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Die drei Decrescendi

1. Barrikaden und Könige

Wagner formulierte seine Stellung zur Welt stets nach ihrer Stellung zu ihm. Im Mai 49 stand er auf der Dresdner Barrikade, fünfzehn Jahre später war er der Royalist von Linderhof. Dazwischen könnte eine großartige gedankliche Entwicklung liegen. Aber was finden wir?

»Ich wirkte für Zuzüge,« sagt er selbst vom Maiaufstand in Dresden. Beust, sächsischer Minister, berichtet in seinen Memoiren: »Der Hofbaumeister, ein berühmter Mann, hatte den Bau der Barrikade geleitet, und zu werktätigen Helfern der provisorischen Regierung gehörte der Hofkapellmeister, ein nicht minder glänzender Name« Chamberlain bemerkt gar nicht, wie sehr er seinem Helden schadet, wenn er die Wahrheit dieser Aussage des Grafen Beust leugnet.. In einem Leitartikel vom Frühjahr 49 läßt Wagner die »Göttin Revolution« den Streitern ihren Gruß entbieten: »Ich bin das ewig verjüngende, das ewig schaffende Leben! Wo ich nicht bin, da ist der Tod! Ich bin der Drang, der Trost, die Hoffnung der Leidenden! Ich komme zu euch, um zu zerbrechen alle Ketten, um euch zu erlösen aus der Umarmung des Todes« usw., zwei Seiten. Wie er glüht. Es ist ein Leitartikel.

Später erklärt er, er habe nur das Theater reformieren wollen und sei dadurch, »ganz von selbst auf die volle Erkenntnis der Nichtswürdigkeit der politischen und sozialen Zustände hingetrieben, die aus sich grade keine anderen öffentlichen Kunstzustände bedingen könnten, als eben die von mir angegriffenen.« Die Schaubühne als moralisches Sprungbrett zur Barrikade.

An jenem Maimorgen hat er (nach Chamberlain) einem Professor zugeredet, »mit ihm auf den Kreuzturm hinaufzusteigen, der Anblick sei so prächtig und das Zusammenklingen des Glockengeläutes und des Kanonendonners berauschend

Für seine innere Geschichte wichtig ist dies: 1. Wagner versucht sich in seinem siebenunddreißigsten Jahre zum ersten Male großen Stiles am allgemeinen Leben: und muß noch in derselben Nacht fliehen, um nicht im Zuchthaus zu enden. 2. Wagners Flucht gelingt, er lebt frei, verbannt statt gefangen. 3. Sein Wille zur Wirkung wird zugleich angetrieben und gehemmt. 4. Er wird aus einer Bahn des Erfolges und des Genusses gerissen, in der er nach seinem Naturell untergehen mußte.

Bis dahin hieß es immer: das Volk. Da kommt nach fünfzehn Jahren mit einem Male zu ihm ein gnadenreicher Fürst. Von nun an heißt es ohne Übergang: der König. Aber die Liberalen irren, wenn sie ihn darum verketzern: Wagner ist nicht aus einem Revolutionär ein Royalist geworden. In beiden Fällen interessierte ihn nur das Theater, nur sein Theater, nur Wagner. Es war nur ein Maskenwechsel.

Kaum kannte er den König, so verfaßte er für ihn eine Schrift über »Staat und Religion«, welche anfängt: »Ein hochgeliebter junger Freund wünscht von mir zu erfahren ,…« Im ferneren erklärt er dort die Erblichkeit des Königtums für das Staatsgrundgesetz »und wie in ihr Gewähr für Stabilität liegt, erreicht in der Person des Königs der Staat zugleich sein eigentliches Ideal«. Dann weist er dem Könige eine »fast übermenschliche Stellung« zu.

Das ist das Decrescendo der Wagner-Rollen im politischen Kostüm: vom glühenden Leitartikel der »Göttin Revolution«, über das Credo eines theatralischen Reformators, bis zum philosophierenden Royalisten.

