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Zeitgenossen

Als Beleidiger empfindet Wagner den, der ihn »nur als Musiker« anspricht. Wirklich ist er im weitesten Sinne Kulturfaktor, ist als Dichter, Philosoph, Politiker hervorgetreten, hat über die bildende Kunst, die er zu seinem Werke nicht entbehren konnte, über Bühne und Schauspiel wichtige Dinge geschrieben. Wir fragen deshalb einige seiner größten deutschen Zeitgenossen – d. h. Kulturfaktoren –, wie sie zu ihm stehen, und zwar die größten Philosophen, die größten Dichter, Historiker, Maler und den größten Staatsmann seiner Zeit.

Schopenhauer, der das Tiefste geschrieben, was über Musik gedacht ward, dem Wagner seine Ringdichtung »in Verehrung und Dankbarkeit« übersendet, schreibt an einen Jünger: »Wohl das eigentliche Kunstwerk der Zukunft: scheint sehr phantastisch zu sein. Habe erst das Vorspiel gelesen. Werde weiter sehen.« Später läßt er Wagner durch einen gemeinsamen Verehrer sagen: er sollte die Musik an den Nagel hängen, und: »Ich bleibe Rossini und Mozart treu.« Dem Jünger schreibt er: »Der ästhetische K. bedient sich gegen Richard Wagner meiner Aussprüche sehr passend und mit großem Recht. Bravo!« In dem ihm dedizierten Exemplar der Dichtung finden sich Glossen: »Es ist infam! – Maulschellierte Moral!«, bis ihm die Geduld reißt und er an den Rand schreibt: »Ohren! Ohren! Er hat keine Ohren, der taube Musikant!«

Nietzsche muß Wagners Werk und Intentionen doch wohl verstanden haben, denn der fast sechzigjährige Meister schreibt dem Dreißigjährigen: »Ich schwöre Ihnen bei Gott, daß ich Sie für den Einzigen halte, der weiß, was ich will!« Man kennt die Entwicklung. Nietzsche hat die Wagnerische Zwischenstufe durchflogen. Wie durch einen hohen steilen Rauchfang ist er, getrieben von seinem Genius, durch diese Dunstwelt in seine Welt emporgezogen. Als er sich umblickte, da mit einem Male sah er: hellere Luft, »Vollkommenheit, das glatte Meer.«

Hebbel, der mit Wagner in Paris und Wien Besuche austauschte: »Ich wage nicht zu entscheiden, ob diese Musik mehr die Seele ergreift oder das Rückenmark schüttelt ,… Den Augen wird die Oper, der dieser Walkürenritt angehört, Erstaunliches bieten, viel mehr als irgendeine von Meyerbeer ,… Was sind Schlittschuhbahn und Sonnenaufgang gegen diese theatralischen Effekte? ,… Das pfeift, zischt, klingelt, rauscht, stürmt, als ob auch die Steine Töne und Summen erhalten sollten, und man wundert sich nur, daß man beim letzten Taktstrich nicht samt dem Komponisten und dem ganzen Theater in die Luft fliegt.« Seine Nibelungen sind die volle Ablehnung nicht nur von Wagners Nibelungen, auch von Wagners Theorie und Welt.

Otto Ludwig: »Sie sollen recht haben, der Mann hat aus sich gemacht, was irgend in seiner Natur lag, doch Sie werden erleben, wie der Rausch, in den er die Jüngeren versetzt hat, notwendig endet. Aus Mozart konnte ein Beethoven herauswachsen ,… Ihr Wagner aber hat die Musik in eine Sackgasse geführt, aus der sobald kein Herauskommen ist.« Ein andermal: »An Wagners Musik verdrießt mich der doppelte Fehler, erstlich, daß seinen Ton- und Akkordfolgen das fehlt, was ich ,… Kausalität oder meinetwegen Logik der Musik nenne, zweitens daß dieser Fehler so recht die Absicht, die bewußte, kalt scheinende Absicht wie ein Horn auf der Stirn trägt, den stoßend, der sie nicht sieht ,… Das Kunstwerk der Zukunft ist nichts als ein ungeheurer Zopf der Gegenwart.«

Böcklin, den Bayreuth vergeblich um Herstellung von Dekorationen gebeten, sollte bei einem Besuche in Wagners Villa am Posilipp von Frau Wagner gewonnen werden. »Er war nämlich,« heißt es in den Böcklin-Erinnerungen, »ein entschiedener Gegner der Auffassung Richard Wagners, daß in der Verbindung dreier Künste erst die einzige höchste Kunst erreicht werden könnte. Mit Recht fürchtete er, daß jede Kunst dabei um ihr Bestes ,… verkürzt werden könnte. Wagner hatte unter anderem verlangt, er solle bei der Dekoration (zum Parsifal) Pflanzen auf Gipfeln malen, wo sie niemals vorzukommen pflegen« Noch schärfer Hans von Marées,der einmal zu Tätlichkeiten gegen Wagnerianer ausholte. – Ferner Gottfried Keller, auf Wagner: »Etwas Friseur und Charlatan« neben manchem Lob..

