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Vorrede

Die Götter frühster Jugend abzuschwören, ist schmerzhaft. Lange Jahre nach solcher Erschütterung vermag der Geist mit Kälte das zu begründen, was das Gefühl grundlos ergriffen oder abgetan.

Wagner lehrte: »Der Verstand kann nichts anderes wissen, als die Rechtfertigung des Gefühls.« In dieser Schrift sucht der Verstand das Gefühl zu rechtfertigen, das einen leidenschaftlichen Wagnerianer, von den Knabenjahren an in Bayreuther Tradition erzogen, eines Tages ergriffen und der ganzen Wagner-Welt entführt hat.

Langsam löste sich aus solcher Verwirrung die Erkenntnis, daß es kein rein ästhetisches Bedenken, daß es mehr: daß es die Heraufkunft einer klareren Welt, die Dämmerung hellerer Horizonte war, die den Befangenen mit einem Male geweckt hat.

Aber erst die Erkenntnis, einer von Tausenden zu sein, die eine ähnliche Entwicklung durch Wagner hindurchgeführt, gab den Anlaß, alle Gedanken über dieses Problem zu sammeln: nicht um irgendwen zu überzeugen, nur um jenen die Stichworte zu reichen.

Daß diese Blätter gerade jetzt erscheinen, geschieht, um jene Schar von Entzauberten sichtbar abzusondern von der Jahrhundertfeier, die sich vorbereitet und in der Aufstellung der Wagner-Büste in der deutschen Walhalla gipfeln wird. Gegen Vergötterung, nicht zur Verneinung seines Genius, ist dieses Buch geschrieben.

Ist, solche Stichworte zu sprechen, der Autor legitimiert? Denn loben darf auch der Unberufenste, der Gegner wird um seine Kompetenz befragt. Alle Wagner-Biographen waren Nichtmusiker, und Wagner behauptet sogar von Beethoven, in dem »vielleicht einzig wichtigen Sinne« sei er bisher nur von Nichtmusikern verstanden worden.

Um so mehr darf der musikalische Laie, darf der Dramatiker und Psychologe über einen Künstler sprechen, dessen Wirken, Lehre und Werke auf alle Gebiete der Kultur mit bewußtem Stolze übergreifen. Das Wagner-Problem ein musikalisches nennen, heißt dies Genie auf ein Vierteil reduzieren.

Die Wagnerianer, dem Meister folgend, betonen: Nur wer ihn als Menschen begreift, könne den Künstler, nur wer den Künstler, könne das Werk begreifen. Darum dient die erste Hälfte dieser Schrift der Analyse des Mannes und Künstlers.

Auch die glaubwürdigsten Quellen sind ausgeschieden, wofern sie nicht die Wagner-Biographen selbst legitimieren. Alle Zitate und Nachrichten stammen ohne Ausnahme aus Wagners Schriften und Briefen oder aus den bekannten Biographien und Sammlungen von Chamberlain, Glasenapp, Wolzogen. Nur zwei Zitate stehen in Briefen von Wagner und Frau Wagner, die unveröffentlicht in meinem Besitze sind.

Moscia, Februar 1913.
E. L.

 

Wagner und der Krieg

Vorwort zur vierten Auflage

Als dieses Buch zuerst erschien, ein Jahr vor dem Kriege, wirkte es noch revolutionär. Sechs Jahre später wird es nur noch eine Minderheit brüskieren. Denn wie es damals den Fall Wagner teilweise auch schon als Fall Deutschlands zu erfassen suchte, so muß es doppelt heute auf Nerven wirken, in denen das deutsche Problem bei jeder Nennung des deutschen Namens zuckt. Zuviel ist geschehen, als daß nicht auch die Eingewiegten unter den Geistigen, die ruhend Schauenden zu einer Revision dieser Begriffe aufgerufen wären. Der Krieg hat das offizielle Deutschland von dem sogenannten heimlichen getrennt, als wäre es eine Schale, allzu rauh, böse stechend, und nun enthülle sich der glänzend braune Kern.

Wäre doch dies Gleichnis ganz gerecht! Wären doch Kern und Schale in Ordnungen trennbar, die sich naturhaft einstellen! In Wahrheit ist es nur ein Bild. Denn tief ins innere Wesen sind die Verführungen äußeren Glanzes gedrungen und haben dort Gefahr heraufbeschworen, wo innere Ruhe, wo ehedem Heiterkeiten der Seele ohne Aufruhr lebten. Niemand kann über Deutschland mehr vom Kriege lernen als die Deutschen. Aufzug, Glanz und Rüstung, Melodram und Romantik, Rücksichtslosigkeit, auch wo man gut sein wollte, Zentrum der Welt sich wähnend und doch ohne Haltung vor dem Fremden, selbstverliebt ohne Anmut, mit wenig Würde. So hat sich das wilhelminische Deutschland in den Augen der Welt seit dreißig Jahren gespiegelt, so hat es sich im Kriege selbst erkannt.

