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Eine der Angriffsflächen, die Wagner zeitlebens der Bourgeoisie geboten, war das Gerücht von seiner Verschwendungssucht. Hiergegen übermitteln entzückte Biographen seine steten Klagen über Not. Sie täten besser, zu erklären, daß die Verschwendung eines Künstlers nur den angeht, der ihm Geld gibt. Wirklich ist es eine ernste und wichtige Wirkung Wagners, als erster moderner Künstler den Anspruch auf Erhaltung durch die Gesellschaft, durch Kunstfreunde, Fürsten oder Vereinigungen verwirklicht zu haben. Wagner hat den deutschen Künstler ökonomisch zu emanzipieren getrachtet, ähnlich wie es Bülow sozial getan hat.
»Es wäre Sache meiner Verehrer, mir so viel Geld zu geben, als ich brauche, um guter Laune etwas Rechtes zu schaffen.« Oder, etwas später an Liszt: »Was ich beanspruchen kann, ist die Fixierung einer ehrenvollen und reichlichen Pension, lediglich und einzig zu dem Zweck, ungestört und ganz unabhängig von äußeren Erfolgen meine Kunstwerke schaffen zu können,« so daß er die Operneinnahmen »als einen zufälligen, diese oder jene heitere Lebensannehmlichkeit mir ermöglichenden Überschuß betrachten kann«. Diese Forderung ist in Ordnung. Wichtiger, daß er auch diese wie alle seine Theorien nach eigener Nötigung, durch eigenes Beispiel zu erweisen suchte: Wagner hat als Erster erwiesen, daß ein moderner Musiker seiner Kunst leben kann, ohne Vermögen und ohne Geldverdienst.
Nie hat ein Musiker vor ihm so viele, so reiche Mäcene gehabt: Beethoven bekam, mit ihm verglichen, ein Minimum, und Mozart, als er es bekommen sollte, starb. Zwischen Zwanzig und Fünfzig war Wagner etwa zwölf Jahre lang bezahlter Dirigent, vom einundfünfzigsten Jahre an war er durch den König und durch seine Einnahmen für Lebenszeit gesichert. Etwa drei Jahre hat er sich in Paris als junger Schriftsteller »durchgeschlagen«, etwa zwei Jahre dann Konzerte gegeben. Also hat er sich mindestens dreizehn Jahre seines Lebens zusammen mit seiner Frau durch die Gunst von Mäcenen erhalten. Es ist eine Freude, zu sehen, wie diese Mäcene, auch nur soweit sie mit Namen bekannt sind, eine ununterbrochene Kette bilden.
In den ersten Jahren nach der Flucht erhält er von Liszt dauernd Geld (vgl. die Briefe). Auch dankt er nach der Flucht einem Herrn Wolf, und Liszt schickt ihm wiederholt größere Summen »von einem unbekannten Verehrer des Tannhäuser«. Dann bekommt er in Zürich, kurz nach der Ankunft, von zwei Damen eine Rente, von der er fünf Jahre lebt. Dann verschafft ihm »ein glücklicher Vermögensfall« in der Familie Ritter »eine sichere und dauernde Unterstützung, mit der ich ruhig und von materiellen Sorgen ungestört diese Zeit, wie überhaupt mein Leben über, meinem künstlerischen Schaffen obliegen kann«. Diese Rente läuft acht Jahre lang.
Während dieser Zeit äußert er, er brauche nicht nur eine Wohnung nach seinem Geschmack, er braucht »ein erhöhtes, freies Wohnhaus mit einem Garten, draußen vor der Stadt«. Kaum hat er den Wunsch geäußert, so stellt ihm Wesendonk ein erhöhtes freies Wohnhaus mit einem Garten, draußen vor der Stadt, mit Aussicht nach den Alpen, zur dauernden Verfügung.
Wagner hat die tiefere Seite dieser ökonomischen Fragen sehr wohl erkannt: wenn er an Wesendonk, der ihm eine vollständige Rente angeboten, schreibt: »Fast verzweifle ich, ob mir zu helfen sei! Mein Leben ist ein Meer von Widersprüchen, aus dem ich wohl nur mit dem Tode aufzutauchen hoffen darf. Was taten Sie nicht alles für mich (dies, noch ehe er das Haus bezieht), um mir zu helfen und meiner Lage Ruhe zu geben! Und immer stellt sich alles wieder als ungenügend heraus. Besondere Bedürfnisse, eigentümliche Rücksichten ,… unerwartete Störungen erschweren mir, nach jedem Versuch hierfür, eine sichere Norm zu gewinnen für mein Auskommen.« Weltliches Gegenthema zu dem psychischen: als wenn der innere Krampf, der Mangel an innerer Harmonie mit einem äußeren korrespondierte.
