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Es war spät. Da Kai den Vorhang zurückschlug, weißte schon hochstehender Mond die Riefen der Dächer. Bleiches Gegeister; scherengeschnittene Schatten in zuckigem Regen; bläuliches Schneehang-Gedunkel überstreifte sein Auge hastend, auf der Suche. Doch all dies und selbst das stumpfe Hufgeklapper auf vereistem Fahrdamm gab Ruhe nicht, sondern trieb Ärger hoch, unförmigen, sein Gaumen schmeckte, und er entdeckte am Ende noch, sich wendend, den eigenen Schatten, der ihn höhnte, aber, ertappt, fremd tat.
»Ich wage es nicht ...«, murmelte er, »doch auch dies war Enttäuschung. Sage es nur, Kai. Die so oft gesehenen Bilder, die ich immer von neuem verjagte, nun, da ich sie rief, schienen sie entblutet, und das große Zucken jenes Abends stand wie eine Sonne über dem kläglichen Licht heutiger Erlebtheit.«
Wieder warf er den Blick nach außen, suchte, wen zu finden, bereden, beleben ... niemand. Die Stadt schloß sich vor ihm, und wie er auch Gedanken schickte, dahin, dorthin, er fand nur das Alte: Alleinsein, einziger Mensch in der Stadt, aufgerichtet in diesem Zimmer und widerhallos wie ein in die Wüste gesungenes Lied. Und indem er schon schneller ging, gebückter, gedrückter – an die Stuhllehne streifte die schlagende Hand –, erwuchs Vorwurf den andern aus diesem Alleinsein, und dachte man selbst einmal Gottes, schien auch sein Tun – gesetzt er sei da – nicht einwandfrei gegen Kai, den im Kampf Gehetzten, den Enttäuschten.
»Doch kann ich die ganze Nacht nicht wandern ... Legen wir uns. Schlafen, enttäuschungstief.«
Blinzelte, das verlassene Bett, dessen aufgeschlagene Decke noch nasse Wärme zu dampfen schien, lockte nicht. »Nein, nicht schlafen ... ich werde sitzen ... denken ... ruhen ein wenig im Sessel ...«, und hockte sich ein.
In das Stillerwerden wogte leis da und dort fliederhaftes Gewehe, an einem Zaun wucherte Grün: Gundermann, Taubnessel, Klettengedräng. Ein Weißes wehte. Schrieen Vögel süß?
»Wie dein Nacken sich beugt, leiser Goldflaum. Komm, laß uns die Finger verflechten. Wir wollen die Wiesenwege hinaufgehen, die schmalen, Hand in Hand, daß die Blüten ihren gelben Staub auf uns streifen, daß tropfender Tau als Sommerglück auf dem Lack deines Schuhes zittert, ehe er in Sand verrinnt ...
Die kleinen Gehölze breiten ihr Laub dem Wind als Kissen unter den Himmel. Manchmal öffnen sie sich zur Seite: neige die Stirn: dort zwischen den sonnengoldgefleckten Stämmen kannst du Gestalten sehen, die uns anschaun; und hinter jenem hummelumsummten Heckenrosengerank hockt vielleicht überfließenden Auges der Gefährte, den ich um dich entließ.
Ich war sehr einsam. Selbst meinem Leid glaubte ich nicht, da es stets in mich zurückfiel ... Warum war der Himmel blau, da es niemand gab, dies ihm zu weisen? – Nun strahlt er heller wieder in dir. Manchmal, nachts, ging einer an meiner Seite und äffte mich; warf ich schon Steine, ihn verscheuchte ich nicht, und der eben Geflohene schlich schon seitlich im Graben an meinem Weg, indes seine Arme höhnend ruderten ...
Glaub nicht, diesem Pfad gäbe es Ende. Wir wollen von der Liebe sprechen, die uns eint. Denkst du: je versinkt die Sonne? Sieh, sie rastet auf den Bäumen. Ich will mich ruhen in deinem Schoß, und indem ich emporschaue, wird sie höher steigen, leuchtender noch ...
Viel suchte ich dich. Konnte nicht jeder Mensch Erfüllung sein; jedes Leben? Auch habe ich dich gehaßt. Aber auch dies verhallte, umsonst. Ich litt um deinetwillen, vergebens. Erst, da du mitlittest, da auch deinem Auge entstürzte, was mir bitter ist, einte uns Liebe. Wie leicht ist das! Wüßte man es von je! Alles ist unfruchtbar, nur gemeinsames Leid ruft Liebe ...
Du sprichst nicht? Komm, dort zwischen den Büschen steht eine Bank. Den Kopf zurückgelehnt, werden wir uns über die Zweige in den Himmel schwingen. Wir werden im Blau ertrinken. Vergiß nie meine Hand. Sie ruht in deiner. Entfremde sie dir nicht.«
»Sieh, dort liegt Papier. Ein Stift. Ich werde dir Verse schreiben. Syringen werden darin sein, ihr Duft aus diesen Zeilen noch an dein Bett. Jene weiße Göttin im Grün werde ich beschwören, und von meinem Atem belebt, wird sie um dich sein und Liebe in dich einsenken ... noch mehr Liebe ... Wärme ...
Ich werde sie deiner Mutter senden, die Verse. Sie ist mottengleich, taumelt im Dunkel, aber von meinen Worten betört, wird auch sie dem Licht glauben und gut sein. Sieh, schon schreibe ich, drängende Liebe strömt aus mir, gleich lege ich sie in dich und sie, Samenkörner. Sie werden wachsen – horch! Auch die Vögel schweigen schon ...«
Sehr geehrte Frau Rat, lassen Sie sich nicht täuschen! Und wenn Sie sich täuschen lassen: Ihre Freunde wachen für Sie. Täuschung die Entfernung des Schülers Goedeschal. Er sieht Ihre Tochter jeden Tag. In den Anlagen der Promenade zwischen fünf und sechs werden Sie den Schüler Goedeschal mit Ihrer Tochter Unzucht treiben sehen. Ein Freund Ihres Hauses, der wacht.
»Ist es nicht recht so? Es klingt schön, nicht wahr? Nun wird Erdachtes die Liebe schüren. Liebe ich nicht am meisten im Schmerz? Auch du wirst leiden, um mich. Wie ich hierhin trieb! Dünnes Gerede, matt geflüstert, im Halbschlaf. Ich glaube, schon im Beginn, da noch alles Süßigkeit schien, was die Lippe sprach, wußte ich dies geschriebene Ende. Irgendwo tief saß es. Dann kam's ...
Kleines Mädchen, Liebste, nun liebe ich dich ... Ich werde schlafen können. Morgen ist alles weit fort, trieb stromab. Was betrifft es mich?«