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Den Schlüssel zur Prärie hat Herr J. W. Greenway, Commissioner of Dominion Lands im Ministerium des Innern zu Ottawa, in der Tasche, ein überaus liebenswürdiger Mann, dem ich die besten Informationen und mehr Empfehlungsschreiben, als mein Koffer faßte, verdanke. An der Pforte der Prärie steht aber als Türhüter Herr Bruce Walker, Commissioner of Immigration zu Winnipeg, eine Persönlichkeit, die schon über das menschliche Maß hinaus zu einem Mythus in die Höhe und Breite gewachsen ist. Dieser behagliche, rundliche Mann stellt unter der Maske eines starkbeschäftigten Amtsvorgesetzten das leibhaftige Schicksal von Millionen von Menschen vor, und gewiß wird sein gut schottischer Name nach Sonnenuntergang all über die weite Prärie in zehntausend Gebeten gleich nach dem lieben Gott und dem guten König Georg genannt!
In Ottawa und Winnipeg habe ich theoretischen Unterricht in der Kunst, ein Settler zu werden, erhalten, und habe dann in den drei großen Weizenländern, den Provinzen Manitoba, Saskatchewan und Alberta, die ungefähr drei Viertel des für Agrikulturzwecke geeigneten Bodens von Nord-Amerika umfassen, Anschauungsunterricht über alles weitere Wissenswerte empfangen.
Wenn Sie die Landkarte von Kanada ansehen, werden Sie bemerken, daß die erwähnten drei Provinzen auf genau dieselbe Weise durch gerade Striche voneinander abgetrennt sind, wie die meisten Staaten der Union.
Die Landkarten, auf denen der Einwanderer zugleich mit dem Beamten sich sein Stück Land aussucht, sind ganz auf dieselbe Weise durch gerade Hoch- und Querlinien in Vierecke eingeteilt. Diese Einteilung beruht auf einer Flächenberechnung von sechs engl. Meilen im Geviert. Der Name des Gevierts ist: a township, ein Stadtgebiet. Es ist in 36 Vierecke zerschnitten, zu 640 Acre, d. h. einer engl. Quadratmeile jedes; jedes dieser Vierecke 148 in vier gleiche Teile von je 160 Acre. Die Regierung hat von diesen 36 Vierecken 16 als freies Heimstättenland zu vergeben, 16 gehören, wie früher erwähnt, der C. P. R. (ich spreche von den Strecken in den Weizenländern, die diese Bahn erschlossen hat), 2 der Hudson-Bay-Company, der großen Handelsgesellschaft, der Kanada vor der »Entdeckung Kanadas« in Wahrheit als Eigentum gehört hat, und die restlichen 2 Vierecke sind Schulland.
Dieses Wort »Schulland« ist natürlich nicht so zu verstehen, daß da auf 1280 Acre in jedem Township eine Schule steht und weiter nichts, freies Land um die Schule herum. In Kanada ist die Einrichtung getroffen (nach dem Muster der Staaten, wie man mir sagte), daß in einem bewohnten Umkreis von je 5 Meilen eine Schule errichtet ist, in der eine junge Lehrerin den Kindern aus den Farmen Lesen, Schreiben, Rechnen und Nationalgefühl beibringt. Das Land um diese schmucken Schulhäuschen ist sehr viel wert und steht höher im Preise noch als die Ländereien der Canadian Pacific und der Hudsonbay, über die der Settler, wenn er einmal zu Geld gekommen ist, kraft seines Geldbeutels verfügen kann. Der Ertrag aus dem Verkauf dieser Schulländer kommt der Schule zugute, die die Regierung erhält.
Der Settler kommt nun in dem fremden, weiten Lande an, das auf ihn gewartet hat seit Erschaffung der Welt. Es ist jungfräulicher Boden, die Prärie hat nie die Pflugschar in ihren Eingeweiden gespürt. Ich will annehmen, dem Settler sind, nachdem er die Überfahrt und die Reise ins Innere bezahlt hat, in Winnipeg auf dem Bahnhof grad noch fünf Dollar in der Tasche geblieben. Mit denen soll er sein neues Leben als Grundbesitzer beginnen.
Nun, er wird sich natürlich mit seinen 5 Dollar nicht gleich auf die 160 Acre setzen, die ihm gehören, und mit den Fingern den Boden aufwühlen, der ihm zu seiner Existenz verhelfen soll. Sondern er wird am besten als eine »Farmhand«, als Landarbeiter, auf der Farm eines beginnen, der ebenso mit 5 Dollar angefangen hat, wie er.
149 Auf dem Bahnhof steht zwischen der Einwandererhalle der Regierung und dem Landbüro der Canadian Pacific eine Holzhütte, deren Wände mit Plakaten bedeckt sind.
Erntearbeiter gesucht.
Gilbert Plains | 50 | ||
Gladstone | 20 | ||
Tessier | 100 | ||
Roblin | 90 | ||
Humboldt | 50 | usw. |
Dies Plakat ist mit Dutzenden anderer um 8 Uhr früh ausgehängt worden, um 10 sind schon zwei Züge angekommen und hinter dem Ortsnamen Tessier steht die Ziffer 20, alles übrige ist gestrichen.
