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Mein einziger kurzer Ausflug in die Südstaaten der Union führte mich von Washington, District of Columbia, zwei Stunden weit nach Mount Vernon in Virginien hinüber, zum Landhaus und der Sterbestätte George Washingtons, des Befreiers.
Zwischen Washington und Virginien liegt der Potomac-Strom. Als wir über ihn fuhren, kam der Schaffner, ich saß bei der Tür, an meinen Platz heran und machte sich an der Wand über meinem Kopf etwas zu schaffen.
Ein kleiner Glaskasten war an dieser Wand befestigt; der Schaffner drehte eine Kurbel, da sprang im Kasten die Tafel:
»White«
hervor. Dann ging der Schaffner ans andere Ende des Wagens, zu einem Glaskasten, der dort an der Wand hing, drehte eine Kurbel, worauf die Tafel:
»Colored«
zum Vorschein kam.
Hier fuhren wir also einem Südstaat entgegen, in dem der Neger nicht gewürdigt ist, mit dem Weißen auf derselben Bank zu sitzen. Hier näherten wir uns dem 361 Bezirke der Colorline, der Scheidelinie zwischen Schwarz und Weiß, zwischen dem Menschen und dem Untermenschen, in demselben Lande, in dem so viel Blut geflossen ist, weil ein Amerikaner diese Unterscheidung nicht mehr ertragen konnte in seinem großen Herzen. –
Man braucht nach keinem Südstaat zu reisen, um diese Scheidelinie im öffentlichen Leben und in der Seelenverfassung des Americanos wahrzunehmen. Sie ist überall da und springt in die Augen. Im Norden und Süden, Osten und Westen, beim niederen Volk und den höheren Schichten, bei Konservativen und – jawohl: ich werde sogleich erklären, warum, bei den Sozialisten. Man braucht sein Ohr auch nicht allzu dicht auf das Herz des öffentlichen Lebens von Amerika zu pressen, um zu hören, wie es für den Neger schlägt. Die wirkliche Gesinnung des großen demokratischen Amerikas gegen sein Stiefkind, sein aufgedrängtes Adoptivkind, sein Kuckuckskind, das mit anderer Farbe und trägerem Blut in die Familie getreten ist, schrillt jedem in die Ohren, der auch nur oberflächlich zu horchen gewohnt ist.
Im »Sunday-Club« in Chicago wohnte ich einem Meeting bei; vor einem religiös und tolerant gesinnten Auditorium sprachen angesehene weiße und schwarze Männer für den »farbigen Mitbürger« und gegen die entwürdigende Colorline. Etwa dreitausend Menschen saßen im Saal und auf den Galerien, eigentlich war der Saal voll. Sah man aber genauer hin – da bemerkte man hier und dort unbesetzte Stühle, und zwar ausnahmslos solche neben Negern. –
Der Besitzer eines der größten Warenhäuser Chicagos ist ein Mann, der Hunderttausende für die Emanzipation und die Erziehung der Neger in den Staaten ausgegeben hat. Seinen deutschklingenden Namen hört man nennen, wenn vom amerikanischen Neger gesprochen wird. Sein Sohn zeigt mir die Einrichtungen des großartigen Hauses. Ich frage ihn: wieso es denn komme, daß ich unter den neuntausend Angestellten keinen Neger sehe (nur unten 362 bei den Liften stehen welche)? Der junge Mann erwidert: Neger anzustellen wäre ja so schwierig und unbequem; kein weißer Angestellter wollte mit einem Neger im selben Zimmer arbeiten. –
Die Singletaxers halten in Chicago ihren Kongreß ab. Der Besitzer des größten Hotels verweigert ihnen seinen Bankettsaal, weil die weißen Kellner sich weigern, die schwarzen Mitglieder des Kongresses zu bedienen usw. usw. –
Die Colorline zieht sich wie ein häßlicher Riß, ein Sprung, ein abbröckelnder Spalt quer durch die Marmorsäule des amerikanischen Ideals.
Als die Sezessionskriege aus den Sklaven Bürger machten und auf einmal der Fremdkörper im Fleisch des weißen Amerikas saß, da gab es ernsthafte Männer, die ihre Stimmen erhoben und sprachen: ladet die Schwarzen auf Schiffe und zurück mit ihnen nach den Inseln, woher sie kamen, zurück nach Afrika.
