Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Mathilde, eine Harmonie

»Endlich! Und zwei Seelen brächten solchen Gruß sich durch die Welt, wie aus hohen Sommernächten Stern zu Stern vom Himmel fällt.«

Dehmel

Doch einmal schwieg der Krampf. Einmal zeigte das Geschick Wagner die Bahn zur Harmonie. Einmal lud es ihn in die Gärten des Mondlichtes ein, zum Schweigen, zum Lauschen, zur Musik. Und wirklich stand er eine kurze Weile still und schuf daraus dies eine Mal ein Werk der Harmonie. Dann ging er zögernd fort, noch blickte er sich um, wieder und wieder. Plötzlich lief er mit schnellen Sprüngen in seine Welt zurück.

Das Reinste, was ihm je begegnet, Symbol der anderen Welt, der immer fremden, krampflos, natürlich, selbstvergessen: Mathilde zog ihn eine Weile zu sich auf, mit sanfter Freiheit entlockte sie ihm sein edelstes Wort. Dann mußte er in seine Sphäre niedersinken.

Zwei Jahre, ehe sich dies eigentlich zutrug, spürte es Wagner voraus. An Liszt, im Jahre 54: »Da ich nun aber doch im Leben nie das eigentliche Glück der Liebe genossen habe, so will ich diesem schönsten meiner Träume noch einmal ein Denkmal setzen, in dem vom Anfang bis zum Ende diese Liebe sich einmal so recht sättigen soll: ich habe im Kopfe einen Tristan und Isolde-Entwurf, die einfachste, aber vollblütigste Komposition. Mit der schwarzen Flagge, die am Ende weht, will ich mich dann zudecken, um zu sterben.« Damals nannte er Mathilde noch »ein weißes Blatt, das ich sehr gern beschreiben möchte«.

Als es vier Jahre später zur gewaltsamen Trennung kam, schildert er, wie Mathilde Wesendonk, »erst zögernd und schüchtern, dann aber immer bestimmter und sicherer« sich ihm näherte. Nie hätten sie an eine Vereinigung gedacht. Darum hätte ihre »tiefe Neigung den traurig-wehmütigen Charakter gewonnen, der alles Gemeine und Niedere fernhält«. Erst als er den Tristan gedichtet, »da zum ersten Male wurde sie machtlos und erklärte mir, nun sterben zu müssen ,… Somit resignierten wir, jedem selbstsüchtigen Wunsche entsagend, litten, duldeten und – liebten uns.«

Am Jahrestage der Vollendung dieser Dichtung erinnert er Mathilde: »Du geleitetest mich nach dem Sofa, umarmtest mich und sagtest: Nun habe ich keinen Wunsch mehr. An diesem Tage, in dieser Stunde wurde ich neu geboren. Bis dahin ging mein Vorleben: nun begann mein Nachleben. In jenem wundervollen Augenblicke lebte ich allein. Du weißt, wie ich ihn genoß? Nicht aufbrausend, stürmisch, berauscht, sondern feierlich, tief durchdrungen, mild durchwärmt, frei, wie ewig vor mich hinschauend. Bis dahin war alles Verneinung, schmerzlich war selbst mein Kunstschaffen. Denn es war Sehnsucht, ungestillte Sehnsucht, für jene Verneinung, jene Abwehr – das Bejahende, Eigene, Sich-mir-Vermählende zu finden. Jener Augenblick gab es mir, mit einer so untrüglichen Bestimmtheit, daß ein völliger Stillstand sich meiner bemächtigte. Ein holdes Wesen, schüchtern und zagend, warf mutig sich mitten in das Meer der Schmerzen und lebte, um mir diesen herrlichen Augenblick zu schaffen, mir zu sagen: ich liebe dich! ,… Nun war der sehnsüchtige Zauber gelöst. Und dies eine weißt du auch, daß ich seitdem nie mehr in Zwiespalt mit mir war ,… Alle Bitterkeit war mir geschwunden.«

Etwas später: sie allein hätte ihn »erlöst und mir jenen heiligen Stillstand gewonnen, von dem nun mein Leben eine andere Bedeutung erhalten hat ,… Die Welt ist überwunden«.

Wer ist die wunderbare Frau, die dem wollüstigsten Manne so tiefe Worte entlockt, ohne sich ihm hinzugeben? Die Harmonie in dieses Herz geleitet, das siebzig Jahre sich selbst verzehrt, das zuckend in Verlangen nach Welt, nach Wirkung, nach Ekstase brannte, und nie gesättigt eine Entsagung pries, die ihm ganz fremd war? Warum verschleiert man ihr Bild, statt es aus ihren Briefen, die Wagner sicher nicht zerstörte, sich selbst beleuchten zu lassen?

