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Schleier Schlaf vor den Augen ward dünner und dünn. Über den Saum des entstreichenden letzten hob Kai die Lider. »Ich bin wach.«
An die Fenster stieß Hartes, rufgleich schrie es, ein bekannter Pfiff tönte melodisch.
Kai lehnte ins Kalte: im Sträucherschatten schlich es verkrümmt, trieb sich murrend empor, klotzte querüber den Fahrdamm und streute nun segnend die Arme über den Schnee.
Kies umprasselte Kai.
»Bist du blödsinnig, Arne!«
»Aufmachen! Colloquium nötig!«
»Leise! Der alte Herr ...«
Arne schrie dröhnend: »Mach auf!«
Fenster klirrten im Öffnen, schon sprenkelte Lichtschein die Scheiben am Platz.
Da: der Leuchter, die Treppe hinab, im gewohnten Versteck des Vaters fand er den Schlüssel zum Haus, öffnete.
An der Laterne im Schnee ruhte sich Arne, das Gesicht überklebt von Verachtung. Stählern stieß er ein Murren: »Schweine! Unwissende Schweine!«
Kais weißärmliges Winken lockte, zog ihn zum Halse des Freundes. »Auch du Schwein. Unwissendes Schwein. Gutes Schwein.«
Sie tasteten stolpernd die Treppe aufwärts. Alkohol dampfte.
In den Langstuhl hockte sich Schütt, das Auge vermiest durch Umkreisung von körnigem Grün, Gelb und Blau, die Finger den Hosen wulstige Falten entrollend.
Kai stieß ihn. »Was willst du? Gleich schlägt's drei.«
»Was ich will? Skriptum! Griechisches Skriptum. Gib's her.«
Arnes Tasche enthob sich Blaues, Zerknülltes. »Hast du's richtig?«
»Von Korn. Mach zwei Fehler rein. Dann wird's die Drei.«
»Los! – Was heißt das? Kein Schwein kann das lesen! – Und du?«
»Bekomme Zwei bis. Korn kriegt die Eins. Du hast dann also fünf Fehler.«
»Bockmist! Das hier ist nie im Leben richtig.«
»Mach's besser. Drei Fehler sind drin. Mehr nicht.«
Schütt stampfte das Heft in die Brust. »Anton sollte das wissen. So ein fleißiger Schüler, nachts noch um drei über dem Skriptum.«
»Leise! Ich bitte dich! Arne!«
»Natürlich. Versteht sich. Dein alter Herr. Denkst, ich bin knille? Gar nicht!«
Rücklings in ein Kissen gebettet, entzog er würdig der Zunge lächerlich aufgeplusterte Worte, formverlorene, im Umriß verzerrte: »Schriebst du schon Margot? – Recht so! Leg los. – Was! Keine Abschrift?«
»Laß sehen, vielleicht kann ich's so.«
Blasengleich trieb's Sätze empor ins Bewußtsein, der gleitende Blick rann zusammen. Aber noch klemmte es drinnen. »Ich bringe es nicht.«
»Los, Kind Gottes, stell dich nicht an.«
»Liebe kleine Margot ...«
Beinahe sang er's. Süß schmeckte der Gaumen, birkrutig wehten die Nerven. Im Schoß tanzte Gezier seiner Hände.
Er warf einen Satz. Zögerte. Aber dann ließ er sich gleiten, der Mund sang den Leib ihm zur Ruh. Über Arnes torkelnden Haarbusch schlug er das Ballspiel der Sätze, der Wortstrom strömte. Bitten warf er ins Weite und die Beschwörung des Flieders; über Ilses Gesicht goß er den Glanz weißseliger Wolken; ferner stand Margot; aber jenen dort, jenseit, schmeichelte er stiller nun Klang und Gelöbnis zur Seele, den namenlosen Begehrten, allen, die flaumig im Fleisch sich erwärmten. Spülte sich fort und hielt wie den Mond ein Lächeln des Trostes in Händen, eine Gewißheit von Glück allen, die dies Sein verwarfen. Glaubte sich selbst seine Liebe, Güte begehrend und wirkend, nickte, hob sich zum Ufer, lachte der Zukunft entgegen.
Arne, schiefwinklig den Kopf, sah dem Verströmenden nach, hob griffig die Hände. »Nanu! Du bist gut!«
Die Süße verschwemmt, schon sägte knarrend Protest. »Liga gefallener Mädchen! Rückkehr zur Unschuld! Luther! Christus! Statt dessen Liebeserklärung! Jeder Vereinbarung zum Trotz suchst du nur Sicherung deiner Lust.«
Kai hob sich. Indem er die Hände vor sich warf, konnte er's doch nicht hindern, das Fallen und Stürzen, nun entblößten sich Winkel, geheimer Sinn spann sich aus Sinnlosem, und weithin schien nichts zu bleiben als List, Verrat und am Ende: schmerzliche Niederlage.
Aber er drehte sich fort. Er wollte nicht sehen. Nicht dies. Noch nicht dies. Auch hier war noch manches mit kleinen Gebärden zu schmücken. Die Augen geschlossen fand man vielleicht einen Weg am Absturz vorüber.
»Du siehst nicht Gomorrha, Salzsäule. – Also dein Ehrenwort, daß du noch einmal schreibst. Heilsarmee mehr als Entblößung von Lüsten.«
Kai fuhr herum, seine Hand griff zu Arne. »Nie! Nie! Nie!«
»Aber keine Angst! Was soll das! Schreibst du?« Und Arne stieß auf den Boden. »Du schreibst, Kai? Noch einen Brief?«
»Ich bitte dich, Arne, sei still.«
»Bin's schon. Aber du schreibst?«
»Ich kann nicht.«
»Ich brülle das Haus zusammen. Ganz egal.« Ruhiger: »Das war nicht amön? Du schreibst?«
Kai faßte ihn. »Arne, du verstehst es nicht. Aber glaube mir, es ist ein Komplott. Man will mich verraten. Schreibe ich den Brief, es hieße den Feind bestätigen. Glaube mir doch!«
»Red keinen Unsinn! Komplott! Du spinnst ja, Verehrter. Ich erzähl dir was Gutes ... von Margot ...? Aber du schreibst?«
Kai verneinte.
Arne stand. Der Stuhl fiel krachend. »Du schreibst ... Oder?« Er hob den Waschkrug.
»Um Gottes willen! Ich schreibe.«
»Ehrenwort?«
»Ja.«
»Ehrenwort?«
»Ehrenwort.«
Arne tastete um sich, griff Mantel und Mütze. »Servus, Kindchen.«
An der Haustür verhielt er, neigte sich langsam zu Kai, flüsterte: »Nun kommt's: ... ich war heute bei Margot ... Servus, unwissendes Schweinchen.« Und er ließ Kai dem Schlaflosen.