Titus Livius
Römische Geschichte
Titus Livius

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13. Zum Hannibal kamen, als er am See Avernus stand, fünf junge Edelleute von Tarent, die er theils am See Trasimenus, theils bei Cannä gefangen genommen und mit eben der Leutseligkeit in ihre Heimat entlassen hatte, die er – ein Punier – gegen alle Römische Bundesgenossen bewies. Sie sagten: «Eingedenk seiner Wohlthaten hätten sie einen großen Theil junger Tarentiner dahin vermocht, Hannibals Freundschaft und Bündniß wünschenswerther zu finden, als die Römische, und als Abgeordnete der Ihrigen bäten sie den Hannibal, sein Heer in die Nähe von Tarent zu führen. Sobald man von Tarent aus seine Fahnen, sein Lager erblicken werde, würde der Übergabe der Stadt nichts weiter im Wege stehen. Von der bewaffneten Jugend hänge der Bürgerstand ab, und in den Händen des Bürgerstandes sei die ganze Regierung von TarentHannibal, der ihnen seinen Beifall erklärte und die Menge großer Verheißungen mitgab, hieß sie zur Beschleunigung ihres Unternehmens nach Hause zurückgehen: er werde sich zu rechter Zeit einfinden. Mit dieser Hoffnung entließ er die Tarentiner. Ihm selbst war der Wunsch, Tarent zu besitzen, sehr wichtig geworden. Er dachte sich es, als die reiche, berühmte Stadt, die noch dazu an der Küste und so vortheilhaft Macedonien gegenüber liege, und daß König Philipp im Falle eines Übergangs nach Italien, da die Römer Brundusium hätten, nun auf diesen Hafen steuern könne. Nachdem er das Opfer, das er hatte 109 bringen wollen, vollzogen, und während seines Hierseins die ganze Gegend von Cumä bis zum Vorgebirge des Misenus hatte verheeren lassen, wandte er sich plötzlich gegen Puteoli, um die dortige Besatzung zu überfallen. Sie war aber sechstausend Mann stark, und der Ort auch durch Werke, nicht bloß durch seine Lage, gesichert. Als sich Hannibal hier unter Angriffen, die er auf diese Besatzung von allen Seiten machte, drei Tage aufgehalten hatte, rückte er, weil es ihm durchaus nicht gelang, mehr aus Erbitterung, als aus Hoffnung sich der Stadt zu bemächtigen, zur Verheerung des Gebiets von Neapolis weiter. Bei seiner Ankunft in die Nähe; geriethen die Bürgerlichen zu Nola, die schon lange den Römern abgeneigt und ihrem Senate aufsätzig waren, in Bewegung. Es fanden sich also auch ihre Gesandten beim Hannibal ein, ihn herbei zu ziehen, mit der gewissen Zusage, ihm die Stadt zu übergeben. Der Consul Marcellus, den die Vornehmen gerufen hatten, kam diesem Unternehmen zuvor. Er hatte zu dem Marsche nach Suessula von Cales Einen Tag gebraucht, weil ihn der Übergang über den Strom Vulturnus aufgehalten hatte. Von da schickte er in der nächsten Nacht sechstausend Mann zu Fuß und dreihundert zu Pferde dem Senate zur Stütze nach Nola hinein; und so wie der Consul in Allem rasch zu Werke ging, um sich Nola's früher zu versichern, so war Hannibal der Zögernde, weil er nach zwei vergeblichen früheren Versuchen Anstand nahm, den Nolanern zu trauen.

14. In eben den Tagen kam theils der Consul Quintus Fabius zu einem Versuche vor Casilinum an, wo eine Punische Besatzung lag, theils trafen vor Beneventum, als hätten sie sich verabredet, von der einen Seite Hanno aus dem Bruttischen mit einer bedeutenden Mannschaft zu Fuße und zu Pferde, und von der andern Tiberius Gracchus von Luceria ein, der auch zuerst in die Stadt einzog. Dann aber, als er hörte, Hanno habe beinahe dreitausend Schritte von der Stadt am Flusse Calor ein Lager bezogen und verheere von dort aus die Gegend, schlug er ebenfalls, nachdem er aus der Stadt vorgerückt 110 war, beinahe tausend Schritte vom Feinde sein Lager auf, und hier war es, wo er seine Soldaten in einer Versammlung anredete. Seine Legionen nämlich bestanden größtentheils aus Freiwilligen vom Sklavenstande, welche schon ins zweite Jahr die Freiheit lieber stillschweigend hatten verdienen, als geradezu fordern wollen. Doch war es ihm bei dem Aufbruche aus den Winterquartieren nicht unbemerkt geblieben, daß sie im Zuge halblaut sich gefragt hatten: «Ob sie wohl jemals als Freie dienen würden;» und er hatte dem Senate nicht sowohl geschrieben, was sie erwarteten, als was sie verdient hätten; denn er habe sie als treue und tapfre Leute seither immer gebraucht, und es fehle ihnen, einen vollgültigen Soldaten vorzustellen, nichts als die Freiheit. Er hatte hierin Vollmacht erhalten, so zu handeln, wie er es dem Besten des States angemessen fände. Ehe er also mit dem Feinde sich einließ, erklärte er öffentlich: «Der Augenblick, zum Besitze der lange gehofften Freiheit zu gelangen, sei für sie gekommen. Am folgenden Tage wolle er auf freiem und offenem Felde eine ordentliche Schlacht liefern, wo ohne alle Furcht vor Hinterhalt bloß wahre Tapferkeit die Sache werde auszufechten haben. Wer den Kopf eines Feindes brächte, den werde er auf der Stelle für frei erklären; wer aber wiche, den werde er mit dem Sklaventode bestrafen. Jeder habe also sein Schicksal in seiner Hand: für den Erklärer ihrer Freiheit würden sie nicht sowohl ihn anzusehen haben, als den Consul Marcus Marcellus und den ganzen Senat, der auf geschehene Anfrage von ihm ihre Freisprechung ihm überlassen habe.» Hierauf las er ihnen des Consuls Brief und den Senatsschluß vor, welche sie durch ein Freudengeschrei in großer Einstimmung beantworteten. Sie forderten die Schlacht, und drangen mit Ungestüm darauf, ihnen auf der Stelle das Zeichen zu geben. Gracchus erklärte den folgenden Tag zum Schlachttage und entließ die Versammlung. Voll Freude wandten die Soldaten, vorzüglich die, welche für die Dienstleistung Eines Tages die Freiheit zum Lohne haben sollten, die 111 übrige Zeit dazu an, ihre Waffen in Stand zu setzen.