Durch ihre Züge sprechen sie alles aus. Wer ihr Bild mit Ruhe neben Wagners hält, begreift ihn ganz. Um sie zu begreifen – muß man die Partituren seiner Werke neben ihrem Bildnis häufen. Dies und die wenigen Briefe, die man von ihr kennt, führen uns in die Welt der zartesten Natur, vornehm, verschwiegen, unbefangen, von der wundervollen Schönheit jener Frauen des späten Venedig, einen Südwind der Leidenschaft im Herzen, der sich stets rasch geglättet haben mag. Sie zeigt in allem Wagners Gegenwelt.

Immer lebt sie mit der Natur, ihre Briefe sind davon voll. Mit plötzlicher, mit größter Energie, da sie den Genius in ihrer Nähe wittert, dringt sie in ihren Gatten, versteht die Eifersucht zu sänftigen, erreicht, daß er ihn auf seinem Lande, neben seinem Hause wohnen läßt. Freilich, auf den tiefsten Ausdruck ihrer Neigung kann man nur schließen: ihre sämtlichen Briefe grade aus jenen Jahren fehlen. Nur daß sich die Enttäuschung, die später ihrer sich bemächtigt haben muß, in kleinsten Zügen jener späteren Briefe spiegelt, hat man in Bayreuth wohl übersehen. Denn nach dieser Erschütterung ihres Lebens war auch ihr Geist, von Jugend auf bewegt, kritischer geworden.

Und doch hatte Mathilde das Glück, das Beste dieses Geistes zu genießen, ohne mit ihm zu leben. Dies Ephemere, dies Vorüberfließen ihrer Neigung paßt ganz zu jener Trauer, die sich von Anfang an darüber senkte. Welche Erniedrigung und Qual, wenn sie sich dauernd verbunden hätten! Banal, mit Mann und Frau und Kindern zu erklären, daß sie es nicht getan. Sie spürten es, zum mindesten Mathilde, aus welchen inneren Gründen sie entsagten. Ist nicht das Unerhörte geschehen, daß Wagner eine Frau, die ihn umarmte, daß Wagner diese Frau nicht nahm? Daß er zum ersten Male nicht »aufbrausend, stürmisch, berauscht« war? Hier, in dieser einzig freiwilligen Entsagung, die Wagner einer Leidenschaft entgegentrug, liegt der Schlüssel zu allen großen Schönheiten des Tristan. Jeder andere Künstler kann und konnte aus dem erlebten Rausch, aus der erlebten Lust die reichsten und die reinsten Lieder bilden. Nur dieser Wagner nicht, der sich von Sucht zu Sucht verzehrte, dessen Sinne durch fünfzig Jahre nach Erlösung schmachteten, weil er sich nie erlösen wollte, sondern in einer Wolke begehrender Wollust stöhnend verging.

Hier, endlich, schwelt nicht mehr gedämpftes Feuer, hier rieselt blaues Licht. Den »Augenblick« hat er besessen, den »völligen Stillstand« gefühlt. – Nach diesem Augenblicke kann er nur wieder sich selber fühlen. In allen diesen Tagebuchbriefen aus Venedig gedenkt er ihres Leidens doch fast nie. Wie er gelitten, »so tief, so schrecklich wie nie zuvor im Leben«, das beschreibt er ihr, spricht von seinen Erschütterungen, seinen erbleichten Haaren, seiner Unrast. Gewiß, er schwört: »Leben für andere. Laß mich nun auf den Trümmern dieser Welt des Sehnens – dich beglücken!« Doch wie fängt er das an? Er würde nur kommen, wenn er heiter wäre. »Siehst du mich daher längere Zeit nicht mehr, so – bete für mich im stillen, denn dann wisse, daß ich leide.« (Wagners Form des Altruismus.) Als sie ihr Kind verliert, hat er keine Worte für sie als: » Ich kann mit dir leiden und trauern. Könnte ich etwas Schöneres tun, wenn du leidest und trauerst?« (Woran er die Mitteilung schließt, daß er vor Ergriffenheit über die Nachricht nicht arbeiten konnte.)

