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Konkurrenz

»Das sicherste Zeichen, mit großen Eigenschaften geboren zu sein, ist, keinen Neid zu kennen.«

La Rochefoucault

Als Wagner dreißig und noch als er fünfzig Jahre war, sperrten ihm zwei große Schatten das Rampenlicht. Meyerbeer und Rossini blühten, beide zwanzig Jahre älter als er. Nichts natürlicher, als daß sich ein Reformator mit herrischem Haß auf diese Älteren wirft. Nur schade, daß er doppelzüngig wird. Wagner hat diese beiden größten Konkurrenten nicht nur bekämpft, sondern beschimpft, zugleich aber privatim gesucht.

Mit Meyerbeer fing er privatim an. Als Sechsundzwanzigjähriger wandte er sich an ihn, in der gedachten Angelegenheit mit Scribe. Kurz darauf suchte er ihn in Boulogne auf, spielte ihm Teile des Rienzi vor, erwirkte sich Empfehlungen von diesem mächtigsten Komponisten an die Große Oper, an andere. Wagner, völlig unbekannt, war mit diesen Briefen sofort in Paris eingeführt.

Zehn Jahre später schrieb er in »Oper und Drama« seinen berühmten Angriff gegen Meyerbeer, übrigens vorzüglich. Doch er nahm in das theoretische Werk diese Sätze auf: »Nicht jener gaunerischen Seite in der ekelhaften Ausbeutung unserer Opernzustände wollen wir daher jetzt gedenken, wo wir den letzten Lebenden und noch schaffenden Opernkompositionshelden in seinem Wirken uns vorstellen müssen ,… Nein, betrachten wir in diesem Opernmusikkönige nur die Züge des Wahnsinns, durch die er uns bedauernswürdig ,… nicht aber verachtenswert erscheint ,… So trieb es nun aber Meyerbeer ,… dem Kutscher (Dichter) selbst in die Zügel zu fallen, um durch das Zick-Zack der Fahrt das nötige Aufsehen zu erregen, das ihm nicht auf sich zu ziehen gelingen wollte, sobald er mit nichts anderem als seiner musikalischen Persönlichkeit allein in der Kutsche saß.«

Mit Rossini geht es umgekehrt: erst das Pamphlet, dann der Besuch. In einem Bericht über die erste Aufführung des Stabat mater von Rossini schreibt Wagner aus Paris: »Um diese Zeit begab es sich, daß Rossini gegen zehn Jahre nichts mehr von sich hören ließ: er saß in Bologna, aß Gebackenes und machte Testamente ,… Nichtsdestoweniger verbreiteten sich aber hier und da düstere Gerüchte über die außerordentliche Stimmung des Maestro; bald hörten wir, sein Unterleib sei sehr inkommodiert, bald sein geliebter Vater sei gestorben ,… Das Wahre an der Sache soll aber gewesen sein, daß er Reue fühlte und Kirchenmusik schreiben wollte; man stützte sich dabei auf ein altes bekanntes Sprichwort, und in der Tat zeigte Rossini ein unwiderstehliches Verlangen, die zweite Hälfte dieses Sprichwortes wahr zu machen, da er die erste Hälfte zu bewähren durchaus nicht mehr nötig hatte.« Dann wird Rossinis Besuch mit einem Bankier in einem spanischen Kloster improvisiert, das dortige Gelage geschildert, und als sie reisen, greift der Bankier in Hast nach seinem Portefeuille und dediziert dem Abte einige Banknoten. »Auch hinter diesem Beispiele seines Freundes glaubte Rossini nicht zurückbleiben zu dürfen, – er zog ein starkes Notenpapier hervor, und was er in aller Eile darauf schrieb, war nichts weniger als ein ganzes Stabat mater mit großem Orchester.«

Zwanzig Jahre später sucht Wagner wieder in Paris Fühlung, um seinen Tannhäuser durchzusetzen. Einen Witz Rossinis gegen Wagner, den man kolportiert, dementiert Rossini öffentlich, nur aus Noblesse und, im Gedächtnis der vielen Angriffe Wagners gegen ihn, fügt er fein hinzu: er kenne dessen Musik so gut wie gar nicht, habe aber zu viel Achtung vor einem Künstler, welcher das Gebiet seiner Kunst zu erweitern suche, um sich über ihn Scherze zu erlauben. Wagner, im Bewußtsein, daß Rossini einer der mächtigsten Musiker in Paris und seine Freundschaft von größtem Einfluß ist, nimmt, nach seinen eigenen Worten, dieses Dementi rasch »zum Anlaß«, um diesen unaufgefordert zu besuchen. »Freundlich wurde ich empfangen und mündlich von neuem über das Bedauern belehrt.« Rossini hat diesen Besuch nie erwidert. Als er tot ist, schreibt Wagner »Erinnerungen« an ihn, den er nur in dieser einen Stunde gesehen. Nun spricht er von dem »ehrwürdigen Meister«, von »frischen Blumen auf dem Grabe« usw. Rossini war ungefährlich geworden.