15. Kaum ließen sich am folgenden Tage die Trompeten hören, so waren sie von Allen die ersten, die bereit und völlig gerüstet vor dem Feldherrnzelte sich sammelten. Nach Sonnenaufgang rückte Gracchus mit seinen Truppen in Linie, und die Feinde säumten nicht, den Kampf anzunehmen. Es waren ihrer siebzehntausend zu Fuß, größtentheils Bruttier und Lucaner; zu Pferde tausend zweihundert, unter diesen nur wenige Italier, die übrigen mochten wohl alle Numider und Mauren sein. Das Gefecht wurde hitzig und anhaltend. Vier Stunden lang neigte sich die Schlacht auf keine Seite, und nichts war den Römern hinderlicher, als daß der Preis ihrer Freiheit auf feindlichen Köpfen stand. Denn so wie einer seinen Feind muthig erlegt hatte, so brachte er einmal darüber, daß er nur mit Mühe im Gedränge und Getümmel den Kopf herunterhieb, die Zeit hin, und zum andern hatten alle die Tapfersten, die ihre Rechte mit dem zu haltenden Kopfe beladen hatten, aufgehört, Kämpfer zu sein: die Schlacht war den Zögerern und Feigen übergeben. Wie also die Obersten dem Gracchus meldeten: «man verwunde schon keinen stehenden Feind mehr, sondern zermetzle die liegenden, und statt der Schwerter hätten die Soldaten Menschenköpfe in der Rechte;» so ließ er geschwind bekannt machen, «sie sollten die Köpfe wegwerfen und auf den Feind gehen. Ihre Tapferkeit sei einleuchtend und ausgezeichnet genug, und die Freiheit könne so tapfern Männern auf keinen Fall entstehen.» Da begann das Treffen von neuem und auch die Reuterei ward auf den Feind gelassen. Da ihr aber die Numider muthig entgegen sprengten, und das Gefecht der Reuterei eben so hitzig wurde, als das des Fußvolks, so sah es um die Entscheidung abermals mißlich ausIn dubium adducta res. Quum utrimque.] – Ich folge lieber Creviers Interpunction, der hinter res ein Semikolon setzt: quum utrimque etc. mit dem voraufgehenden zusammenhängt und mit Postremo pronunciat ein neues Punctum anfängt. Man vergl. XXIII. 16. im Anf., ungeachtet die Feldherren von beiden Seiten 112 in ihren Ermunterungen, der Römische die Bruttier und Lucaner, als so oft von den Vorfahren besiegte und unterjochte Feinde, der Punische die Römer, als Leibeigne und als Soldaten aus dem Sklavenzwinger herabwürdigten. Endlich erklärte Gracchus laut: «auf Freiheit dürften sie sich durchaus keine Rechnung machen, wenn sie nicht heute den Feind besiegten und in die Flucht schlügen.»

16. Dies Wort endlich befeuerte ihren Muth abermalsIta animos accendit, atque.] – Weil atque fast in allen Msc. fehlt, so will Gronov statt ita lieber ira lesen. Dies wäre eine glückliche Verbesserung, wenn die Römer hier etwa durch den Vorwurf mancipia Romana et ex ergastulo milites gereizt von neuem eingedrungen wären. Was sie hier aber bewog, war nicht ira, sondern vox Gracchi minitantis, esse nihil, quod de libertate sperarent. Weil ita, item, interim und iterum fast immer von den Abschreibern vertauscht werden, und Livius von dieser Schlacht schon einmal gesagt hatte: Tum redintegrata pugna est, so glaube ich, daß in der Urschrift nicht ita, sondern iterum gestanden habe. Ea demum vox iterum animos accendit. Renovato etc.. Gleich als wären sie plötzlich verwandelt, stürzten sie mit erneuertem Geschreie in solchem Ungestüme auf den Feind, daß aller fernere Widerstand unmöglich war. Zuerst wurden die Vorderreihen der Punier, dann die unter den Fahnen in Unordnung gebracht, zuletzt die ganze Linie zurückgedrängt: dann wandten sie entschieden sich ab und stürzten so geschreckt und eilig flüchtend in ihr Lager, daß auch nicht einmal an den Thoren oder auf dem Walle der mindeste Widerstand geleistet wurde, und die Römer, die fast in Einem Zuge ihnen folgten, erst mitten in den feindlichen Werken einen neuen Kampf zu bestehen hatten. Je gedrängter hier in der Enge das Gefecht war, je schrecklicher war das Morden; und die Gefangenen vermehrten es noch. Denn da sie im Getümmel Waffen errafft hatten, hieben sie, in einen Trupp gesammelt, zugleich von hinten auf die Punier ein, und sperrten ihnen die Flucht. Darum entkamen auch von einem so großen Heere nicht einmal zweitausend Menschen; und größtentheils nur von der Reuterei, mit dem Feldherrn selbst: die andern alle wurden niedergehauen oder gefangen, und man erbeutete achtunddreißig Fahnen. Von den Siegern fielen gegen zweitausend. 113 Die sämtliche Beute, nur die Gefangenen nicht, wurde dem Soldaten überlassen; auch war das Vieh davon ausgenommen, wozu sich innerhalb dreißig Tagen die Eigenthümer melden würden.