2. Der Wille zu Schopenhauer

»Niemand ist tiefer als ich in den Geist dieses Philosophen eingedrungen.«

Wagner

Merkwürdiger ist dies andere Repertoire. Wagners wunderbare Kraft, sich einzufühlen – diese Fähigkeit, vor der man immer wieder bedauert, daß er nicht nach seinem eigenen Wunsche Schauspieler geworden –, ermöglichte ihm, wie ein großer Mime in einer Woche Heraklit, Demokrit und Schopenhauer darzustellen. Er verschlang alles, erraffte, was er brauchen konnte, mit wunderbarer Schnelle, er durchstudiert die große und kleine Welt von Dionysos zu Christus und Buddha, häufte Philosophie und Ästhetik, wie Drama, Musik und – leider – auch Theologie. Am Ende wußte er sehr viel, hatte aber alles verbraucht. Geheimnislos auch hierin, starb dieser Prophet, ohne seinen Jüngern ein Rätsel zurückzulassen. Wie Wagners Reichtum darin seine Grenze fand, daß nie etwas abfiel, daß nicht ein Lied, ein Ton sich in dem Nachlaß fand: so war auch sein Wissen – dies Wissen ad hoc – mit dem letzten Atemzuge aufgezehrt.

Dieser Geist war so elastisch, daß er im Jahre 53 Hafis für den »größten Dichter erklärte, der je geliebt und gedichtet hat«, im Jahre 54 sich Schopenhauer so vertraute, wie nie einem andern Geiste. Und doch war ihm in der Zwischenzeit nichts geschehn. Wagners Erlebnis mit Schopenhauer ist das beste Beispiel für seinen Mangel jeder inneren Linie.

Im Jahre 52, noch in dem Zwiespalt eines Mannes begriffen, der Glänzendes darstellen will, um sich für Mangel an Glanz zu rächen, schreibt er, im Ringe habe »seine ganze Weltanschauung ihren vollendetsten künstlerischen Ausdruck gefunden«, und deutet diesen als eine »hellenistisch-optimistische Welt«. Ein Jahr später beendet er die Ringdichtung. Wieder ein Jahr später lernt er Schopenhauer kennen – und findet nun in diesem selben, seinem eigenen unveränderten Werk »die germanisch-pessimistische Weltanschauung«.

Sehen wir davon ab, daß der hellenische Geist ebenso wenig ein optimistischer als der germanische pessimistisch ist. Hören wir erst Wagner. »(Ich) gestehe, daß mir diese Lehre vom Kopf zum Herzen und zum Kopfe geht und eine erhabenere, richtigere mir unmöglich dünkt.« Jeder, der Wagners sinnliche Weltsucht kennt, fragt unruhig, was denn Schopenhauer grade ihm bieten konnte. Überall ist die Antwort die gleiche. Wagners Stellung zur Welt ist abhängig von der ihren zu ihm. Konstruktion jedes Problems nach der Frage: wie steht Wagner im Brennpunkt?

Da steht dieser Lebensunfähige, vom Krampf nach Erlösung Beschwerte, blickt seinen glänzenden Helden nach und fühlt sich ein Ausgestoßener. Wie nun – fragt Wagner mit der bekannten Inversionstechnik – wie nun, wenn grade dieses mein Leiden, grade dieses mein Entbehren das Signum eines »wahren« Menschen wäre? Will diese Welt mich nicht zum Don Juan, zum Mirabeau, zum Borgia: nun wohl, so sind sie alle nichts wert, und nur der Heilige krönt die Vollendung!

Jetzt aber, nach gewonnener Erkenntnis, müßte auch das Werk damit in Einklang treten. Allein, das eben bleibt für diese Dichtung unmöglich. Da die Erkenntnis nicht wie ein inneres Licht aus Wagners Seele leuchtet, plötzlich erhellend, was ihm früher unbekannt; da er in ihr nur eine Bestätigung seiner herrisch fordernden Ohnmacht fand, so kann er sich nicht entschließen, sein »Weltgedicht« zu vernichten, ein neues, gänzlich anderes zu schreiben. Plötzlich aber öffnet sich ein Ausweg: die »Deutung« steht ihm noch frei! Darüber hatte er sich öffentlich noch nicht erklärt.

Und so erklärt er denn in mehreren Schriften: er habe zwar Siegfried den Strahlenden, den Bejahenden darstellen wollen und seinem fertigen Drama »Siegfrieds Tod« nur aus mythischen Gründen rückwärts drei Dramen vorgeschoben, die auf Siegfried hinleiten sollten. »In Wahrheit« aber – sei Wotan der Held, Wotan der Verneinende, der sich selbst zerstört. Folge dieser Erklärung: ein Drama, dessen Held im Hauptteil gar nicht auftritt (Götterdämmerung).

