Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

23

»Wieder so spät, Kai! Kannst du nie zur Zeit kommen?«

Er murmelte, wollte sich setzen, fand seinen Platz ohne Gedeck. Die Mutter sagte: »Du weißt, Papa hat dir verboten, mit uns zu essen. Geh nach oben, ich schicke dir das Mädchen.«

Die Geschwister lächelten. Eines flüsterte: »Der Dichter«, und Lachen verstärkte sich.

Durch die bunt verglasten Scheiben fiel der Abglanz einer Sonne, die man nicht sah, die aber da war und an der man eben noch teilhatte. Schon schien Bitten besser als Ausgeschlossensein: »Bitte, Mama, laß mich doch mitessen. Sicher erlaubt es Papa: der Karzer ist mir erlassen.«

»Dir erlassen? Das wird Papa freuen. Und die Mathematikarbeit?«

»Soll ich nachschreiben, es ist aber kein Karzer.«

»Ja, ich glaube ... Ich denke, dann wird es Papa recht sein.«

Lotte meinte: »Laß ihn nur mitessen. Wenn er schon keinen Karzer hat. Und überhaupt – – Dichten ist kaum ein Verbrechen.«

»Ich bitte mir aus, Lotte ...!« rief die Mutter.

Tief verwirrt drehte Kai den Löffel in der Hand. »Fünf soll ich Ilse treffen. Und von vier bis sechs nachsitzen! Wie konnte ich das vergessen!«

Während das Gespräch der andern ferner und getrennt dahinfloß: »Sie wird warten, eine viertel, auch eine halbe Stunde. Sie ist zornig, sie geht. Ihr Mund dünn, ganz schmal. – Ich darf sie nicht warten lassen! Wenn in den dunkelnden Straßen der Umriß ihres Rückens verschwindet, dann erst habe ich alles verloren. Ich muß ihr schreiben. – Aber der Brief kommt zu spät!«

Über den Flur ein Schritt, Schlüssel klappern. »Papa«, sagt die Mutter, sie rückt auf dem Stuhl, seufzt leise. Ihr rascher Blick, der Kai streift, erfüllt ihn mit einer leichten Angst. Die Luft ist mit Spannung geladen. Noch ein leises Schaben der Löffel am Tellerboden. Kai senkt den Blick.

Beim Eintritt des Vaters scheinen die noch glitzernden Fenster in der kälteren Luft zu erblinden. Er küßt die Mutter. Weiteressend murmeln die Kinder: »Guten Tag.«

Papa sieht auf. Seine Stirn wird faltig. Nach Kai blickend, setzt er sich. »Halte dich grade, Kai!«

Es wird noch stiller. Das Klappern eines Löffels klingt auf und verstummt wie der Klang einer berührten Stimmgabel. Eine entschlossene Bewegung des Vaters: er legt die Serviette neben sich. Über den Tisch gebeugt: »Du hast Kai erlaubt, mit uns zu essen?«

»Ja, Heinz, ich dachte ... Er bat so, seine Strafe ist ihm erlassen.«

Kai fühlt auf seinen Augenlidern einen Blick. »Karzer erlassen, Kai?«

»Ja.«

»Warum?«

»Ich weiß nicht ... Papa!«

Draußen fällt eine Tür ins Schloß, in der Täfelung knackt es. »Weswegen, meinst du, verbot ich dir, mit uns zu essen? – Weil du Karzer bekommen hast?«

Hinter dem Stuhl, Kopf gesenkt, Hände auf der Lehne, steht Kai. ›Ilse ... Ilse ...!‹

»Karzer – eine Schulstrafe, die mir nicht genug schien. Darum bestrafte ich dich mit Ausschluß. Lächerlich, zu glauben, daß ich dich einer Strafe wegen bestrafte.«

Um die Lehne die Hände gezwängt, sieht Kai in der blauroten Haut weiße Kreise aufgehen. ›Still, nur still! Dies hier gilt nicht. Draußen mit Sonne Wahrheit des Erlebens.‹

»Dein Schweigen sagt, daß du das alles sehr gut wußtest. Um so jämmerlicher, deine Mutter zu bebetteln, zu bereden, in der Hoffnung, ich käme so spät, daß ich nichts merkte. – Du gehst auf dein Zimmer!«

Stille, durch die leise nicht mehr zu verhehlendes Schluchzen der Mutter dringt.

»Wird es bald! – – – – Auf dein Zimmer!«

Ein Wagen rasselt. Stille braust wie ans Ohr gebrachte Muschelhöhlung. Die weißen Kreise sind noch immer da. Hinter einem erfrorenen Gesicht werden Gedanken sein, von denen man nun nicht weiß. ›Und morgen der Wandervogel!‹

»Kai, ich sage dir zum letztenmal: auf dein Zimmer! Eins ... zwei ...!«

Die Stimme der Mutter schwirrt auf: »Schlag den Jungen nicht, Heinz!« Sie zerbricht im Schluchzen. Und mit der Drei ist ein Schlag da, ein nicht schwerer Schlag, der Kai doch vom Stuhl reißt und befreit. ›Wie ich dich hasse! Oh, wie ich dich hasse! Bin ich Dreck, ein Verbrecher! Draußen das Leben! Und hier?! Das Kaninchen tot, von dir gemordet!‹

Im sinnlosen Stammeln zerfließt Wut; nun weiß es Kai: nicht er Mörder des Hans, nein, der Vater, um der Liebe willen jenes erschlagen. Kai nur Werkzeug.

Ins Zurücktreten des Vaters klingt mütterliche Anklage. »Zu hart, Mann! Zu hart! Alles soll nach deinem Kopf gehen. Alles knechtest du!« Hilflos weinend, im Anblick seines Gesichtes: »Auch mich! Mich auch!«

Sitzend umschaut der Vater den Tisch: Kais halb ins Dämmer verfließende, von Tränen beströmte Gesicht; die Kinder, ihre Augen schluchzend in Hand oder Mundtuch verborgen; gebeugt, geröteten Auges, Margrit. Und nun, die eigenen Tränen mit zornigem Lächeln verdeckt: »Bin ich ein Tyrann? Meine Tafelrunde weint!« Aber dann, im Verstehen: »Margrit, ich dich knechten! Du das mir!«

»Du bist so hart, Mann, so unnachgiebig!«

Und nun eine andere Stille; ein Wanken dann, ein Fall, das Gesicht in der Mutter Schoß verborgen, schreit der Vater: »Wach auf, Margrit, das ist doch nicht wahr!«

Und Kai – wo ist Zorn, Empörung, wo Haß? Beim Zusammenbruch des Vaters – was ist das für eine Stimme! – ist nur die Liebe da, die alte Liebe, die hinstürzen möchte und flehen: »Nicht dies ist wahr, nicht dies!«

Aber von Lotte fortgeführt, ist hinter jener Tür dort unten Gemeinsamkeit, ihm genommen und abgetrennt, und allein in seinem Zimmer – umsonst die Opfer! – Einsamkeit wie nur je.


 << zurück weiter >>