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Der Wille zum Theater

Wagner (schreibt kopfschüttelnd): »Der Deutsche ist imstande, Musik zu schreiben, bloß für sich und seine Freunde, ganz unbekümmert, ob sie jemals exekutiert und von einem Publikum vernommen werden solle.«

Beethoven (wie Titurel nochmals aus dem Grabe sich erhebend): »Ja, das ist der deutsche Musiker wirklich imstande!«

Staunend steht Wagner in jenem Satze vor einer fremden Welt: deutsche, »absolute« Musik. Und er fügt, um sich den Fall verständlich zu machen, wenigstens hinzu: »Für sich und seine Freunde

Dies ist die einfachste Formel, in der der Musiker Wagner sich selber darstellt. Es ist das Thema. Der Wille zum Theater, der fünfzig Jahre lang diesen Musiker abgelenkt hat, gibt sich nur als Variation dieses Themas kund. Denn zum Theater zogen Wagner alle tiefen Kräfte seiner Natur: Sinnlichkeit und Vitalität, Schauspielertum und Wirkungsdrang. Wagner hat »Gedichte jeder Art ein für allemal« nicht vertragen können (Glasenapp). Lyrik und Theater: die Gegenpole.

Mit fünfzehn Jahren schrieb er das erste Trauerspiel. Bei diesem Anlaß stieß er zuerst auf die Musik: er hörte Beethovens Egmont, beschloß »auch Musik« zu seinen Versen zu machen, borgte sich, ganz knabenhaft, »für acht Tage eine Harmonielehre«, – sah aber nun, daß es leider so rasch nicht ginge. Ist das nur eine reizende Kindergeschichte, die er da erzählt? Ist es nicht schon Symbol? Aus allen Jugendäußerungen klingt es wieder: nur durch das Theater will er wirken, »Wofür? Auf wen?«, das wisse er nicht. Einzig aus seinem Theatergenie hat sich für Wagner die Nötigung ergeben, dichtender Musiker zu werden. Woher käme es sonst, daß er in fünfzig Jahren, von zwei Märschen abgesehen und von fünf Liedern, die er selbst Studien zur Oper Tristan nennt, daß er in fünfzig arbeitsreichen Jahren nie etwas anderes hervorgebracht hat, als Musik für das Theater. Man mag das mit den Worten »Wort-Ton-Drama« oder »Festspiele« benennen: es ist Musik, einzig zu dem Zwecke, nicht »für sich und die Freunde«, nicht im Kammermusik- oder Konzertsaal, sondern einzig vor offener Szene exekutiert zu werden.

Als er mit dreiundzwanzig Jahren »den letzten Federstrich kaum gemacht«, studierte er seine erste Oper »Das Liebesverbot« in rasender Eile einer eben zusammenbrechenden Truppe ein, gegen jeden Rat, gegen den Einspruch der Polizei. Gesangsstimmen konnten in den wenigen Tagen nicht ausgeschrieben werden, die Mitwirkenden wußten also »ihre starken Partien kaum halb auswendig. Der Druck der Textbücher kam nicht mehr zustande.« Alles in zehn Tagen. Das Publikum kann nicht folgen, »die Vorstellung war allen wie ein Traum, kein Mensch konnte einen Begriff von der Sache bekommen.« Das sind kleine Symptome für große Dinge: wie dann sein ganzes Drama auf dem Theatralischen sich aufbaut, ist hier noch nicht der Ort zu untersuchen.

Seine Theaterverhandlungen und -bedenken beginnen stets, ehe ein Werk beendet, meist, ehe eine Note geschrieben ist. Das Theater bringt Wagner auf seine Pläne, nicht umgekehrt.

