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»Arne! Wartest du lange schon?«
»Länglich.«
Kaum sah jener auf, bedenksam klopfte er Asche vom glühenden Stummel. Kai setzte sich. Ruhe auch nicht hier. So vieles zu erwägen. Nun aber: »Was Neues?«
»Ich nicht. Aber du?«
»Ich? Nichts!«
Der Blick hob sich nicht, schon aber begann neu Sensation die Glieder Kais zu durchprickeln, neue Wärme erhitzte das kaum straßenluft-gekühlte Gesicht, denn dieser:
»Ein guter Freund, ein aufrichtiger Freund ist eine Gabe Gottes.«
»Bin ich nicht ...?«
»Nein, bist du nicht!«
»Und?«
»Berichtete ich nicht, wegen Margot? Nun du? Nichts zu sagen?«
»Was ihr wollt, alle! Erst Papa, Mama: nichts zu sagen, Kai? Frau Lorenz, Ilse: nichts zu sagen, Herr Goedeschal? Nun du ... bin ich denn ...?«
»Bist du! Bist du!«
»Also was?«
»Kai, rede, ich weiß alles ...«
»Was alles? Gar nichts weißt du!«
(›Hoffte noch! –: Anderes ist es! Ich irre mich!‹)
»Alles ...!«
»Und wenn du schon weißt! Kannst du nicht schweigen? Siehst du denn nicht, daß ich nicht reden will, nicht reden kann? Mein Wille ist nicht da. Das alles ist Dunkel, nun soll es ans Licht ... Am Tage besprechen, in lebende Augen hinein, die es aufnehmen, ganz anders meinen dann ...«
Er sah durch das Fenster. Auf den Straßen liefen befreit Kinder, die Frühling ahnten. Erste Kreisel drehten. Schreie! Freudige Schreie! Viele Fenster standen offen. Fort! Fort! In seiner Hand schnurrte die Gardine, gelblichgrau hing Dämmer über Tisch, Hand und Gesicht.
»... auch heut so. Plötzlich waren die Briefe da. Sie schoben sie her. Sie fragten: wissen Sie nicht? Nein, ich weiß nicht. Kenne nichts. – Fremd das?«
»Fremd ... dir!«
Kai sprach weicher, griff nach hinten, der beißende Karbolgeruch der Bedürfnisanstalt damals auf dem Schulhof war neu da, sie alle redeten; da er doch versuchte, aus sich Wahrheit zu schaffen, blieben sie ungläubig, ihre zu beweglichen Gehirne formten um, was Gesetz war, ihm selbst in Steintafeln geprägt.
»Weißt du noch? Damals? Als ich Klotzsch schnitt? Nicht ich tat es. Aber auch da glaubtet ihr nicht! Heute glauben sie noch. Faß es, Arne, auch ich muß es begreifen: da aus ihrer Hand jene Briefe, deren Worte meine Nacht schuf, taghell zu meiner glitten, waren sie fremd, mir ungemein, nichts mit mir zu tun. Da Ilse weinte, begriff ich, erfühlte heiß Verworfenheit solchen Tuns. Ich werde ihn finden. Nicht mehr soll sie leiden. Frei soll ihr Schlaf sein und Helleres bereitet dem Wandern ihres Traums ...«
Da stand Arne. Seine Finger griffen kugelnd immer wieder die Luft. » – Du – wirst – – ihn – – finden – – –?!«
»Ja, nicht mehr leiden soll sie. Sie weinte, Arne ...!«
»Aber, Kai ...«, er faßte die Schulter des Freundes, nun durchwärmt auch sein Blick. »Besinne dich doch, Kai. Du selbst Schreiber der Briefe!«
»... ja ... ja ... natürlich ...«
Er zwinkerte rasch, einmal, wieder und wieder. »Gewiß. Natürlich. Selbst geschrieben. Übrigens, dem Wortlaut nach nicht selbst geschrieben, ein anderer schreibt sie für mich ...«
»Wer?«
»... aber ich bin doch nicht der Verfasser! Mittler nur, ohnmächtig. Den andern zu finden, nun, da sie weinte, bin ich stark genug. Kein Brief mehr. Ich will nicht.«
»Aber das geht nicht! Nun, nicht wahr ...? Heute haben sie dir gezeigt? Und nun willst du aufhören. Das fällt auf!«
»... fällt auf ...«
»Nein, jetzt mußt du schon noch etwas weiter machen. Das geht nicht anders.«
»Ja, wenn du meinst. Recht kannst du haben ...« Wie war die Stimme gefallen! Mittler – Schöpfer jetzt? Mußschöpfer? Reinheit aus Achtsamen unrein gemußt?
»... aber gut ist deine Rache! Wie klug, nicht selber zu schreiben! Wer denn?«
»Ach! Irgendein Idiot. Aber keine Rache, Arne, keine Rache! Nichts davon!«
»Aber was dann?«
»Liebe ... nur Liebe ...«
»Liebe ...?«
»Ach, laß schon. Du verstehst doch nicht. Und woher weißt du?«
»Irene ...!«
»Ah so! Man redet also schon ...! Es wird Zeit, so Zeit! Ich muß Schluß machen. Heute schon beinahe. Ob sie ahnen ...?«
»Nichts! Mitleid haben sie ... mit Ilse, auch mit dir ...«
»Trotzdem ...«
Nah trat Kai, seine Hand griff zur Schulter des Freundes. Aus dem Dunkel dämmerte weiß das Gesicht, schwarz standen die Augenhöhlen. »Nicht, Arne? Ich kann Schluß machen? Es geschieht nichts? Noch ein paar Briefe, dann aber vorbei. Niemand erfährt etwas. Du bist der einzige, du bist still, nicht wahr? Denn sieh, wenn jemand erführe, ich könnt ja nicht mehr ... ich müßte ja ... alles wäre vorbei ...«
»Nichts. Niemand erfährt, Kai. Lieber. Keine Angst. Nur keine Angst!«
Ganz leise da und weit weg, irgendwo am Schreibtisch oder gar am Bett: »Doch, Arne, ich habe Angst, so sehr Angst. Manchmal. Alles ist, glaub ich, bestellt. Ich tanze umsonst. So Angst ...«