Das Tragische an diesem Verhältnis mußte zunächst Wagners Geist schmeicheln. Bald aber wandelt er sich, wie alles, auch dies in blühende Seligkeit um: »Laß uns heilig dahinsterben, mit ruhig verklärtem Blick und dem seligen Lächeln schöner Überwindung. Und – keiner soll dann verlieren, wenn wir – siegen!« Ein andermal, mitten in stürmischen Zeilen: »Laß mich jetzt abbrechen! Nicht um Ruhe zu suchen, sondern um der Wonne meines Schmerzes bis zum Ertränken mich zu übergeben!«

Auch jetzt tritt noch die schauspielerische Allüre mitten in die ergriffenste Sprache. »Was ich als Dichter geträumt, mußte mir einmal so wundervoll wahr werden: auf den gemeinen Boden meines Daseins mußte dieser zart belebende und verklärende Wonnetau einmal fallen. Ich hatte es nie gehofft, und nun ist es mir, als hätte ich es doch gewußt.« Und fährt fort: »Nun bin ich geadelt. Ich habe den höchsten Ritterschlag erhalten ,… Jeder Zoll an mir ist nun frei und edel.«

Wirklich, er ist verändert. Wirklich scheint er nun mit der Welt zu harmonieren. »Die Welt ist mir nun keine Feindin mehr.« Er sehne sich nicht mehr nach einsamem Asyl, sondern er wolle beruhigt und gestärkt in der Welt leben. »Dieser ruhigen Tendenz, der Frucht unendlicher Kämpfe gegen dieselbe, und endlich meiner Erlösung durch deine Liebe folgend, werde ich vermutlich einmal meinen Wohnort dort bestimmen, wo mir reiche Kunstmittel zu Gebote stehen, um deren Beschaffung ich mich nicht erst bemühen muß – denn dafür ist mir das Spiel nicht mehr ernst genug! – so daß ich nach Lust und Laune periodisch meine Arbeiten in erträglichen Aufführungen mir vorführen kann.«

Dies alles aber sind Worte aus Venedig, wohin er aus seinem Asyle floh. Nicht erstaunlich ist es, daß der Künstler sein Erlebnis durch Gestaltung verwinden wollte. So muß man ohne Groll zuhören, wenn er, schon vier Wochen nach seiner Abfahrt, während der Arbeit schreibt: »Wir werden siegen, – wir sind schon mitten im Siege.«

Erstaunlich aber ist bei diesem Charakter: die Dauer der Wirkung, weit über die Zeit der Gestaltung hinaus. Schon dies – wenn nicht das Werk bestünde, das gänzlich einsam zwischen Wagners Werken steht – schon dies wäre ein Zeichen, wie ohne Beispiel war, was ihm geschah.

Denn als er ein Jahr später nach Paris geht, laufen seine Briefe an Mathilde weiter, drei Jahre lang, und gerade diese sind die schönsten Dokumente aus Wagners ganzem Leben! Hier ist zuweilen der natürliche Ernst, hier schweigt der Schauspieler, hier sinkt der Wirkungsdrang in sich zurück, der Wille zum Theater wird von ihm selbst verdächtigt, hier rauscht ein Unterstrom von Harmonie.

»Erst meine letzten Lebensjahre« – schreibt er nun, sechsundvierzigjährig – »haben mich wirklich zum Manne gereift. Ich fühle mich in voller Harmonie mit mir: und so bald es das Wahre gilt, bin ich stets sicher und einig mit meinem Willen. Dem eigentlichen Leben gegenüber lasse ich mich getrost von meinen Instinkten leiten: mit mir wird etwas gewollt, was höher ist als der Wert meiner Persönlichkeit ,… Da sorgt der wunderbare Genius, dem ich für diesen Lebensrest diene, und der will, daß ich vollende, was nur ich vollenden kann. So ist eine tiefe Ruhe in mir ,… Ich bin, was ich sein kann. Dank Ihnen, Freundin!« Wo, im Verlauf von fünfzig Jahren, finden sich bei Wagner solche Worte?