Als die Soldaten, beladen mit Beute, ins Lager zurückgekehrt waren, so zogen sich beinahe viertausend Freiwillige, welche in der Schlacht nicht so brav gewesen, auch nicht zugleich mit den andern in das feindliche Lager eingebrochen waren, aus Furcht der Strafe auf eine Anhöhe in der Nähe des Lagers. Als sie Tags darauf durch Obersten von dort herabgeholt wurden, kamen sie, als Gracchus eben die Soldaten zur Versammlung berufen hatte, dazu. Nachdem der Proconsul hier zuerst die alten Soldaten, jeden nach seiner im Treiben bewiesenen Tapferkeit und Thätigkeit, mit Kriegergeschenken belohnt hatte, sprach er: «was die Freiwilligen betreffe, so wolle er lieber alle insgesamt, würdige und unwürdige, belobt, als am heutigen Tage irgend jemand bestraft haben. Er erkläre sie also insgesamt mit dem Wunsche, daß dies dem State und ihnen selbst zum Glücke, Heile und Segen gereichen möge, für freie Männer.» Als auf dies Wort ein lautjubelndes Geschrei ertönte, und sie bald unter gegenseitigen Glückwünschen sich umarmten, bald mit gen Himmel erhobenen Händen für das Römische Volk und den Gracchus selbst nichts als Segen herabfleheten, so fuhr Gracchus weiter fort: «So lange ich noch nicht Alle durch einerlei Freiheitsrechte gleich gestellt hatte, wollte ich niemanden durch ein Abzeichen als braven oder feigen Krieger kenntlich machen. Jetzt, nachdem ich das Wort des Stats gelöset habe, werde ich, um nicht allen Unterschied zwischen Tapferkeit und Feigheit aufzuheben, die Namen derer, die im Bewußtsein, dem Gefechte sich entzogen zu haben, kurz vorher sich von uns trenneten, mir melden lassen, und sie, Einen nach dem Andern, so wie ich sie vorfordere, durch einen Eid verpflichten, daß sie, so lange sie Dienste thun, wenn nicht Krankheit sie entschuldigt, nie anders als stehend Speise und Trank zu sich nehmen wollen. Ihr werdet 114 euch diese Strafe gern gefallen lassen, sobald ihr bedenkt, daß ihr mit keinem glimpflichern Abzeichen der Saumseligkeit belegt werden konntet.» Dann gab er das Zeichen zum Aufbruche, und die Soldaten kamen, ihre Beute tragend und vor sich her treibend, unter Muthwillen und Scherz so lustig nach Beneventum zurück, daß man hätte glauben sollen, sie kehrten von einem an hochgefeiertem oder festlichem Tage gehaltenen Schmause, und nicht aus der Schlacht. Die sämtlichen Beneventaner, die ihnen in herausströmendem Schwarme vor die Thore entgegen gegangen waren, umarmten die Soldaten, wünschten ihnen Glück und luden sie zu sich ins Quartier. Sie alle hatten in ihren Häusern, auf dem Vorplatze, ein Gastgebot ausgerichtet; hierzu nöthigten sie sie, und baten den Gracchus für die Soldaten um Erlaubniß zum Schmause. Und Gracchus gab sie, aber unter der Bedingung, daß Alle auf der Straße essen sollten. So ließ Jeder seine sämtlichen Gerichte vor seiner Hausthür auftragen. Die gewesenen Sklaven hatten beim Essen Hüte auf oder die Köpfe mit weißer Wolle umwunden: einige lagen zu Tische, andere standen, und diese machten zugleich den Aufwärter und den Gast. Dem Gracchus war der Auftritt so viel werth, daß er nach seiner Rückkehr nach Rom die Feier jenes Tages im Tempel der Freiheit, welcher durch seinen Väter aus den Strafgeldern auf dem Aventinus erbauet und geweihet war, in einem Gemälde darstellen ließ.

17. Während dieser Vorfälle bei Beneventum rückte Hannibal, der die Gegend um Neapolis verheert hatte, gegen Nola vor. Als der Consul dessen Annäherung merkte, machte er sich fertig, nachdem er den Proprätor Pomponius mit seinem im Lager oberhalb Suessula stehenden Heere an sich gezogen hatte, dem Feinde entgegen zu gehen und ihm ungesäumt eine Schlacht anzubieten. Den Cajus Claudius Nero schickte er in der Stille der Nacht mit dem Kerne der Reuterei aus dem vom Feinde am weitesten abgelegenen Thore, und hieß ihn, wenn er sich unbemerkt hinter dem Feinde herumgezogen hätte, 115 dem Zuge desselben langsam nachgehen, und sobald er sähe, daß es zum Treffen gekommen sei, sich ihm in den Rücken werfen. Ob Nero dies aus Unkunde der Wege oder Mangel an Zeit nicht habe ausführen können, ist ungewiß. Als das Treffen in seiner Abwesenheit geliefert wurde, behielten freilich die Römer unbezweifelt die Oberhand; weil aber die Reuterei nicht zu rechter Zeit eintraf, so gerieth der verabredete Plan ins Stocken. Marcellus, der es nicht wagen durfte, dem weichenden Feinde nachzusetzen, gab den siegenden Seinigen das Zeichen zum Abzuge. Doch sollen an dem Tage über zweitausend Feinde gefallen sein; von den Römern nicht volle vierhundert. Als um Sonnenuntergang Nero, welcher Tag und Nacht hindurch Pferde und Menschen vergeblich ermüdet hatte, ohne einen Feind gesehen zu haben wiederkam, so machte ihm der Consul so ernstliche Vorwürfe, daß er sagte, nur er sei Schuld daran, daß diesmal die Niederlage bei Cannä dem Feinde nicht vergolten sei. Am folgenden Tage stellten sich die Römer in Schlachtordnung: Hannibal, selbst nach seinem schweigenden Geständnisse besiegt, blieb im Lager. Drei Tage nachher brach er in der Stille der Nacht, ohne die Hoffnung der Eroberung Nola's, die ihm nie hatte glücken wollen, zu verfolgen, nach Tarent auf, wo er einer Verrätherei mit mehr Gewißheit entgegen sah.