Nun beeilt sich Wagner, auch privatim den Freunden zu schreiben: »Wir müssen sterben lernen, und zwar sterben im vollständigsten Sinne des Wortes; die Furcht vor dem Ende ist der Quell aller Lieblosigkeit ,… Wie ging es zu, daß diese höchste Beseligerin alles Lebenden dem menschlichen Geschlecht so weit entschwand (?), daß dieses endlich alles, was es tat, einrichtete und gründete, nur noch aus Furcht vor dem Ende erfand? Mein Gedicht zeigt es.« Ein andermal: »Dadurch, daß ich rückhaltlos Schopenhauers sehr, sehr tiefe Wahrheit aufnehmen konnte, habe ich meinem innersten Drang am entschiedensten Genüge geleistet, und wiewohl er mir eine, von meiner früheren ziemlich abweichende Richtung gegeben hat, entsprach doch diese Wendung einzig dem tieferen Gefühle vom Wesen der Welt.« Ja, selbst Loge, der bisher nur als Mephisto aufzufassen war, muß dran glauben und wird nun von Wagner als Wotans klügster Ratgeber gepriesen, weil er gewissermaßen die »Vorstellung« bedeutet, gegen Wotan, der »der Wille« ist. (Pyramus: Ich bin die Wand!)

Dies sind die Interpolationen des Wagner-Biographen Wagner. In Zürich geriet er zuerst in eine schwere Zwischenzeit, Sein ganzes Temperament lehnte sich gegen eine Lehre auf, die er doch nicht glaubte entbehren zu können. Es ging ihm wieder wie mit seiner Sinnlichkeit: er fühlt das Untragische, während er doch für das Tragische schwärmt. Zuerst zittert der ganze Bau. »Wer allerdings,« schreibt er, als er eben den Metaphysiker gelesen, »wie der Metaphysiker, die Unsinnlichkeit vor die Wirklichkeit setzt, der mag auch recht haben, den Begriff der Liebe als vor der wirklichen Äußerung der Liebe vorhanden sich zu denken, ,… dann wird er auch recht tun, diese Liebe zu verachten, wie überhaupt die Sinne. Jedenfalls ist aber darauf zu wetten, daß er selbst nie so geliebt hat, wie eben Menschen sich lieben können.«

Ein Jahr später findet er schon eine Art Ausweg: wenn er, schreibt er an Liszt, an den furchtbaren Krampf des Lebenswillens zurückdenke, ja, wenn dieser »auch jetzt oft zum Orkan anschwelle, – so habe ich dagegen doch nun ein Quietiv gefunden ,… völlige Bewußtlosigkeit, gänzliches Nichtsein, Verschwinden aller Träume, einzigste endliche Auflösung!«

Mit Mitleid blickt man in die Seele eines Mannes, der seine übermenschlichen Begierden nicht befriedigen – doch auch nicht tilgen kann; und nun, wie im Wahnsinn, zu einer Lehre als gänzlich fremdes Mittel, als Quietiv greift, die nicht als die gesuchte Bestätigung und Erlösung, die grade als das Gegenteil empfunden werden mußte. Oder war Schopenhauer für Wagner vielleicht doch mehr als nur Mittel zur Theorie? Vielleicht ein Gegengift dem Fiebernden?

Nach dieser Zwischenzeit gewinnt er wieder die Zügel: nun will er die Lehre »selbst berichtigen«. Hierbei enthüllt sich neben Unfähigkeit, sie zu erfüllen, Unvermögen, sie begrifflich zu erfassen. »Die Sache ist ungemein wichtig,« schreibt er aus Venedig an Mathilde, »und meiner ganz besonderen Natur mußte es, grade in dieser ganz besonderen Lebensepoche, vielleicht vorbehalten sein, hier Einsichten zu gewinnen, die sich keinem anderen erschließen konnten. Es handelt sich nämlich darum, den ,… auch von Schopenhauer nicht erkannten Heilsweg der vollkommenen Beruhigung des Willens durch die Liebe, und zwar nicht eine abstrakte Menschenliebe, sondern der wirklichen, aus dem Grunde der Geschlechtsliebe, das heißt der Neigung zwischen Mann und Weib keimenden Liebe nachzuweisen.« Wagner findet nun, der Zustand der Genialität sei nicht Losgerissenheit des Intellektes vom Willen, »vielmehr Steigerung des Intellektes des Individuums zum Erkenntnisorgan der Gattung, somit des Willens selbst, als Dinges an sich ,…«

