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60

Ein Schatten spielte sich auf neben Kai, und da er, den Kopf beharrlich gesenkt, immer noch in sich glühenden Haß treiben fühlte, klang die Stimme jenes entsaugt und wachsweich: »Was ist, Kai? Wollten sie ...?«

»Du, Arne ...!«

»Merkten sie? Die anonymen Briefe ...?«

»Ja, ja, anonym ...«

»Aber woher?! Hat Margot ...? Oder die Polizei ...? Was wird ...?«

»Margot ...«, und auffahrend sah Kai den Freund weit fort, »Margot ...? Nein ...«

»Nein? Also Polizei ...? Was wird? Was sagten sie? Rede doch! Um Gottes willen, Mensch, rede doch ...! Wurde mein Name genannt?«

»Dein Name??? Ach so, wegen Margot ...! Nicht dein Name, nein!«

»Aber sie werden erfahren, da sie den Schreiber erfuhren ...«

Ein ätzender Windstoß sprang plötzlich sie an, in ihn schrie Kai: »Oh, sie sind schlecht! Schlechter als wir! Wir, sind wir schon sündig, – kämpfen, bereuen, flehen Hilfe dieser Gefestigten, ach, nur gefestigt, da sie selbst Sünde zum Postament ihrer Macht vermauern, sich zu erhöhen über uns ...«

»Lauter«, schrie Arne.

»Ja, eitelkeitsgedunsen zerrupfen sie selbst dies, unsre ihnen hilfeflehend hingekniete Schmach, und wenn sie reden, reden sie nur Bestätigung ihres Selbst, statt Hilfe für mich ...«

Er trieb fort. Dann – plötzlich die Arme gelockert, in den Beinen ein müdes Gefühl, merkte er sich über eine Brückenwand gelehnt; unten spülte, wehrbefreit, zwischen noch schaumigem Gerinnsel der Fluß Eisiges fort, und dieses Gleiten schien, endlos und rasch, Boden unter den ruhenden Füßen fortzusaugen und ihn, den Hilflosen, wegzureißen in eine unbekannte und drohende Zukunft. Seine Hand legte sich fester um sandsteinene Riefung.

Arne keuchte: »Und die Briefe, deine Briefe, hatten sie die?«

»Ja ... hatten ... aber weshalb?«

»Doch Margot ist nicht tot, wie ich dachte ...«

Kai wandte sich fort, wollte fragen, doch schon hörte er sich schreien: »Verdammt Margot! Was soll denn sie!«

Und jener, lauter auch: »Fort ist sie!«

Da glomm Staunen: »Fort ...? Und warum?«

»Aber, Mensch! Deine Briefe ...! Die ganze Zeit rede ich ...«

»Meine Briefe ... du meinst meine Briefe an Margot ...?«

»Was denn sonst! Auch du sprachst von anonymem Geschreibsel ...«

»Und meinte jenes von – Klotzsch!«

»Klotzsch??!!«

»Das heißt, ich weiß nicht ... Eine Vermutung des Direx. Dein Ehrenwort, daß du schweigst ...«

»Werde schweigen, Ehrenwort! Doch was ...?«

»Ach, ekelhaft! Bin noch taub. Kaum zu reden davon. Anonymer Brief an Direx, ich sei faul, unverträglich – – – Onanist!«

»Was ...!«

»Denke dir!« Und da er unmutvolles Staunen des andern merkte, Beklommenheit, Versinken in schweigende Scham, war Kai schon obenauf. »So ein Schwein!«

»Aber Klotzsch ...«

» Er denkt Klotzsch ...«

»... wegen Ilse ...?«

»... du meinst ...?«

Bestimmt, hackmessrig: »Nur!«

Und langsam Kai, indes die Lider sanken, aufberstende Freudenflammen zu bergen: »Möglich ...«

Schneller dann: »Doch er erreichte nichts, jener. Ich will nichts wissen. – Ich bin schuldlos. Also ...«