Zu spät. – Da sie hier sitzen geblieben sind, hätte das Land sich selbst so weit erziehen und beherrschen müssen, um die Konsequenzen seiner menschenfreundlichen Handlung, die Gesichtspunkte seines größten Bürgers durchzuführen. Dann wären die Neger heut nicht das, was sie sind, nämlich nicht ein Fremdkörper allein im Fleisch Amerikas, sondern schon mehr ein geladenes Pulverfaß mit einer schwelenden Lunte im Keller des Stiefelternhauses.
Wenn man hört, daß zur Zeit der Sklavenwirtschaft der Neger in den südlichen Herrenfamilien als Diener, Koch, Amme, Vertrauter und Hausgenosse wirkte, so kann man an eine Abneigung aus physischen Gründen zwischen den Rassen nicht glauben. Eher hat der Haß der Weißen, neben dem schon erwähnten Motiv der angeborenen Trägheit des Negers, wirtschaftliche Ursachen. Tausende von alten, reichen Familien gelangten an den Bettelstab, als aus dem Sklaven ein freier Mensch wurde.
363 Nun da sie nicht die Befehle der Weißen ausführen, sondern ihrem eigenen Kopf gehorchen, merkt der Weiße, daß die Neger Kinder, geschwätzig und inkoherent, Organisierens unfähig und ohne Ausdauer sind.
Die Lehrerinnen in den Schulen erklären einem, daß die untüchtigsten, zerstreutesten ihrer Schüler, die härtesten Schädel, in die die Weisheit am schwersten hineingeht, Negerkinder sind und gehören.
Und wenn man versucht, Positives und Beachtenswertes anzuführen, vorzuweisen, was Negern seinen Ursprung verdankt, so kriegt man als Antwort die Photographie des Negers vor die Nase gehalten, der dies Positive und Beachtenswerte geschaffen hat, und siehe da: dieser Neger ist kein Schwarzer mehr, sondern ein grauer Mischling, das heißt Bastard von schwarzer Mutter und weißem Vater.
Zu dem Haß der Weißen gegen den Schwarzen kommt also noch die Verachtung des Rassereinen gegen den Mulatten, der auf einem Seitenweg der Gesellschaft geboren ist und nicht auf der breiten Ehrenallee zwischen Standesamt und Ehebett.
Zwölf Millionen Neger gibt's heute alles in allem in den Staaten. Diese Zahl nimmt rapide zu. Unterschiede zwischen Mulatten, nach dem Grad der Mischung, macht man in der Schätzung beziehungsweise Mißachtung kaum. Ein Tropfen schwarzen Blutes, so heißt es, genügt, um über seinen Besitzer all die Schande und den Fluch zu bringen, der das Teil des heutigen amerikanischen Negers ist. Heiratet ein Weißer eine Weiße, das heißt ein ganz weiß aussehender Mann eine ganz weiß aussehende Frau, und ein Fingernagel verrät einen von beiden, so kann die Familie zusammenpacken und wandern, sie ist so gut wie geächtet.
Der Neger lebt in den großen Städten, in den kleineren sowie auf dem Lande in richtigen Ghettos, unter seinesgleichen. Es ist ihm recht schwer gemacht, diesem 364 Ghetto zu entschlüpfen, sich in einer »weißen« Gegend anzusiedeln. Als ich nach Amerika fuhr, wußte ich, daß der Neger wegen des unspeakable crime, der Notzucht, begangen an weißen Frauen, gelyncht zu werden pflegt. In Amerika erst mußte ich es erfahren, daß es in den Vereinigten Staaten genügt, daß ein Schwarzer sich in einer »weißen« Gegend niederlasse, um alle Wildheit und Bestialität in dem Weißen zu entflammen. Ein ehrbarer und fleißiger Neger baut sich oder kauft ein Haus für sich und seine Familie in der Nachbarschaft einer »weißen« Straße. Man läßt ihn gewähren. Sein Haus ist sauber, seine Familie ruhig, sein Gärtlein hübsch und gepflegt. Einen Monat, nachdem die Familie eingezogen ist, ruft eine höhnische Stimme durchs Telephon den Vater in seinem Office an. Sein Haus brennt, sein Gärtlein ist vernichtet, sein jüngstes Kind ist von dem Gesindel in die Flammen geworfen worden, als es zu fliehen versucht hat. –
Der Führer der jungen Neger, W. Burckhard Du Bois, von dem ich noch sprechen werde, zeigte mir Photographien einer solchen, von wohlhabenden Negern bewohnten Straße in Kansas City, einer hübschen, sauberen Straße von Heimen, die im Zeitraum vom 8. April 1910 bis zum 11. November 1911 sechsmal von Dynamitexplosionen heimgesucht und beschädigt worden ist. Eine Gegend, in der sich Neger häuslich niederlassen, ist entwertet. Die weißen Anwohner fühlen sich deklassiert. (So ergeht es ja, wie im vorigen Abschnitt erwähnt wurde, zuweilen »christlichen« Vierteln, in denen sich die ersten jüdischen Anwohner sehen lassen – diese lyncht man zwar nicht, aber sie werden wegschikaniert, ihre Post verstreut, ihre Milch in der Frühe über die Stufen gegossen usw.)