18. Der Ernst der Römer in den Statsgeschäften zu Hause war dem im Kriege bewiesenen gleich. Die Censoren, die bei der Armuth der Schatzkammer auf öffentliche in Verding zu gebende Baulichkeiten nicht zu denken hatten, wandten ihre Aufmerksamkeit auf Berichtigung des Lebenswandels und Abstellung der Gebrechen, welche eben so aus dem Kriege erwuchsen, wie mit langwierigen Krankheiten behaftete Körper sie aus sich selbst erzeugen. Zuerst forderten sie diejenigen vor, von denen es hieß, sie hätten nach der Cannensischen Schlacht den Stat verlassen und Italien räumen wollen. Der vornehmste von diesen, Lucius Cäcilius Metellus, war damals gerade Quästor. Da er und die übrigen desselben Verbrechens 116 Beschuldigten bei der ihnen anbefohlnen Verantwortung ihre Unschuld nicht erweisen konnten, so thaten die Censoren den Ausspruch: sie hätten sich auf Äußerungen und Reden gegen den Stat eingelassen, um eine Verschwörung zur Räumung Italiens zu Stande zu bringen. Nach diesen wurden die listigen Deuter der Eidesumgehung vorgefordert, diejenigen von den Kriegsgefangenen, welche dadurch, daß sie unterweges in aller Stille in Hannibals Lager zurückgegangen waren, sich der beschwornen Rückkehr entledigt zu haben glaubten. Ihnen so wie den vorhin genannten wurden, wenn ihnen der Stat das Pferd hielt, diese Pferde genommen, sie selbst aus dem Bürgerrange gestoßen und sämtlich für Steuersassen erklärt. Auch beschränkte sich diese Aufmerksamkeit der Censorn nicht bloß darauf, daß sie im Senate oder Ritterstande auf Sittlichkeit hielten, sondern sie machten aus dem Verzeichnisse der Dienstfähigen einen Auszug von den Namen aller derer, die seit vier Jahren keine Dienste gethan hätten, ob sie gleich weder einen gültigen Urlaub hatten, noch eine Krankheit vorschützen konnten. Alle diese Namen, die sich über zweitausend beliefen, trugen sie in die Reihe der Steuersassen und strichen sie in der Rangliste der Bürger. Und zu dieser an sich unkräftigenInerti censoriae notae.] – Diese gewöhnliche Lesart inerti kommt doch den meisten Handschriften am nächsten, welche statt dessen Marti, merci, meri u. s. w. lesen. Jac. Gronov's Vorschlag, aus der Lesart des Cod. Put. tamerici lieber tam truci aufzunehmen, weicht einmal von der Lesart der meisten Msc. viel weiter ab, zum andern ist das voraufgehende trux wegen des folgenden schwächeren tristis, welches doch hier als Verstärkung mehr sagen soll, meiner Meinung nach zu hart. Drittens aber ist die Nota censoria wirklich an sich iners, und Crevier irret, wenn er sagt: Vox inerti parum hic convenit. Sie setzte zwar im Range herab, sie erklärte mancher Rechte verlustig, sie belegte mit schwerer Steuer: allein sie nahm dem Manne die bürgerliche Ehre nicht; sie war in gewisser Rücksicht unkräftig, iners. Das sehen wir aus vielen Stellen in Cic. pro Cluent. cap. 42. 43. 44. und aus der Geschichte selbst. Mamercus war IV. 24. tribu motus octuplicatoque censu aerarius factus. Und doch heißt es von ihm IV. 31. als er dessenungeachtet Dictator wird: nihil censoria animadversio effecit, quo minus regimen rerum ex notata indigne domo peteretur. Hier war sie also iners, oder wie Livius sagt: nihil effecit. XXIX. 37. wird C. Claudius Nero von seinem Collegen unter die aerarios gesetzt, und ist doch XXX, 2. nicht allein unter den Gesandten an den König Ptolemaeus Epiphanes, wozu man doch immer Männer von hoher Ehre nahm, sondern sogar das Haupt der Gesandschaft. Also auch bei ihm war die nota censoria iners. Beschimpfung von Seiten der 117 Censorn kam nun noch der harte Senatsschluß, daß alle, die von den Censorn beschimpft wären, zu Fuße dienen und nach Sicilien zu den Überbleibseln des Cannensischen Heers geschickt werden sollten, zu jener Classe von Soldaten, deren Dienstzeit vor Vertreibung des Feindes aus Italien nicht zu Ende ging.