Sogar der tiefste Trieb in ihm, sein Wille zur Wirkung ebbt zurück. Ihn mahnen höhere Aufgaben. So stellt er sich die Alternative, Geld zu verdienen »oder – ich entsage der Möglichkeit, meine Werke je zu hören und je somit der ganzen Welt zu erschließen. Es ist ein Opfer, und doch – vielleicht ist es, was meinen Genius dabei betrifft, wohl nur ein lockendes Wahnbild: denn deutlich sagt mir die Stimme, daß ich nie zu Genuß und Befriedigung durch die Aufführungen meiner Werke gelangen werde und immer eine geheime Qual übrig bleiben wird ,… Dann, o welch wonniges Bild dämmert mir dann auf! Zuerst: völlige, gänzliche persönliche Armut.« Bei einer Familie zu leben, seine letzten Werke zu schreiben: »das – das wäre mein Wunsch und meine feste Wahl, wenn ich zu wählen hätte! Der Ausfall meiner Wahl wird zeigen, was nötiger war.«

Jetzt scheint er zuweilen krampflos, klar, jetzt fühlt er sogar die Natur. Von seinem Geburtstag im Jahre 60 schreibt er ihr: »Im Bett erbrach ich heute früh Ihren letzten römischen Brief und schaute, was er enthielt. Maurice kam wieder, um mir das Bad anzukündigen: er fand mich in Tränen gebadet und zog sich schweigend zurück. (Regisseur.) – Mein Kind, die Götter ehrten mich gestern mit dem schönsten Tag dieses Jahres: nie war es so vollkommen heiter und klar geworden. Zum ersten Male grüßte mich gestern ,… ein ganz reiner Himmel und dazu ein erquickender Ostwind ,… Was ich sonst nur im erhabenen Affekt kannte, ward mir diesmal zum stillen, klaren Triebe: mich durch eine anderen zugewandte edle Neigung zu erfreuen.« Man könnte den fehlenden Brief jener Frau rekonstruieren, der solche Stimmungen in einem solchen Charakter erregte.

Im nächsten Jahre: »Welcher Unstern hat mich um mein einzig würdiges Asyl gebracht? ,… Glauben Sie, was Sie auch anders lautend erfahren sollten – als ich jenes Asyl verließ, war mein Stern dem Untergang geweiht; ich kann nur noch fallen! Nie – nie lassen Sie eine andere Meinung aufkommen! Halten Sie daran einzig fest! ,… Vergessen Sie es nie! Dies wollte ich Ihnen noch sagen: o, prägen Sie es sich recht ein!« Das schreibt kein Liebhaber, sondern ein Mann im Wirbel der Welt, der seine Freundin zwei Jahre lang nicht gesehen und der sie nie besessen hat. Er fühlt: Bald geht es weiter, sie wird es merken – und nie mehr wird es wie heute sein.

Sie fühlt es mit, sogleich. Bald darauf teilt er ihr den Fortgang seiner Dichtung, seine Absichten mit, – in Wahrheit aber wolle er nur für die Aufführung des Tristan leben und dann sterben. »Daß ich den Tristan geschrieben, danke ich Ihnen aus tiefster Seele.« Auf diesen langen, nicht mehr ganz taktvollen Brief erwidert sie: »Haben Sie Dank, für Ihren lieben Brief, der mir doch wenigstens Ihre Handschrift brachte, wenn ich auch nicht ganz die frühere erhabene Stimmung darin erkannte.«

Und noch im Jahre 63, vier Jahre nach der Zeit ihres Zusammenlebens, schreibt der Fünfzigjährige an eine gemeinsame Freundin: » Ein Mensch wenigstens muß wissen, wie es mit mir steht. Drum sage ich Ihnen: sie ist und bleibt meine erste und einzige Liebe! Das fühle ich nun immer bestimmter. Es war der Höhepunkt meines Lebens: die bangen, schön beklommenen Jahre, die ich in dem wunderbaren Zauber ihrer Nähe, ihrer Neigung erlebte, enthalten alle Süße meines Lebens ,… Was auch Berauschendes und Schmerzliches das Leben an uns vorüberführen mag; ja, jetzt erst weiß ich, daß ich nie aufhören werde, sie einzig zu lieben.«

Es schließt. Nun fühlt er das Schaukeln des Lebens, wie es ihn von neuem erfaßt: eine kurze Weile des Überganges. Dem Gelde nach, dem Ruhme nach reist er nach Petersburg, nach Wien: doch scheint er nicht recht daran zu glauben. Er schreibt ihr schöne Briefe, die das Tiefste verschweigen. »Es ist, das fühle ich, der letzte Kampf, der letzte Krampf! Dann laß ich die Hände sinken und gebe den Rossen den Lauf: wohin sie wollen. Nie werde ich mich mehr um mein Leben bekümmern, als dies eine Mal noch!«

Und in diesem Augenblicke geschieht das Schlimmste, was einer Wagner-Natur geschehen kann: plötzlich überfällt ihn die Erfüllung aller seiner Wünsche.


 << zurück weiter >>