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Daß die Dinge aus der Nähe gesehen anders ausschauen als von weitem – um das zu erfahren hätte ich nicht von Buffalo nach East Aurora fahren müssen. Ich bin nur für ein paar Stunden hinübergefahren, und als ich in der Kolonie der Roycrofters ankam, da sagte man mir, Herr Elbert Hubbard, den ich gerne gesehen hätte, sei grad heute nicht daheim in East Aurora. Schade – sagte ich mir; Glück! – sagte ich eine Stunde später.
Elbert Hubbard ist der Gründer der »Roycrofters«, man kann seinen Namen auf den kleinen hübschen Wildlederbüchlein lesen, die um die Weihnachtszeit in großen Mengen aus Amerika in die guten Buchhandlungen des europäischen Kontinents herüberkommen. Die Engländer und die Amerikaner werden nicht müde, ihre Klassiker immer und immer wieder mit Liebe und Sorgfalt neu zu drucken, und die Roycrofters tun dasselbe. Sie drucken einzelne kurze Essays von Emerson, Thoreau, Ruskin und dann andres, die portugiesischen Sonette der Browning-Barrett, die unvermeidliche Rubayat des Omar 89 Khajjam, mit sehr geschmackvollen Lettern auf sehr schönes Papier, und binden das Ganze dann in winzige Lederbändchen ein. Man kann dieses Leder hin und her streicheln, es fühlt sich an wie ein Handschuh, der auf einer lebendigen Hand sitzt, ein gutes Geschenk für Boudoire. Diesen Zweck zu erfüllen ist, denke ich, eine hübsche Aufgabe, und darum darf man auf die Roycrofters nicht böse sein, wenn sie in der gleichen kostbaren Art auch alles drucken, was Elbert Hubbard schreibt und dichtet. Sie drucken seine Aphorismen, Essays über Menschen und Lebensdinge, philosophische und soziale Maximen usw. in kleine und große Bände, malen, schnitzen und treiben sie auf Pergamentblätter, in Holz und Metalltafeln, all das tun sie mit großer Kunstfertigkeit und erlesenem Geschmack. Ich habe mir ein paar von diesen Sprüchen zur Lebensweisheit aufgeschrieben, aber ich schreibe sie hier wirklich lieber nicht wieder auf. Ich habe sie mir in mein Notizbuch hineingeschrieben von den Tafeln und Pergamenten, die alle aus kostbarstem Material waren, und wenn:
»Morgenstunde hat Gold im Munde!«
oder
»Trautes Heim Glück allein!«
mit Morrisscher Einfachheit auf solch einer Tafel geschrieben steht, so glauben es die Stilbedürftigen und Schönheitsdurstigen im Lande aufs Wort – sei es nun Ruskin oder Mr. Hubbard, der den Spruch gesprochen hat.
Ich bin nicht nach East Aurora gefahren, um zu sehen, wie die Roycrofters setzen und binden, bosseln und punzen, sondern weil die Sage ging, die Roycrofters seien Kommunisten, wenn auch mehr mit künstlerischem Einschlag als aus rein sozialen Gesichtspunkten, sozusagen in der Mönchskutte und nicht blaublusig.
Hubbard selbst nennt sich ja, etwas kokett, Fra Elbertus, was man ihm weiter nicht verargen darf, denn Hubbard 90 ist kein schöner Name für einen Künstler, zudem fängt ein altes englisches Kinderlied auch so an:
»Old mother Hubbard
She went in the cupboard etc.«
Er nennt sich Fra wie der aus Fiesole, und das Hotel, das er für die zahlungsfähigen Schwärmer neben seine Werkleutskolonie hingebaut hat, sieht einem Kloster ebenso ähnlich, wie er dem Angelico. (Ich merke schon, wo in Amerika ein Experiment gemacht wird, steht sofort ein Hotel daneben.)
Elbertus trägt sein Haar wallend und verfügt über einen Augenaufschlag, der auf zahllosen Abbildungen zu sehen ist; der Speisesaal des Hotels aber ist ein Refektorium. Es gibt einen veritablen Kreuzgang, und da in Mont' Oliveto kein Raum für den Fünfuhrtee vorgesehen war, so hat der Fra rasch entschlossen einen Pavillon zu diesem Zweck hinter die Apsis der Kapelle, die hier ein Musiksaal ist, hingebaut.
Wie mir ein deutscher Werkführer in dem Fabrikhaus erzählte, besteht unter den Hauptbeteiligten der Roycrofter-Werke wohl eine Art von gemeinsamer Arbeitsbestimmung und Teilung des Gewinns. Da sich aber die Unternehmung, die geschickt in Szene gesetzt ist und mit beträchtlicher Reklame arbeitet, süperb bezahlt, haben die ästhetischen Kommunisten eine Schar von besoldeten Arbeitern und Clerks angestellt und bauen jetzt Kapelle um Kapelle, in denen ihre Kunstwerke zum Verkauf ausgestellt sind.
Fra Elbertus wehrt es keinem, daß er mit wallendem Haar hinter der Schreibmaschine sitze, und ich habe augenaufschlagende Novizen die Addiermaschine bedienen sehen. – Der Fra ist ein Idealist und ein Praktikus zugleich. Er druckt selber und zwar mit Morrisscher Einfachheit die Plakate für die Varietés, in denen er, oben wie ein Mönch, unten wie ein Montmartrois anzuschauen, Vorträge hält, Propaganda macht für eine Idee, 91 die eine künstlerische und asketische zugleich ist, oben Angelico, unten Barnum.
Wie ich aus der Bibliothek des ästhetischen Hotels in die Halle hinauskam, da saß eine Korona von den auch bei uns ziemlich bekannten Damen mit verwaschenen Farben auf dem Leib, Kettchen, Steinchen und Haartrachten, im kühlen Schatten auf bequemen Stühlen beisammen; in ihrer Mitte saß ein Jüngling, eine gut gemachte Reproduktion seines Meisters, und las ihnen, langgelockt und in Hemdsärmeln, aus den Werken des Fra vor. Bildnisse von guten und weisen Männern sahen, in der Nachbarschaft des Briefkastens, auf dieses wohlgepflegte Sommeridyll hernieder, und ich dachte, um mit dem erfolggekrönten Fra rasch fertig zu werden, an den Daddy drüben in Freeville, der ebenso wie der Fra ein Amerikaner ist, dem aber sein Werk über den Kopf gewachsen war. –