Ich will für einen Augenblick diese Parentheseklammern vom letzten Satz herunternehmen und von etwas sprechen, das mir junge Neger wiederholt in Unterhaltungen, die ich mit ihnen hatte, beteuerten: nämlich von der Sympathie 365 der Neger für die Juden. »We are in the same boat!« sagte mir mein Freund, der junge Neger aus der 53. Straße. »Unsere Schicksale haben ja viel Ähnlichkeit miteinander. Und dann kommen wir ja beide aus Afrika, die Juden und wir Neger!«
Nun, natürlich ist dieser Philosemitismus cum grano salis zu nehmen. In Newyork hielt man im Dezember 1911 in Carnegiehall eine Monsterversammlung zugunsten der jüdischen Bürger Amerikas ab, deren Pässe anzuerkennen Rußland sich weigerte. Amerika stand in hellem Aufruhr. Die vorzüglichsten Redner des Landes waren herbeigeeilt, um in dieser Versammlung gegen das Vorgehen Rußlands zu protestieren (und sich bei den Juden einzuschmeicheln). Als ich dann eine Woche später als der einzige Weiße in einer Negerkirche einer Anti-Lynch-Versammlung beiwohnte, was bekam ich da zu hören? – »Diese Handvoll Juden, welch ein Geschrei macht man um die herum, weil man irgendwo, in einem fremden Weltteil, der uns nicht angeht, ihre Rechte verletzt – uns dagegen, uns getaufte Christen usw. . . .«
Immer wieder hörte ich es von jungen Negern sagen: nennen Sie uns nicht »Amerikaner!« Wir sind keine, solang uns Amerika behandelt, wie es das jetzt tut. Wir wollen nicht »Amerikaner« heißen, wir sind Afrikaner. Wir gehören einer dunklen Rasse an. Als von einem Krieg Amerikas mit Japan die Rede war, vor Jahren, da waren die Sympathien der jungen Neger, mehr oder weniger verhüllt, auf seiten der Japaner – weil die Japaner ebenfalls einer dunklen Rasse angehören!
Tatsächlich finden sich unter den Wohltätern und Förderern der Neger-Emanzipation auffallend viele Juden. Tatsächlich haben Juden und Neger in manchen Punkten der Einschätzung gleicherweise zu leiden, im öffentlichen Leben, in der Verwaltung, im Heer. (Die Neger stärker als die Juden, selbstredend, aber das Prinzip bleibt dasselbe.) 366
Die hauptsächlichste Institution, die sich die wirtschaftliche und wissenschaftliche Erziehung und Heranbildung der Neger zur Aufgabe gemacht hat, ist das Tuskegee-Institut in Alabama, an dessen Spitze der weltbekannte Mischling Booker Washington steht. Dieser Mann besitzt außerordentliche organisatorische und schriftstellerische Fähigkeiten, im Grunde ist er aber ein retardierender Faktor in der Entwicklung der Negerfrage Amerikas. Tuskegee arbeitet mit dem Gelde Weißer, weißer Kapitalisten, die große Interessen und Kapitalien in Eisenbahnen und Fabriken, Land und Agrikulturunternehmungen in den Südstaaten investiert haben, und die die Neger hauptsächlich aus dem Grunde fördern – damit im Süden Ruhe herrsche! Booker Washington ist, um es mit einem gelinden Ausdruck zu benennen, ein Botschafter der Weißen bei seinem eigenen farbigen Volk, eine Art Beschwichtiger, Ausgleicher, Konzessionenmacher – die Entwicklung der Dinge wird ihn samt seinen zweideutigen Tendenzen fortfegen, daraus macht man sich heute in den Staaten kein Hehl mehr.