Gustav Freytag: »Wagner ist in der dringenden Gefahr, durch zu starke Benutzung der Kontraste ermüdend, durch gesuchte Originalität des szenischen Arrangements abenteuerlich, durch die Wahl seltsamer Stoffe barock und, was die Hauptsache ist, durch unrichtige Verwendung der musikalischen Mittel lächerlich zu werden.«

Jakob Burckhardt, in Briefen: »Daß in Paris überall Richard Wagner einreißt, ist ein Zeichen vor dem Ende ,… Vielleicht schon in zehn Jahren mag diese Erker, Voluten, Obelisken usw. weder Hund noch Katze mehr fressen, und mit der Wagner-Musik könnte es ebenso gehen ,… Der Maestro defunto hatte enorm viel orchestrales Wissen, auch verrät er (unwillkürlich, versteht sich) tiefe Kunde von Weber, Beethoven. Was er aber gar nicht verrät, ist irgendein Funke von eigenem Schönheitssinn ,… Ein stocktauber Mensch wird, als dernière ressource, von einem guten Freund in eine Wagnerische Oper mitgenommen und genest im vierten Akt, aber dafür war im fünften Akt der gute Freund taub geworden« Strindberg nannte ihn den musikalischen Vertreter des Bösen..

Grillparzer:

»Erscheint Freund Wagner wieder auf der Bühne?
Ein magerer Geist in einer Krinoline!«

Bismarck – der Musik hingegeben – schrieb, als Dank für das Gedicht, das Wagner ihm persönlich nach Versailles sandte: »Ich danke Ihnen, daß Sie dem deutschen Heere ein Gedicht gewidmet und daß Sie mir dasselbe haben überreichen lassen.« Folgt das denkbar eingeschränkteste Kompliment für seine Opern: »denen ich von je ein lebhaftes, wenn auch zuweilen mit Neigung zur Opposition gemischtes Interesse zugewandt.« Später besucht ihn der Meister. Wagner äußert: Bismarck habe ihm sehr wohl gefallen, sie könnten sich aber nur, jeder in seiner Sphäre, gegenseitig beobachten. Bismarck äußert: er sei doch selbst nicht frei von Selbstbewußtsein, aber ein solches Maß, wie Wagner habe, sei ihm bei einem Deutschen noch nicht vorgekommen.

Hierauf wendet sich Wagner an ihn um Unterstützung Bayreuths durch das Reich, in einem langen Briefe, den ein Aufsatz begleitet. Bismarck antwortet nicht. Darauf »setzte ich meine Werbung durch eine brieflich sehr ernstlich motivierte Bitte, wenigstens die zwei letzten Seiten meiner Broschüre einer Durchlesung zu würdigen, unentmutigt fort.« »Muß mich jeder weitere Versuch, Eure Durchlaucht durch Überredung zu jener Kenntnisnahme zu bewegen, ebenso unschicklich als unnütz dünken, so wünsche ich, mit diesen Zeilen zunächst einzig nur die mögliche Belästigung durch meine Zusendung entschuldigt zu haben. Mit unbegrenzter Verehrung tief ergebener Bewunderer ,…«

Auch dieser Brief blieb ohne jede Antwort. Selbst als der Kaiser nach Bayreuth ging, schwieg der Kanzler. –

Wie heißen nun die Deutschen gleichen Ranges, die ebenso lebhaft für Wagner eingetreten wären, als diese Galerie berühmter Zeitgenossen gegen ihn?

Von Musikern ist hier nicht die Rede. Sie waren an dem Problem zu unmittelbar beteiligt: Liszt und Bülow mußten Wagners Verehrer, Brahms und Schumann mußten seine Gegner sein.

Beinah die einzige genialische Natur, die Wagner unter seinen deutschen Zeitgenossen dauernd zufiel, war König Ludwig. Dabei ist es unwesentlich, daß er später geisteskrank wurde, wichtig aber, daß er neunzehn Jahre war, als er sich Wagner erkor. »Sie wissen nicht, daß Sie mir alles sind, waren und sein werden, bis in den Tod, daß ich Sie liebte, ehe ich Sie sah ,… Wie brenne ich vor Sehnsucht nach ruhigen, weihevollen Stunden, die es mir vergönnen werden, das lang entbehrte Antlitz, das teuerste der Erde wiederzusehen.« Dies ist, bis in die sprachlichen Wendungen hinein, der Ausdruck aller Wagnerischen Helden, der Ausdruck eines aufs höchste exaltierten Geistes.

Denkt man an die suggestive Kraft der Wagnerischen Kunst, so wirkt im Grunde nur erstaunlich, wie die besten geistigen Führer der Nation mit solcher Einmütigkeit sich seiner erwehrten. Meyerbeer hat es in dieser Richtung weiter gebracht, er blendete die beiden größten Dichter seiner Zeit: Balzac wurde von Robert dem Teufel über jedes Maß entzückt, und Goethe wünschte nichts sehnlicher, als daß Meyerbeer den Faust komponierte.


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