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Kampf des Musikers mit dem Dramatiker

Das beste Zeichen für Wagners musikalischen, das schlimmste für seinen dramatischen Genius ist der Wert seiner orchestralen Vor- und Zwischenspiele. Stücke, wie die Einleitungen zum Rheingold, zum Parsifal, zu den Meistersingern, zu den dritten Akten des Lohengrin, der Meistersinger, des Parsifal oder das Pariser Bacchanale zum Tannhäuser bestätigen die Überzeugung von der großen balladesken Begabung eines Mannes, der zeitlebens Dramatiker sein wollte. Hier ist Balladenmusik ohne Dichtung. Dagegen wiegt die Belanglosigkeit seiner Dichtung ohne Musik nicht schwer genug. Wagner hat einige ausgezeichnete Dialoge gemacht, und es scheint wichtig, daß grade diese meist musikalisch belanglos sind.

Die gedachten Stellen erweisen aufs neue, daß eben die dramatische Antithese, das szenische Epigramm sich einer gleich bedeutsamen Vertonung entzieht. Darum löst das große, typisch undramatische »Ansehen« seiner Paare die schönsten Zwischenspiele aus. Ortruds großartiger Fluch: »Entweihte Götter! Helft nun meiner Rache« hat die Musik von Meyerbeer; übrigens aus zwei Akkorden schlicht aufgebaut. Der dramatisch geschliffene Streit der Frauen vor dem Münster:

»Weil eine Stund' ich meines Werts vergessen,
Glaubst du, ich müßte dir nun kriechend nah'n?
Mein Leid zu rächen, will ich mich vermessen«

hat belanglose Musik, Wotans Gestalt, gedanklich die tiefste, ist musikalisch die schwächste in der Tetralogie. Nimmt man einmal seine Dekadenz zur Voraussetzung, so ist die Erzählung im zweiten Akt der Walküre bedeutsamer als irgendeine der vielen Erzählungen im Ringe. Aber grade an diesen besten Stellen läuft nur eine rezitativische Musik mit. Oder wer denkt, wenn er sich der Walküren musik erinnert, dieser merkwürdigen Stelle, die doch grade die Vertiefung des ganzen Werkes enthält! Auch die folgende Gegenüberstellung im Vorgefühl von Hagen und Siegfried ist dichterisch so schön, wie musikalisch unerheblich. In Wotans Strafrede an Brünnhilde ist das dramatisch belebte, sechsmal wiederholte »Gegen mich!« mit den kurzen Zeilen dazwischen, musikalisch nicht vollgültig. Ebensowenig bedeutet die Musik an jener hochdramatischen Stelle, wie Wotan Siegfried ausfragt und schließlich wissen will, wer die Schwertstücke geschweißt hat. Siegfried:

»Was weiß ich davon! Ich weiß allein,
Daß die Stücke nichts mir nutzen,
Schüf ich das Schwert mir nicht neu«

Darauf Wotan (mit freundlich gutmütigem Lachen): »Das mein' ich wohl auch.« Wer, wenn er sie nicht studierte, kennte die Musik grade zu diesen Versen? Oder zu den dramatisch grundlegenden Worten Wotans an Brünnhilde:

»Nie suche bei mir Schutz für die Frau,
Noch für ihres Schoßes Frucht,«

weil er ja Siegfried nicht helfen darf.

Erda, die die tiefsten Dinge weiß, hat noch weniger sinnfällige Musik als Wotan.

»Mein Schlaf ist Traum, mein Traum Sinnen,
Mein Sinnen Walten des Wissens.
Doch wenn ich schlafe, wachen Nornen ,…
Sie weben das Seil
Und spinnen fromm, was ich weiß:
Was fragst du nicht die Nornen?«

und weitere bedeutende Stellen dieses Gespräches treten musikalisch ganz zurück.

Wir erinnern an den vorzüglichen Dialog zwischen dem Weibchen Gutrune und Siegfried, den sie immer mehr in die Enge treibt, um Aufschluß wegen des Tarnhelms zu haben; wie er freundlich und schlau erwidert:

Gutrune:

»Hielt Brünnhild dich für Gunther?«

Siegfried:

»Ihm glich ich auf ein Haar« ,… –

Gutrune:

»So zwangst du das kühne Weib?«

Siegfried:

»Sie wich – Gunthers Kraft« ,…

Ja, selbst die einzige typische Tragödienstelle, als die »Intrige« sich lüftet, im Kern des Dramas, von den Worten: »Was müht Brünnhildes Blick?« drei Seiten Textbuch bis zu Hagens Erklärung: »Sie wahr' in Ehren den Eid«: dies alles läuft musikalisch unindividuell vorüber, weil es epigrammatisch zugespitzt ist, und erst, als pathetische Eide lyrisch geschworen werden, hebt sich wieder die Musik.

Und so steht es mit der dichterisch und dramatisch bedeutenden Szene der Waltraute, wie sie die großgesehenen Visionen rezitativisch vorträgt, und mit der antithetisch gespitzten Unterhaltung bei Brünnhildes Erwachen:

Sie: »Dort seh ich Grane, mein heilig Roß«.

Er: »Auf wonnigem Munde weidet mein Auge« ,…

Sie: »Dort seh ich den Schild, der Helden schirmte.«

Er: »Eine selige Maid versehrte mein Herz.«

Solange sie und solange in den gesamten Dramen der eine gegen den anderen steht, das andere will, wird die Musik machtlos. Allgemein findet man: erst wenn die Dialoge ins Lyrische oder ins Pathetische oder ins Chorische einbiegen, also aus dem dramatischen Brennpunkt weichen, steigt wieder die Musik empor, schwillt an und herrscht.

So scheint in der Notwendigkeit organischer Gesetze die Theorie aufs neue hinzuschmelzen. Handlung eilt, Musik verweilt.


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