Unter Roosevelts Präsidentschaft ging's ja noch. Seit Taft am Ruder ist, wurde aber der Neger aus den öffentlichen Ämtern sachte und konsequent wieder hinausgedrängt; in Washington sitzen noch, auffällig hingesetzt, ein paar farbige Richter und Distrikt-Attorneys; in den Staaten finden sich, spärlich und verstreut, ein paar farbige Funktionäre in öffentlichen Ämtern; im ganzen aber kümmert sich Kongreß und Senat wenig um die Klagen der Neger und um das Lynchen, das emsig und ungestört weiter betrieben wird, und zwar crescendo.
Amerika darf sich nicht wundern darüber, daß es sich an dem Neger einen gefährlichen inneren Feind großzieht. Daß das Prinzip der Demokratie, hier einmal wieder an dem lebenden Exempel verhöhnt, einen grimmigen Verachter bekommt in der Gestalt des durch dasselbe Prinzip freigewordenen Farbigen. Da die verachteten Neger aus dem freien Wettbewerb ausgeschlossen 367 und nur zu den niedrigsten, schlechtestbezahlten Berufen zugelassen sind (vom weißen Arbeitgeber, nicht vom schwarzen, versteht sich!), sind sie erbitterte Gegner der Einwanderung, weil ja jedes Schiff die »unskilled«, das heißt die ungelernten Einwanderer, das heißt Konkurrenten, mit sich ins Land hereinbringt.
Zudem sieht der Neger, wie die meist gelesenen Zeitungen, zum Beispiel die Hearst-Presse, seine brennendsten Angelegenheiten einfach ignoriert, weil ein Blatt, das sich des Negers annimmt, sicher ist, seine Popularität einzubüßen. Der Neger lernt also die öffentliche Meinung gründlich verachten. (Es gibt ja Blätter, die für den Neger eintreten, zum Beispiel die vornehme Newyorker »Evening Post«, der »Boston Guardian«, »Philadelphia Ledger«, Pulitzers »World«, die meisten aber schweigen sich über diese doch so wichtige Frage aus oder begnügen sich, auf der Jagd nach dem Pittoresken, Lynchgerichte ohne jeglichen Kommentar zu beschreiben. . . .)
368 Der Neger lernt die weiße Kirche verachten, in der von den gleichgeborenen Söhnen Gottes gefaselt wird, und gibt in seiner eigenen schwarzen Kirche hörbar seiner Zustimmung Ausdruck, wenn von der Kanzel herab das Wort fällt: Die Hölle, mit der das Gericht droht, erlebe der Schwarze ja schon diesseits.
Beim Antilynch-Meeting, das ich vorhin erwähnte, hörte ich von der Kanzel einer solchen schwarzen Kirche herab den farbigen Priester rufen: »Das Lynchen wird erst ein Ende haben, wenn wir Schwarzen für jeden der Unsrigen einen Weißen ohne Verhör lynchen!«
Das muß gesagt sein: der weiße Amerikaner, der vor einem Richter erscheint, gilt so lange als unschuldig, bis seine Schuld erwiesen ist. Ein Schwarzer aber gilt so lang als schuldig, bis sich seine Unschuld sonnenklar herausgestellt hat. Ohne viel Federlesens wird ein Farbiger in den Süd- und Mittelstaaten an den nächsten Ast geknüpft, niedergeknallt oder verbrannt, auf bloßen Verdacht hin, oder aber nur, weil das Volk wieder einmal Blut sehen oder verbranntes Menschenfleisch riechen möchte.– Man sollte es bei Gott mit der Einführung von Stiergefechten versuchen, in Georgia oder Oklahoma oder Tennessee!