Wagner hat es vorgebildet. Die Schwüle, aus so gefährlichen Kräften gebraut, hat ihn beherrscht, hat er beherrscht. Mit feinstem Vorgefühl ertastete er sich das Morgige, und indem er das Deutsche auf eine verführerische Weise mißverstand, vielmehr mißdeutete, schmeichelte er denen, die diese Deutung angenehm zu hören wünschten. Das ganze Decorum des neuen Reichs, peinlich fassadenhaft, ist in seinen nationalen Opern vorgeführt, und auch der Kniff, das Nützliche zur Weltweisheit zu »vertiefen«, ist in Wagner zuerst, und zwar sogleich vollkommen durchgeführt.

Aber die Krisis hatte die deutschen Gemüter schon ergriffen, als sie latent und in Teilsiegen verhangen heraufkam. Dieser Musiker, der die deutsche Sage wie keine andere mißbraucht hat, hätte sonst der Genius des Tages, der Künstler dieser Zeit sein müssen. Allerorten hätte ein national aufgeregtes Volk diese angeblich urdeutsche Musik, diesen urdeutschen Mythos dreimal so oft als früher dargestellt, und Wagner wäre die Losung des ganzen Volkes geworden. 1914-18, während er in den letzten zwanzig Jahren nur die Losung des Mittelstandes war.

Doch in der Gefahr erkannte der Instinkt der Deutschen das Echte und Unechte, jetzt, gerade jetzt zog geheime Erkenntnis die Bezauberten von ihrem Meister ab. Wagner-Abende wurden an Zahl geringer, Verdi, der »Feind«, ging in höhere Kurve, Mozart stieg.

Doch wichtiger als der Krieg war auch in dieser Frage der Zusammenbruch, der nun dem deutschen Geiste fruchtbar werden sollte. Im Schwinden großdeutscher Scheinideale, im Versinken unorganischen Prätentionen erhob sich zugleich aus den Verschleierungen des neuen Kaiserreiches das Alte und Echte, und wie dies Volk sich zu den Akkorden seiner machtunwilligen Kultur zurückzutasten, wie es die von Dekorationen überschrienen Schätze auszugraben trachtet, so steigt aus dieser neuen Götzendämmerung deutsche Musik wieder empor. Nicht zufällig schwärmte der letzte Kaiser für den letzten Barockmeister großen Stils, und ohne den Genius zu beleidigen, darf man doch sagen: Wilhelms des Zweiten beste Einfälle waren Wagners schwächsten verwandt. Die große Geste aus unzulänglicher Kraft: Stichwort biederer Männer und ihrer Werke.

Auch die Revolution als solche, die Heine, Freiligrath, vor allem Schiller und Beethoven wieder ins Tageslicht rückt, mußte Wagner schädigen. Daß der Dresdener Dirigent vor siebzig Jahren Revolutionär gewesen, ist eine Sage, deren innere Unwahrheit im Kapitel: »Die drei Decrescendi« erwiesen werden soll. Die Revolution, die er als Regisseur erlebte, wich in seinem Herzen rasch dem Dienst eines Fürsten, als dieser für sein Werk gefunden war. Wagners Dämon, immer auf sein Werk starrend, in wundervollem Künstlertriebe monoman, ist nur zum Schein durch die Winkelzüge seiner weltlichen Schlauheiten abgelenkt worden. In Wahrheit war er konservatorisch wie alle Künstler, die sich vorwiegend zur Auswirkung von Formen berufen fühlen, mögen sie noch so neuartig sein: wie Mütter suchen sie nichts von der Welt als Schutz für ihre Kinder, Tumult und Chaos fürchten sie und flüchten in Hütten oder Paläste. Nur wenn der Geist der Empörung ihre Werke – meist nur ihre Jugendwerke – durchrast, ist ihnen Umwälzung von außen hold und willkommen.

Was jetzt die Welt ergreift, führt in allem von den Wagner-Naturen und ihrem Werke fort. Schwüle, auch sozial, will Klarheit werden; statt im Überlebensgroßen sucht eine aus Ermattung steigende Menschheit sich in der Verehrung, in der Pflege innerlicher Dinge wiederzufinden, und was Wagners Männer und Frauen nach wechselseitiger »Erlösung« schreien ließ, das sucht heute in stilleren Bahnen Sammlung, Neigung. Die großen Bewegungen der Zeit, ob sie auch Millionen treffen, sind psychisch dennoch mikrokosmisch, während Wagners Ehrgeiz dem kreisenden Saturnringe gleicht.

Kampf und Katastrophe, Deutschsein und Weltliebe, Idee und Form führen die Zeit von Wagner fort. Was kostbar war in seinem Werke, die Entdeckung ganzer Provinzen der Instrumentation, geht in die neuen Formen des Jahrhunderts über und wirkt dort unvergänglich.


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