Diese »Berichtigung« ist wörtliche Umkehrung der Schopenhauerschen Lehre in nuce: nicht Befreiung der Vorstellung vom Willen, sondern Steigerung der Vorstellung zum Erkenntnisorgan des Willens! Analog gelangt er dann »mit größter Bestimmtheit dazu, in der Liebe die Möglichkeit nachzuweisen, bis zu jener Erhebung über den individuellen Willenstrieb zu gelangen, wo, nach gänzlicher Bewältigung dieses, der Gattungswille sich zum vollen Bewußtsein kommt, was auf dieser Höhe dann notwendig gleichbedeutend mit vollkommener Beruhigung ist.« Wörtliche Umkehrung der Lehre: die ja grade die Bewußtlosigkeit des Liebestriebes von der Natur für ihre Zwecke ausnutzen läßt und die Unmöglichkeit eines bewußten Gattungstriebes als Hauptargument für die Tücke der weisen Natur anführt.

»Das Resultat muß sehr bedeutend sein und die Lücke des Schopenhauerischen Systems vollkommen und befriedigend ausfüllen ,… Wir wollen sehen, ob ich einmal dazu Lust habe.« Hätte er Lust gehabt – es kam nur zu einer Seite, die nichts enthält –, so würde Wagners Willkür gegen Schopenhauers Lehre, seine unbefangene Methode, Begriffe an sich zu reißen und umzudrehen, für alle Welt deutlicher geworden sein, als aus diesem Fragment in einem Briefe.

Immerhin folgt dreierlei: 1. die Theorie pro domo: weil Wagner »aus Willen« und mit bewußtem Intellekte Werke schafft, wird die Kunst (Genie) als Resultat eines Wollens statuiert. 2. Mißverständnis Schopenhauers, dessen gesamte Lehre er umzuwerfen trachtet, während er glaubt, nur eine Lücke zu ergänzen. 3. »Vertiefung« der Sinnlichkeit durch deren Zwecke, Wagners Unvermögen, sich zu bekennen, Ersatz des Willens zur Wollust durch einen Willen zur Gattung, der zudem künstlich konstruiert und nie empfunden sein kann.

Zweites Decrescendo: Wagners Weg von Siegfried zu Schopenhauer.

3. Geschichte der Entsagung

Die dritte Linie beginnt mit dem prunkenden Dur-Dreiklang des Atheismus und endet, smorzando, mit der kleinen Terz der Entsagung im Gral. Wiederum nicht etwa eine erschütternd innere Linie, vielmehr ein Schein von Wandlung, vom innersten Lebenskrampfe geboten, aber geformt von einer unermüdlich nachhämmernden Hand.

»Der Mensch ist die Vervollkommnung Gottes,« heißt ein männlich gefaßter Satz aus Wagners früherer Zeit. »Die ewigen Götter sind die Elemente, die erst den Menschen zeugen. In dem Menschen findet die Schöpfung somit ihren Abschluß. Achilleus ist höher und vollendeter als die elementare Thetis.« So muß das Credo eines Mannes sein, der Umstürzler ist, Feind aller Tradition, mit höchster Kraft der Sinne an diese Welt gebunden.

Er geht auch zum Angriff über. Sechsunddreißigjährig schreibt er: »Das Christentum rechtfertigt eine ehrlose, unnütze und jämmerliche Existenz des Menschen auf Erden aus der wunderbaren Liebe Gottes, der den Menschen keineswegs ,… für ein freundliches, selbstbewußtes Dasein auf Erden geschaffen, sondern ihn hier in einen ekelhaften Kerker eingeschlossen habe, um ihm, zum Lohn seiner darin eingesogenen Selbstverachtung, nach dem Tode einen endlosen Zustand allerbequemster und untätigster Herrlichkeit zu bereiten ,… Nichts wurde vom Menschen gefordert als der Glaube. Soviel aber erkennt der redliche Künstler auf den ersten Blick, daß das Christentum weder Kunst war noch irgendwie die Wirkung der weltlichen Kräfte hervorbringen konnte. Der freie Grieche, der sich an die Spitze der Natur stellte, konnte aus der Freude des Menschen an sich die Kunst schaffen: der Christ, der die Natur und sich gleichmäßig verwarf, konnte seine Götter nur auf dem Altare der Entsagung opfern ,… In die siechenden Adern der römischen Welt ergoß sich das gesunde Blut der frischen germanischen Nation; trotz der Annahme des Christentums blieb ein starker Tätigkeitstrieb ,… das Element der neuen Herren der Welt.«

