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Isolde, eine Harmonie

Alle seine Werke hat Wagner gewollt, eines ist zu ihm gekommen. Alle wollen etwas beweisen, ein Beispiel sein, eines ist um seiner selbst willen da. Bei allen Werken ist ihm »das Herz in das Hirn getreten«, es sind Theaterstücke mit Musik, eines ist ganz Gefühl, beinahe absolute Musik.

Nach dem Prinzip des pro domo machte Wagner aus seinem schmerzlich empfundenen Mangel ein typisches Erlebnis, aus seiner ars resignanda das Gesetz: »Da zeigt es sich (bei Shakespeare), wie töricht es ist, anzunehmen, daß der Dichter aus dem eigenen Leben schöpfe: eine Leidenschaft, in welcher man steckt oder gesteckt hat, die kann man nicht schildern ,… Das innerliche Schauen des Dichters hat nichts mit den äußeren Erlebnissen zu tun, die es nur trüben können, – so daß er dasjenige, was man im Leben nicht findet, im künstlerischen Bilde sich darbietet!«

Immer ist die unerlebte Leidenschaft von stumm vor sich hinlebenden Künstlern gestaltet worden, am tiefsten von Beethoven. Man kennt den platonischen Grund. Wagner aber, ganz der Welt geöffnet, ganz auf Wirkung gestellt, schilderte nur scheinbar das Unerlebte, in Wahrheit immer nur seine Unfähigkeit, zu erleben. (Gehemmte Vitalität, Schwüle.) Banal, zu sagen, der Künstler dichte immer seine Sehnsucht.

Wagners Stoffe konnten mit den wechselnden Situationen seines Lebens nicht harmonieren. Nach dem Durchfall des Tannhäuser dichtet er in Paris in dunkelster Stimmung die Meistersinger, während des Idylls in Triebschen komponiert er die Tragik der Götterdämmerung, zwischen Intrigen und aufsteigendem Gewitter dichtet er in München Parsifal.

Tristan ist das einzige Werk, das aus dem Erlebten unmittelbar und ohne Pause empfangen wird und wieder dargestellt. Folge: alle Umstände der Arbeit sind hier anders als bei allen anderen Werken.

Sonst schleppt sich Wagner jahrelang mit Entwürfen oder zwischen Dichtung und Musik oder zwischen Skizze und Instrumentation. Tristan, anfangs Juli 57 noch nicht begonnen, ist Mitte September fertig gedichtet, fast ganz in der heutigen Form. Zwischen Oktober 57 und Juli 59, also in einunddreiviertel Jahren, wird die ganze Musik gemacht, mit vollständiger Instrumentation in der heutigen Form, nur ganz wenige Stellen der Stimmführung im zweiten Akt wurden später geändert. Das ganze Werk von der ersten Zeile bis zur letzten Note beansprucht also zwei Jahre.

Bei den meisten Werken kann er trotzdem voraus bestimmen, wieviel er in einer Woche, in einem Monat arbeiten wird. Ohne Hemmung rinnt die Produktion, gewissermaßen endlos wie die unendliche Melodie. Nur beim Tristan schreibt er, sein Verleger sei sehr ungeduldig, aber trotz der Vorschüsse »kann ich vor Ende Dezember nicht daran denken, ihnen den zweiten Akt zuzuschicken. Ich kann nicht anders, als nur in allergünstigster Stimmung an so etwas arbeiten.« Eine andere Äußerung, ohne Analogon: käme jetzt die Amnestie (die er seit zehn Jahren betreibt), so könnte sie ihn nur in Verlegenheit setzen. »Keine Aussicht, den Lohengrin aufzuführen, könnte mich bestimmen, meinen jetzigen Aufenthalt vor dieser Vollendung zu verlassen.« Ja, er versichert in dieser einzigen Stimmung sogar, der Grund seines Nochlebens liege »lediglich in dem unwiderstehlichen Drang, eine Reihe von Kunstwerken, die in mir noch Lebenstriebe haben, zu vollenden«, wogegen er »die Aussicht auf die Aufführung derselben wirklich ganz und gar entbehren kann«. Wir zeigten, wie solche Vorsätze starben, als seine Neigung starb und ihre Wirkung.

