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Glück

Dem Weltgewandten kommt das Glück entgegen, es errät ihn auf halbem Worte. Auch tut es nichts, was in der Welt nicht täglich alle tun: es zahlt. So ungeheuren Aufwand von Kraft bezahlt es am Ende. Vollends beim Künstler ist immer nur die Frage: Kommt es früh oder spät? Kommt es – als Erfolg – schließlich noch zur rechten Zeit?

Von Wagner haben die Seinen eine Leidenschaft für den tragischen Helden geerbt. (Sie verwechseln ihn mit Rembrandt.) Seine Biographien sind voll von Hinweisen über die tragische Erscheinung des verkannten Genies mitten in diesem verständnislosen Jahrhundert. »Glücklich das Genie,« rief er selbst in seiner Jugend aus, »dem nie das Glück lächelte! Es ist sich selbst so ungeheuer viel. Was soll ihm das Glück noch sein?« Sieht man genauer hin, so stellen sich diese sehr schönen Worte als eine der bekannten prodomo-Theorien heraus: denn damals ging es ihm schlecht.

Unmittelbar darauf kaufte ihm die Große Oper in Paris seinen Holländer-Entwurf ab, den sie einem anderen Komponisten gab; rasch setzte sich Wagner hin, arbeitete die Dichtung außerdem selbst aus und errang den großen Erfolg. Dreißigjährig machte er mit Rienzi die größte Furore, er war mit einem Schlage berühmt. Gleich darauf Holländer: im Laufe von zehn Wochen werden seine beiden Opern an der besten deutschen Bühne mit glänzendem Erfolg gegeben. Wagner wird Hofkapellmeister mit einem der höchsten, damaligen Gehälter. Bald darauf wird Tannhäuser, den er im April beendet, unmittelbar nach den Ferien, im Oktober gespielt, findet großen Beifall. Rienzi und Tannhäuser kommen auf die größten deutschen Bühnen, auf viele Provinztheater, werden populär, noch als der Komponist in Deutschland lebt.

Es folgt der größte Glücksfall seines Lebens: die Verbannung.

Schon die Umstände der Flucht: Von drei zusammen verfolgten Revolutionären werden zwei gefangen (Bakunin, Heine), zum Tode verurteilt, zu Zuchthausjahren begnadigt; Wagner allein entkommt, mit falschem Paß, den ihm Liszt verschafft. Am Abend vor der Flucht hört er eine Probe des Tannhäuser, die Liszt in Weimar abhält. »Durch dieses seltensten aller Freunde Liebe gewann ich in dem Augenblicke, wo ich heimatlos wurde, die wirkliche, langersehnte Heimat für meine Kunst.«

Was bedeutet diese Verbannung für Wagner?

»Mit nichts kann ich das Wohlgefühl vergleichen, das mich durchdrang, als ich mich frei fühlte, frei von der Welt marternder, stets unerfüllter Wünsche, frei von den Verhältnissen ,… als mich, den Geächteten und Verfolgten, keine Rücksicht mehr band.« Denn als er dieser Gegenwart laut seine Verachtung zurufen konnte, »da fühlte ich mich zum ersten Male in meinem Leben durch und durch frei, hell und heiter, mochte ich auch nicht wissen, wohin ich den nächsten Tag mich wenden sollte, um des Himmels Luft atmen zu dürfen.« Er spielt den Parricida. Sonst aber deutet er hier tiefste Wahrheit an. Denn was konnte diesem oppositionellen, reformatorischen Geiste Glücklicheres begegnen, als ein vollkommener Widerstand? Was hätte ein Charakter voll krampfhafter Hemmungen, doch ohne bürgerliche Hemmung, was hätte dieser Mann, der sich ein Leben lang zwischen Weltlichkeit und Weltverachtung aufgerieben, inmitten dieser Welt als königlicher Kapellmeister getan?

Wie eine Gnade von oben kam diese Verbannung genau zu der Zeit und genau in der Form, die einzig diese völlig anarchische Seele zwingen konnte, zu ihrem eigenen Heile fortzugehn! Im steten Erfolg, wie er ihm sieben Jahre lang zuteil geworden, wäre der Wollüstige, der Wirkungsgierige geschmolzen zwischen Sinnlichkeit und trüber Macht. Wie er später in der Zeit der Erfüllungen schrittweise zurückwich: es zeigt den Weg, den er in jenen besten Mannesjahren schon beschritten hätte, hätte ihn nicht weise Vorsicht verbannt. Wie vollends später, aus neuem Boden, der ewig an sich Gläubige Hoffnungen einer erneuten fruchtbareren Tätigkeit entfaltete, das gibt das Epigramm dieses neuerungssüchtigen Geistes.