Weil sich auch die Censorn wegen Armuth der Schatzkammer schon nicht mehr darauf einließen, Ausbesserungen der heiligen Gebäude, Lieferungen der Rennpferde und ähnlicher Dinge in Verding zu geben, so fand sich bei ihnen eine Menge solcher Leute ein, welche sich gewöhnlich mit dieser Art von Kaufgebot befasseten, und forderte die Censoren auf, «Alles eben so zu unternehmen und zu verdingen, als ob Geld im Schatze wäre. Sie alle wollten nur erst nach beendigtem Kriege bei der Kammer auf Bezahlung antragen.» Darauf stellten sich die Eigenthümer derer ein, welche Tiberius Sempronius bei Beneventum für Freie erklärt hatte, und sagten, sie wären vor das Zahlamt gefordert, um sich das Geld für ihre Sklaven auszahlen zu lassen; sie würden es aber vor geendigtem Kriege nicht annehmen. Da dieser Wille, der Schatzkammer in ihrem Mangel auszuhelfen, Stimmung des Volkes wurde, so fing man auch an, zuerst die Pupillengelder, dann auch die Witwengelder einzuliefern, weil die Abliefernden überzeugt waren, sie nirgends sicherer und gewissenhafter aufgehoben zu wissen, als wenn sich der Stat dafür verbürgte. Wurde den Pupillen und Witwen von ihren Geldern etwas gekauft oder angeschafft, so stellte der Schatzmeister eine schriftliche Anweisung aus. Diese Hülfswilligkeit der Privatpersonen verbreitete sich von der Stadt auch über das Lager, so daß kein Ritter, kein Hauptmann seinen Sold nahm, und jedem, der ihn sich geben ließ, den Schimpfnamen Söldner entgegenrief.

19. Der Consul Quintus Fabius hatte sein Lager 118 vor Casilinum, wo zweitausend Campaner und siebenhundert Mann von Hannibals Truppen als Besatzung lagen. Den Oberbefehl führte Statius Metius. Er war von dem diesjährigen Medixtuticus zu Capua, Cneus Magius Atellanus, hieher geschickt, welcher auch die Sklaven und Bürgerlichen ohne Unterschied zu dem Zwecke bewaffnete, während den Consul die Bestürmung Casilinums beschäftige, das Römische Lager anzugreifen. Fabius wußte das Alles. Also ließ er seinem Amtsgenossen nach Nola sagen: «Es sei während des Sturmes auf Casilinum ein zweites Heer erforderlich, um es den Campanern entgegen zu stellen. Er möge entweder, mit Hinterlassung einer mäßigen Besatzung zu Nola, selbst kommen; oder falls ihn Nola festhalte, und er Hannibals wegen noch nicht außer Sorgen sei, so wolle er den Proconsul Tiberius Gracchus von Beneventum kommen lassen.» Auf diese Anzeige kam Marcellus, der zu Nola zweitausend Mann zur Besatzung ließ, mit seinem übrigen Heere nach Casilinum, und seine Ankunft erhielt die Campaner, die sich schon in Bewegung gesetzt hatten, in Ruhe. Nun unternahmen beide Consuln den Sturm auf Casilinum. Als hier die Römischen Soldaten, weil sie zu dreist an den Mauern hinaufstiegen, viele Wunden bekamen und ihre Unternehmungen nicht den gewünschten Erfolg hatten, so erklärte sich Fabius dahin, man müsse eine Sache, welche minder erheblich, und doch eben so schwierig sei, als die von Wichtigkeit, aufgeben und abziehen. Marcellus hingegen mit seiner Behauptung: «So wie sich große Feldherren auf dies und jenes nicht einzulassen hätten, so müßten sie, wenn sie sich einmal darauf eingelassen hätten, nicht davon abgehen: denn der Ausschlag des Rufes sei auf beiden Seiten allerdings von Bedeutung;» setzte es durch, daß man nicht unverrichteter Sache abzog. Als darauf die Annäherungshütten und alle Arten von Werken und Kunstgerüsten angebracht wurden, und die Campaner den Fabius baten, ihnen einen sichern Abzug nach Capua zu gestatten; so bemächtigte sich Marcellus, als erst 119 Wenige herausgekommen waren, des Thores, aus dem sie zogen, und nun kam es zuerst am Thore zu einem Gemetzel gegen Alle ohne Unterschied, dann auch, nach bewerkstelligtem Einbruche, in der Stadt. Etwa funfzig der zuerst ausgezogenen Campaner gelangten, da sie sich zum Fabius retteten, unter einer Bedeckung von ihm, nach Capua. So gaben zur Eroberung von Casilinum die Unterredungen und die Unschlüssigkeit der um Schutz Bittenden Gelegenheit. Die Gefangenen, sie mochten Campanische oder von Hannibals Truppen sein, wurden nach Rom geschickt und dort gefänglich eingesperrt: der Schwarm von Einwohnern wurde unter die benachbarten Völker zur Verwahrung vertheilt.

20. In eben den Tagen, da man nach erreichtem Zwecke von Casilinum aufbrach, schickte Gracchus in Lucanien einige in dortiger Gegend geworbene Cohorten unter einem Obersten der Bundsgenossen in das feindliche Gebiet auf Plünderung. Hanno, der diese sich zu weit ausbreitenden Schwärme angriff, brachte hier am Feinde die Niederlage beinahe wieder ein, die er selbst bei Beneventum erlitten hatte, und zog sich geschwind, um nicht vom Gracchus eingeholt zu werden, ins Bruttische. Die Consuln gingen, Marcellus zurück nach Nola, woher er gekommen war; Fabius aber in Samnium weiter vorwärts, um die Dörfer zu plündern und die abgefallenen Städte mit den Waffen zu bezwingen. Mit vorzüglicher Härte wurde das Caudinische Samnium verwüstet. Die Dörfer wurden weit und breit niedergebrannt, und Vieh und Menschen als Beute weggetrieben. Die mit Sturm genommenen Städte waren Compulteria, Telesia, Compsa, Melä, Fulfulä und Orbitanium; im Lucanischen Blandä; in Apulien wurde Äcä belagert. Fünfundzwanzig tausend Feinde wurden in diesen Städten zu Gefangenen gemacht, oder getödtet: auch fielen dem Consul dreihundert und siebzig Überläufer in die Hände, welche er nach Rom schickte, wo sie alle auf dem Versammlungsplatze mit Ruthen gehauen und vom Felsen gestürzt wurden. Dies Alles verrichtete Quintus Fabius in wenig Tagen. 120 Den Marcellus hielt eine Krankheit zu Nola in Unthätigkeit. Auch der Prätor Quintus Fabius, dem sein Wirkungskreis in der Gegend von Luceria angewiesen war, eroberte in diesen Tagen die Stadt Accua mit Sturm, und verschanzte bei Ardoneä sein Standlager.