Leider herrscht zur Zeit kein rechtes Zusammenhalten unter den Negern. Ich sage meinem jungen Negerfreund: »warum schließt ihr euch denn nicht den Sozialisten in den Staaten an; das wären ja noch die einzigen, die euch wie Menschen behandelten!«
Darauf krieg ich diese Antwort: »Die Sozialisten wollen von uns nichts wissen, und zwar mit Recht. In der alten Zeit der Sklaverei stand für jeden Negermissetäter in der Plantage ein Negerdenunziant auf, der die Sache dem Massah petzte. Von diesem Sklavengeist steckt noch vieles dem heutigen Neger im Blute. Für solche Parteigenossen bedanken sich die Sozialisten natürlich!«
Sie lesen und unterstützen ungern Blätter und 369 Buchhandlungen ihrer Rasse. Ihr Familiengefühl ist wohl stark entwickelt, aus ähnlichen Gründen wie das der Juden. Bitter und sehnsüchtig schauen sie dabei hinüber nach Weißland. Dorthin aber führen bloß krumme sexuelle Schleichwege und Seitenpfade.
Je mehr weißes Blut in die Mischlinge hineingerät (illegitimes versteht sich), um so stärker wird diese Bitterkeit, dieses Verlangen hinüber. Der Sklaventrieb weicht zurück, der Herrentrieb erwacht. Die Demokratie versagt sich beiden. Bei den jungen Negern entwickelt sich daher ein starker revolutionärer Trieb mehr und mehr. Die Bastarde wollen legitim werden. Die Söhne weißer Väter wollen nun weiße Frauen haben. Tuskegee genügt ihnen nicht, sie pfeifen sozusagen auf Tuskegee, das das Ghetto nur noch sicherer ausbaut, zusammenhält, das Ghetto behaglicher zum Bewohnen macht, die materiellen Bedingungen der Ghettobewohner befördert, die Tore der Ghettos aber fest zusperrt, von innen.
Diese jungen Neger kleiden, benehmen sich, wohnen viel sauberer als z. B. Italiener oder russische Juden desselben Gesellschaftsdurchschnitts. Tüchtige und ernste Männer finden sich unter den Hellerhäutigen, in all den Berufen, 370 die die Weißen ausüben. Für die zwölf Millionen Farbiger sorgen Farbige in allen diesen Berufen. Sie hielten die Konkurrenz ganz gut aus mit den Weißen. In weißen Getrieben sind ihnen aber, wie erwähnt, die niedersten Betätigungen zugewiesen. Was nicht ausschließt, daß der Farbige beim Lift es an Intelligenz oft mit dem Weißen im Sekretärszimmer aufnehmen könnte. Niedergehalten, immer wieder zurückgedrängt, in die »Negrobelt«, jenseits der Colorline, zermürbt sich, erhitzt sich die Intelligenz durch die stetige Reibung; hoffentlich explodiert sie bald, und ein reinigendes Gewitter saust herunter auf dieses demokratische Amerika.
Von Tuskegee her wird's nicht kommen, nicht von dem tüchtigen und geriebenen Mischling her, der dort sitzt und den Seinen Geduld und die Weisheit predigt: Lernt eure Gewerbe, damit es euch wohl ergehe auf Erden. Sammelt Güter und verzichtet darauf, was der Weiße euch nicht freiwillig gibt.
Der tüchtige und geriebene Mischling, er, den man als den repräsentativen Mann seiner aufwärtsstrebenden Rasse hinzustellen pflegt, hat letztes Jahr ein unangenehmes Abenteuer gehabt. Er wurde von einem Weißen beim Gucken durch ein Schlüsselloch erwischt, und da sich hinter jenem Schlüsselloch die Frau des Weißen entkleidete, gab's Haue, Haue. Der repräsentative Mischling aber hat sich prügeln lassen, wie ein Sklave. Er hat die Prinzipien seiner Erziehungstaktik nicht verleugnet in diesem höchst fatalen Abenteuer.
Ich sage zu meinem Negerfreund aus der 53. Straße: »Glauben Sie nicht, daß dieser Skandal die Sache der Neger in den Staaten um etliche Jahrzehnte zurückwerfen wird?«
Mein Freund antwortet: »I dont believe in leadership!« Das heißt: Ich glaube nicht an Führerschaft. Nicht an Recht noch Beruf eines Mannes, sich mit einem Volke zu identifizieren. –
371 Mein Freund ist fünfundzwanzig Jahr alt. Also schon als Freier geboren. Seine Mutter war noch Sklavin in Louisiana. Den Satz, den er mir sagte und den ich hier niederschrieb, werde ich mir aufbewahren wie eine Hoffnungsbotschaft. Wie ein Wort, das in einem den Glauben nährt, erhält, stärkt an die Zukunft und die Menschheit.