Wie diesem revolutionären, atheistischen Künstlergeiste sogar die Gestalt Christi zum Mittel wird, zeigt das amüsante Dilemma, in das der Theatraliker ein Jahr vor der Revolution mit seinem Plane »Jesus von Nazareth« kommt. Er sucht darin seiner »empörten Stimmung Luft zu machen mit dem Entwurf des Dramas«, denn er sieht eine Ähnlichkeit zwischen der damals römischen und der jetzigen Welt, und wie der Leidende dazu stehe. »Grade jetzt mußte dem Volke dies vorgeführt, konnte diese Deutung von Wirkung werden, nicht aber dann, wenn dieselben Zustände durch die Revolution zerstört waren, wo – jenseits dieser Zustände – zugleich aber auch nur die einzige Möglichkeit zu ersehen war, das Drama dem Volke öffentlich vorführen zu können.«

Jesus als Vorwand für den Reformator, Aufgeben des Planes wegen Unmöglichkeit der Aufführung grade zur Zeit einer Gärung, die die Wirkung verbürgt, Wegfall dieser Wirkung nach der durch die Explosion ermöglichten Aufführung. Folge: der Plan fällt ganz. Bleibt die Erinnerung, daß Wagner die Tragödie des Leidenden schreiben wollte, um »seiner empörten Stimmung Luft zu machen«, die er, der Leidende, gefühlt.

Noch fünf Jahre später schreibt Liszt besorgt dem Freunde: er bete für ihn, »daß Gott mächtig Dein Herz erleuchte durch seinen Glauben und seine Liebe! Magst Du dieses Gefühl noch so bitter verhöhnen, ich kann nicht ablassen, darin das einzige Heil zu ersehen und ersehnen.« Wagner antwortet: »Ich glaube an den Menschen und – bedarf nichts weiter!«

Zehn Jahre darauf, in »Staat und Religion«: »Wer die Erkenntnis des Wesens des christlichen Glaubens damit für abgetan hält, daß er diesen für eine versuchte Befriedigung des maßlosen Egoismus erklärt, vermöge welchem etwa der Kontrahent gegen Entsagung und freiwilliges Mitleiden in diesem verhältnismäßig kurzen und flüchtigen Leben die nie endende Seligkeit gewänne, der würde ,… durchaus nicht die wahnverklärte Vorstellung bezeichnen, welche demjenigen eigen ist, der freiwilliges Entsagen und Leiden wirklich ausübte.« Später, in »Beethoven«: »Der Geist des Christentums war es, der die Welt der Musik neu belebte ,…«

Dies ist vorerst nur der gänzliche Widerruf jener vor fünfzehn Jahren geschriebenen Bekenntnisse. Folgt die Enthüllung des Hedonisten: »Das, was ihm die übermenschliche Kraft gibt, freiwillig zu leiden, muß bereits selbst von ihm als ein ,… durch äußeres Leiden der Welt mitteilbares Glück empfunden werden ,… Es muß das unermeßliche Wonnegefühl der Weltüberwindung sein, gegen welches das eitle Behagen des Welteroberers gradezu kindisch nichtig erscheint.«

Er birst vor Lebenswonne. Man sieht: das ist keine »Bekehrung«, aber auch keine Maskerade. Es ist nur Wagners wollüstiger Lebensdrang mit umgekehrtem Vorzeichen: ein innerer Vorgang, den man gelegentlich zum unbewußten Motiv vieler Märtyrer erklärt hat.

Hieraus folgt alles, was an »Erlösungsverlangen« in Wagner den Übergang zwischen jenen hart trotzenden und diesen schmalen und ergebenen Konfessionen zu machen scheint.