Indeß die Römer diese Thaten in andern Gegenden verrichteten, war Hannibal schon vor Tarent angekommen, nicht ohne die schrecklichste Verwüstung aller Orte, durch die er seinen Weg nahm. Erst im Tarentinischen ging sein Zug friedlich weiter. Hier vergriff man sich an Nichts, und beschränkte sich immer auf die Heerstraße: es war einleuchtend, daß dies nicht aus Bescheidenheit der Soldaten oder des Feldherrn, sondern in der Absicht geschah, die Tarentiner sich geneigt zu machen. Wie er übrigens beinahe bis an die Mauern gerückt war, ohne daß auf den Anblick seines Vortrabes, wie er gehofft hatte, irgend eine Bewegung entstand, so schlug er fast tausend Schritte von der Stadt ein Lager auf. Zu Tarent ließ Marcus Livius, welcher, drei Tage vor Hannibals Ankunft an den Mauern, von dem die Flotte bei Brundusium befehligenden Proprätor Marcus Valerius hiehergeschickt war, nach Aushebung der vornehmeren Jünglinge und Ausstellung von Posten an allen Thoren und wo es im ganzen Umkreise der Mauer nöthig war, bei seiner Tag und Nacht fortgesetzten höchsten Aufmerksamkeit, die Feinde so wenig, als seine unzuverlässigen Bundsgenossen dazu kommen, irgend einen Versuch zu machen. Nachdem also Hannibal mehrere Tage vergeblich hier zugebracht hatte, so brach er, da von denen, welche ihn am See Avernus aufgesucht hatten, weder selbst jemand erschien, noch ihm Boten oder Briefe sandte, mit seinem Lager wieder auf, da er sah, daß er auf gut Glück leeren Versprechungen nachgegangen war. Aber auch jetzt ließ er, ohne sich an den Feldern von Tarent zu vergreifen, – denn hatte ihm gleich der angenommene Schein von Güte bis jetzt nichts geholfen, so gab er doch die Hoffnung, ihre Treue wankend zu machen, gar nicht auf – – als er nach Salapia kam, hier alles Getreide 121 aus den Feldern von Metapontum und Heraclea zusammenfahren; denn der Sommer war schon halb vorüber, und der Platz gefiel ihm zu Winterquartieren. Von hier aus entließ er die Numider und Mauren auf Plünderung in das Sallentinische Gebiet und die nächsten Forsten Apuliens, wo sie zwar an anderer Beute wenig, aber hauptsächlich die Heerden von Pferden wegtrieben, von denen er an viertausend, um sie zuzureiten, unter seine Reuterei vertheilte.

21. Da in Sicilien ein Krieg zum Ausbruche kam, der keinesweges unbeachtet bleiben durfte, und der Tod des Tyrannen den Syracusanern eher tüchtige Feldherren gegeben, als ihr Verhältniß oder ihre Gesinnungen abgeändert hatte, so bestimmten die Römer die Führung dieses Krieges dem einen Consul, dem Marcus Marcellus. Zu Leontini hatten nach Ermordung des Hieronymus die Soldaten anfangs einen Aufruhr gemacht und drohend gerufen, man müsse dem Könige mit dem Blute der Verschwornen ein Todtenopfer bringen. Nachher aber hatte der den Ohren so süße, oft erschallende Name der wiederhergestellten Freiheit; die ihnen gemachte Hoffnung zu Spenden aus dem königlichen Schatze und zu einem Kriegsdienste unter tauglicherenIch folge mit Crevier, Ernesti und Stroth der von Gronov vorgeschlagenen Lesart: potioribus ducibus. Anführern; und die Schilderung der scheußlichen Frevelthaten des Tyrannen und seiner noch scheußlicheren Lüste, eine solche Veränderung in ihren Gesinnungen bewirkt, daß sie drein willigten, die Leiche des kurz zuvor so sehr vermißten Königs unbegraben liegen zu lassen.

Da die übrigen Verschwornen, um sich des Heeres zu versichern, hierblieben, so jagten Theodotus und Sosis auf königlichen Pferden, so schnell sie konnten, nach Syracus, um die Hofpartei, als wüßte sie noch von Allem nichts, zu überfallen. Allein nicht bloß das Gerücht, dem in solchen Fällen nichts in der Welt an Geschwindigkeit vorgeht, sondern auch einer von den königlichen Sklaven war ihnen als Bote zuvorgekommen. Also hatte 122 Anaranodorus sowohl die Insel, als die königliche Burg und andre Plätze, so viele er konnte und die sich dazu eigneten, mit Wachen besetzt.