Das zeigt am deutlichsten die Geschichte des Ringes. Als er den »Jungen Siegfried« dichtet, fällt ihm ein, dies Drama zu einer Tetralogie zu erweitern. Noch ehe er eine Zeile an den nächsten drei Dramen geschrieben, viel weniger eine Note, setzt er, im Jahre 51, Liszt seinen Plan ausführlich auseinander: »Der ganze Dramenkomplex muß in schneller Folge zugleich zur Darstellung gebracht werden ,… Die Aufführung meiner Nibelungendramen muß an einem großen Feste stattfinden, welches vielleicht eigens zum Zwecke eben dieser Aufführung zu veranstalten ist.« Aber sogleich berechnet er auch die nötige Unabhängigkeit der einzelnen Teile: denn »wenn das Ganze zweimal gegeben worden ist, – dann mögen nach Belieben die einzelnen Dramen, die an sich ganz selbständige Stücke bilden sollen, gegeben werden.«

Bald darauf, während er den Ring dichtet: er habe »nur noch Aufführungspläne im Kopfe: nichts wird mehr geschrieben, sondern nur noch aufgeführt.« Von nun an hören die Pläne und Betrachtungen für das Festspiel nicht mehr auf, bis zwanzig Jahre später der Bayreuther Grundstein gelegt wird. Schon in Zürich nennt er »dies zu erreichen, die Hoffnung meines Lebens, die Aussicht, die mich einzig reizen kann, ein Kunstwerk in Angriff zu nehmen.« Später plant er das Festspielhaus am Rhein. »Erlebe ich die Aufführung, so habe ich herrlich gelebt; wenn nicht, so starb ich für was Schönes!« Als dann der Bau beginnt, ist das Werk noch nicht fertig; ähnlich wie später Parsifal, der nie durch »Schminke und Vermummung entweiht« werden sollte, szenisch und musikalisch probiert wird, ehe der zweite Akt zu Ende geführt ist.

Ein anderer Fall: Wagner unterläßt es, eine Idee auszuführen, weil er »die Möglichkeit einer öffentlichen Aufführung« von vornherein bezweifeln muß. »Jesus von Nazareth«.

Wie er ohne das Theater nicht leben kann, zeigen hundert Äußerungen, namentlich aus der Verbannung. Im Jahre 52: »Öffnet sich mir mit nächstem Deutschland nicht wieder, muß ich fortan für mein Künstlerdasein ohne Nahrung und Reiz verbleiben, so treibt mich mein animalischer Lebensinstinkt zum Aufgeben aller Kunst ,… Die Musik zu den Nibelungen mache ich (dann) nicht, und nur ein Unmensch könnte von mir verlangen, länger noch der Knecht meiner Kunst bleiben zu sollen.«

Später: »Daß ich kein ›Leben‹ lebe, weißt du oder kannst es dir denken; was mir nur einzig helfen könnte, Kunst, Kunst bis zum Ertrinken und Weltvergessen, – nun, die habe ich noch weniger als Leben, und das schon eine ziemliche Zeit, ich werde sie bald nach Dezennien zählen.« Der dies schreibt, ist in voller Arbeit an seinem Ringe begriffen. Auch sucht er ja nur selten andere Musik (die er sich übrigens in Zürich durch viele Aufführungen verschafft hat), und schließlich weiß er, daß Deutschland seine Opern spielt. Welche »Nahrung« fehlt ihm also, welche »Kunst«, – als das eigene Erlebnis seines Theaters? (Man vergleiche damit etwa Schumanns Äußerung über das Lesen von Partituren.)

Wie Wagner, ganz instinktiv, auch im rein Musikalischen als Regisseur denken muß, zeigt ein kleines Beispiel, das ein einziges Wort betrifft. Beethoven hatte den Schillerschen Text: »Was die Mode schwer geteilt« (erste Ausgabe) am Schluß der Neunten frei verändert: »Was die Mode frech geteilt«. Dies änderten wieder manche bei der Aufführung in » streng« (zweite Ausgabe). Als Wagner die Sinfonie zur Grundsteinlegung einstudiert, fragt man ihn bei der Probe: »Singen wir streng oder frech?« Wagner: »Wir singen frech, – aber nur das letzte Mal, – als Steigerung

(Titurel erhebt sich nochmals im Grabe.)


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