Wahrhaftig, wenn Eine Generation genügt hat, um aus einem Sklavensohn einen Mann zu machen, der einem eine solche Antwort gibt, dann ist Hoffnung bei den jungen Negern.
Und auch bei dem Land, das solche Erziehung (an der Tuskegee keinen Anteil hat) bewirkte und durchgeführt hat, ist noch Hoffnung. Trotz allen Irrtümern, grausamen Widersprüchen, ja bewußten Lügen. Ob es will oder nicht, immer wieder wird die große Republik siegen, denn, wie es im Lied heißt:
»John Browns Körper liegt verwesend in dem Grab,
Sein Geist marschiert voran!«
Wenn der Amerikaner sentimental wird, fängt er an, schöne alte Negerlieder zu singen, die Plantagenlieder, »Jubilee Songs«. Das musikalische Genie des Negervolkes hat viel zu dem spezifischen Rhythmus des modernen Amerikas beigetragen. Ein schwerer Schatz von Melodien und Rhythmen eigenster Art liegt in diesen alten naiven Chorälen und Rundgesängen aufbewahrt. Mit ihren rauhen afrikanischen Kehlen haben die »darkies« wirkliche Tonwerte für die englischen Worte gefunden, die ihnen ganz neu waren, und die sie lernen mußten, um die Befehle des Aufsehers zu verstehen und ausführen zu können.
In den Nächten saßen sie vor ihren Hütten, im Baumwollfeld; einer begann zu singen, ein andrer folgte mit seiner Stimme, so wurden Chöre improvisiert, bis in die späte Nacht, ins Frührot hinein. Naive wundersame Rundgesänge, gutmütig und geschwätzig zugleich, wie diese gequälten Halbtiere es waren, die aus ihrer Heidenfreiheit 372 plötzlich ins Christentum hineingeworfen worden sind. In diesen Gesängen drückt sich auf sonderbare Weise angeborene Schlaffheit und resignierter Jenseitsglaube in einem ungeduldigen, aufgescheuchten, stockend stolpernd überstürzten Rhythmus aus.
»Ich bin froh, so froh, ich bin froh, so froh,
»Froh, ich hab den Glauben, o so froh!
»Froh, ich hab den Glauben, so froh!«
»Ich bin froh, so froh, ich bin froh, so froh,
»Über und über froh, so froh!
»Über und über froh, so froh!
und so weiter, nächtelang. Oder:
»Morgens früh, wenn ich erwach,
»Morgens früh, wenn ich erwach,
»Morgens früh, wenn ich erwach,
»Gib mir Jesus!«
»Gib mir Jesus, gib mir Jesus,
»Ich schenke dir die ganze Welt, gib mir Jesus!«
»Wenn ich mitternachts erwach, usw., usw.«
Man läuft durch die Straßen der Stadt, plötzlich, was hört man da: vier kleine zerlumpte Negerknäblein, »coons«, stehen beisammen und singen Quartett mit einer Reinheit und Vollendung, derengleichen man sich in der Metropolitan Opera für zehn Dollar nicht erkaufen kann.
Die Beimengung von weißem Blut scheint diesem ursprünglichen Talent nicht zu bekommen. Der meistgenannte Lyriker der Neger, P. Laurence Dunbar, hat Gedichte geschrieben, die nur dort, wo Bitterkeit und Verzweiflung wild hervorbrechen, eigene Kraft und eine ursprüngliche Bewegtheit aufweisen.
Der bedeutendste Dichter der schwarzen Rasse ist der von mir schon erwähnte W. E. Burckhardt Du Bois, Herausgeber der Zeitschrift »The Crisis« in Newyork, ein Mann in den dreißiger Jahren; er hat in Frankreich 373 und in Berlin (bei Schmoller) Nationalökonomie studiert, leitet die revolutionär sich anlassende Bewegung unter seinen Stammes- und Schicksalsgenossen, den Jungnegern, die mit ihren schwarzen Fingern auf das bedruckte Papier der Verfassung pochen und verlangen, daß Ernst damit gemacht werde. Neben seinen gerühmten Büchern: »Die Seele des Schwarzen Volks« und dem Roman: »Der Zug nach dem Silbernen Vließ« (der Baumwolle) hat er Oden geschrieben, Dichtungen von hohem Schwung, von denen ich eine im Auszug, mit der Erlaubnis des Verfassers hier übersetze.