Theodotus und Sosis, die nach Sonnenuntergang schon beim Dunkelwerden durch Hexapylon einritten, das blutige Gewand des Königs und seinen Kopfschmuck zur Schau tragend, beschieden auf ihrem Zuge durch das Stadtviertel Tyche unter beständigem Rufe: Zur Freiheit! und: zu den Waffen! die Bürger zur Versammlung in das Stadtviertel Achradina. Die Leute liefen theils auf die Gasse hinaus, theils standen sie in ihren Vorderthüren, theils sahen sie von den Dächern und Fenstern herab, und wiederholten die Frage: «Was giebt es?» Alles war von Lichtern hell und mit mancherlei Getöse erfüllet. Auf den offenen Plätzen sammelten sich die Bewaffneten. Die Unbewaffneten nahmen im Tempel des Olympischen Jupiter die den Galliern und Illyriern ausgezogenen Waffen, welche Hiero vom Römischen Volke zum Geschenke bekommen und hier aufgehängt hatte, mit der Bitte an den Jupiter, herab, er möge ihnen diese heiligen Waffen mit Wohlgefallen und unter seinem Segen überlassen, da sie sich zum Schutze des Vaterlandes, der Göttertempel und der Freiheit bewaffnen wollten. Auch dieser Haufe schloß sich an die auf den Hauptplätzen der Stadt schon angestellten Posten. Auf der Insel hatte zwar AndranodorusPraesidiis firmat horrea.] – Da Livius schon oben gesagt hatte: Andranodorus et Insulam, et arcem, et alia – – – – praesidiis firmarat, so folge ich Crevier, der auch hier statt firmat firmarat zu lesen wünscht. unter andern auch die öffentlichen Vorrathshäuser mit Truppen besetzt. Allein dieses mit einer Mauer von Quadern umfaßten und gleich einer Burg befestigten Platzes bemächtigte sich die zur Besatzung desselben bestimmte Mannschaft, und ließ nach Achradina hineinsagen, «die Vorrathshäuser und das Getreide seien dem Senate sicher.»

22. Mit Anbruch des Tages kam das ganze Volk, bewaffnet und unbewaffnet, in Achradina vor dem Rathhause zusammen. Hier hielt einer der Vornehmsten, 123 Namens Polyänus, am Altare der Eintracht, der auf diesem Platze stand, eine Rede, die eben so sehr für die Mäßigung, als für die Freiheit sprach. «Mit dem Gefühle der Knechtschaft und des Unwillens vertraut, hätten sie sich gegen dies ihnen bekannte Übel empört. Was für Unglück bürgerliche Zwietracht herbeiführe, hätten die Syracusaner mehr von ihren Vätern gehört, als selbst erfahren. Daß sie ungesäumt zu den Waffen gegriffen hätten, billige er; werde es aber noch mehr billigen, wenn sie von ihnen, nur durch die äußerste Noth gezwungen, Gebrauch machten. Für jetzt müsse man seiner Meinung nach an den Andranodorus Gesandte schicken, ihm anzukündigen, daß er sich dem Senate und Volke zu unterwerfen, die Thore der Insel zu öffnenIch folge mit Stroth der Lesart, die den meisten Msc. am nächsten kommt: Portas Insulae patefaciat, reddat praesidium. und die Besatzung an ihre Behörde zu überlassen habe. Sollte dieser aber willens sein, auf der Vormundschaft über die Regierung eines Dritten sich selbst einen Thron zu errichten, dann müsse man auch eben so nach seiner Meinung die Freiheit weit ernstlicher vom Andranodorus zurückfordern, als vom Hieronymus.» Nach dieser Rede wurden die Gesandten abgeschickt. Darauf wurde Senat gehalten; welcher freilich, so wie er unter Hiero's Regierung die höchste Statsbehörde geblieben war, nach dessen Tode bis auf diesen Tag in keiner einzigen Angelegenheit weder zusammengerufen noch zu Rathe gezogen war.

Als die Gesandten zum Andranodorus kamen, so fand er in der Vereinigung aller Bürger, in der Besatzung der übrigen Theile der Stadt, und in der Übergabe und dem Abfalle sogar des festesten Platzes auf der Insel, für seine Person allerdings triftige Gründe. Allein seine Gemahlinn Demarata, eine Tochter des Hiero, noch voll von königlicher Hoheit und weiblichem Übermuthe, ließ ihn von den Gesandten herausrufen und erinnerte ihn an den so oft angeführten Ausspruch des Tyrannen Dionysius, wodurch er erklärt habe, man müsse die Alleinherrschaft 124 nicht fahren lassen, bis man bei den Füßen heruntergezogen werde, aber nie, so lange man noch zu Pferde sitze. Den Besitz eines hohen Ranges aufzugeben, sei jeden Augenblick, sobald man es für gut finde, etwas Leichtes: allein die Anlage und der Erwerb sei schwierig und steil. Er möge sich beiden Gesandten einige Frist zur Überlegung ausbitten. Diese möge er dazu anwenden, die Soldaten von Leontini kommen zu lassen. Wenn er diesen die königlichen Schätze verspräche, so würde ihm Alles zu Gebote stehen.» Diese weiblichen Eingebungen verwarf Andranodorus weder ganz, noch nahm er sie augenblicklich an; da es seiner Überzeugung nach zur Erlangung der höchsten Macht einen sicherern Weg gab, wenn er für jetzt sich in die Lage der Dinge fügte. Also bat er die Gesandten zurückzumelden, er werde sich dem Senate und Volke als Unterthan stellen.