Gegen Schumann zu agitieren hat Wagner einem seiner Schüler, Josef Rubinstein, übertragen, der eine bekannte Schrift gegen ihn verfaßte. Auch schrieb Schumann kaum Opern und starb schon im Jahre 56.

Brahms, zwanzig Jahre jünger als Wagner, wuchs in dessen letztem Jahrzehnt zu gefährlicher Berühmtheit auf. Nietzsche suchte vergebens, Wagner auf Brahms hinzuleiten. Das Triumphlied nennt Wagner »Händel, Schumann und Mendelssohn in Leder eingewickelt«. Über eine Sinfonie äußert er sich ähnlich. Als aber Brahms' Erfolg stieg, als er Ehrendoktor wurde und dafür der Breslauer Universität die Akademische Festouvertüre schenkte, schrieb der erzürnte Wagner, fast siebzigjährig, in einem Aufsatz gegen ihn: »Ich kenne berühmte Komponisten, die Ihr bei Konzertmaskeraden heute in der Larve des Bänkelsängers, morgen mit der Halleluja-Perücke Händels, ein anderes Mal als jüdischen Czardas-Aufspieler und dann wieder als grundgediegenen Komponisten ,… verkleidet antreffen könnt. Jene sind dabei so ernst, ja streng, daß einer von ihnen ganz besonders zum ernsten Musikprinzen unserer Zeit diplomiert werden mußte, damit Euch das Lachen verwiesen werde ,…«

Gedenkt man noch Wagners zuweilen anerkennender, meist tadelnder Haltung gegen Berlioz, den größten Musiker Frankreichs, so hat man seine Stellung zu den großen Musikern seiner Zeit; Liszt ausgenommen, der sein Apostel war.

Die Dichter standen ihm nicht im Licht. Nur einer hatte, wie er, die Nibelungen erfolgreich dramatisiert und war im selben Weimar und von demselben Dingelstedt gleich nach Beendigung des Werkes zu Worte gekommen, die ehedem Wagner eine Stätte geboten. Hebbels Werk war Wagner grade in jenen sechziger Jahren unangenehm, als er selbst zur Verwirklichung seiner Nibelungen schritt. Er schrieb deshalb, zur Zeit, als er den Grundstein für sein Nibelungentheater in Bayreuth legte: »Man nehme Hebbels Nibelungen in die Hand. Dieses mehrteilige Stück macht uns sofort den Eindruck einer Parodie des Nibelungenliedes, ungefähr in der Weise der Blumenauerschen Travestie der Äneide! Der gebildete moderne Literat scheint hier offenbar die ihm so dünkende Groteske des mittelalterlichen Gedichtes durch lächerliche Überbietungen zu verhöhnen; seine Helden gehen hinter die Kulisse, verrichten dort eine monströse Heldentat und kommen dann auf die Bühne zurück, um mit geringschätzigem Tone, wie etwa Herr von Münchhausen, über seine Abenteuer zu berichten. Da hier alle mitsprechenden Helden auf den gleichen Ton eingehen, somit sich gegenseitig eigentlich verhöhnen, ersieht man, daß diese Schilderungen und Reden alle nur an das Publikum gerichtet sind.«

Dann vergleicht Wagner eine Aufführung dieses Stückes mit einer von »Pyramus und Thisbe« vor den vornehmen Herren. »Nun stelle man sich aber vor, daß diese witzelnden Herren eben selbst Schauspieler sind und als solche an der Darstellung von Pyramus und Thisbe ungefähr in der Art teilnehmen, wie der Theaterdichter der Nibelungen und seine Darsteller es in betreff dieses alten Heldengedichtes tun, – so wird bald ein Bild der allerwiderwärtigsten Art vor uns stehen.«

Am Schluß wird er ganz deutlich: »Unsere Schauspieler sehen von ihren Intendanzen solche Stücke ebenso als bare Münze aufgenommen, wie es den sonderbar ironischen Unflätereien unserer, in das große arbeitenden historischen Maler von den Kunstprotektoren geschieht.« Dies ist Wagners Urteil über den größten Dichter seiner Zeit, weil er stofflich mit ihm konkurriert.

Als Wagner diese Sätze druckte, war er, fast sechzigjährig, nach den Berichten seiner Biographen, schon in dem Zustand jener religiösen Einkehr, aus der Parsifal hervorging.


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