Vereinzelt steht hier auch der Fall, daß Wagner fremde Anregungen aufnimmt. Er hat Mathildens fünf Gedichte in seinen Noten als Studien zu Tristan und Isolde bezeichnet, »Träume« enthält die Musik der Liebesnacht, »Im Treibhaus« die Einleitung zum dritten Akt. Und, ganz allgemein, geschieht das Unglaubliche: Wagner, der »gegen Gedichte auf alle Fälle« ist, der nie ohne dramatischen Stützpunkt komponieren konnte, Wagner komponiert Lieder als Kern für ein Drama und schreibt ganz richtig: »Besseres als diese Lieder habe ich nie gemacht, und nur sehr weniges von meinen Werken wird ihnen zur Seite gestellt werden können.«

Das Erstaunlichste: Wagner dichtet und komponiert ohne jeden Willen zur Wirkung. Er unterbricht zwar den Ring, um »ein seiner szenischen Anforderungen und seines kleineren Umfanges wegen leichteres und eher aufführbares Werk zu liefern«. Aber grade da sieht man, wie es ihm hier endlich nicht um Reformen zu tun ist, auch nicht um das Überlebensgroße; er braucht kein Festspielhaus, keine Dekorationen, Dämpfe, Pferde und Brücken. Er will nur Musik. Das Drama wird ihm Mittel, und er hatte doch seine neue Lehre dahin formuliert: daß das Drama von jetzt ab nicht mehr Mittel bleiben, daß es Zweck werden sollte.

Aus Venedig: »Meine idealen Forderungen sind gegen früher noch weit gestiegen.« Später: »An dieses Werk nun erlaube ich, die strengsten, aus meinen theoretischen Behauptungen fließenden Anforderungen zu stellen ,…, weil ich hier endlich mit der vollsten Freiheit und mit der gänzlichsten Rücksichtslosigkeit gegen jedes theoretische Bedenken in einer Weise mich bewegte, daß ich während der Ausführung selbst inne ward, wie ich mein System weit überflügelte

Das heißt: er läßt es unberührt. Wagner wird, was er nie vorher und nie nachher war: eine Art absoluter Musiker. »Die Musik fließt mir wie ein sanfter Strom aus dem Geiste.« Eine neue Wendung! War es nicht immer sonst »Exaltation«, »Superlativ«, »Verschmelzung aller Gaben im Affekt?« Noch im Alter gedenkt er dieser einzigen Stimmung: »Es war in mir das grenzenlose Bedürfnis, musikalisch zu schwelgen, mich musikalisch auszurasen. Wie wenn ich eine Sinfonie geschrieben hätte!« Ein andermal, ein Jahr vor dem Tode: aus einer ähnlichen Stimmung, wie seiner jetzigen, da er Sinfonien plane, wäre der Tristan entstanden, da er sich damals nach instrumentaler Komposition sehnte.

Einmal nennt er das Werk einen Traum, den er zum Klingen gebracht hat. Ein andermal, sehr schön, »das tönende Schweigen«. Und was er aus Paris an Mathilde schrieb, ist genau das, was jeder Gegner seiner Welt nach jeder Aufführung des Tristan sich wieder sagt: »Tristan ist und bleibt ein Wunder! Wie ich so etwas habe machen können, wird mir immer unbegreiflicher; wie ich es wieder durchlas, mußte ich Augen und Ohren weit aufreißen!« Ein anderes Mal: »Mir ist recht deutlich, daß ich nie etwas Neues mehr erfinden werde; jene eine höchste Blütezeit hat in mir eine solche Fülle von Keimen getrieben, daß ich jetzt nur immer in meinen Vorrat zurückzugreifen habe.« Das ist wörtlich in Erfüllung gegangen, denn auch die Meistersinger hat er im unmittelbaren Eindruck dieses Erlebnisses gefunden.

Aber hier allein, beim Tristan, hat er das wahr gemacht, was er hier allein sich selber zugerufen: »Dämon, werde Gott! ,… Dämon Dämon! Werde Gott!«


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