Drin in der Stadt gibt's unzählige Arbeitsbüros, ja es gibt um den Bahnhof kleine Straßen, in denen ein Vermittlungsbüro neben dem andern ist.
Ich notiere mir einige Löhne.
Drescher 2½ Dollar den Tag; Farmkutscher 2½ Dollar den Tag; Farmarbeiter 45 Dollar monatlich; immer Kost und Unterkunft einbegriffen. Diese Löhne beziehen sich auf die Arbeit während der Erntezeit. – Mühlenarbeiter 2½ Dollar den Tag; Bautischler 25 Cent die Stunde; Bahnarbeiter 2¼ Dollar den Tag, Sägereiarbeiter 4 Dollar den Tag; Kohlenbergleute 55 Cent pro Tonne; Holzfäller 2½ Dollar den Tag; Brückenbau-Leute 2½ Dollar den Tag nebst Verpflegung; Koch 65 Dollar monatlich; Vormann auf Farm 75 Dollar monatlich.
Der Mann mit seinen 5 Dollar kann sich also irgendwo als Knecht verdingen. Ein Farmarbeiter, der nicht nur während der Erntezeit dient und gebraucht wird, sondern das ganze Jahr bleibt, kann auf einer Durchschnittsfarm 25 bis 35 Dollar den Monat verdienen. Am besten ist er dran, wenn er sich auf einer Farm verdingt, auf der er die Praxis von der Pike auf erlernt. Arbeitet er und versteht sich aufs Zurücklegen, so wird er in zwei Jahren 360 bis 150 400 Dollar sein eigen nennen. Er kann nun die 160 Acre von der Regierung aufnehmen. Alles wird ihm helfen bei seinem Unternehmen, er mag sein und herkommen, wo er und was er mag. Ist er als guter Arbeiter bekannt, wird man ihm den Kredit, den er braucht, aufzwingen. Zuerst braucht er ein Paar Ochsen, einen Pflug, eine Egge. Dann Draht zum Zaun, Werkzeug zum Bau seiner Hütte, eine oder zwei Kühe. All das gibt's auf Kredit zu geringen Zinsen. Landbanken, staatliche wie private, haben ihre Agenturen und Filialen in den verlorensten Nestern der Prärie und stehen in direktem Kontakt mit dem Farmer. Im ersten Jahr kann er ohne jegliche Hilfe, sofern es nicht anders zu bewerkstelligen ist, seine 40 Acre umgebrochen haben. Nun braucht er eine Säemaschine, später eine Erntemaschine.
In Saskatchewan habe ich Farmen gesehen und von welchen gehört, die in den ersten Jahren 40 Bushel (Scheffel) Weizen auf den Acker getragen haben. Das Land hat einen Humus, dessen Reichtum seinesgleichen sucht auf der Erde. Er hat aus der Pflanzenfäulnis und der Verwesung von Tierkadavern seit der Urzeit die Kraft herbezogen, die ihn auszeichnet. Es ist besser, wir nehmen nur einen Durchschnittsertrag von 25 Bushel pro Acre 151 an, einen Ertrag, den in Manitoba der vernachlässigteste Boden nach einer Bearbeitung von 30 bis 40 Jahren noch gelegentlich einer Mittelernte liefert. Vierzig Acre bringen also dem Neuling tausend Bushel ein; aus ihrem Ertrag kann er, nach Abrechnung der Dresch- und der Frachtkosten bis zum Elevator an der nächsten Station, einen Teil seiner Schulden bei der Bank abzahlen und neue machen. Die Qualität des Weizens wird durch Stichproben auf amtlichem Wege durch staatliche Ernteaufseher bestimmt.
Es ist die Regel, daß ein Farmer nach den zwei oder drei ersten Jahren angestrengter Arbeit weitere 160 Acre zu einem nicht allzu hohen Preis und mit geringer Anzahlung zu seinem Land hinzukauft. Der als ein Armer und Verstoßener ins Land kam, hat sich vor dem Hunger und der Verzweiflung in einen Hafen gerettet, in dem er frei und mit erhobenem Kopf um sich blicken kann. Steckt das Zeug in ihm, so wird er aus dem Wunder der Jahreszeiten, das sich vor seinem Häuschen draußen abspielt Morgen für Morgen, die Lehre ziehen und das große Allgemeine aus der Wahrheit erkennen, daß die Arbeit alles ist und der Besitz nichts. Vielleicht wird sich mit der Zeit bedrucktes Papier von besserer Art als das, worauf der 152 Tagesschnickschnack gedruckt ist, auf dem Tisch in seinem Häuschen finden. Vielleicht wird in der großen Stille, in dem langen Winter Kanadas ein Samen in den vielen tausend Seelen aufgehen, die die Alte Welt grausam verdorren läßt und abtötet in dem ekligen Dunst der Massenquartiere.