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Hinter sich ließ das Mädchen die Tür zum Arbeitszimmer des Vaters den Blicken Kais offen. Noch schliefen die Eltern. Vom Klappern der Teetassen aufgeschreckt, langte der Vater tastend nach seiner Zeitung. »Ist Kai gekommen?«
»Der junge Herr? Ja, Frau Staatsrat. Vor einer halben Stunde.«
»Rufen Sie ihn.«
Und Erna warf Kai im Fortgehen einen Blick zu, der lächeln zu wollen schien. Ihr Kleid rauschte, eine Falte streifte seine Hand. Dann ging die Tür. »Und nun ...«
»Hier, dein Toast, Heinz.«
Kai trat vor. »Guten Abend, da bin ich.«
Im Aufblick fragte die Mutter: »So spät! Hast du schon gegessen?«
»Alles erledigt. – Die Mathematikarbeit dauerte so lange.«
Indem sie die Teetasse absetzte: »Es ist doch gut gegangen?«
»Nein. Leider nicht. Ich habe Pech gehabt.«
»Wie denn? Pech! Hast du die Aufgaben nicht herausbekommen?«
»Nein. Nein. Ich habe sie nicht herausbekommen.«
»Alle nicht?!«
»Alle nicht ...«
Die Uhr tickte und tickte. Das Muster des rotsamtigen Sessels war Kai ganz nahe, er strich darüber hin. Eine Zeitung knitterte, die Stimme des Vaters sagte: »Und das sprichst du so ruhig aus ...! Wenn du keine Aufgabe gelöst hast, so bekommst du eine Fünf, und das bedeutet bei deinen früheren Leistungen ein Ungenügend in Mathematik. Dann bleibst du zu Ostern sitzen. Hast du dir das klargemacht?«
Ein Teelöffel klirrte, das Uhrwerk zerriß wieder Zeit in unzählbare, endlose Stücke.
»Ich wünsche eine Antwort, Kai ...!«
»Ich schreibe die Arbeit noch einmal, morgen nachmittag ...«
»Du schreibst ...« Der Vater schwieg, überlegte, dann rasch: »Sie war also zu schwer? Sie wird nachgeholt? Unter leichteren Bedingungen? Du hättest das gleich sagen sollen, Kai, klar und präzis. Es ist also gut. Geh und trink deinen Kaffee.«
›Ja, nun könnte ich gehen, wenn der Karzerbrief nicht wäre.‹ Er sah auf, zu seiner Mutter.
Sie rief rasch, zitternd – ›oh, Verräterin!‹ –, wies auf sein Gesicht: »O Kai! O Kai! Heinz, sieh den Jungen an.«
Er sah auf, unwillig, stand dann. »Was ist noch? Rede, sprich! Hast du gelogen? Schreibst du die Arbeit nicht nach!? Bekommst du die Fünf?«
»Nein.«
»Du schreibst sie nach? Deutlich!«
»Ja.«
Pause. Dann langsam, überlegt: »Du allein?«
»Warum?« Dann ungeduldig: »Was frage ich?! Sieh den Bengel an, Margrit, steht er nicht da wie ein Stockfisch! Muß man nicht alles aus ihm herausziehen! Statt nun wenigstens offen und ehrlich zu beichten ... Ach was! – Die andern lösten die Aufgaben?«
»Ja. Zum Teil.«
»Zum Teil, das heißt: sie lösten wenigstens einige. Was tatest du?«
Schweigen.
»Triebst du wieder einmal Nebendinge? – Ah so! Andere Arbeiten gemacht?«
»Nein.«
»Romane gelesen?«
»Nein.«
Er faßte den Jungen bei den Schultern. »Himmelherrgott, Kai! Keine Winkelzüge mehr. Was hast du gemacht?« Er schüttelte ihn. »Was du gemacht hast, frage ich.«
»Gedichte ...«
Die Hände des Vaters fielen von Kais Schultern. Staatsrat Goedeschal trat zurück. Wieder kam das Ticken der Uhr herauf. Die Mutter machte eine Bewegung, als wolle sie reden, der Vater hob die Hand. »Also Karzer?«
»Karzer.«
Den Kopf an die Scheibe gepreßt, starrte der Vater ins Dunkle. Kai murmelte in sich: »Nimm es doch nicht so schwer! Es ist ja nicht so schlimm! Ich habe dich doch lieb, du darfst nicht traurig sein, nur das nicht.«
Er wollte reden, machte einen Schritt.
Staatsrat Goedeschal sagte: »Geh auf dein Zimmer. Kai! Siebzehn Jahr bist du bald, und was hatten wir von dir? Sorgen. Sorgen. Sorgen. Sieh hin, deine Mutter weint. Du tust uns Übles auf Übles.«
Ganz nah an ihm stehend: »Und du schämst dich nicht einmal. Wenn du zu Ostern sitzenbleibst, dir ist's egal. Aber wenn ich bei andern Eltern höre, deren Söhne sind versetzt, und meiner, der blieb sitzen! Natürlich, er hatte ja keine Zeit zum Lernen, er mußte ja Gedichte machen, der Herr Sohn. Geh! Geh! Ich mag dich nicht mehr sehen.«
Abschließend: »Du ißt von jetzt an auf deinem Zimmer, verläßt es nur zu den Schulwegen.«
Kai hob sein Gesicht: der Vater stand einen Schritt vor ihm und sah ihn an; Kais Blick floh, kroch zu Boden. »Warum kann ich ihn nicht einmal ansehen! Ihm nicht einmal sagen, wie lächerlich er ist!«
Aber Schritt hinter Schritt entfloh er diesem Blick. Rückwärts. Tastete blind nach der Klinke. Die Tür fiel zu, er stand allein auf dem dunklen Vorplatz. »Sicher, er holt mich zu sich. Er sagt: doch liebe ich dich!«
Drinnen sprach die Stimme der Mutter Beruhigendes, Sanftes. Der Schritt des Vaters ging her, »Nun ruft er«, und hin. »Nichts!«
Von der Küche kam jemand. Kai floh auf sein Zimmer.