Zugleich gibt er in London Konzerte und berichtet dauernd über Operneinnahmen. Ein Jahr nach der Katastrophe mit Wesendonks, im Jahre 59, gibt ihm dieser ein größeres »Darlehen«, 24 000 Franks, gegen Überlassung der Verlagsrechte an dem zukünftigen Ring. Aber sogar der Herausgeber der Briefe betont, man würde irren, hielte man dies für ein rückzahlbares Darlehen; »Wesendonk wußte, wie leicht der Freund sich der Täuschung hingab, die Schuld einst abzahlen zu können. Nur um dessen Selbstgefühl zu schonen ,… willigte er in diese Form.«
So, von zwei Seiten unterhalten, geht Wagner wieder nach Paris. Dort helfen gelegentlich die diplomatischen Freunde, Metternich und Hatzfeld. Plötzlich steht er, im Jahre 61, nach seinen drei Pariser Konzerten einem neuen Defizit von 10 000 Franks gegenüber. Da (wieder wie im Lustspiel) trifft die ihm flüchtig bekannte Gräfin Nesselrode (Muchanoff) in Paris ein und legt ihm die Summe »als rein persönliche Huldigungsgabe« auf den Tisch.
Folgt die Zeit neuer Konzerte und unmittelbar darauf, als deus ex machina, der König, der ihm – von allem andern abgesehn – auf Lebenszeit eine Jahresrente von 15 000 Mk. schafft.
Ist all dies in der Ordnung und verlohnt es nicht, durch solche Aufzählungen (der viele Verehrer hinzugefügt werden könnten) die Klage der Seinen zu entkräften: warum dann diese Namen, diese Zahlen?
Wir wollten festlegen, daß Wagner vom dreißigsten bis siebzigsten Lebensjahr dauernd und beinah ununterbrochen zu leben hatte, ohne auf Bühnen und Verleger zu rechnen. Grade mit der Rücksicht auf diese aber sucht er sein Leben lang alle Konzessionen zu verdecken, die er aus anderen, aus inneren Gründen gemacht hat.
Ging Wagner dagegen zu Bühnen und Konzerten Nach Wien, nach Ungarn, nach Rußland, um Stücke aus seinen ungespielten Werken aufzuführen, was er doch immer verpönt hatte., um zu wirken, so ist dies heute, bei einer Analyse seiner längst vergangenen Person, psychologisch ebenso wichtig, wie die bloße Neugier seiner Mitwelt unwichtig war. Denn in diesem Willen zum Luxus, zur Verschwendung deuten sich Züge an, die wir in seinen Werken wiederfinden. Das ist ein Stück Weltsucht.
Zuweilen erklärt er, er brauche diesen Luxus nur um der Kunst willen. Aus Paris, im Jahre 61, schreibt er, wütend über seinen Übersetzer, der ein schönes Schloß hat: »Nur wenn ich die Muse zu mir zaubern und festhalten will, denke ich ernst daran, meinen Hausraum mir mit Ruhe und Traulichkeit herzurichten: gebe ich die Muse auf, so hat auch das alles für mich keinen Sinn mehr.« Ehrlicher, im Jahre 64: »Ich bin anders organisiert, habe reizbare Nerven, Schönheit, Glanz und Licht muß ich haben! Die Welt ist mir schuldig, was ich brauche! Ich kann nicht leben auf einer elenden Organistenstelle, wie Ihr Meister Bach ,… ich, der ich der Welt und Tausenden Genuß bereite!« Oder, vorher: »Ich kann da nicht wie ein Hund leben, ich kann mich nicht auf Stroh betten und mich in Fusel erquicken: ich muß mich irgendwie geschmeichelt fühlen, wenn meinem Geist das blutig-schwere Werk der Bildung einer unvorhandenen Welt gelingen soll!« Rechnet man den Schwung des Tenors in solchen Worten ab (Stroh, Fusel, blutig), so bleibt eine für seine Kunst bedeutsame Konfession.
Während er dauernd klagt, er habe kein Geld, wohnt er in Zürich vier Jahre lang (nach Glasenapp) in entzückenden Promenaden, in »phantasievoll vornehmen, künstlerisch angeordneten Einrichtungen, die sich um so stattlicher ausnahmen, als die Hauptzimmer eine fortlaufende Flucht bildeten, die statt geschlossener Türen bloß durch schwere Samtvorhänge voneinander getrennt waren«. Oder, wie derselbe Biograph seine Wohnung bei Wien schildert: »Er richtete sich acht Zimmer neu ein«, mit viel Samt und Seiden, und zwar mit Hilfe einer Putzmacherin Eine Putzmacherin stattete die cella dieses Tempels aus, das Arbeitszimmer, dann aber auch den Priester selbst. Vgl. ihre Memoiren.. In allen Briefen und Berichten Wagners und über Wagner liest man von breiten Diwanen, schweren Vorhängen und sehr weichen Teppichen, und selbst in dem hübschen Bauernhaus in Triebschen bei Luzern wurde, wie Frau Förster-Nietzsche schreibt, sein Arbeitszimmer in rosa Rokoko mit vielen Amouretten ausstaffiert, überall brauchte er weiche Kissen darin, um sich zu stützen.
Ersetzt man die sinnlosen moralischen Wertungen dieser Dinge durch psychologische, so sieht man, wie dieser Mann, etwa wie Makart, überall »schwelgen« muß. Man tritt bei ihm ein, wie bei einem großen Dekorationsmaler, und ihn mit einem solchen zu vergleichen, liegt aus Gründen nahe, die viel tiefer liegen als dieses flüchtige Symbol. Wagners Sinne mußten von außen angeregt werden, etwa wie die eines großen Schauspielers, während man die Werkstatt großer Musiker meist anders schildern hört, geräuschlos, schlicht, zur inneren Sammlung ladend.
Diese Dinge sind symptomatisch für den Schöpfer des farbigsten aller Orchester.