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»Wagner a de sublimes moments,
mais de terribles quart d'heures.«
Es ist nicht mehr nötig, große gelehrte und ritualmäßige Messen und Oratorien zu schreiben, wir haben durch diesen Sohn Deutschlands erfahren, wie auch auf der Bühne Religion gepredigt werden kann, wenn unter dieser Masse von Pracht und Leidenschaft ein so edler, einfacher und jungfräulicher Sinn erhalten bleibt, wie er in Meyerbeer als die Quelle aller seiner berauschenden Schöpfungen zugrunde liegt.« Wagner, achtundzwanzigjährig, über die Hugenotten.
Vierzig Jahre später: Parsifal. Vierzig Jahre nach Parsifal braucht man nur Wagners obige Worte gegen dies Werk zu zitieren.
Sein Biograph berichtet von dem »grenzenlosen Wohlgefühl«, das ihn grade bei der Komposition der Blumenmädchen durchdrang und das er wiederholt geäußert habe. »Jetzt greife ich in meinen alten Farbentopf!« Auf einer Probe sah ein nachmals berühmter Sänger den greisen Meister selig zwischen den Mädchen streifen. Von einer Stimmung der Entsagung, als er den ersten und dritten Akt komponierte, schweigt der Bericht. Was damals in Wahnfried vorbereitet und verhandelt wurde, ist oben in der »Parsifal-Kanzlei« erzählt.
Dies Werk vereinigt auch musikalisch alles, was über die Wagnerische Todeswollust als Dichtung, als Welt gesagt wurde. An Wucht vermindert wie sein Septimenakkord, hat es Wagners Theaterinstinkte mit seiner musikalischen Halbtonwelt glücklich verschmolzen, und der Einfall, einen Toten singen zu lassen, gibt den Orgelpunkt zu allen Brünsten. Ganz nahe war Wagner seinem Genius, als er den toten Titurel erfaßt, dessen Baß aus dem gewölbten Grabe tönt, nach der Dumpfheit der Pauke, umhüllt vom Geistern der Viola und des Cello, erfaßt von den leisen Pauken des Gralsmotives.
Dies ist bekanntlich gewissen Responsorien beim Hochamt entnommen. Aber auch sonst lehnt sich der Greis in diesem Werke nicht nur an Eigenes aus früherer Zeit Das große Glaubensmotiv steht schon im Tannhäuser (»Der Gnaden Wunder Heil«).. Die Heilandsklage lautet gleich mit dem Beginn des Cantus Lamentationum; die berühmte Orchesterstelle hinter »Weißt du denn nicht, welch heiliger Tag heut ist?« stammt aus Palästrinas Stabat mater, das er selbst neu herausgegeben hat Nur im ersten Akkord weicht Wagner durch den kleinen Dreiklang ab..
Schwüle Frauen, morgens auf einer Wiese kaum erträglich, werden bei umflortem Lampenlichte interessant. Dämmerung ist Wagners beste Zeit. Hier gibt seine Dichtung, hier vor allem seine Musik die schönsten Dinge her. Er weiß es. In einem Brief aus Paris an Mathilde spricht er vom schnellen Wechsel der Extreme in seinen Stimmungen, und wie daraus für die Kunst leicht eine »verderbliche Manier« werden könne. »Ich erkenne nun, daß das besondere Gewebe meiner Musik seine Fügung namentlich dem äußerst empfindlichen Gefühle verdankt, welches mich auf Vermittlung und innerliche Verbindung aller Momente des Überganges der äußersten Stimmungen ineinander hinweist. Meine feinste und tiefste Kunst möchte ich jetzt die Kunst des Überganges nennen, – mein ganzes Kunstgewebe besteht aus solchen Übergängen ,… Mein größtes Meisterstück in der Kunst des feinsten, allmählichsten Überganges ist gewiß die große Szene des zweiten Aktes von Tristan und Isolde.«
Dies bedeutsame Bekenntnis eines Dramatikers ist auch als solches wichtig, dem Musiker vollends gibt es die autoritative Bestätigung des Meisters, daß und warum Wagner Übergänge, Dämmerungen am besten gelingen. Solche Stellen sind wirklich vollkommen: Wolfram: »Wie Todesahnung, Dämmerung deckt die Lande.« Oder Telramund, vor Tagesanbruch: »Du wilde Seherin, wie willst du doch geheimnisvoll den Geist mir neu berücken?« (Hier sind die Nibelungen vorbereitet.) Oder die Morgendämmerung nach der Nornenszene.
Oder Alberich im Siegfried: »Banger Tag, bebst du schon auf? Dämmerst du dort durch das Dunkel her?« Hier zittern im Orchester beängstigende rhythmische Folgen, und nach dem unhaltbaren verminderten Septimenakkord kommt jenes kaltschauernde Tremolo des ersten Vorlichtes. Alberich, halb aus der Erde ragend: »Schläfst du, Hagen, mein Sohn?« Und dann: »Ich höre dich, grimmer Albe! Was hast du meinem Schlaf zu sagen?«
Solche Stellen, musikalisch, dramatisch und dichterisch gleich bedeutsam, lenken den Blick auf diesen ruhelosen Geist zurück: der krampfhaft Licht und Helle gesucht und den der Krampf doch immer wieder in jene Gründe stieß, aus denen er kam.
Und mit einem Male steigt die Tragödie Wagner empor, die Tragödie dunkler, lichtsuchender Charaktere, und mit Bewegung liest man seine spaßhafte Unterschrift unter einem Briefe: »Dein Nibelungenfürst Alberich.«