Es ist die: »Litanei von Atlanta«, 1906 geschrieben, gelegentlich eines Aufstandes, bei dem viele Neger getötet wurden.
»O schweigender Gott, dessen Ruf ferne in Nebel und Unergründlichkeit weilt in diesen schrecklichen Tagen und unsre hungrigen Ohren nicht erreichen kann,
Höre uns, guter Herr!
Horch zu uns nieder, deinen Kindern: unsre Gesichter dunkel vor Zweifel, sind zum Hohn geworden in deinem Heiligtum. Mit emporgereckten Händen stehn wir vor deinem Himmel:
Wir flehn zu dir, hör uns, guter Herr!
Wir sind nicht besser als unsre Brüder, Herr, wir sind nur schwache und menschliche Menschen. Wenn die Teufel unter den Unsrigen ihre Teufelein tun, verfluche dann den Tuer und seine Tat: verfluche du sie, wie wir sie verfluchen, tu ihnen an, was und mehr als sie je getan haben der Unschuld und der Schwachheit, den Frauen und den Heimen!
Hab Mitleid mit uns elenden Sündern!
Und doch, wer trägt die Schuld? Wer hat sie erschaffen, diese Teufel? Wer zog sie groß im Verbrechen und mästete sie mit Unrecht? Wer hat ihre Mütter verführt, entehrt und weggeworfen? Wer kaufte und verschacherte ihre Verbrechen und wurde reich und fett vom Erlös ihrer Zwietracht?
Du weißt es, guter Gott! 374
Wozu beten wir? Ist er nicht tot, der Gott der Väter? Haben nicht die Seher in Himmelshallen seine leblose Form und Leiche steif im rollenden schwarzen Rauch der Sünde liegen sehn, zwischen den endlosen Reihen von nickenden Gespenstern des bitteren Tods?
Wach auf, du Schläfer!
Von Lust des Fleisches und Blutlust
Befrei uns, großer Gott!
Von Lust an der Macht und Lust am Golde
Befrei uns, großer Gott!
Von vereinter Lüge des Despoten und der Bestie
Befrei uns, großer Gott!
Eine Stadt wand sich in Wehen, Gott unser Herr, und aus ihrer Flanke sprang das Zwillingspaar Mord und Schwarzer Haß. Rot war's zur Mitternacht. Klang, Krachen und Schrei von Tod und Wut erfüllte die Luft und zitterte unter den Sternen, zu denen die Türme deiner Kirchen stumm hinaufzeigen. Und all dies, um die Gier der Gierigen zu stillen, die sich hinter dem Schleier der Rache verborgen halten.
Neig dein Ohr zu uns, oh Herr!
Verstört sind wir und verzerrt von der Leidenschaft, irr vom Irrsinn eines gehetzten und verhöhnten und gemordeten Volkes; angepreßt an die Armstützen deines Throns heben wir unsre gefesselten Hände und klagen dich an, Gott, bei den Gebeinen unsrer geraubten Väter, bei den Tränen unsrer toten Mütter, beim Blut deines gekreuzigten Christ: Was soll dies bedeuten? Verrate uns die Absicht! Gib uns das Zeichen!
Schweig du doch nicht, oh Gott!
Oh verzeih den Gedanken. Vergib das wilde lästernde Wort. Du bist ja immer noch der Gott unsrer schwarzen Väter, in deiner Seele Seele sind die weichen Schatten des Abends, die samtenen Töne der tiefen Nacht eingeschlossen. 375 Wohin? Nord ist Gier und Süd ist Blut. Innen der Feigling, außen der Lügner. Wohin? In den Tod?
Amen. Willkommen dunkler Schlaf.
Wir neigen unsre Köpfe und horchen nieder zum leisen Weinen der Frauen und der kleinen Kinder unter uns.
Wir flehen dich an, hör' uns, guter Gott!
Unsre Stimmen sinken in Schweigen und in die Nacht.
Hör' uns, guter Gott!
In die Nacht, o Gott eines gottlosen Landes.
Amen!
In Schweigen, o schweigender Gott.
Selah!«