitzen in die körnige Wandfläche gepreßt, folgte er mit einem Blick dem vorbeigehenden Professor.

»Alles ist entschieden! Das Urteil gefällt. Nichts läßt sich ändern. Er kennt meine Strafe!«

Trostlos hörte er dem Schritt des Wissenden zu; Zerfetzen der Verse, Entreißen des Heftes, Flehen vor der Rücksprache – alles versäumt!

»Vielleicht bestraften sie mich nicht? Welch Ausweg! Ich werde nicht fragen ...«

Aufatmend verharrte er. Ein Wirbel packte ihn, seine Hände lösten sich von der Wand, Boden glitt fort. An der Wange des Treppengeländers von neuem festgehalten, stammelte er: »Herr Professor! Herr Professor!«

»Was ist?! Was wollen Sie? Mich so zu überfallen ...!«

›War ich es, der vorsprang? Wie sinnlos ist das nun!‹

»Aber, nun was denn? Wo kommen Sie her, Goedeschal?« Die Hand des Lehrers ließ den hart umspannten Gehstock locker. »Stehen Sie manierlich da! Was für eine Art, einen Lehrer zu erschrecken! Wo haben Sie gesteckt?«

Kai schwieg. Angst verebbte, da er auch ihn, dem Mädchen des vorigen Abends gleich, nur erschreckt sah. ›Muß ich auch jetzt flüchten? Nein, schon zwingt er mich in seine Kreise.‹

»Antworten Sie endlich, Goedeschal! Wo haben Sie gesteckt?«

›Ja, freilich, das ist das Wichtige, wo ich gesteckt habe.‹ Dann, laut: »Dort, hinter der Säule.«

»Sie haben uns belauscht!« Und als Kai stumm mit dem Kopf schüttelte: »Was wollen Sie denn?«

Rasch, leiernd, gleichgültig: »Ich wollte Herrn Professor fragen, welche Strafe Herr Direktor für mich festgesetzt hat.«

»Ungewöhnlicher Weg, sich zu erkundigen! Aber denn: zwei Stunden Karzer. Morgen von vier bis sechs. Sie schreiben in der Zeit die versäumte Arbeit nach.«

›Karzer – also Brief den Eltern. Kein Verheimlichen möglich. Beichte. Beichte. Dann sitzenbleiben. Wieder ein Jahr mehr. Endlos.‹

Räuspern des Lehrers, darauf breit: »Ja, mein lieber Goedeschal, Sie hätten früher klug sein dürfen, jetzt ist es zu spät.«

Er wandte sich ab, Kai starrte auf die beulige Linoleumfläche. ›Er will mich erschrecken. Unmöglich, daß diese Verse ... Gleich sagt er: Alles ist gut.‹

Bäcker zuckte die Achseln. Das verfallene Gesicht dieses Jungen rief den Wunsch, gut und weich zu sein. Freundlich mit Handbewegung sagte er: »Mahlzeit!« und ging.

Jede Hoffnung war fort. »Hier bin ich allein, mit Last aus anderer Hand.« Und nun die Bilder: des Vaters Kopf, fremd zurückgelehnt und nicht zu umfassen. Arne ging rasch eine entlaubte Allee herab, und dann erblickte Kai sich selbst, trostlos weinend, in aschengrauem Morgendämmern hingekniet an der Leiche Catilinas. »Ruhe. Ruhe. Schlafen. Schlafen ohne Traum. Sich verkriechen können, wohin niemand reicht. Robinson. Auch vergessen, wer Ich ist.«

Die Tür seines Zimmers schlug auf. Gelbliche Gardinen entfernten die Welt. An der Schwelle fiel jede fremde Last. Dort, hingeworfen in den am Fenster stehenden Langstuhl, selbst das Licht weit ab von den gar zu brennenden Augen, würde er im aufspiegelnden Mahagonirot seines Sekretärs wärmeres Versprechen fühlen.

Feindselige Dumpfheit der Korridore, blöd grinsendes Milchglas in den Fenstern zwang den Erwachenden zur Flucht. Am Ausgang die breite Eichentür schien ihn für endloses Irren und qualvollen Hungertod halten zu wollen. Harter Zugriff erzwang Blick in die wahrere Welt.


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