Hier ist noch nicht die Frage, ob jene »neue Richtung«, die nun der Ungehemmte einschlug, segensreich: nur ob sie für ihn glücklich war. Auch daß er »Deutschland« nicht entbehrte, soll später erwiesen werden.

Man kann einwenden: grade weil er nicht absoluter Künstler war, weil er die sichtbare Wirkung brauchte, mußte er draußen Mangel leiden. Aber zeigten wir nicht zuvor, wie Wagner stets den Krampf des Wirkungswillens in sich schürte? Wie dieser Krampf mit seinen innersten Anlagen korrespondierte und wie er selbst ihn als Symbol seines Lebens ansprach? Gib einer Mondnatur die Sonne, sie wird nicht wachsen.

Grade die nie verstummende Klage, die bald dem ersten Ruf der Freude folgte, erweist am besten, wie dieses Schicksal diesem Manne adäquat war.

Zudem hat er, rein empirisch, seinen Willen zur Wirkung auch im Ausland genug gestählt. Erst fühlte er sich, wie überall, auch in Zürich »sehr wohl, und nach meiner Wahl möchte ich in der ganzen Welt nicht anderswo leben als hier«. Dann knüpft er gleich neue Verbindungen an. Diese führen später zu dem großen Musikfest, wo er »sich« Teile seiner Opern vorführt. Rasch waren die nötigen 9000 Franks von Verehrern gesammelt, Musiker aus allen Gegenden berufen, hundertfünfzig Sänger zur Verfügung. Es endete mit Sturm, Gedichten, Kränzen, mit Becher, Ehrendiplom, Fackelzug. Wer sind die Künstler, die sich solche Stimulantia in der »Verbannung« schaffen?

Es folgt die Aufführung des Holländer im Züricher Theater. Es folgt die glücklichste Epoche, in der Villa Wesendonk, ein Jahr. Dann geht er wieder nach Paris.

Hier gibt er, um Boden zu gewinnen, drei große Konzerte, ähnlich wie in Zürich, mit Wagner-Programmen. Vorzügliche Sänger, erstes Orchester, Sensation. Die deutsche Gesandtschaft tritt für ihn ein, die Fürstin Metternich erzählt es dem Kaiser. Sofort befiehlt der Kaiser die Aufführung des Tannhäuser. Wagner als Herr der Großen Oper. »Noch nie ist mir das Material zu einer ausgezeichneten Ausführung so voll und unbedingt zu Gebote gestellt worden.« Ein »wirklich kaiserlicher Befehl« habe ihn zum Meister alles Materials gemacht, Schutz gegen jede Intrige ihm geboten. »Der bestmöglichen Sänger bin ich versichert (man engagiert einige ad hoc), für jeden Zweig der Ausstattung herrscht ein Eifer und eine Sorgsamkeit, an die ich von Deutschland her wenig gewöhnt bin.« Folgt die Katastrophe, von deren inneren Gründen oben die Rede war. Ganz abgesehen davon, daß auch dieser Theaterskandal zu berühmt wurde, um nicht indirekt dem Künstler zu nutzen, fragt man sich: Wenn es wahr gewesen, was Wagner zehn Jahre lang beteuert: er wolle nur seine Opern einstudieren, um sie selbst zu hören, welches Vollkommenere konnte er erlangen, als diese Darstellung auf der ersten Bühne der Welt?

Ein Jahr später: Erlaubnis zur Rückkehr nach Deutschland. Sofort erlebt er zwei größte Triumphe: in Weimar, wo Liszt ihn von der Tonkünstlerversammlung wie einen König begrüßen läßt; in Wien bei Aufführung des Lohengrin, nach der er eine gerührte Dankrede von der Bühne aus hält; wenige Tage darauf beim Holländer.

Nun gibt er die Ringdichtung heraus, erklärt im Vorwort seine Pläne für ein Festspielhaus und schließt: ein deutscher Fürst wäre der Geeignetste, ein solches Haus und solches Spiel zu gründen. Die letzten fünf Worte lauten: »Wird dieser Fürst sich finden?« 1862.

Zwei Jahre darauf schließt König Ludwig diese Glückskette zweier Jahrzehnte.

Und nun folgen zwei neue Jahrzehnte, an Erfüllungen so überreich, daß sie nur um der Frage willen: wie sein Charakter darauf reagierte, uns weiter unten beschäftigen sollen.


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