Nachdem er am folgenden Tage mit frühem Morgen die Thore der Insel hatte öffnen lassen, kam er auf den Volksplatz von Achradina. Hier trat er vor den Altar der Eintracht, an welchem Tages zuvor Polyänus die Rede gehalten hatte, und fing seinen Vortrag damit an, daß er für seine Unschlüssigkeit um Verzeihung bat. «Denn er habe die Thore geschlossen gehalten, nicht etwa, um sich in ein vom Ganzen abgesondertes Verhältniß zu setzen, sondern aus ängstlicher Besorgniß, was für Gränzen man, da die Schwerter einmal gezückt gewesen wären, dem Blutvergießen stecken werde: ob sie sich, wie es zur Sicherstellung der Freiheit hinreichend sei, auf die Hinrichtung des Tyrannen beschränken würden; oder ob jeder, der durch Abstammung oder Verheirathung oder durch irgend eine Art von Dienstgeschäft mit dem Hofe in Berührung gestanden habe, als Theilhaber fremder Schuld gemordet werden sollte. Sobald er gesehen habe, daß die Befreier des Vaterlandes es auch nach seiner Befreiung erhalten wissen wollten, und daß man von allen Seiten zu gemeinschaftlicher Berathung zusammentrete, da habe er keinen Anstand genommen, seine Person und Alles, was ihm anvertrauet 125 und in seine Aufsicht gegeben sei, da der, welcher es ihm übergeben gehabt habe, ein Opfer seines eignen Unsinns geworden sei, dem Vaterlande wieder einzuliefern.» Dann sprach er, indem er sich an die Mörder des Tyrannen wandte und namentlich den Theodotus und Sosis anredete: «Ihr habt eine denkwürdige That verrichtet. Aber glaubt mir, euer Ruhm ist nur erst eingeleitet, noch nicht vollendet, und die große Gefahr ist noch nicht beseitiget, daß der Stat, wenn ihr nicht für Frieden und Eintracht sorgt, als Freistat zu Grabe getragen werde.»

23. Nach dieser Rede legte er ihnen die Schlüssel zu den Thoren und zum königlichen Schatze zu Füßen. Und was diesen Tag betrifft, so brachten Alle, voll Freuden aus der Versammlung entlassen, mit Weib und Kind in allen Tempeln der Götter ihre Dankgebete dar. Am folgenden Tage wurde Prätorenwahl gehalten. Einer der zuerst gewählten war Andranodorus: die übrigen waren großentheils von den Mördern des Tyrannen; zwei wählte man sogar in ihrer Abwesenheit, den Sopater und Dinomenes. Als diese beiden von den Auftritten zu Syracus hörten, ließen sie den zu Leontini befindlichen königlichen Schatz nach Syracus fahren und überlieferten ihn den hierzu gewählten Schatzmeistern; auch der auf der Insel wurdeEa, quae in Insula erat, Achradinam tradita est.] – Dies halte ich für die richtige Lesart. Denn da die Lesart tradita est fast in allen, und diese: ea, quae in Insula erat, Achradinam tradita est, in mehrern Msc. sich findet, so sehe ich nicht, warum man diese nicht lieber behalten will, als die in andern Msc. über das Wort tradita geschriebene Glosse translata, statt deren andere Msc. wieder eine andre Glosse, nämlich traducta, aufgenommen haben. Sollte nicht tradere (d. i. transdare oder transdere) argentum Romam eben so gut Latein sein, als transmittere, transferre, traducere argentum Romam? Weil die Abschreiber pecunia Achradinam tradita est nicht verstanden, oder auch weil der Mstrich in Achradiná erloschen war, so machten sie daraus ihr et Achradina tradita est. nach Achradina herübergebracht, und derjenige Theil der Mauer, welcher die Insel von der übrigen Stadt als gar zu festes Bollwerk abschnitt, wurde mit allgemeiner Beistimmung niedergerissen. Diese Stimmung der Gemüther zur Freiheit hatte auch die übrigen Maßregeln zur Folge.

Hippocrates und Epicydes gingen auf die Nachricht 126 vom Tode des Zwingherrn, welche Hippocrates sogar durch Hinrichtung des Boten hatte unterdrücken wollen, von den Soldaten verlassen, nach Syracus zurück, weil sie dies unter den gegenwärtigen Umständen für das Sicherste hielten. Um hier während ihres Aufenthalts nicht in dem Verdachte zu stehen, als suchten sie irgend eine Gelegenheit zu einer Statsumwälzung, wandten sie sich zuerst an die Prätoren, dann durch diese an den Senat. «Hannibal,» sagten sie ganz dreist, «habe sie an den Hieronymus, als seinen Freund und Bundesgenossen, gesandt. Sie hätten sich dem Befehle dessen angeschlossen, an den ihr Feldherr sie gewiesen habe. Jetzt wollten sie zum Hannibal zurückgehen. Weil indeß der Weg nicht sicher sei, da durch ganz Sicilien allenthalben Römische Scharen umherstreiften, so bäten sie, man möge ihnen eine Art von Bedeckung mitgeben, welche sie nach Locri in Italien hinüberbrächte. Man würde sich durch diese kleine Gefälligkeit den Hannibal sehr verbinden.» Dies ward ihnen sehr leicht bewilligt: denn man sah es gern, daß diese königlichen Befehlshaber, die sich auf den Krieg verstanden, und zugleich arm und unternehmend waren, sich entfernen möchten; allein man betrieb die nöthige Beschleunigung dessen, was man wünschte, nicht thätig genug. Unterdessen streuten diese kriegerischen jungen Männer, die mit Soldaten umzugehen verstanden, theils selbst bei diesen, theils bei den Überläufern, welche größtentheils Römische Seeleute waren, theils unter dem niedrigsten Volke allerlei Beschuldigungen gegen den Senat und die Vornehmen aus. «Diese gingen damit um und leiteten es so ein, daß Syracus unter dem Vorwande einer wieder angeknüpften Bundesfreundschaft von den Römern abhängig würde, und dann ihre Partei und die wenigen Beförderer des erneuerten Bündnisses als Herren schalten könnten.»


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