»Aber du siehst, welche Waffe, welche Gemeinheit!«

»Enttäuschungstief, doch auch zu überkommen ...«

»Nein! Gleiche gegen ihn, gleiche gegen sie!«

»... ach ...!«

»Auch Margot floh, auf deiner Briefe Mahnung. Nichts ohne Widerhall.«

»Du sagtest schon, verzeih, ich verstand nicht ganz ...«

»Ich war bei ihr. Natürlich kein Wort von diesem Brief! Ich war froh ... am nächsten Abend, da ich schellte: ›Sie ist fort.‹ – ›Fort! Wohin?‹ – ›Ganz fort. Niemand weiß ...‹ Wir glaubten erst, sie sei tot ... Selbstmord ... Schmach ... Reue ... Deine Briefsätze kreischten in mir, ihre Tränen sah ich sickern. Doch nun, man denkt, daß sie fort ist, in die Heimat ... Ehrlichkeit wieder ... Schneiderin ...«

»Schneiderin ...!« Und da des andern Blick prüfte, leise: »Das wollte ich nicht. Ich nicht. – Verzeihung. Fort. Allein sein ...«

Und es trieb ihn zwischen die Büsche. An den Enden der Ruten hingen weiß erstarrt Tropfen; die die Sonne schon einmal getaut; der Kies war zerwühlt von Wasser; die Rasennarbe von schollig gelagertem Eis zerfetzt, aber doch trieben schon, dort im Winkel, von den Stämmen der Ulmen geschützt, dicke Knospen einem noch fernen, kaum schon glaubhaften Frühling zu.

»Nein, ich wollte es nicht ... Nähe war es ... in einen Schoß geborgenes Schluchzen und, aufgerichtet über den kleinen Bewegungen, am Ende dann das große Monument unserer Liebe, Trost, Rückhalt im Aufblick, Kraftspende ... Nun sitzt sie dort. Ihre Stimme, die den stickigen Qualm der Cafés goldpunkten bestickte, Rauschen von Licht, klingt von den entfärbten Wänden eines verhaßten Zimmers wieder; ihre kleine volle Hand, so bebend in meine geschmiegt, geht nun Wege, die Kleines Geld heißen; der Amselruf meiner Briefe rief sie zu Ehrbarkeit ins Dunkel, da er doch allein reine Liebe barg ...«

Er sann fort, die Stirne gesenkt, und nun, als leise das Bewußtsein eines andern Briefes zu glimmen begann: »Doch wirkten sie. Sie schufen Tat. Ein Ding, mit leichter Gebärde der Welt geschenkt, da ward's aufgefangen, wirkte Kraft, und was nächtens im Einsamen wurde, eine Geste des Ungläubigen, sprengte donnernd das Mädchen: lebenbestätigende Tat!

Und auch jene anderen ... Da ich vor ihnen stand, vergaß ich Gefahr. Schlingen; Brücken, deren Balkenbelag unspürbare List vor meinem Fuß verschob ... Doch im Sturze angeklammert, emporgerissen, auf die Ellbogen gestemmt, die Füße eisig beweht von geahnter Tiefe endlosen Falls, grinste ich ihnen mein Leben aus entfärbtem ins entfärbte Gesicht – Anklage ... Leben! Leben!

Auch du Kleine dort, sicherheitsgeborene, schlösserverhängte ... keine Teichfläche so glatt, daß ein Stein sie nicht in tausend Ringe zerklirrte ... kein Nacken so gesteift, daß nicht Leid draufzulasten ... kein Herztakt so gemäßigt im Schlag, daß er nicht Zucker täte aus Angst und Liebe ...

Wie wehrte ich mich! Welche Wege trieb ich, gegen die Richtung der Fahrt Hand und Fuß gestemmt; nannt Feind den wilden Motor: Es! Doch der schlug, zwang mich, und nun begreife ich schon, daß er allein mein Freund war, Zeichen sendend; die Schlingen, die er mir legte, rissen mich auf aus dem Abgrund zur luftüberwehten Ebene der Erkenntnis ... freundliches Es ...«

Und als schon wieder über Straßen wellengleich Lärm trieb, an den Klippen der Kreuzungen brandend: »Zweifele ich denn noch ...? Ich weiß es wohl ... gutes Es!«


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