»Die hohe Tragik der Entsagung« hat Wagner den Grundzug seiner Werke genannt. Wir haben ihn im Beginn dieser Blätter in seinen menschlichen Schattierungen verfolgt. – Dasselbe künstlerisch: Bei Wagner steht zwischen Siegfried und Parsifal – Wotan. Oder intellektuell: zwischen Hellenismus und Christentum – Schopenhauer. In beiden Komponierungen steht jener Lebenskrampf, jene zuckende Begier nach »Wonne« hinter der Szene und macht den Regisseur.

Doch nun heißt's immer: Wagner verneinte auch in der Zeit des Überganges nur die Kirche, nicht das Christentum. Im Jahre 59, als er sich eben über eine Parsifaldichtung äußert, ist sein Ton dieser: »Heute trieb sich der liebe Gott persönlich hier auf der Straße herum. Es war Fronleichnamsfest.« Folgt Beschreibung der Pfaffen in ihren »goldenen Schlafröcken«. Mitten in dieser »Flitter-Religions-Komödie« ergreifen ihn aber plötzlich die ernsten Kapuziner, und es folgt der typische Zusatz: »Auch das Kruzifix fesselt mich immer.« Wagner im Anblick des Kreuzes.

Als Wagner eben den Hymnus auf die Entsagung angestimmt, die ihm erst das »unermeßliche Wonnegefühl« gäbe, das er erstrebt, dichtet er den Entwurf zum Parsifal. Aber die reformatorischen Arbeiten halten ihn lange ab, dies innere Erlebnis ganz zur Darstellung zu bringen. Während er die Weisheit der Entsagung im Herzen und im dichterischen Entwurf trägt, schreibt er – um eben zu beenden, was er für sein Theater benötigt – das Lied vom Siegfried zu Ende, dem »Eroberer«. Ja, Wagner vermochte es, den Drachentöter, den Kampfesfrohen, den Dur-Charakter zu gestalten, während in ihm der reuige Schwanentöter schon einem Speere nacheiferte, dessen Zauber es ist, nicht geschwungen zu werden!

Dann komponiert er Parsifal am Ende seines Lebens, und zwar verwendet er dafür sechs Jahre (76-82): Decrescendo der Arbeitskraft, verständlich bei einem Greise. Nie hat er für ein Werk, wenn er es einmal zu vertonen begonnen, ähnlich lange gebraucht. Die Meistersinger komponierte er doppelt so stark. Wir erwähnten die Parsifal-Kanzlei und den Theaterapparat, den er in Bayreuth einrichtete, als er in der Mitte dieses letzten Werkes stand.

Das also war der Ausdruck innerster Sammlung eines Meisters und Philosophen, der seine reifste Weisheit der Welt im Gewande der edelsten Sage vermacht.

Diese Bewegung, in der sich sein Geist verengt, statt sich im Alter zu weiten, hat ihre typischen Analogien. Ein Buch der Freundin von Meysenbug lehnt er ab, weil es gegen die Taufe spräche. »Man sollte doch froh sein, von Kindheit an mit der religiösen Tradition verwachsen zu sein. Sie ist durch gar nichts von außen zu ersetzen.« Und im Jahre 80 erklärt er, nur noch religiöse Beiträge für die Bayreuther Blätter liefern zu wollen: »Einzig von diesem Thema bin ich voll.« Wagner als Bekenner der Tradition im Geistigen, im Sittlichen, in der Kunst (Sinfonien).

Doch wie! Werden diese Entwicklungen Decrescendi gescholten, weil sie im Royalismus, im Pessimismus, in der Entsagung enden?

Vielmehr, weil sie das Tiefste und zugleich das Stärkste in Wagner: Umsturz, Vitalität, Willen zur Lust verleugnen und dafür Begriffe setzen, die er nie mehr mit solcher Fülle der Empfindung zu durchglühen wußte. Sein ganzes späteres Leben ist der Beweis, daß diese Dinge angenommen waren, nicht notwendig. Sein ganzes späteres Werk ist der Beweis, daß die beste Wahrheit seiner Natur, diese »Depressionen« zu gestalten, entweder nicht übers Herz gebracht und dann durch »Deutung« einzurangieren suchte; oder sie in einem Alterswerk gestaltet, das es mit keinem der früheren mehr aufnehmen kann. »Parsifal ist das Werk eines Wagnerianers, nicht Wagners« (Mahler).

In solche Verwicklungen stürzte den Künstler der Seelenkrampf, in dem er sich zerrieben.


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